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Am Morgen nach dem Sturm in der Stadt

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27.04.2007
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Am Morgen nach dem Sturm in der Stadt

Jetzt, es ist so ungefähr halb vier Uhr morgens, weht immer noch ein starker Wind, der einen schaudern lässt und einem die Frisur oder die Zigarette ruinieren kann. Aber das ist mir im Moment so was von egal. Ich will nur noch nach Hause und solange schlafen bis ich alles vergessen habe, was gestern passiert ist.
Die Innenstadt ist menschenleer. Außer dem Pfeifen des Windes ist nichts zu hören. In der Mitte von dem kleinen Platz an dem ich gerade vorbei gehe, schmerzt mich plötzlich ungewöhnlich stark die Leere die der Baum zurücklässt, der gestern noch dort stand. Als ich daran vorbei gegangen war, hatte ich vergnügt festgestellt, wie ein paar Studenten sich unter der fast zehn Meter hohen Eiche Schutz vor der warmen Frühlingssonne suchten, wie man es jeden Sommer beobachten konnte. Ich saß auch immer gerne dort. Bis heute, denn die Orkanböen hatten offensichtlich den dicken Stamm des alten Baumes bezwungen und ihn gefällt. Eine Bank auf die er gefallen war fehlte ebenfalls und bis auf ein paar kleine Äste, Blätter und Sägespäne wurde von der Vergangenheit nichts zurückgelassen.
Vor nur sechs Stunden war meine Welt noch in Ordnung. Ich war glücklich verliebt, euphorisch da leicht angetrunken, fühlte mich jung, schön und unsterblich. Nun bin ich ein volltrunkener Single mit einer ramponierten Visage der seit einer Weile beunruhigende Suizidgedanken hegt. Aber ist das wirklich notwendig?
Im Club war´s gestern voll, fast alle meine Freunde (die sich nach dieser Nacht wohl auch von mir abwenden werden), waren da und wir feierten Thomas´ Geburtstag nach, der vor drei Monaten gewesen war. Kurz vor Zwölf war Thomas schon nicht mehr ansprechbar und die meisten anderen auch schon sehr betrunken und schrieen sich an um die laute Musik zu übertönen. Doch sie alle, inklusive meiner Freundin, hörten als ich aufstand um mich auf den Weg zum Klo zu machen oder mir ein weiteres Bier zu holen (So genau weiß ich das jetzt nicht mehr), wie eine Frau mit dem Finger auf mich zeigte und mit beängstigender Sicherheit in der Stimme, „Er hat mich angesteckt! Er stirbt und er hat mich mit rein gezogen, obwohl er es wusste!“, brüllte. Verstörend war das für mich besonders, da ich diese Frau vorher noch nie gesehen hatte. Dann verschwand sie einfach in dem aufkeimenden Trubel.
Auch jetzt noch denke ich darüber nach, forsche in den unendlichen Weiten meiner Erinnerung, woher sie mich kennen könnte. Ich werfe die Flasche Korn, in der noch ein Schluck drin war, Gedanken versunken gegen eine Hauswand. Heute sollten die Gelben Säcke abgeholt werden, doch der Wind hat sie davongetragen, sie aufgerissen und in der ganzen Stadt groteskes Kunststoffkonfetti verteilt. Immer mal wieder trete ich auf eine Milchtüte und Bonbonpapiere fliegen an mir vorüber, wie komischer, bunter Schnee. Meine Kehle ist trocken und der Riss in meiner Lippe brennt durch den Alkohol und ich frage mich laut: „Wer ist diese Frau“, und hat sie die Wahrheit gesagt? Doch es kann sich nur um eine Verwechslung handeln. Es muss einfach so sein. Und wenn nicht?
Nachdem meine Freundin, die wie die Anderen keine meiner Ausflüchte hören oder glauben wollte, mir mit Tränen in den Augen ein paar Ohrfeigen verpasst hatte, konnte ich nur noch versuchen unbeschadet aus dem Club zu kommen. Ich habe es nicht geschafft. Es war wie ein Spießrutenlauf: Jeder durfte einmal zuschlagen; sogar einer der Türsteher genehmigte sich ein, zwei Schläge auf meine Schläfen. Ein betrunkener Mob vorfolgte mich drei Straßenblocks weit, bis irgendjemand rief: „Ach, scheiß drauf, lasst uns wieder zurückgehen. Der Typ ist doch eh so gut wie tot“, worauf sich Alle wieder auf den Weg zum Club machten, um fröhlich weiter zu feiern. Und Morgen werden sie mich vergessen haben, dachte ich.
Jetzt wo es Morgen ist, glaube ich, sie verschwenden keinen Gedanken mehr an mich, der jetzt so gut wie zuhause ist. Aber sie denkt vielleicht noch an mich. Mir wird übel und ich schwanke beim gehen. Mein Schlüssel fällt mir runter, als ich die Tür zu meinem Wohnhaus aufschließen will. Während ich ihn aufhebe öffnet sich die Haustür und ein Mann, der etwas älter ist als ich, lächelt mich freundlich an und sagt: „Guten Morgen!“ Ich habe ihn noch nie in unserem Wohnhaus gesehen.
„Ich kann nichts Gutes an diesem Morgen erkennen“, ist das Einzige, was mir dazu einfällt.
„Dann musst du genauer hinsehen“, sagt er und deutet auf etwas hinter mir. Ich drehe mich um und sehe, dass die Sonne langsam aufgeht und mit dem aufziehenden Nebel einen roten Schleier über die Stadt legt. Der Wind hat endlich nachgelassen.
Mindestens zehn Menschen kamen bei dem gestrigen Sturm ums Leben, bei Autounfällen, bei Hochwasser, andere wurden von Ästen oder Bäumen erschlagen. Oder waren es doch elf? Und wo habe ich das gehört? War gestern wirklich alles besser?
„Ich kann dich dorthin zurückbringen“, bietet mir der Unbekannte an.
„Ich will nicht zurück. Ich bin müde“, sage ich gähnend, wende mich vom Sonnenaufgang ab, der jetzt die Flure des Hauses orange färbt, und gehe an ihm vorbei. Gleich bin ich da.
Er verlässt das Haus, geht den kleinen Weg, der zur Tür führt, runter und ruft mir zu: „Schlaf eine Nacht drüber. Ich werd´ sie von dir grüßen!“
Ich schließe die Tür und denke einen Moment darüber nach, was er gesagt hat. Dann weiß ich wieder alles und kann mich an sie erinnern. Eine ganze Zeit ruht meine Hand noch auf der Türklinke und ich starre auf die Milchglasscheibe, durch die das helle Licht scheint.
Aber ich werde sie nicht wieder öffnen.

 

Interpretierst du etwa ein Wortspiel in meinem Nicknamen so, dass du glaubst, dass ich einen verkorksten Charakter habe? So schlimm kann´s doch auch nicht sein.

 

Okay,okay. Hatte ich vorher noch nie was von gehört, also bring das nicht damit in Verbindung.

 

Hallo faz,

seltsam ist deine Geschichte in der Tat. Kommunikationstheoretisch müsste ich jetzt mit dem anfangen, das mir gefiel, und davon gibt es auch etwas. Aber irgendwie muss ich zunächst damit beginnen, dass ich den Text am Ende unbefriedigend fand. Das ist in sofern okay, dass Geschichten ja nicht immer befrieidgt zurücklassen müssen. Ich hatte nur ein bisschen den Eindruck, als zerstörtest du dir mit dem Griff in die Mystik die Geschichte ein bisschen.
Zunächst lese ich eine Geschichte über Lügen, über Vertrauen unter Freunden und Partnern und über Intrige. Dabei ist es für mich unwichtig, dass nicht klar ist, warum sie alle einer wildfremden Frau mehr glauben, als dem Freund, den sie kennen. Die Zielstrebigkeit, mit der die fremde Frau sich den Icherzähler ausgesucht und mit der sie agiert hat, kann schnell zu solchen Zweifeln führen. Und auf einmal glaubt man, den Menschen nicht mehr zu kennen, der einem eben noch vertraut erschien. "Ich kenne diese Frau nicht" erscheint dann wie eine Ausflucht. Denn wenn die Frau derartig sicher ist, muss an ihrem Vorwurf etwas dran sein.
Der Sturm, der daraufhin im Inneren des Prot losbricht, manifestiert sich im Äußeren der Stadt. Alles, was Bestand hatte, wird umgefegt. Hier fällt mir auf, der Baum in deiner Geschichte wurde vom Sturm wie von einer Kreissäge am Stamm durchtrennt. Das erscheint mir sowohl im Hinblick auf die Realität, als auch auf die Metapher unglücklich, denn von Sturm werden Bäume meistens eher entwurzelt. Einen Stamm kann auch der stärkste Orkan nur durchtrennen, wenn dieser bereist morsch ist. So, wie ich den Text gelesen habe, findet aber auch in deinem Prot eher eine Entwurzelung statt, auch, wenn ihm sein Leben mitten durchgetrennt wird. Vielleicht wolltest du aber mit diesem Bild auch darauf hinaus, dass im Stamm des Prot wirklich etwas faul ist, er die Frau kennt und seine Ausflüchte wirklich nur Ausflüchte sind. Ähnliches deutest du mit dem mystischen Ende ja auch an (er kann sich an die Frau erinnern).
In dem auch schon seltsamen aber weniger mystischen Teil jedenfalls hast du für mein Gefühl Verwirrung und Stimmung gut beschrieben.
Doch dann kommt dein Prot nach Hause. Ihm öffnet ein Unbekannter, ein Dialog entsteht. Über Plattitüden (Was soll an diesem Morgen gut sein?) der ebenso simplifizierende Hinweis, das Gute müssen man erkennen mit Blick auf ein Kitschpostkartenmotiv: den Sonnenuntergang.
Dafür hat der Prot keinen Blick, aber eine Erleuchtung, er weiß, wie viele Menschen dem Sturm zum Opfer fielen. Der Unbekannte kann die Gedanken hören, bietet dem Prot (das Überleben?) an, doch der lehnt ab. Die Prophezeiung der Unbekannten erfüllt sich, auch, wenn er niemanden mit in den Tod reißt. Oder hat sie sich schon in der Diskothek erfüllt? Ist der Mann schon die ganze Zeit in einer Zwischenwelt? Es könnte ja sein, dass er Prot dem Sturm zum Opfer gefallen ist und eine Frau, an der er sich festhalten wollte, mit in den Tod gerissen hat. Dann aber verstehe ich den betrunkenen Mob nicht.

Die Kommasetzung solltest du auf alle Fälle noch einmal kontrollieren. Auch bei der Groß/Kleinschreibung liegt einiges im Argen. Und bei der Türklinge wusste ich nicht ob du nun eine Türklingel oder eine Türklinke meinst.

Unbefriedigend finde ich das Ende also, da du das Thema des Vertrauens und der Intrige nicht durchhältst und weil ich das Gefühl habe, die Entschlüsselung ist uneindeutig. Aber das ist natürlich auch Geschmacksache.

Lieben Gruß, sim

Achja, herzlich willkommen

 

Aber du hast den Kern der Sache doch ganz gut in deinem Text erfasst. Also ist es wohl doch. Du hast Recht mit fast allen deinen Vermutungen, einschliesslich der, dass er die Frau (versehentlich) mit in den Tod gerissen hat, als der baum umstürzte. Schön, dass du die Geschichte so klar durchschaut hast.
Leider habe ich bei den text noch nicht korrekturgelesen. Man könnte es als etwas überstürzt bezeichnen, dass ich ihn schon reingestellt habe, aber ich hab´s einfach mal drauf ankommen lassen.

 

Achja. Sagen wir einfach der betrunkene Mob steht für unterdrückte Schuldgefühle.
Und... danke für die Kritik!

 

Und noch ein Nachtrag: der Baum wurde in der Tat entwurzelt. Die Inspiration dazu gab mir ein Baum hier in Göttingen, an dem ich oft vorbeigegangen bin und der von Kyrill umgehauen wurde. Das Technische Hilfswerk (welches ich in meiner Geschichte zugegebenermaßen unter den Tischen fallen lassen habe) hatte schon angefangen hin zu beseitigen.
Nochwas?
Das Gefühl das man kriegt, dass man den Protagonisten (und vielleicht auch der Geschichte) nicht mehr vertraut, ist genau das was ich damit erzeugen wollte.
Nun reicht´s aber für´s Erste.

 

hallo faz,

schade, ich wollte dich gar nicht anpissen, sondern nur ein Gefühl äußern. Scheinbar habe ich dich gekränkt.
Auf den betrunkenen Mob als schlechtes Gewissen kann ich mich durchaus einlassen. Wäre dann das, was ich als "Intrige" und "Misstrauen" bezeichnet habe nicht auch etwas, das sich nur in der Fantasie des (bereits toten oder sterbenden) Prot abspielt? Inklusive der Ohrfeige durch die Freundin? Ist die gespürte Verachtung durch die Freunde dann nicht auch nur als schlechtes Gewissen zu verstehen? Das Misstrauen wäre dann im Prot, nicht in den Freunden. Er traut seinen Freunden und seiner Freundin zu, dass sie nach seinem eigenen tragischen Tod schlecht und vorwurfsvoll über ihn denken.

Habe ich das richtig verstanden?

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Schwingt in meinen Beiträgen irgendwie Ironie mit? Wenn ja, dann war das unbeabsichtigt. Wie schaffe ich das nur immer!?
Du hast auch alles richtig verstanden.

 

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