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Am Vormittag
Kühl ist es am Morgen und noch Nacht. Die Wahl der Kleider fällt schwer. Mittags wird mir dann immer zu heiß -
Vorglühen. Ich warte. Der Tank ist fast leer. Die neue Tankstelle auf meinem Weg zur Arbeit hat schon ab 6h geöffnet. Bis dahin wird’s wohl reichen. Ich muss den Buben sagen, dass sie tanken sollen, dass sie das Auto auftanken müssen, wenn sie damit gefahren sind. Schon so oft hab ichs ihnen gesagt. Ich werde es noch einmal sagen. In der Früh ist sowieso alles so stressig. Ich starte und schalte das Radio ein. Das Klappern, Klopfen und andere irritierende Geräusche des Autos werden von Klaviermusik übertönt - und - ein paar sterne am himmel –
Links ist der Tankdeckel, nein rechts. Ich fahre seitlich an die Zapfsäule, vergewissere mich der Geldtasche in der Jackentasche und steige aus; trete ein in Licht, Stimmengewirr, Motorenbrummen, eine Autotür wird zugeschlagen. Ich atme ein Gemisch aus frischer Luft und Benzin. Regenbögen auf dem Asphalt, regenbögen zu meinen füßen. Ich drehe den Tankdeckel auf, führe die metallene Pistole des Dieselschlauchs in die Öffnung und halte den Spanner umklammert. Surrend läuft Diesel durch den Schlauch, durch den Hahn in einen nimmersatten Schlund. Die Zähluhr zählt Liter, Euro, Cent. Nach einer kalten Zeit schnappt mir der Spanner aus den Fingern. Der Tank ist voll. Ich hänge den Schlauch zurück, verschließe den Tank, befühle die Geldtasche noch einmal und gehe zur Kasse. Eine warme Rauchwolke empfängt mich.
Eine Verschwörung ist im Gange - in der Cafeteria. Männer trinken Kaffee oder ihr erstes Bier. Glasige Blicke folgen der Bedienung, eine Bemerkung hinter vorgehaltener Hand zum Nachbarn, dreckiges Lachen – verstohlen unverhohlen. Freundlich ist die Bedienung und rasch. Sie versteht es mit den Männern.
Eine Verschwörung ist im Gange, die die Nacht ignoriert, sich gegen den Tag stellt, den es anzupacken gilt – dann, zu erledigen. Das Lachen wird lauter, aufdringlicher.
Ich zahle und flüchte.
Die Dunkelheit steigt aus den Wäldern. Ein einzelner Stern bezeugt die frühen Heldentaten.
Der Dämmer drängt sich zwischen die Bäume, verdrängt das Dunkel, das aus den Wäldern steigt und vom heller werdenden Himmel aufgesogen wird – endgültig aufgesogen, bis der Himmel erstrahlt.
Musik begleitet das Szenario, dumpf und grollend rührt sie um, hält fest, indem sie sich wiederholt und wiederholt, bis sie unterbrochen wird, aufgebrochen vom Lachen der Tubas.
Der Tag hat begonnen.
Ich habe das Ziel meiner frühmorgendlichen Reise, die Schule, erreicht.
Zwei Unterrichtsstunden dehnen sich zwischen Ankunft und Heimfahrt; zwei Theaterstücke von der Dauer von jeweils 50 Minuten, in denen ich die Hauptrolle spiele.
Ich spiele gut. Ich inszeniere die Wichtigkeit von deutscher Grammatik und richtiger Rechtschreibung beinahe glaubhaft.
Im Konferenzzimmer kann ich zwei, drei treffende Sager anbringen. Ich amüsiere mich und meine KollegInnen – mit großem I, immer mit großem I.
Dann fahre ich nach Hause. Die Inszenierung der Hauptschullehrerin Sylvia K. erscheint mir sozial verträglicher als ich. Sie rettet mich. Sie hat mich gerettet und Spaß gemacht: Mir, den Kindern, den KollegInnen, mit dem großen I wegen der Gleichwertigkeit von Männern und Frauen im Kollegium – ODER WAS!? Spaß hüpft in meiner Brust auf und ab, zieht mir die Mundwinkel breit, springt über auf die Welt, erfüllt auch von den Farben, von Wassern, die sich von Felsen stürzen, vom Licht, das ins rechte Licht rückt die angeschneiten Berge. Die Welt leuchtet.
Noch wehre ich mich gegen das Sterben, nehme das flammende Gold der Blätter in Anspruch, um mir den Tod zu erklären. Ich weiß Bescheid von Lichttunneln, die die Sterbenden ansaugen wie der Himmel den Dämmer, und das Rätsel des Lebens lösen – ODER WAS?!
Noch halte ich mich für unsterblich. Krankheit und Tod gehen die anderen an –
SELIG LÄCHELND FALTEN SIE DIE HÄNDE ÜBER IHREN FRUCHTBAREN BÄUCHEN – DIE TODESENGEL, DIE SCHWARZ VOR HOHN UND BOSHEIT KINDER WERFEN, UM SICH GLÜCKLICH ZU WÄHNEN – KINDER WERFEN IN DIE ZERRKLÜFFTETE WELT!!
- die durchpflügte, zerrfurchte, umgegrabene, aufgegrabene, ferrworfene, aufgeschüttete, zupettonierte, schöngebetete welt gähnt und rülpst, hält sich den bauch vor lachen, weil sie die tiefschürrfenden gespräche kitzeln – es juckt sie allen ortens und juckt sie nicht -
Leise käme der Tod, auf leisen Sohlen, sagen die Einen.
IN DEN SCHLUCHZENDEN SCHLUCHTEN SCHLUCHZT ES, DASS ER BRÜLLEND AUS DEN FELSEN BRICHT, STÜRZT UND STÜRZT UND MITREIßT IN DIE TIEFE, DIE KEIN ENDE NIMMT!!
die oben, ganz oben bei den sternen wieder von vorne beginnt –
Woher kommen diese Gedanken? Vielleicht von dem Auto, das mir auf meiner Fahrspur entgegenkommt. Rechts die Wiese, links die Autos, die das entgegenkommende jetzt überholt. Ich werde nicht ausweichen können. Ich bin geneigt, mir einen Mann vorzustellen hinter dem Lenkrad: Der Fahrer, der Lenker -
Am Donnerstag, den 2. Oktober, gegen 11h setzte der Lenker Herr A, ein Geschäftsmann aus E, auf der Ötztaler Bundesstraße in Richtung Süden zwischen Runhof und Huben zu einem Überholmanöver an, das ihm und der 46jährigen Sölder Hauptschullehrerin Sylvia K., wohnhaft in Silz, die in der Gegenrichtung unterwegs war, das Leben kostete –
und das blattgold leuchtet –
Es war an einem schönen sonnigen Tag, der Himmel strahlte blau, in diesem herbstlichen Blau. Die Blätter leuchteten golden. Es war einer von den guten Tagen, von den glücklichen, erfülltenTagen, als sie bei einem Autounfall ums Leben kam –
Niemand vermag es, mich um mein Leben zu bringen! Ich habe es gelebt bis hierher, ungebremst –
Ungebremst prallte die Lenkerin des grünen Renault Laguna mit dem Kennzeichen IM4IDG frontal auf das entgegenkommendes Fahrzeug und wurde eingequetscht zwischen Lenkrad und Fahrersitz – DAS LEBEN WURDE AUS DER HÜLLE IHRES KÖRPERS GEQUETSCHT – WIE WENN SICH JEMAND AUF EINEN VOLLEN TETRAPACK GESETZT HÄTTE – GEPLATZT, EINFACH GEPLATZT – SCHWAPP, SCHWAPPT EIN SCHWALL ROTER FLÜSSIGKEIT MIT EINEM LEISEN KNALL IN DIE WELT, ERGIEßT SICH, VERSICKERT IN SCHMUTZIGEN AUTOSITZEN-
Ich sollte bremsen, manövrieren –
es war ein gutes leben –
Es ist ein gutes Leben!
Das war knapp!
Der Geschäftsmann, Herr A aus E, hat ein gutes Leben bedroht. Er wird es wieder tun, es ist nicht strafbar.
Natürlich bin ich als professionelle Pädagogin gegen die Konditionierung von Menschen durch Strafe, besonders, wenn es sich um Menschenjunge handelt.
Aber: Ihm sollte irgendwer – irgendwer – nicht ich, schließlich bin ich eine gute Menschin, irgendwer sollte ihm DIE EIER QUETSCHEN, DEN SCHWANZ ABSCHNEIDEN, DEN ARSCH AUFREIßEN, DAS HERZ ZERMALMEN, DAS GEHIRN AUSTROCKNEN!!
Noch zittre ich, wenn sich das Winterweiß auf Herbstfarben legt, ein grelles Grün zwischen Schneeflecken bebt.
Noch zittre ich –