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An Bord der SM Elle
Zunächst zum Geschäftlichen. Mit dem Lesen dieser Geschichte verpflichten Sie sich, lieber Leser (und keine Tricks—das hier gehört schon dazu), den Schnäppchenpreis von 11,56 € auf das unten genannte Nummernkonto in der Schweiz zu überweisen. Für Glückwünsche, Danksagungen und eventuelle Nachfragen wenden Sie sich bitte an die ebenfalls unten vermerkte Telefonhotline (nur 3,83 pro min, wir rechnen im fairen Viertelstundentakt ab). (Ausschließlich zur Information für meine weibliche Leserschaft: Ich trage das Haar jetzt wieder lang. Es fällt mir in einem goldigen Pferdeschwanz bis hinab auf meine männlichen Schultern und kringelt sich dort in samtigen Locken.)
Nun aber zurück zur Geschichte. Nach meinen beiden letzten nervenaufreibenden Fällen Die Rote Ruth und Bambis Blutige Blutrache war ich zugegebenermaßen ein wenig außer Atem und wollte mir eigentlich eine kleine Ruhepause gönnen. Doch als ich an jenem verhängnisvollen Sommermorgen am Frühstückstisch saß und dem Lied der Vögel in jener uralten Trauerweide lauschte, die sich schwarz abzeichnete gegen den strahlenden Sonnenschein, da war schon wieder ein Schatten in mein hellsichtiges Gemüt gefahren. Aber ich schob den Vorhang energisch beiseite, zumindest ein kleines Frühstückchen sollte meinem astralen Selbst doch wohl beschieden sein. Wie furchtbar ich mich doch irren sollte!
Ich führte gerade mein zweites Käse-Nutella-Brötchen zum Mund, nachdem ich das erste bereits mit Whiskey und Bananensaft heruntergespült hatte, und überflog dabei die Partnerschaftsanzeigen der Brigitte (steinreiche Witwe, vorzeigbar, Mitte 80, sieht jünger aus, sucht knackigen Beachboy für heiße Abenteuer zu zweit… hmmm). Es war ganz still um mich her, die einzigen Geräusche waren der leise Singsang des viermonatigen Sohnes der Nachbarin und das sanfte Rauschen der Teerwalze unten auf der Straße, während ein Krankenwagen träumerisch das Ende eines Staus ansteuerte.
In diesem besinnlichen Moment begann das Telefon schrill und eindringlich zu klingeln. Eine dunkle Vorahnung beschlich mich: Da wollte jemand mit mir sprechen. Wie recht ich doch behalten sollte!
Die linke Hand immer noch an meinem Käse-Nutella-Brötchen, führte ich also mit der rechten den Hörer (ich habe immer einen griffbereit) zum Ohr und sprach hinein, wie das so meine Art ist, mit tiefer, männlicher Stimme: „Hallo? Hier spricht Daniel Light, Detektiv in allen Lebenslagen und Eingeweihter der Schatten. Ich spüre tief in meinem Innern, sie haben Probleme. Dinge, so groß und mächtig, dass sie sich keinen Ausweg mehr wissen, Dinge, die sie des Nachts in Angst und Schrecken versetzten, Dinge, die sie beim Kaffeeklatsch mit Freundinnen nie in den Mund nehmen würden (oder zumindest nicht oft). Warten sie einen Augenblick—betreffen diese Dinge vielleicht das Okkulte?“ Am anderen Ende der Leitung vernahm ich ein ehrfurchtsvolles Röcheln. „Oh, mein Gott. Woher haben sie das nur gewusst… Wie konnten sie wissen, dass… Daniel Light, ich spreche mit Daniel Liiiight… Ja, ja, das stimmt, alles was sie gesagt haben, stimmt. Ganz und gar.“
Ich blickte tief, tief hinein in mein schier unglaublich hellsichtiges Selbst und sah sie förmlich vor mir sitzen, diese von übermenschlichen Kräften gebeutelte Kreatur, dieses Wesen, das auf Rettung wartete, Rettung von Daniel Light.
Mrs. Brown saß in einem alten, aber sehr sauberen Plüschsessel, der sicherlich schon seit mindestens 40 Jahren aus der Mode gekommen war (vorrausgesetzt, er befand sich jemals darin). Mit der einen Hand presste sie sich den Hörer gegen das aufgedunsene Gesicht, mit der anderen strich sie fortwährend das dünne Haar aus der feuchten Stirn, denn sie saß vor dem Spiegel. Schweiß rann ihr die fetten Oberarme hinab und ein dunkler Fleck bildete sich langsam auf ihrem massigen Hinterteil. Mein Urteil aus der Ferne (nur geringfügig durch einen etwas früher erhaltenen Fan-Brief mit Bildern ergänzt) würde sich bald aus der Nähe bestätigen.
Diese mir eigene Art von Hellsichtigkeit, die gleich einem Hoppseseil durch den Äther schwingt, mag dem mit meinen Schriften unvertrauten Leser ungewöhnlich, ja unmöglich erscheinen. Ich weise hier aber ein weiteres Mal darauf hin, dass es sich hierbei um eine Gabe handelt. Man wird damit geboren oder eben nicht. Den Unglücklichen, die nicht damit gesegnet wurden, mache ich natürlich gerne einen Teil meines Wissens (gegen eine kleine Aufwandsentschädigung) in einem meiner vielen Volkshochschulkurse zugänglich. Bei Interesse wenden Sie sich doch bitte ebenfalls an die unten vermerkte Hotline.
Aber zurück zur Geschichte. Die arme Mrs. Brown brauchte offensichtlich Hilfe, schnelle Hilfe, das war mir sofort klar gewesen. Nachdem ich mich selbstlos entschlossen hatte, ihr sogleich zur Rettung zu verhelfen, nicht ohne mir vorher ihre Kontonummer notiert zu haben, empfahl ich ihr noch, bis zu meinem Eintreffen den örtlichen Hausarzt aufzusuchen. Die traurige Erfahrung vieler Jahre hat mich gelehrt, dass Cholesterin-Spiegel und Blutdruck besonders anfällig sind für die Gestalten der Finsternis. Ich selbst befinde mich natürlich in bester körperlicher Verfassung…
Ohne mein zweites Käse-Nutella-Brötchen auch nur angerührt zu haben, verließ ich die Küche und suchte jene sagenumwobenen Gegenstände zusammen, die sich später als sehr nützlich erweisen würden, legte sie behutsam in mein astrales Lederbündel und trat vor den schweren viktorianischen Wandspiegel, den ich mir im Sommer als Direkt-Import aus China bestellt hatte. Befriedigt stellte ich fest, dass sich kein dunkler Ansatz in meinem goldenen Blondschopf zeigte. Der Tag war gerettet.
Ich stieß die Tür auf und trat hinaus in das gleißende Sonnenlicht des strahlenden Tages, der mir bereits seine dunklen Wogen unheilverkündend entgegenschleuderte, doch ich wusste nun, das würde mir nichts anhaben können.
Ein paar Stunden später und um die Mühen einer Zugfahrt reicher, betrat ich das raue Pflaster jener kleinen Stadt, die unter ihren Einwohnern auch jene Dame beherbergte, deren Rettung ich mich auf Leben und Tod verschrieben hatte. Als welch ungeheuerlicher Fehler sich dies noch erweisen sollte!
Mrs. Browns Wohnung lag in einer kleinen Seitenstraße, nicht fern vom Bahnhof. Um es vorweg zu nehmen, die Vorzeichen waren vernichtend. Ganz in Gedanken bei der armen Mrs. Brown, achtete ich nicht auf den Weg, wir Eingeweihten schweben ja sozusagen immer ein paar Zoll über dem Boden, offenbar nicht hoch genug: Ich trat in Kontaktaufnahme mit den sterblichen Exkrementen der Spezies Hund. Die Konversation war allerdings recht einseitiger Natur.
Dieses Erlebnis erinnerte mich doch sehr an den Fall Werner und der Wolf, den ich in meiner Anthologie Tipps & Tricks: Was tun, wenn Werwölfe weinerlich werden? ausführlich besprochen habe. Allerdings konnte ich mich im jetzigen Fall nicht um eine sofortige Aufklärung kümmern, ich hatte schließlich noch ein Leben zu retten.
Mrs. Brown wartete bereits an der Tür. Eine Woge dunkler Macht schlug mir entgegen und als sie mich mit ihren megalithen Oberarmen umfing, bemerkte ich, dass der Tod hier tatsächlich ganz nah war.
Die Wohnung erwies sich als genaues Ebenbild meiner Vorstellung, was mich natürlich nicht sonderlich überraschte. Mrs. Brown lud mich zu Sahnetorte mit Schlagsahne und heißer Schokolade ein, doch ich lehnte ab, das hätte meinen Weight-Watchers-Plan doch etwas arg aus der der Bahn geworfen.
Ich fragte sie stattdessen nach den genauen Umständen ihres Problems und unter Tränen berichtete sie mir folgendes: In einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite hätte vor wenigen Tagen ein neuer Laden aufgemacht. Vor allem des Nachts höre sie immer wieder markerschütternde Schreie und das Haus war dann, wie Mrs. Brown es ausdrückte, in ein rotes Höllenlicht getaucht. Sie könne nicht mehr schlafen, berichtete sie weiter, und lebe in ständiger Angst vor dem teuflischen Karma dieser Vorgänge. Als sie geendet hatte, sackte sie auf einem der großen Plüschsessel zusammen.
Ich schlenderte zum Fenster und musterte die Häuserzeile auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Schnell entdeckte ich, was Mrs. Brown mir beschrieben hatte. Hausnummer 666: Thai-Massage.
Das schaffte klare Tatsachen. Hier waren zweifellos dunkle Mächte am Werk. Doch zu einer näheren Klärung brauchte ich mein astrales Lederbündel. Ich holte es aus dem Flur und murmelte ein paar alte Beschwörungsformeln, bevor ich es öffnete.
Ich zog den zisilisierten Ebenholzstab mit der Diamantspitze hervor und legte ihn feinsäuberlich auf dem Fernseher ab. Danach leerte ich den restlichen Inhalt des Säckchens auf einem der Plüschsessel aus. Hervor kamen ein Apfel und eine Birne: Astrales Obst. Ich hatte es noch unter Vakuumverpackung geeicht, bevor ich in den Zug gestiegen war.
Nun vollzog ich ein wirklich uraltes Ritual, um die Natur der dunklen Kreatur, die hier Angst und Schrecken verbreitete, aufs Genaueste zu bestimmen. Es handelt sich dabei um einen sehr schwierigen Vorgang, doch er ist nötig, um in die Schatten zu dringen und mit anderen Augen zu sehen. Ich biss also in den sauren Apfel und schlug meine weiche Birne dreimal rhythmisch gegen die Wand. Dann taumelte ich zurück und las die Zeichen, nachdem ich mit dem Ebenholzstab einen engen Kreidekreis in die Tapete geritzt hatte.
Zugegebenermaßen, ich erkannte nichts—und das war tatsächlich bestürzend. Hier mussten so archaische Kräfte am Werk sein, dass sie meiner meisterlichen Kunst widerstanden. Ich rieb mir die Stirn und überlegte und überlegte. Ja, und überlegte. Dachte gewissermaßen nach. Und überlegte weiter. Grübelte, grübelte, grübelte.
Dann kam ich zu dem Schluss, dass hier wohl einzig und allein noch ein Überraschungsangriff etwas verrichten könnte. Ich schüttelte mein langes blondes Haar wie Pamela Anderson im Glanze der nordenglischen Sonne und stürzte hinab auf die menschenleere Straße, um das Böse ein für alle Mal aus der Welt zu bannen.
Mit einem gezielten Fußtritt öffnete ich die Tür und trat ein. Sofort sah ich mich von einer Traube lächelnder und leichtbekleideter Asiatinnen umgeben. Es schien, als würden sie alle augenblicklich meinem umwerfenden Charme erliegen, doch ich wusste, hier war Vorsicht geboten. Jede von ihnen hätte durch dunklen Einfluss zu einer Marionette der bösen Seite werden können. So ignorierte ich das „Ah, lieber Mann. Wollen Massage?“, auch wenn ich grundsätzlich nicht abgeneigt gewesen wäre. Stattdessen zog ich aus einer meiner Manteltaschen ein Artefakt schier nicht zu überschätzender Bedeutung, die Stricknadel der Verdammnis, die ich Hannah der Hageren Harpyie im gleichnamigen Abenteuer abgenommen hatte.
Beide Arme ausgestreckt, drehte ich mich schnell im Kreis und beschrieb so eine Zone, in welcher jeder Eindringling seine Seele verlieren würde. So stand es zumindest auf der Packungsbeilage, die ich in Hannahs Zimmer gefunden hatte.
Mit dieser gewitzten Taktik bewegte ich mich auf die nach oben führende Treppe am hinteren Ende des Raumes zu, denn ich spürte die dunkle Energie, die von dort herüberwehte. Doch dann geschah es. Ja, es geschah.
Am Fuße der Treppe taumelte ich, stürzte und die Aura, die mich schützen sollte, verschwand. Im gleichen Augenblick trat das Böse auf den Plan. Ein Mann, aber konnte es wirklich ein Mann sein? Ein Mann, von schier minotaurischer Statur trat mir mit dem Stampfen eines Elefanten entgegen. Dunkelheit senkte sich nieder über dem Raum. „Wolle Stress?“, fragte der Stiermann mit tierischem Akzent. Und während ich noch überlegte, holte er auch schon zum alles vernichtenden Schlag aus.
Doch ich reagierte geistesgegenwärtig und krabbelte fast in Lichtgeschwindigkeit die Treppe hinauf. Oben angekommen riss ich eine Tür auf, schlug sie hinter mir zu und drehte den Schlüssel um. Etwas außer Atem betrachtete ich den Raum, in den ich mich geflüchtet hatte. Es wurde nicht besser. Nein, nein, besser wurde es wirklich nicht. Ich war mitten in der Hölle gelandet.
Wie Mrs. Brown es beschrieben hatte, war alles in dunkelrotes Licht getaucht. Die Einrichtung war karg. Bett, Vorhänge, Lampen. Auf einem Beistelltisch fand sich eine bunte Anzahl Luftballons, verschweißt in kleinen Tütchen.
Aber das Bett! Das Bett. Es war riesig und auf ihm lag eine Frau, aber konnte es wirklich eine Frau sein? Eine Frau?? Sie hatte wirklich seeehr wenig an und sah auch wirklich seeehr gut aus. Sie stöhnte, als wäre sie besessen.
Irgendwo zwischen meinen Beinen regte sich etwas und mir wurde furchtbar heiß. Eindeutig, hier war allerdunkelste Magie im Spiel. Das Talent des Sehers ließ mir keinen Zweifel daran, wen ich vor mir hatte. Ja, so war es: Die Teufelin persönlich. Ich öffnete den Mund zum Schrei, doch kein Laut wollte ihn verlassen.
In diesem Augenblick flog die Tür auf und ich war so dankbar, so überglücklich, einfach unendlich dankbar für diesen Wink des Schicksals. In der Tür stand der Stiermann. Rettung von dieser Seite hätte ich nicht zu erträumen gewagt.
Als ich aus der Bewusstlosigkeit erwachte, tat mir alles weh. Ich lag auf der Straße vor dem Höllentor und Blut rann mir aus der Nase. Noch nie zuvor hatte ich versagt. Diese neue Erfahrung war höchst, höchst bedrückend für mich.
Das hier war zu groß für mich. Ja, ich gebe es zu. Doch dafür kam mir der überaus große Verdienst zu, die Höllenpforte entdeckt zu haben. Immerhin. Doch im Augenblick gab es hier für mich nichts mehr zu tun.
Ich packte Stricknadel und Bündel und machte mich auf den Weg zum Bahnhof, zerschunden bis auf die Knochen. Ja, ich hatte der Hölle die Stirn geboten…
Ich werde wohl nie erfahren, ob Mrs. Brown auch im Dienst der Hölle stand. Ich weiß nur, dass jeder diesen Ort meiden sollte, denn manchmal liegt die Verdammnis direkt vor unserer Haustür. Direkt davoooor…Sozusagen unendlich naaaaaaaaahhhh…
Ich möchte ihnen, verehrter Leser, ja jetzt keine Angst machen, aber wollen sie sterben, wollen sie wirklich sterben?? Wenn nicht, für nur 100 € kann ich ihr Leben retten und ihnen verraten, wo diese Geschichte spielt. Wenn doch, dann vergessen sie zumindest nicht, mir vorher die 11,56€ zu überweisen.
Meine nächste Geschichte erscheint übrigens im September und trägt den eindrucksvollen Titel Lieber länger leben?—Laotses leidiges Leid. Bis dahin, lassen sie sich nicht unterkriegen,
Ihr Daniel Light