Am Samstag bei Otto
Otto will gerade die Tür aufschließen, hält ihn Schantalle fest: „Hör mal, willst Du nicht doch mitkommen?” „Nee, kann ja nicht.” „Die werden doch mal einen Samstag ihren Braten woanders kaufen können.” „Und was ist dann nächsten Samstag?” Otto baut sich auf vor Schantalle. „Werden die denn dann wieder hier einkaufen, oder was? Und sowieso, was mach ich mit dem Fleisch? Werf ich das weg, oder was?”
Da weiß Schantalle nichts mehr, läßt Otto los: „Na, meinetwegen, ist ja deine Sache, was das Kind von dir denkt.” „Was soll das Kind schon denken.” „Na, daß du doch dabei sein solltest, kommt ja nicht alle Tage in die Schule.” „Wird ihr noch früh genug auf die Nerven gehn. Muß man gar nicht immer so ein Theater machen, wird sie noch früh genug merken. Klar, freut sich jetzt noch, wart mal ab, sag ich dir, in drei Wochen freut die sich ganz anders.” „Du bist vielleicht so ein Vater, du.” Dann verschwindet sie. Soll sie doch. Hat ja auch recht. Aber Samstag, sagt Otto, ist der beste Tag. Schon schade mit dem Kind.
Ja, wenn das Kind nicht wär, denkt Otto. Hat ja schon recht, die Schantalle. Aber manchmal, denkt Otto, wär vielleicht doch besser, wenn, zum Beispiel: die Eva. Die war prima, vor allem in der Kiste. Aber das ist vorbei, hat Otto ihr gesagt. Otto hat doch eine Frau. Hat der Eva nie was versprochen. So ist das. Die Schantalle, ja, manchmal könnte man doch denken, wäre vielleicht besser wenn nicht mehr, aber dann, denkt Otto, was wird aus der Kleinen. Und außerdem, das wird teuer, die nimmt mich aus. Nee, ist schon besser, auch, wenn er große Lust hätte, manchmal, das einfach hinzuschmeißen.
Er schließt die Tür auf, wenn’s nach ihm geht, können die Kunden jetzt kommen. Samstag ist doch der beste Tag. Da kaufen die alle für Sonntag, nur die guten Sachen und auch viel. Und dann kommen sie ja alle in die Stadt, shoppen und rumgucken, kriegt man Hunger. Geht man zu Schinken-Otto. Essen eine Kleinigkeit, eine Wurst zum Beispiel, oder eine Frikadelle. Samstag is der beste Tag, denkt Otto, stimmt doch. Steht in der Tür, guckt raus in die Sonne, blauer Himmel, wird schön heute, ich weiß es.
Guckt sich nochmal die Tische an, füllt Senf auf. Dann hinter den Tresen, Kundschaft. Geht schon los, Schantalle, hab’ ich doch gesagt, weißt Du doch auch. Zu früh noch für einen Imbiß, aber die Omas sind schon da. Die sind immer die ersten. Kaufen vorsichtig, davon eine Scheibe, hiervon ein Stückchen. Und zählen das Geld ab. Wie die Schantalle das aushält mit denen, keine fünf Euro geben die aus.
Ist ja auch nur bis halb zwei, dann mach ich zu, denkt Otto eine halbe Stunde später. Wer um halb zwei noch kommt, kriegt nichts mehr. Sind aber noch drei Stunden, zieht sich. Dann aber erstmal Mittagessen. Und danach leg’ ich mich hin, eine Stunde vielleicht. Und dann Fußball. Sieht schlecht aus auf Schalke, haben die Jungs noch kein Spiel gewonnen. Wenn die so weitermachen, wird das nichts mehr. Was werfen die auch den Trainer raus, ist doch total verblödet. Spielen wie ein Tuntentheater.
So eine Fette kommt rein. „Geschnetzeltes für drei Personen.” „Rind?” „Kalb.” Und Otto schnetzelt Fleisch. „Wo ist denn Ihre Frau, krank?” „Nee, mit der Kleinen bei der Einschulung.” „Ach, kommt schon in die Schule?” „Läßt sich nicht verhindern.” Die Fette lacht. Hysterisch. Wie die Schantalle das nur immer aushält. „Sonst noch einen Wunsch?” Und die Fette kauft Wurst, als wär’s ihre letzte Gelegenheit. Die Leute wollen eben Fleisch haben. Sollte Otto vielleicht doch endlich eine dritte Filiale aufmachen. Eine richtige, nicht wie die beiden im Supermarkt. Selber schlachten lohnt sich eh bald nicht mehr, wenn das so weitergeht mit den Auflagen von der EU.
An den Tischen muß er wieder saubermachen. War so eine Frau mit ihrem Töchterchen da, haben Senf verkleckert. Zwar abgewischt, sieht man aber noch. Zwei Jugendliche kommen rein, gucken sich um und tuscheln. Stehen vor dem Kühlschrank mit den Getränken. Wollen vielleicht Bier kaufen, kann Otto ja verstehen, gibt’s aber nicht für die beiden. Nehmen dann auch eine Cola. Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht, denkt Otto und erschrickt. Ist noch nicht mal Mittag, und da schon ein Bier? Muß man wirklich aufpassen, sonst geht’s irgendwann nicht mehr ohne. Aber Lust hat Otto schon, na, heute abend dann aber, vor dem Fernseher, zum Fußball. Oder heute mittag schon, wenn Schantalle was gekocht hat. Sollte doch eigentlich auch so langsam wieder hier sein, was macht die so lange.
Die Schutters kommt rein, sind noch ein paar Leute vor ihr dran, Otto nickt ihr schon mal zu. Wie die dann an der Reihe ist, legt sie auch gleich los: „Läuft ja ganz gut, oder?” „Ist ja auch Samstag, da soll man ja auch mal ein bißchen Fleisch kaufen.” „Recht haben Sie.” „Und Ihnen, Betrieb schnurrt?” Der Mann von der Schutters ist Malermeister, hat die Fassade gemacht. „Könnte besser sein… Die Kleine heute in der Schule?” „Einschulung.” „Dacht’ ich mir, ist doch so langsam so weit. Freut sich bestimmt.” „Klar freut die sich. Sind doch neue Kinder überall, und von der Tüte hat sie schon vor zwei Wochen geträumt.” Die Schutters nickt, freut sich, legt den Kopf zur Seite. „Wollten Sie nicht dabeisein?” „Nee, kann ja nicht, muß ja einer im Laden bleiben. Ist doch Samstag, da wollen die Leute doch Fleisch haben.” Das versteht die Schutters und kauft ein. Vier Söhne haben die, da kommt was zusammen. Wie Otto der Schutters ihr Fleisch zusammenstellt, kommt eine Blonde rein, Mann, die sieht ja mal aus, muß sich Otto genauer ansehen.
Als die Schutters weg ist, kommt die Blonde an die Theke. Lange Beine, große Möpse. Das mag Otto. Und riecht gut. Otto geht ganz auf charmant: „Und für Sie?” Lächelt, sieht gut aus, weiß er. „Woher beziehen Sie denn ihr Fleisch?” Doofe Frage. Was will die? „Wie meinen Sie denn das?” „Kommt das vom Schlachthof?” „Nee, wie draußen auch dransteht, eigene Schlachtung.” „Und die Tiere, woher kommen die?” „Nur aus der Region. Fahr ich raus mit dem Anhänger, guck mir die an.” „Sind das Bio-Landwirtschaften von denen Sie Ihr Fleisch beziehen?” Jetzt weiß Otto, was die will. Wie ihm das auf die Eier geht. Wenn die mal nichts gesagt hätte, wär sie wirklich brauchbar gewesen. Was für Möpse. „Nee, Bio ist nicht. Zu teuer. Will keiner.” Und schon ist sie weg. Ist Otto auch egal, soll doch. Guckt ihrem Hintern nach, bis sie zur Tür raus ist. Schade drum. Der wäre brauchbar gewesen. Otto denkt an die Kleine von Malle. Tanja. War schon so eine Sache, als Schantalle bei ihrer Mutter war, er allein im Urlaub. So wie früher. Mal zwei Wochen mit einer anderen, einfach so. Wollen die doch auch, haben doch auch was Festes zu Hause, oder sich gerade getrennt. Wollen doch auch nichts Ernstes. Bloß mal so für zwischendurch. Die Blonde geradeeben wäre ja ganz in Ordnung gewesen, wenn die mal besser den Mund nicht aufgemacht hätte.
Ja, denkt Otto, so ist’s. Und keiner holt’s zurück. Langsam hat er wirklich Lust auf ein Bier. Ist doch keine Arbeit hier im Laden. Wenn er hinten ist, beim Zerlegen und Ausbeinen, Wurst machen und Schinken kochen, kriegt er nie Lust auf Bier. Ist doch keine Arbeit, das hier. Aber irgendwie viel anstrengender. Und die ganze Zeit freundlich sein. Wie die Schantalle das nur macht. Ist halt schon eine Feine, die Schantalle, kann man ja sagen was man will. Nee, ist schon das beste, so mit ihr. Aber ab und zu, da juckt’s eben, dann muß man kratzen.
So wie mit der Eva. Hat noch gedroht, sprech’ ich mal mit deiner Frau. Wär ja besser, wenn nicht, denkt Otto. Wer weiß, was die Schantalle sonst macht. Und um die Kleine wär’s ja auch schade. Wenn’s bloß nicht so jucken würde manchmal. Aber muß man eben kratzen, dann.
Langsam wird’s aber Zeit für Schantalle, sollte doch schon längst zurück sein. Was soll denn das Kind heute schon lernen? Na ja, vielleicht quatscht sie sich irgendwo fest. Die Schantalle ist ja auch so eine Quasseltante. Quasselt den ganzen Tag, macht ihr gar nichts.
Der alte Raath kommt rein, war mal der Mathelehrer von Otto, so ein Mürrischer. Nur seinen Unnericht und Schach im Kopf. „Guten Morgen Herr Raath.” „Morgen, Otto, heute selbst an der Theke?” „Das Kind kommt in die Schule.” „Schon? Ich wundere mich immer, wie schnell das geht.” „Kann man gar nicht zugucken, heut’ sind sie noch klein und niedlich, morgen fragen sie einen nach dem Autoschlüssel.” Der alte Raath grinst, macht er selten. Otto freut sich mit. Und legt dem alten Knaben noch ein Paar Landjäger obendrauf. Ist gerade keiner im Geschäft, kann er schon mal.
Wie der raus ist, gleich der nächste Bekannte, Markus vom Verein. Will mal schnell ein Bier und eine Frikadelle dazu. Will wissen, ob Otto wieder spielen kann. Otto kann, will aber nicht. „Mit dem Knie, weißt du.” Ja, weiß Markus. Wissen sie beide. „Sagt der Arzt, muß nicht so belasten, und Fußball…” Otto hebt den Arm so. Lügt der gerade zusammen, hat der Arzt nich gemeint. Ganz egal. Markus kriegt ein Bier und eine Frikadelle, stellt sich an ein Tischchen, ist zufrieden. „Gut, die Frikadelle.” „Na hör mal!” „Wollt’ das ja auch nur mal gesagt haben, damit du’s weißt.” Dann wird’s ein bißchen voller, Otto bedient, Markus trinkt noch an seinem Bier.
Kommt endlich Schantalle zur Tür rein, die Kleine an der Hand. Hat so einen bösen Blick, will Otto gar nich gefallen, was ist denn mit der, fragt er sich. Und auch gleich auf ihn zu, der Kleinen fällt beinahe die Schultüte runter. „Weißt du, wen ich getroffen habe?” „Nee, sag’ schon.” „Die Birgit.” „Ist ja jetzt nicht so ungewöhnlich.” „Weißt du, was die mir erzählt hat?” Otto ahnt, daß da nichts Gutes kommt. Denkt sich schon so was, läßt sich aber nichts anmerken: „Nee, was denn?” „Hat dich gesehen, letzte Woche.” Die Leute gucken schon, merkt Otto. Manchmal geht’s durch mit der Schantalle, da kann die gar nichts für, aber schön ist es nicht. Wenn nur die Leute nicht alle gucken würden. Ist ihm gar nicht recht: „Mensch, sollen wir das nicht nachher besprechen?” Bricht die plötzlich los: „Von mir aus, sag’ ich Dir, kann das jeder hören, verstehst du? Die hat Dich gesehen, mit so einer Schlampe, schwarze Haare, kennst du die?”
Jetzt wird’s Otto zu viel. Die ganzen Leute gucken, kann Schantalle doch nicht machen. Auch wenn sie recht haben mag, das darf sie nicht, kann sie noch so recht haben, das geht nicht: „Was weiß ich, was deine Birgit gesehen hat. Kann mir schon denken, was du glaubst. Aber, sag’ ich dir, stimmt alles gar nicht.” Baut sich auf vor Schantalle, brüllt, die schnappt nach Luft, ist ihr nicht ganz geheuer, wie der so dasteht, vielleicht stimmt’s ja auch gar nicht, was die Birgit ihr erzählt hat, vielleicht hat sie’s nicht richtig gesehen.
Otto wartet gar nicht, bis sie mit Luftschnappen fertig ist. „Und jetz geh’ mal, ich hab’ hier keine Zeit für so ein Geschwätz, ich muß hier nämlich arbeiten.” Verschwindet die wirklich, geht nach hinten in die Wohnung, die Kleine mit ganz großen Augen hinter sich her. Otto bedient die Leute, die an der Theke warten. Die sagen nichts, Otto weiß, die schütteln heimlich die Köpfe. Was die Schantalle sich denkt, kann sie doch nicht machen.
Wie die anderen Kunden weg sind, sagt Markus: „Mensch, der hast Du’s aber gegeben, du.” „Ach hör’ bloß auf. Ich sag dir, die Weiber. Treffen sich zwei, fangen sie an zu tratschen. Sagt die eine, ich hab da einen gesehen, sah fast wie der Otto aus. Sagt die andere, wie Otto sah der aus? Sagt die erste, ganz genau wie Otto. Und am Ende hat die den Otto dann gesehen.” „Ja ist wahr, sag’ ich Dir, mit meiner Alten genau das Gleiche. Ist schon wahr, die haben eine Fantasie, wenn die zu viel wird, muß man abschneiden.” „Willst du noch ein Bier?” „Sag’ nicht nein, trinkst du mit?” „Ach, von mir aus, ein Bier kann ich schon.” „Müssen doch zusammenhalten.” „Genau, die Weiber tun’s doch sowieso.”
Otto stößt an mit Markus, aber wohl ist ihm nicht. Hat ja recht, die Schantalle. Muß sich doch aufregen. Aber doch nicht so ein Theater vor den Kunden. Hätt’ sie mal besser gewartet mit, hätt’ er sich auch nicht so aufgeregt. Aber das ist es eben mit ihr, manchmal, da stimmt was nicht. Ist ja eigentlich eine ganz prima Frau, aber manchmal, da brennt was durch bei ihr. Muß er ihr mal erklären. Recht hat sie ja, aber doch nicht jetzt, denkt sich Otto. Gut, daß Markus da ist. Obwohl, eigentlich, ist das ja ein blöder Kerl, immer am Saufen, und das schon morgens. War doch nicht in Ordnung, wie Otto da mit der Schantalle. Ist doch seine Frau, muß man doch ein bißchen Respekt haben, mit seiner Frau.
Wie Markus dann weg ist, die letzten Kunden noch reindrängeln, ist Otto ganz schön erledigt. Ist doch keine Arbeit, an der Theke. Wie die Schantalle das nur macht, immer. Und dann die Leute. Hält man doch nicht aus. Besser ich red’ noch mit ihr, denkt sich Otto, ja, ist besser, ich erklär’ ihr das gleich.