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am See
Ich stand auf dem Drei-Meter-Turm und versuchte mir das Bild einzuprägen. Vor mir die sich leicht kräuselnde Oberfläche des kleinen Sees, der von einem dichten Waldgürtel eingefasst war. Über beidem der unverschämt blaue Himmel mit seinen paar Wolken. Die Vögel zwitscherten ganz reizend, wie es sich für die mecklenburgische Pampa gehört, unterlegt von den wummernden Bässen der Goa, die am anderen Ufer stattfand. Mit den Shorts und der Brille war ich der einzig angezogene in Sichtweite. Unter mir schwammen Tore und Lars, auf- und abtauchend, krauelnd, brustschwimmend und prustend wie zwei Seehunde.
Da war noch ein Mädchen, das dauerlächelnd und hüftschwingend aus dem Waldweg gekommen war, und die sich auf den Steg gesetzt hatte, nachdem sie ihre Reize ausgiebig präsentiert hatte. Sie unterbrach meine Versunkenheit, indem sie mich dreimal dasselbe fragte. Ich fand nur langsam und ungnädig in die Wirklichkeit zurück, verstand kein Wort und fragte: „Was?“ „Was?“ „Was?“
Tore, der gerade aufgetaucht war, übersetzte: sie wollte wissen, ob es tief ist.
„Keine Ahnung“ rief ich in ihre Richtung.
Dann forderte sie mich auf, zu springen. Lars unterstützte ihre Aufforderung, was meinen Entschluss, nicht zu springen, festigte, da ich den Sprung jetzt als Mutprobe betrachtete.
„Ne ne. Ich bin wegen der Aussicht hier oben, nicht um zu springen.“
Sie lächelte weiterhin, ihr Lächeln schien weniger Gefühlsausdruck, als unveränderlicher Teil ihres Gesichts zu sein – manche hatten rotes Haar oder Sommersprossen, sie lächelte die ganze Zeit.
Ich solle nicht erschrecken, wenn sie gleich nackt an mir vorbei käme und spränge, sagte sie.
„Okay, dann springe ich auch!“ antwortete ich.
„Damit du dich nicht so einsam fühlst.“ Gentlemen wissen was sich gehört – und ich war gut erzogen worden.
Ich zog meine Shorts aus, nahm die Brille ab. Die reichte ich ihr, das Textil warf ich. Rückblickend erscheint mir die Versuchung durch eine nackte Springerin wie eine zweite Mutprobe, die ich nicht bestand, weil ich sie bestehen wollte. Aber diese Niederlage verzeihe ich mir, denn dem schwachen Fleisch nachzugeben ist wie ein kleiner Sieg über den Tod – zumindest wenn eine süße Vögelei in Aussicht scheint. Man soll seine Samen verteilen, so oft und so lange es geht.
Niemand kann wissen, ob er den nächsten Morgen nicht an einen Felsen gekettet schreiend erwacht, von Sägeschnabelvögeln geweckt, die seine ewig nachwachsende Erektion im Auftrag krankhaft rachsüchtiger, impotenter Dämonen kastrieren.
Deswegen sollen die kleinen Weißen neues Leben erzeugen, der stärkste und schlauste der Gruppe sein Gipfelstürmerfähnchen da hissen, wo es wirklich drauf ankommt.
Ich – in diesem Moment nicht mehr als eine biologische Fabrik, die potentielle kleine Dichter produzierte – stand da wie Gott oder wer zum Teufel? mich schuf.
Sie - die unbekannte Lächelnde, die nackt auf mich zu ging.
Auf einmal war sie da – in meiner Wahrnehmung war es übergangslos: In einem Moment nahm sie noch meine Brille, dann schob sie ihre großen schweren Brüsten auf den Turm. Ich hielt ihr meine Hand entgegen und sagte, dass wir zusammen springen sollten.
Aber sie tat auf einmal schüchtern, vielleicht traute sie mir nicht recht und wollte deswegen alleine springen. Das tat sie auch, vor mir, ich mit Karacho und Urschrei hinterher.
Dann, den kühlen Maisee mit kräftigen Zügen durchmessend und wie selbstverständlich das andere Ufer anpeilend, sagte sie mir ihren Namen, meinen hatte sie schon von den Freunden gehört.
Während des Schwimmens keuchten wir uns ein einigermaßen flüssiges Gespräch über Interessen, Musik und Wohnort zusammen. Alles ziemlich entspannt und in Anbetracht der Umstände erstaunlich konventionell.
Sie hatte den Weg um den See herum schon erkundet und erzählte von einem Raubvogel, den sie an diesem Morgen gesehen hatte, wie er eine Schlange fing und verzehrte.
Ich sprach von der Symbolhaftigkeit dieser Szenerie, mein Blut erhitzte sich bei dieser Vorstellung und berauschte mein Hirn.
„Was sollte es denn bedeuten?“ fragte sie.
Am anderen Ufer angekommen, standen wir im flachen Gras, sie hielt einen Arm schamhaft vor ihre Brüste. Ich stemmte meine Arme in die Hüfte und da mir nichts bedeutsam klingendes einfallen wollte, schaute ich entschlossen in die Ferne, biss die Zähne zusammen und schob das Kinn vor.
Diese Maulsperre unterband gleichzeitig das Zähneklappern.
Ob wir zurück gehen wollen, am Seeufer entlang, fragte ich.
Sie, immer noch ihre schönen Brüste verbergend, gab zu bedenken, dass hier Menschen unterwegs sein werden.
„Na und?“ fragte ich.
„Es wäre ganz schön krass, hier nackt rumzulaufen.“
Ich wollte zu Fuß zurück gehen, geschwommen waren wir schon auf dem Hinweg. Und redete auf sie ein, bis ihre Hemmungen von der Lust, etwas ungewöhnliches zu tun, weg geschwemmt worden waren.
Es war, als hätten die Worte auch meine Dämme weggespült, ich fühlte mich völlig unirdisch, frei und selbstlos.
Ein Gefühl wie beim Eintauchen in eine Geschichte, als ob ein Märchen beginnen würde.
Gleich auf den ersten Metern, als die neue Welt, in die wir nackt traten, uns noch unvertraut war, begegneten uns tatsächlich einige Leute von der Feier.
Mit einem von ihnen, einem Goldhaar – er hatte schulterlange Zöpfe und trug eine lederne Weste über der nackten Brust – tauschte ich nickend einen Gruß, als wären wir zwei Bürger in ihrem Sonntagsstaat.
Es waren die letzten Menschen, die wir in dieser Geschichte treffen sollten. In den sonnig duftenden Wald schreitend, spürten wir natürliche Unaufgeräumtheit unter den nackten Füßen: kleine Äste und Steine, Gras und Sand.
An einer Stelle wurde der Weg so eng, dass wir nicht mehr nebeneinander gehen konnten, sie ging voraus. Immer noch sehe ich ihren schönen großen Hintern vor mir, deutlicher noch ihre Hände, die in einer unbewussten Geste die Haare zusammen rafften, als wollten sie diese zusammen stecken.
Ich sprach von uns als Adam und Eva, die durch das Paradies ziehen. Sie hielt sich ein Blatt vor ihr Geschlecht und - lächelte. Es war ein herrliches Gefühl von paradiesischem Unschuldszustand, der jedoch nicht lange anhalten sollte.
Auch in diesem Märchen ist eine Schlange – wenn auch indirekt - für die Beendigung der Idylle verantwortlich.
Als sich der Wald für fünfzig Meter klaren Himmel lichtete, sahen wir auf diesem Teil des Weges die angefressene Schlange liegen. Ein Stück von ihr war ganz abgerissen worden, das noch dort liegende teilweise gehäutet, von Schlangengedärm und –blut besudelt. Ich musste mich ganz nah runter beugen, um etwas zu erkennen, weil ich doch kurzsichtig bin.
Ihr erschreckter Ruf: "Adam, dein Ding wird steif!“ erinnerte mich an die Notwendigkeit, dem Tod durch die Zeugung von Leben zu begegnen.
Nach der Inaugenscheinnahme des Raubvogelopfers folgten wir wieder dem Weg und stießen nach wenigen Schritten auf eine kleine Brücke, die über einen munteren Bach führte. Auf der Brücke saßen sich zwei Reiher im Schneidersitz gegenüber, die im Begriff waren sich ganz vornehm – mit Servietten um den Hals und Silberbesteck – gegenseitig zu verspeisen.
Diese Vögel waren so vornehm und höflich, dass sie die Brücke säuberten, nachdem sie sich aufgefressen hatten. Wir warteten mit der Fortsetzung unserer Heimkehr respektvoll ab, bis sie fertig waren.
In der Zwischenzeit, weil uns langweilig war und vögeln bei gemeinsamer Nacktheit so naheliegend scheint, taten wir es endlich. In Sichtweite der zerrissenen Schlange und in Hörweite der sich verspeisenden Reiher, die es nicht aushielten, sich klaglos zu verspeisen. So klagten sie, mit halb erstickten Lauten, die kaum lauter als ihr Schmatzen waren.
Ich hievte ihren mächtigen Hintern auf einen Baumstamm und wuchtete meine ewige Erektion in sie rein und raus – wieder und wiederholt. Meine Augen schließend, kamen mir phantastische Visionen. Ich sprach von den ersten Menschen, die wir seien und der göttlichen Verpflichtung zur teuflischen Fleischeslust, von der wunderschönen brutalen Welt außerhalb des langweiligen Paradieses, die auf uns wartete.
Sie stöhnte von dem aztekischen Mythos, das Tenochtitlan gegründet worden war, wo ein Raubvogel mit seiner Schlange gelandet war.
„Tenochtitlan!“ schrie ich und spürte den Fluss derer, die losschwammen, um in ihrer Gebärmutter neues Leben zu gründen.
Und noch einmal bemächtigte sich die Buchstabenfolge meiner Stimmbänder: „Tenochtitlan!“ rief ich in die märchenhafte Landschaft.
Ob diese Ausrufe aufgrund der körperlichen Empfindung geschahen, die den Strom der Gipfelstürmer begleitete, oder meiner überspannten Phantasie geschuldet waren, die aus mir in diesem Moment Adam, einen aztekischen Sexpriester und einen reiherfressenden Reiher zugleich machte, weiß ich nicht.
Nachdem wir uns erholt hatten, liefen wir sieben mal sieben Jahre durch den Wald, wanderten über drei Hügel und durch zwölf Täler, sie trug meine Kinder aus und wir gründeten überall dort Städte, wo Raubvögel mit ihren erbeuteten Schlangen landeten.
Als wir wieder an der Badestelle ankamen, war es bereits spät geworden.
Und weil sich dieses Märchen letztes Wochenende zutrug und niemand seitdem gestorben ist, leben wir noch heute.