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An hinterster Front
An hinterster Front
»In den Arsch fahren«, fragte der Präsident erregt und zog sich hastig die Hose hoch. »Keinesfalls werde ich mir in den Arsch fahren lassen.« Er blickte seinen Berater, der an den Fingernägeln knabberte und an einem Defibrilator lehnte, entgeistert und fragend in die Augen. Bob starrte dem Präsidenten über den spiegelblanken Hospitalfußboden in den Schritt, während der sich die Hosenträger festschnallte.
Er setzte seine Brille ab und fing an sie zu putzen. »Sir, Sie haben Darmfurunkel. Im Endstadium.« Die Gläser polierend blickte er zum Präsidenten auf; dieser war gerade dabei sein Jackett zuzuknöpfen und sich die Krawatte zu richten, während er sich langsam auf den Untersuchungstisch setzte, tief einatmete und hörbar rülpste.
»Da muss es eine andere Möglichkeit geben. Ich bin schließlich nicht umsonst Präsident geworden.« Die letzten Worte sprudelten wie von selbst aus ihm heraus, ohne jegliches Nachdenken, schon zig Mal passiert.
»Naja…«
»Nein Bob, bitte keine moralischen Vorträge.« Hierbei war er sich sicher, Vorträge waren ihm verhasst und mit Moral konnte er in diesem Land nun wirklich nichts anfangen. Erst recht nicht bei diesem heiklen, medizinischen Thema.
»Ich wäre keineswegs moralisch geworden Sir.«
»Bob, bitte«, der Präsident legte seine Stirn in Falten und sah seinen Berater flehend an. Obwohl er überhaupt nicht in der Lage war flehend zu wirken, denn das war eine Charaktereigenschaft die dem Präsidenten vollkommen fehlte, schöpfte er seine schauspielerischen Fähigkeiten voll aus.
»Ja, schon gut«, entgegnete Bob, der sich sicher war, dass es keinen Sinn hatte über Moral zu diskutieren.
»Zurück zum Thema. Gegen diese Posache gibt’s doch bestimmt Tabletten oder schlimmstenfalls Zäpfchen?« Ein seidenes Taschentuch über die Stirn schwingend nickte er Beth, seine Protokollchefin herbei.
Beth war schon seit er Senator wurde an seiner Seite. Sie war schlank und hatte pechschwarzes Haar und ein überaus niedliches Gesicht. Jeden Tag dachte er über ein wenig Sex mit ihr nach, konnte sich aber nicht durchringen sie wenigstens zu einem Essen einzuladen, denn immer und immer wieder wurde ihm bewusst, dass er ja ziemlich glücklich verheiratet war. Zumindest stand das fast jeden Tag in der Presse, und die Presse lügt bekanntlich nie.
Beth konnte keine großen Schritte machen. Das lag einerseits an ihrem recht engen Kostüm aber auch an dem sehr sauberen Fußboden.
»Sir, die Diagnose des Ärzteteams ist eindeutig. Entweder Sie lassen sich operieren oder Sie könnten spätestens nach einer Woche ohne Stuhlgang sterben«, erläuterte sie in einer mütterlichen Fürsorge, die sogar Bob überraschte. Der Präsident schleuderte das Taschentuch auf den Boden und stand, sichtlich erregt, auf.
»Ach! Und was passiert Ihrer Meinung nach einer Woche ohne Scheißen? Ist der Druck dann so stark, dass ich Diamanten kacke? Na das wäre doch wunderbar, dann hätten wir die Debatte um das Haushaltsdefizit endlich vom Tisch.«
»Aber Sir…«, stammelte Beth.
»Wie soll das überhaupt funktionieren, fummeln mir die Ärzte dann mit Salbe und nem Q-Tip hinten rum? Oder werden mir die Pickel im Arsch weggelötet oder reicht schon der Hochdruckreiniger?« Der Präsident schüttelte den Kopf und lief wild umher.
Bob kramte ein Päckchen Zigaretten aus seinem grauen Mantel hervor, strich sich mit einer Hand durch die Haare, ignorierte das strikte Rauchverbot und zündete sich eine Zigarette an. Der Protokollchefin gefiel das überhaupt nicht und sie klemmte sich das Filofax noch fester unter die Achsel, wobei Bob sie scharf über ihre Brille hinweg ansah und bemerkte, dass sie sich mal wieder unter den Armen rasieren sollte.
»Die gebräuchliche Operation würde Sie für ungefähr sechs Monate aus dem gesellschaftlichen Leben verbannen. Sie könnten alleine drei Monate nicht sitzen. An Staatsbanketts wäre da gar nicht zu denken«, erklärte Bob und blies kleine Rauchkringel in die Luft.
»Drei Monate. Autsch«, bemerkte der Präsident, der wieder auf dem Untersuchungstisch Platz genommen hatte.
»Ja, autsch. Aber der künstliche Darmausgang könnte auch Schwierigkeiten bereiten. Entzündungen sind da nicht ausgeschlossen.«
Der Präsident blickte Bob mit großen Augen an, schwang sich, ein weiteres Mal rülpsend, vom Tisch, ging auf Bob zu und legte eine Hand auf dessen Schulter wobei er ihn leicht massierte. Es dauerte einen Moment bis er etwas zu ihm sagte, da er erst die richtigen Worte finden musste.
»Bob.«
»Ja Sir?«
»Hören Sie genau zu.«
»Ah-hm.«
»Kein künstlicher Darmausgang!«
»Aber das ist unvermei…«
»BOB. Künstlicher Darmausgang: NJET.« Er tätschelte Bob leicht die Wange und setzte sich wieder auf den Tisch. »Optionen?!«
Beth öffnete eine Akte und lächelte unsicher. Bob fand das immer sehr niedlich – das Lächeln. Er ergriff die Initiative. »Es gibt noch einen anderen Weg.«
»Der da wäre«, wollte der Präsident wissen und neigte seinen Kopf zur Seite, wie ein Schäferhund der gebannt auf das Leckerchen wartet.
»Nun, wir könnten Ihnen zwei Männer in einem kleinen Boot in den Darm…«
»STOPP«, unterbrach er lautstark, »Männer? Boot?«
»Ja, es handelt sich um extra geschulte…«
»Matrosen was? Das ist was perverses wie?«
»Nein Sir, keineswegs. Es handelt sich um zwei besonders ausgebildete Piloten, die in einem speziell ausgerüsteten U-Boot in ihrem Darm für Ordnung sorgen können.«
»Ah ja. Zwei sehr kleine Piloten sicherlich. Zwergpiloten hm? In einem winzigkleinen U-Bötchen?«
»Genau.«
»Bob, meine Klobrillen sind vergoldet. Vergoldet Bob.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Ich liebe mein Klo und das was man so auf ihm tut.«
»Ist ja ekelhaft.«
»Tun sie nicht so wohlerzogen. Sie kochen auch bloß mit Wasser. Ich meine damit nur, dass ich aufs ‚auf Klo gehen’ nicht missen mö… Ach, Kacke verfluchte, für solche Diskussionen hab ich nicht die Zeit. Schließlich wurde ich vom Volk gewählt, um…«
»Naja, ‚vom Volk gewählt’ ist so eine Sache…«
»Hören sie auf Bob. Ich bin der Präsident, da kann ich mir keine Pausen erlauben.« In diesem Moment war er selbst von sich überrascht, denn das war mit Abstand der sinnfreieste Satz, den er je von sich gegeben hat.
Er wandte sich an Beth. »Könnten sie sich Bob nicht mal annehmen, der scheint mir vollkommen unausgelastet.« Der Präsident stand auf und ging zur Tür hinaus. Beth eilte ihm kurzerhand hinterher, nachdem sie Bob einen verzweifelten Blick zuwarf. Er schleuderte die Zigarette auf den Boden, trat sie tot, nahm seinen Mantel und eilte beiden nach. Der Korridor war lang, lang genug um die Sache zu erklären.
»Mr. President, die Männer und das Boot werden verkleinert«, rief er hastig hinterher.
»Verkleinert?«
»Verkleinert.«
»Nee, ist klar.«
»Sir, habe ich sie schon einmal belogen?«
»Wollen Sie darauf wirklich eine Antwort?«
»Vertrauen Sie mir nun oder was?«
»Okay Bob. Wie werden die Piloten und das Boot verkleinert?«
»Naja, äh… mit Verkleinerungszeugs schätze ich«, er grinste breit.
»Mann, Sie wissen ja wirklich Bescheid und wenn sie ‚schätzen’ habe ich meistens nicht viel zu lachen. Präzisieren Sie das Bob!«
Bob hatte leichte Schwierigkeiten mit dem Präsidenten Schritt zu halten. Wie von der Tarantel gestochen fegten die drei den Flur entlang. Beth hatte keine Probleme mit der Geschwindigkeit. Trotz des engen Rocks und den hochhackigen Schuhen, tippelte sie gekonnt und in hohem Tempo über den gefliesten Boden und ihre Schuhabsätze erfüllten den Gang mit Stakkatolauten.
»Die Piloten als auch das Schiff, werden mit Hilfe einer Gamma-Partikel-Kanone, oder so was, bestrahlt und somit verkleinert.« Bob grinste wieder und saugte an einem neuen Glimmstängel, den er während des Marsches irgendwie aus der Packung und seinem Mantel gekramt hatte.
»Auf Arschniveau, wenn ich das richtig verstehe«, entgegnete der Präsident ironisch.
»Auf… ja, so in etwa.«
»Und weiter?«
»Dann wird das Boot unter zu Hilfenahme von klinischer Vaseline…«
»Etwa reingeschoben?«
»Nun ja, nicht ganz Sir.«
»Wie, muss ich’s etwa schlucken?«
»Fast Sir.«
»Okay, ich scheine nicht einmal annähernd dran zu sein. Wie kommt es in meinen Darm Bob?«
»Es wird eingeschossen.«
»Mit einer Spritze, nehme ich an.«
»Knapp daneben Sir. Dafür gibt es nämlich auch eine Kanone…«, erklärte Bob und lächelte nicht mehr.
»Sir, wenn alles nach Plan verläuft, kackern Sie das Schiff nach etwa fünf Stunden wieder aus«, unterstütze Beth den Berater.
»Kackern, wie?«
»Entschuldigen Sie Mr. President. Aber es ist nicht gefährlicher als einen Kaugummi zu verschlucken«, beschwichtigte sie und zuppelte ihren Dutt zurecht.
»Mal angenommen ich würde das machen lassen. Wie genau würde das von Statten gehen, was hätte ich dabei zu tun?« Selbst von der Frage überrascht, ließ er Kopf und Schultern hängen und blieb stehen.
Bob kramte in der Innenseite des Mantels herum, fand aber nicht das was er suchte. Beth hielt ihm einige Bögen Papier, die sie aus ihrem Terminplaner hervorgezogen hatte vor die Nase.
»Danke Beth. Sir, das einzige was Sie zu beachten hätten ist, sechs Stunden vor dem Einschuss nicht mehr zu essen und zu trinken. Sie müssten absolut nüchtern sein oder sie würden zwangsentleert werden.«
»Oder Sie würden explodieren«, fügte Beth angestrengt lächelnd hinzu.
»Na da haben wir es doch schon«, sagte der Präsident und warf die Arme in die Luft, wobei er sich kurz umdrehte und weiterging.
»Was, was haben wir Sir«, fragte Bob hinterher eilend. »Ist es denn so schwierig sechs Stunden nichts zu essen und zu trinken? Sie sind sowieso etwas dick und…«
»Es geht nicht darum nüchtern zu sein oder abzunehmen oder Gefahr zu laufen zu explodieren, Bob.«
»Ach nein?«
»Nein!«
»Was dann?«
Der Präsident blieb wieder stehen und ließ den Kopf hängen, drehte sich zu Bob und legte ihm beide Hände auf die Schultern.
»Bob, Bob, Bob. Wie lange kennen wir uns mittlerweile? Vier, fünf Jahre?«
»Acht, Sir.«
»Oh, na wenn das so ist müssten Sie doch wissen, dass ich mir für kein Geld der Welt, irgendetwas in jedweder Form, von irgendwem, zu keinem Zeitpunkt meines Lebens in meinen wohlgeformten Arsch schieben lasse. Anus ist Top Secret, klar?«
»Wie Kloßbrühe, Sir.«
Der Präsident ging weiter. Beth zuckte mit den Schultern, als wollte sie andeuten, dass sie auch nicht wusste was nun zu tun sei.
»Ach und im übrigen Bob«, sagte er über die Schulter hinweg, während er im Begriff war die Krankenstation zu verlassen, »an meinem Hinterteil haben nur ich und vielleicht noch meine Frau etwas zu suchen. Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Überdeutlich, Sir.«
»Lösen Sie mein Problem. Morgen will ich ein akzeptables Ergebnis auf meinem Schreibtisch zu liegen haben.«
»Oh Kacke!«
»Was ist?«
»Scheiße!«
»’Kacke’, ‚Scheiße’, das wären nun zwei Analogien zum Thema Verdauungsendprodukt. Drück dich etwas deutlicher aus, ich hab mit den Ausgleichdüsen zu tun. Die justieren sich nicht von selbst, verstehste.« Harvey drückte ein paar Knöpfe und legte einen Hebel um, während er mit einer Hand versuchte, das Ruder nach steuerbord zu drehen.
»Na Scheiße eben. Da kommt unheimlich viel Scheiße auf uns zu«, erklärte Steven und starrte aus dem Bugfenster.«
»Ja, ich sehe es.«
»Ach du grüne Neune Harvey, wir müssen hier weg.«
»Wow, was für eine fabelhafte Idee.«
»Dann tu doch was!«
»Wir stecken fest, du Schlaumeier. Wir haben keine Flüssigkeit, um uns fortzubewegen, denn ein U-Boot fährt nicht im Trockenen. Würde das Boot von Flüssigkeit umgeben sein, könnten wir über die Prostata flüchten, aber wir haben keine FLÜSSIGKEIT.«
»Wie kommen die eigentlich darauf, ein Miniatur-U-Boot in den menschlichen Mastdarm zu ballern, wenn es überhaupt keine Flüssigkeit gibt, in der es schwimmen kann?«
»Ich frage mich, warum die gerade dich für diesen Job ausgesucht haben. Bisher hast du nur blöd rumgequatscht.«
»Das habe ich mal überhört. Weißt du was wir jetzt brauchen könnten?«
»Dünnpfiff?«
»Genau, das sieht allerdings nicht danach aus.«
»Blitzmerker.«
»Naja, war nett mit dir gearbeitet zu haben Harvey.«
»Ganz meinerseits, Steven.«
»Hör ich da einen leicht ironischen Unterton in deiner Stimme?«
»Hör was du willst.«
»Na wenigstens bleibt uns ein kleiner Trost.«
»Welcher, etwa das wir die ersten Pofis der Menschheitsgeschichte waren?«
»Wir werden im Hintern des Präsidenten sterben.« Steven verlieh dem Wort ‚Hintern’ einen patriotischen Touch.
»Ja, was für eine Ehre.«
»Ich meine das ernst. ‚Sie kämpften an hinterster Front für das Wohlergehen unseres Landes’, wird es heißen.«
»Du kannst ja schon mal die Flagge hissen.«
»Zieh nicht die Flagge in den Schmutz.«
»Steven, wir stecken im Arsch des Präsidenten, unmittelbar nachdem wir eingeschossen wurden. Wir haben nirgendwo an irgendeiner Front gekämpft. Und hätten wir hier eine Flagge, bräuchte ich sie gar nicht mehr in den Schmutz ziehen. Wir sind im Arsch, Steven. Im A-harsch.«
»Wenn du das noch öfter sagst, machst du mir das hier madig.«
»Du bist eh gleich tot.«
»Pöh, mit dir red ich kein Wort mehr.«