- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Am Küchentisch
Er wußte nicht wann dieser Gedanke in ihm Platz genommen hatte. Vielleicht reifte er schon lange Zeit, ohne daß er es bewusst wahrgenommen hatte? Oder nicht wahrnehmen wollte? Es ist einfacher zu ignorieren als zu erkennen, das war sein Lebensmotto, das ihn immer sicher und geradlinig geführt hatte. Warum davon abweichen, warum etwas ändern?
Doch heute wurde der Gedanke massiv, pochte eindringlich in seinem Gehirn, wanderte durch es hindurch und hinterließ Spuren, die nicht mehr zu verwischen waren.
Heute war kein anderer Tag als die 365 anderen im Jahr, die sich, abgesehen von der handvoll Feiertage, in nichts unterschieden. Das war auch gut so, denn er liebte die Routine und das Alltägliche, das hatte er zumindest bis heute angenommen. Doch jetzt auf einmal hatte er sich dem Gedanken zu fügen, wusste daß es sinnlos wäre sich zu wehren, zu versuchen dagegen zu arbeiten. Dieser Gedanke war zu stark, zu selbstständig und er war im Recht! Tröstlich war nur, das wohl niemand auf dieser Welt einen Terminkalender hatte, in dem irgendwo die Eintragung stand: Heute änderst du dein Leben.
Eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes ließ ihn aus seiner Grübelei aufschrecken. Sie war aufgestanden, um ihm und sich noch etwas Kaffee nach zuschenken. Sein Blick streifte ihre Rückansicht und verweilte auf ihrem breiten Hinterteil. Mein Gott, wann war sie eigentlich so fett geworden? Angewidert blickte er weg. Nichts an dieser Frau war noch attraktiv. Nichts von dem damaligen Zauber, der sie für ihn so interessant gemacht hatte, war noch vorhanden. Sie setzte sich ihm wieder gegenüber und er vermied den Blickkontakt, genauso wie sie ihn vermied. Sie hatten sich nicht mehr viel zu sagen, morgens an diesem Frühstückstisch. Zwar saßen sie gemeinsam, doch jeder von ihnen beiden war dort ganz für sich allein. In ihren eigenen Universen aus Gedanken, Gefühlen und Problemen. So war es seit Jahren und keiner von ihnen fand diesen Umstand erwähnenswert. Sie waren so perfekt aufeinander eingespielt, dass sie es ohne Mühe schafften den ganzen Tag zusammen zu sein und sich doch aus dem Weg zu gehen, wenn auch nur mit dem Geist. Er wusste nicht ob sie glücklich war, aber er vermutete das Gegenteil. Eine zeitlang hatte er sogar geargwöhnt, daß es einen anderen Mann in ihrem Leben gab, aber das war einfach zu lächerlich und er ließ davon ab. Genauso wenig wie er fremdging, würde sie es tun, das wusste er. Sex spielte für sie beide schon lange keine Rolle mehr, sehr selten machten sie es miteinander, wenn das menschliche Bedürfnis überhand gewann und der Treib sich nicht unterdrücken ließ. Doch mit dem Alter wurde das immer weniger und erschätzte, daß er in 20 Jahren impotent sein würde und damit wäre das Thema dann endgültig erledigt.
Es hatte keinen Sinn darüber zu grübeln, warum jetzt alles so war, wie es war. Ganz entfernt erinnerte er sich an eine glückliche, lebendigen Ehe, die irgendwann der Gewohnheit anheim gefallen war. Ihre Wege hatten sich unmerklich getrennt und jeder ging für sich allein.
Was seine Seite betraf, hatte er eine gewisse Art Hass ihr gegenüber entwickelt. Ja, manchmal hasste er einfach alles an ihr. Ihre langweilige Frisur, die sie seit Jahren trug. Ihre herabhängenden Mundwinkel, die dafür sorgten, daß sie immer mürrisch drein blickte. Ihre Fettpolster, die unaufhörlich mehr wurden und sich unter ihren geblümten Kleidern deutlich abzeichneten. Wann zum Teufel hatte sie angefangen diese ekelhaften geblümten Kleider zu tragen? Sie hatte Unmengen davon, in allen möglichen Farben und Mustern. Hässliche Kleidersäcke, die sie noch älter und unförmiger wirken ließen, als sie eigentlich war.
Verstohlen musterte er sie erneut und fühlte heiße Wut in sich aufsteigen. Warum konnte sie nicht einfach wieder die charmante Frau von damals sein, die ihn betörte und nicht dieses alte, zänkische Weib, das ihm das Leben Tag für Tag zur Hölle machte.
Er würde gehen, oh ja er würde einfach gehen. Sie verlassen, für immer. Wenn er das nicht tat würde er sie eines Tages umbringen. Seine Hass und seine Wut wuchsen mit jedem Tag und bald würde er sie nicht mehr beherrschen können.
Erst heute, an diesem doch so normalen und nichtigen Tag, war ihm das klar geworden, hatte der Gedanke, der entfernt schon so lange quälte, die Führung übernommen und war nicht bereit sie sich nehmen zu lassen.
Er war innerlich entzweit, Reste der alten Liebe gruben schwach in seiner Erinnerung, aber sie wurden nicht fündig, hatten ihr Heim verloren. Der Hass fraß alles Schöne auf und nährte sich damit. Das letzte bisschen Verstand riet ihm ängstlich zu gehen, bevor das Schlimmste passieren würde und er alles an Menschlichem verlor.
Hätten die Gefühle, die in ihm tobten und rangen, die Möglichkeit gehabt zu entweichen, sich Luft zu machen, sie wären kreischend durch die Küche gestürmt und hatten alles zerstört. Einem Tornado gleich, der nichts unbeschadet zurück lässt.
Aber es war still in ihrer Küche, sie saßen einander gegenüber, ohne Worte, ohne Emotionen und sie ahnte nichts von dem Aufruhr, der in ihm wütete. Ahnte nichts von dem Hass, der fast greifbar war und dem Kampf den er führte.
Sie wollte nur ihre Ruhe, wollte daß er bald arbeiten ging, damit sie endlich allein im Haus war. Es war ihr schon lange egal, was er tat und was er dachte. Ihretwegen hätte er auch gehen können ohne eine Rückkehr, das hätte es für sie leichter gemacht. Ihr graute bereits jetzt davor, wenn er in Rente ging und jeden Tag zuhause sein würde. Was geschah dann? Sie glaubte das sie ihn über kurz oder lang verlassen würde, dann war ihr egal wer für ihn sorgte, sie wollte noch ein bisschen leben und nicht in dieser langweiligen, ausgezehrten Ehe verenden. Wie er da saß, am Frühstückstisch mit seiner Zeitung, angewidert musterte sie das bekannte Bild. Oft genug war sie versucht ihm beim nach schenken, den heißen Kaffee über die Hände zu schütten, auf das er sie sich verbrühte und vor Schmerz aufschrie. Sie hasste ihn, weil er so teilnahmslos war und sie hasste sich, daß sie sich in seiner Teilnahmslosigkeit so gehen ließ. Sie war fett geworden, hatte keine Lust sich zu schminken oder zu pflegen. Für wen? Für den Herd an dem sie jeden Tag stand oder für den Briefträger, der sie mitleidig anlächelte? Wo war der Mann geblieben, der sie nächtelang geliebt hatte, der unersättlich war und sie heiß begehrt hatte. Heute schaute er nur noch jungen Mädchen auf den Hintern und das ekelte sie an. Sie wusste, daß er heimlich Pornos schaute, wenn sie beim Damenkränzchen war und auch das ekelte sie an. Diese sabbernde alte Lappen, der auf ihrem gemeinsamen Sofa onanierte.
Sie glaubte, daß heute der Tag war, etwas zu ändern, denn sonst würde sie verrückt werden.
Schon seit langer Zeit stand in ihrem Schrank ein fertig gepackter Koffer, für den Zeitpunkt an dem es nicht mehr ging. Damit sie schnell und ohne aufgehalten zu werden aus diesem Leben flüchten konnte. Sie wollte es hinter sich lassen und vergessen, wenn das noch möglich war.
Seine Glatze schimmerte über der vorgehaltenen Zeitung, seine einstige, dunkle Lockenpracht war nur noch an dem spärlichen Haarkranz zu erahnen. Ob er wohl wusste wie unattraktiv er im Laufe der Zeit für sie geworden war? Vermutlich war es ihm egal, wie ihm alles egal war.
Ihre Bitterkeit vergiftete sie innerlich und hätte die Bitterkeit einen Weg hinaus gefunden, so hätte sie sich schleichend durch die Küche bewegt und sie beide vergiftet, still und heimlich.
Beide saßen sie in der Küche, wie schon so viele Jahre lang. Und beide schätzten für sich ab, ob es nicht doch noch einen Tag länger zu ertragen war. Warum heute, wenn auch morgen noch etwas zu klären ging. Warum so beeilen, wo doch schon Jahre vergangen waren. Und beide entschieden sich dafür den Weg der Gewohnheit noch ein Weilchen weiter zu gehen und noch ein bisschen auszuhalten. Sie hofften, daß es wieder so wie früher werden würde, obwohl sie wussten, daß es unmöglich war. Dieser kleine Hoffnungsfunke, der noch nicht erloschen war, sorgte dafür das nicht alles zusammenbrach und sie wussten, daß sie ihn am Leben erhalten mußten, damit sein Erlöschen nicht alles zunichte machte und ihnen bewies das ihr Leben gelebt war.