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Am Fensterbrett

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12.07.2005
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Am Fensterbrett

Quick-Quick machte es. Er fühlte noch mal nach, ob die Tür des kleinen Wagens wirklich zu war. Dann steckte er den Wagenschlüssel in die Innentasche seines Jacketts, nahm den Aktenkoffer unter den Arm und verließ die Tiefgarage.
Seine Wohnung lag mitten in der Innenstadt. An keiner Straße. Mitten in einer Fußgängerzone. Das Haus, in dem er wohnte, hatte man in der Nachkriegszeit gebaut. Von außen sah es mit seinen schwefelgelb getünchten Wänden wenig faszinierend aus, doch die kleine Wohnung im ersten Stock (direkt über dem Juweliergeschäft) hatte er sich nett eingerichtet.
Als er aus der Tiefgarage kam und den großen Parkplatz hinter dem Haus überquerte, blieb er stehen und schaute nach oben. Es war 18.30 Uhr, und die Nacht war bereits komplett hereingebrochen. Man merkte, daß es Winter wurde. Er konnte seinen Atem sehen, es war nicht eiskalt, aber frisch. Dort oben funkelten ihm dutzende weiße Punkte entgegen. Er senkte den Blick. Vereinzelt standen noch Autos auf dem Parkplatz, und mit einem Mal wich seine gute Laune, die er den ganzen Tag über gehabt hatte. Er hatte nette Kundengespräche, freundlichste Kollegen, einen verflucht gutbezahlten Job und eine eigene kleine Welt. Und das in seinem Alter. Und doch wich die Sonne in seinem Herzen jetzt einer pechschwarzen Gewitterfront. So bedröppelt ging er über den Parkplatz, kam in die Fußgängerzone und steuerte auf seine Haustür zu.
Seine Wohnung war eigentlich ganz gut eingerichtet. Die kleine Schrankwand aus teurem Edelholz, ein bequemes Bett, ein kleiner Fernseher mit Premiere World. Der Kühlschrank fast immer voll – ein bequemes Leben. Eigentlich. Er kam in seine Wohnung, schloß die Tür hinter sich und schmiß seine Aktentasche aufs Sofa. Dann ging er auf das kleine Wohnzimmerfenster zu.
Es hatte keine Gardinen. Die Fensterbank davor war komplett abgeräumt. Vor dem Fenster stand ein Stuhl, von dem man optimalen Blick durchs Fenster hatte. Es war immer sauber poliert, kein einziges Drecks- oder Staubkorn war darauf zu sehen. Der Rahmen war so weiß wie Obstblüten, die in der Sonne glitzern.
Er ging in die Küche und durchwühlte den Kühlschrank. „Nervennahrung“, sprach er. Mit zwei Flaschen Altbier bewaffnet, verließ er die Küche und stellte die Flaschen auf die Fensterbank des nie schmutzigen Fensters. Die Gewitterfront in seinem Herzen schlug sich jetzt auch auf seinen Magen nieder. Dort war nur ein tränenverursachendes, endloses schwarzes Nichts innen drin. Wie automatisch griffen seine Hände nach der CD mit den wunderschönen Klavierballaden. Als die schwermütige Musik leise aus den versteckten Boxen zu klimpern begann, nahm er den zerschmusten Teddy vom Sofa und öffnete das Fenster.
Von seinem Fenster aus hatte er einen herrlichen Blick auf die kleine, gemütliche Fußgängerzone. Geschmackvolle Laternen tauchten sie in warmes Licht, ein leichter Wind wehte durch die Straße. Auf seiner Fensterbank hatte er eine Art Kindersitz aus kleinen Holzstückchen gebastelt, in den er seinen Teddy hineinsetzte. So setzte auch er sich ans Fenster, öffnete die erste Bierflasche und starrte gegen die gegenüberliegende Häuserwand. Minutenlang. Einfach so. Mit völlig leerem Kopf.
„Bist du glücklich?“, fragte er seinen Teddy und nahm einen ersten Schluck aus der Bierflasche. „Ich meine, würdest du sagen, du befindest dich emotional in einem Zustand, von dem du sagen würdest, daß keine Verbesserung mehr möglich oder notwendig ist?“
Der Teddy starrte nur geradeaus.
„Ich nicht. Ich bin nicht glücklich. Ich bin nur zufrieden“, sagte er und nahm einen zweiten Schluck aus der Flasche.
„Ich habe Geld, einen guten Beruf, eine Wohnung und ein Auto. Ich habe drei bis vier sehr gute Freunde und bin in meinem Bekanntenkreis als Doktor Sommer bekannt. Frag mich was zu deinen Beziehungsproblemen, und ich löse sie dir. Für einen Vollwaisen hab ich eigentlich viel erreicht.“
Der Teddy starrte nur geradeaus.
„Es ist ja nicht so, daß ich traurig sein würde. Verglichen mit anderen Menschen habe ich noch nicht einmal das Recht, mich zu beschweren. Zum Beispiel Pablo, der Penner, der immer dahinten beim Bäcker im Eingang pennt.“ Er deutete mit der Bierflasche die Straße hinab.
„Pablo“, fuhr er fort, „hat den falschen Menschen vertraut. Er hatte Frau und Kind und wollte nur ein Haus bauen. Dieser beschissene Anlageberater hat ihn dann in den Dreck geritten. Pablo lebt seit zehn Jahren auf der Straße und hat immer noch 700.000 Mark Schulden.“
Er nahm einen dritten Schluck und dachte kurz nach. Dann sagte er: „Aber Pablo war glücklich.“
Er schaute auf die Straße hinab. Einige aneinandergekuschelte Pärchen bummelten durch die Fußgängerzone und genossen die winterlich-romantische Stimmung. Die Klaviermusik erreichte eine besonders wehmütige Passage.
„Die da unten, die sind glücklich. Jetzt gerade plagen sie keine Sorgen.“
Der Teddy starrte nur geradeaus.
„Sie haben sich selbst. Das ist genug. Kein Außenstehender wird das verstehen oder nachvollziehen können, aber wenn du diesen beiden jetzt eine Million dafür bietest, daß sie diesen Moment abbrechen und getrennt nach Hause gehen, würden sie dich verächtlich ansehen und weitergehen. Ich denke konfus, oder?“
Der Teddy starrte nur geradeaus.
„Ich denke konfus.“ Drei schnelle Schlucke, und die erste Flasche war leer.
Jetzt war es am schlimmsten. Die Leere im Kopf blieb. Ein gedankliches Vakuum. Die schwarzen Wolken in seinem Herzen verdichteten sich zu einem elegischen Brei der Beklemmung, und das schwarze Loch in seinem Magen fraß und fraß unaufhörlich jedwedes Anzeichen von Zufriedenheit, innerer Erfüllung und Freude. Die Stimme der Sängerin, die von der CD trällerte, erreichte herzzerfetzende Intensität.
Vor seinem Fenster stoppte ein anderes spazierengehendes Pärchen. Er konnte von der jungen Frau hören, wie sie sagte „Mir ist kalt“. Der junge Mann zog sich dicht an sich, gab ich einen zärtlichen Nasenstüber und legte seine Stirn auf ihre. So schauten sie sich nur wenige Sekunden lang in die Augen.
Für ihn oben am Fenster war dieses Bild ein Minuten dauernder Schnitt mit einem Messer durch sein gewitterwolkengetränktes Herz, das just in dem Moment brach, als sich das Pärchen in dieser Position nur einen leichten Kuß auf die Lippen hauchte.
Das schwarze Loch in seinem Magen wurde zu einer explodierenden Sonne, sein zerschlitztes Herz lief mit einem Schlag aus und sein sowieso schon gedankengeleerter Kopf fiel unkontrolliert auf das Fensterbrett. Leise begann er zu schluchzen.
Seine wasserdurchfluteten Augen blickten noch ein letztes Mal auf den zum Sterben schönen Sternenhimmel, bevor sie in einem salzigen Ozean untergingen. Er stand auf, nahm den Teddy aus seinem Holzgestell und schmiß sich auf sein Sofa. Fest drückte er das Stofftier an sich und schluchzte vor sich hin.
„Einsamkeit...“, sagte er zu dem Teddy, als er sich wieder halbwegs gefaßt hatte, „Einsamkeit kann töten.“
Und niemand, der ihn liebte, war da, der ihn trösten konnte.

 

Hallo cruzha,

und herzlich willkommen hier.
Bis auf den Penner fehlt mir der gesellschaftliche Kontext, auch wenn es sicherllich viele unfreiwillige Singles gibt, nicht nur unter ehemaligen Heimkindern. Aber wo sind die politischen Bedingungen, die dafür veranwortlich sind? Wo der gesellschaftliche Bezug, der diese Kategorie bestimmt? Da würde ich eher die Rubrik Alltag vorschlagen.

Einige Informationen, die du innerhalb der Geschichte im Monolog mit dem Teddy gibst (Beruf, Wohnung, etc) brauchst du in der Geschichte vorher eigentlich nicht zu geben. Da beschreiben sie nur und sind viel langweiliger als in dem Monolog. Das ändert aber nichts daran, dass ich diesen Text gut geschrieben finde, auch wenn er mir etwas zu selbstmitleidig ist.
Aber da es ja eine erzählte Figur ist, werde ich mir therapeutische Überlegungen dazu sparen. ;)
Trotzdem fehlt es deinem Prot und somit auch der Geschichte an wirklicher Reflektion. Er beklagt sein Schicksal ohne sich Gedanken über sein Zutun dazu zu machen. so ist das in einem Loch.
Leider gibt es solche -selbstmitleidsmonologe hier zu Hauf. Sie mögen dabei bestimmt oft die momentane Verfassung des Erzählers beim Schreiben widerspiegeln, aber irgendwann ist man daran übersättigt. Zum Glück bringt dein Prot sich nicht um, wie in den meisten solcher Geschichten. Nicht nur deshalb ist sie eine der besseren dieser Art.
Den Einstieg mit Lautsprache finde ich nicht so originell, aber mich stört diese Comic Attitüde meistens in Geschichten, wenn sie so beiläufig angebracht wird. Quick Quick für ein Autoschloss finde ich noch nicht einmal besonders treffend.

Lieben Gruß, sim

 

Och, ich kann hier noch schlimmere Werke präsentieren. Der Text ist ja drei Jahre alt, und besser konnte ich ihn leider nicht einordnen. Sim, dass du von einer solchen Art Storys mittlerweile genug hast, tut mir ja leid - ich wollte deine strapazierte Geschichtenseele nicht weiter beanspruchen. Aber ich bin ehrlich: Allzuviel habe ich hier nicht gelesen, eher so 3-4 Stichproben pro Kategorie.

Am Ende schmiert das alles ziemlich ab, da hat S.H. natürlich recht. Aber irgendwie sollte es auch eine Art Steigerung in der Textcharakteristik sein, immer schwerer, enttäuschter und selbstmitleidiger zu werden, um in einer überspitzten, traurigplatten Klimax zu enden.
Reflektion? Nein, darum ging es nicht. Als diese Geschichte geboren wurde, ging es lediglich um einen Versuch, eine emotionale Extremsituation darzustellen.

 

Hallo cruzha,

Licht und Schatten, wie man so schön sagt, kann man in deiner Geschichte finden, sowohl inhaltlich als auch stilistisch.

Mich störten bei der Geschichte die gelegentlich schwachen oder fehlenden ("Der Kühlschrank fast immer voll – ein bequemes Leben") Verben, die sich manchmal häufen, so, wie hier:

Es hatte keine Gardinen. Die Fensterbank davor war komplett abgeräumt. Vor dem Fenster stand ein Stuhl, von dem man optimalen Blick durchs Fenster hatte. Es war immer sauber poliert, kein einziges Drecks- oder Staubkorn war darauf zu sehen. Der Rahmen war so weiß wie Obstblüten, die in der Sonne glitzern.

Zu viele "hatte" und "war", auch an anderen Stellen. Die würde ich an deiner Stelle noch mal ausmisten und durch aussagekräftige Verben ersetzen.

Ab und zu sind Wiederholungen drin:

Die Fensterbank davor war komplett abgeräumt. Vor dem Fenster stand ein Stuhl, von dem man optimalen Blick durchs Fenster hatte.

Dreimal "Fenster".


und öffnete das Fenster.
Von seinem Fenster aus hatte er einen herrlichen Blick auf die kleine, gemütliche Fußgängerzone. Geschmackvolle Laternen tauchten sie in warmes Licht, ein leichter Wind wehte durch die Straße. Auf seiner Fensterbank hatte er eine Art Kindersitz aus kleinen Holzstückchen gebastelt, in den er seinen Teddy hineinsetzte. So setzte auch er sich ans Fenster,

... und hier gleich viermal.


Der Rahmen war so weiß wie Obstblüten, die in der Sonne glitzern.

Schöner Vergleich.


Die Gewitterfront in seinem Herzen schlug sich jetzt auch auf seinen Magen nieder. Dort war nur ein tränenverursachendes, endloses schwarzes Nichts innen drin.

Der hier nicht so ... eine Gewitterfront kann sich nicht niederschlagen, sie kann aufziehen oder drohen. Außerdem ist mir diese Stelle zu direkt. Dass er traurig ist, sollte in der Handlung gezeigt werden, und das machst du ja auch anschließend sehr anschaulich.

Die Idee mit dem Teddy gefiel mir gut, auch, wie du ihn in den Monolog einbaust. Das Ende schmiert auch für meinen Geschmack zu sehr ab.


Aber irgendwie sollte es auch eine Art Steigerung in der Textcharakteristik sein, immer schwerer, enttäuschter und selbstmitleidiger zu werden, um in einer überspitzten, traurigplatten Klimax zu enden.

Verstehe ... aber quasi immer auf der selben Tränendrüse rumzudrücken funktioniert dramaturgisch nicht. Statt eines Höhepunktes erreicht man das Gegenteil: Der Leser schaltet irgendwann ab. Wie bei einem Freund, der immer heftiger über immer dasselbe jammert.
Für einen Höhepunkt müsste wieder was neues ins Spiel kommen (aber kein Selbstmord ... gut, dass deine Geschichte nicht so endet). Zum Beispiel könnte dein Prot das Abendbrot herrichten und eine aufblasbare Puppe aus dem Schrank holen, die ihm dabei (und später ...) Gesellschaft leistet, oder dir fällt etwas anderes ein.

Den letzten Satz würde ich auch streichen. Er ist, wie der mit der Gewitterfront, zu direkt, sagt das noch einmal, was du zuvor gezeigt hast. Das berührt einen darum nicht mehr, im Gegenteil.

Das Thema hat mir gut gefallen, und du hast es auch lebendig und eindringlich rübergebracht.

Viele Grüße
Pischa

 

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