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Anachronistische Milchmannallmachtsphantasien
Basssolo
Im Wesentlichen besteht das Geheimnis meines Erfolges aus Milch. Wenn wir in den Sechzigern lebten, würde man mich Milchkönig nennen. Baron Kuhmilch. Noch etwas früher hätten mich wunderschöne Frauen umworben, um in Milch zu baden. Eselsmilch dann. Etwas später wäre ich so etwas wie ein Sexsymbol geworden, Nicholson hätte mich gespielt.
Der industrielle Fortschritt machte meinen Beruf mehr oder weniger überflüssig. Niemand braucht heute frische Milch, Milch ist immer frisch. Im Supermarkt, ewig haltbar, es braucht keinen mehr, der einem die Milch vor die Tür stellt. Natürlich, Zeitungsjungen haben überlebt, sind aber lange nicht so glamourös, im Wesentlichen besteht mein Geheimnis also aus Milch und dem industriellen Fortschritt. Genetisch bin ich auf jeden Fall ein Milchmann. Milchmann wäre mein Fatum gewesen. Zu jeder anderen Zeit, davon bin ich überzeugt, wäre ich Milchmann. Ein Mann, der in Milch macht. Ein Handlungsreisender in Sachen Milch. Der Meister der Milch. Der Marquis der Milch. Der Milchmarschall.
Genug Basssolo
Heutzutage sitze ich neben einer Frau in einer Bar, die so tut als wäre sie ein Raucherclub, und sie erzählt mir, dass sie es nicht leiden könne, wenn man das Verb „erinnern“ intransitiv gebrauche. Sie meint damit „nicht reflexiv“, aber ich sage natürlich nichts, weil ich mit ihr schlafen will.
„Also dieses ‚Ich erinnere noch meine Kindheit’ ist doch wirklich furchtbar“, sagt sie.
Ich kriege Kopfschmerzen vom bloßen Gedanken an mein unlebbares Schicksal. Ich wäre so ein guter Milchmann geworden. Sage aber nur: „Da hast du völlig recht, also das geht mir auch auf die Nüsse. Genau wie dieses ‚Da nicht für.’“ Das gehe ja wohl gar nicht, füge ich noch hinzu.
Wir sind in einer mehr oder weniger gegenstandslosen Bar, der dringend etwas Milch fehlt. Das einzige, was man hier bestellen kann und in dem tatsächlich Milch ist, das ist ein White Russian. Aber den bestelle ich aus Prinzip nicht, denn eigentlich gehört da keine Milch rein und er ist ideologisch besetzt. Ich weiß nicht, was mich mehr anwidert, wahrscheinlich die Ideologie. Ein ideologisches Getränk kann unmöglich trinkenswert sein.
„Ja“, sagt sie. „Dieses ‚Da nicht für’ ist auch ganz schlimm. So wie ‚Alles Roger in Kambodscha.’“
„Wusstest du, dass Asiaten eine Laktose-Unverträglichkeit haben?“, will ich fragen, sage aber nur: „Ach, dieses Scheiß Kambodscha!“
Das Problem ist, was die Leute nicht wissen: Wenn man während des Beischlafs an Milch denkt, kann man viel länger. Darüber gibt es Studien.
„Ja gut, Kambodscha kann ja auch nichts dafür, die heißen in ihrer Landessprache bestimmt ganz anders.“
Ob man vielleicht in Kambodscha noch den Milchmann brauche, will ich fragen, sage aber: „Da hast du natürlich recht.“ Nach einer Weile füge ich noch hinzu: „Völlig Recht hast du damit.“
Sie zündet sich eine Zigarette an, zieht einmal, bläst den Rauch affektiert über ihre Schulter – also praktisch in den milchlosen Raum -, nur um dann die angerauchte Zigarette in den Aschenbecher zu legen, wo sie vor sich hin glimmt. Für jemanden, der so viel Aversion gegen sprachliche Unsitten hegt, ist ihr Verhalten tadelnswert.
„Hmm“, sage ich, weil es an mir ist, ein neues Thema zu beginnen, sie aber noch über das alte reden will. „Glaubst du vielleicht, dass du eine Gabe besitzt, eine ungeheuerliche, welterschütternde Begabung für eine Tätigkeit, die in der heutigen Welt keinen Platz mehr hat, zum Beispiel für Korbweberei oder Dodoaufzucht oder um Bogenschützensöldnerin zu werden, vielleicht sogar Bogenschützensöldnerhauptfrau?“, will ich fragen, sage aber nur: „Oh, du rauchst ja Gauloises, und dann noch die Blauen. Wie dekadent!“
„Willst du mir das jetzt als Schwäche auslegen?“, fragt sie und verschränkt die Arme unter der milchlosen Hühnerbrust.
„Wenn du das so interpretierst“, sage ich, „dann wird da auch was dran sein.“
Und Rauchen, füge ich hinzu, bestünde im Übrigen darin, an der Zigarette zu ziehen, nicht sie verglimmen zu lassen, denn dadurch würden ja alle schädlichen Dinge, ehm, Substanzen wolle ich sagen, nicht in ihrer Lunge, wo sie ipso facto intransitivo hingehörten, will meinen, ich atmete ihren Scheiß Rauch ein.
Sie legt mir eine Hand auf den Oberschenkel.
Eine Oberschenkelhandlegerin, denke ich, und frage mich, wo sie mir die Hand nur hinlegte, wenn sie wüsste, dass ich der Beste meiner Zunft bin.
„Hast du schon mal mit einem Milchmann geschlafen?“, frage ich.
„Wie bist du denn drauf?“, fragt sie, lässt die Hand aber da.
Ich sage nichts, ich denke nur an Milch. An köstlich fließende Milch. Das Land, wo Milch und Honig fließen. Eiskalte Milch. Milch mit Eiswürfeln. Milch mit Honig. Heiße Milch. Milch mit Schokolade, Bananenmilch, Erdbeermilch, Milchschokolade. Melone mit Schinken mit Milch!
„Ich kann echt lange“, sag ich.
„Du hast doch keinen Brustfetisch, oder?“
Also dann wäre sie wohl kaum die Richtige, will ich sagen, während sie die unter der Brust verschränkten Arme ein Stück nach oben schiebt, sage aber: „Also dann wärst du wohl kaum die Richtige!“
Die Welt ist so verrückt, also wenn ich ein Milchmann wäre, würde ich als erstes, ich weiß es nicht. Ich dachte immer, als Milchmann hätte man einen klar definierten Aufgabenbereich. Noch Ziele.
Sie drückt mit Daumen und Zeigefinger die Zigarette aus, während sie nuttig ihre Hand auf meinem Oberschenkel belässt.
Ich fantasiere vor mich hin in trauter Milchmannharmonie, fantasiere, sie flüstert: „Ich wollte immer Dodos aufziehen, schon seit ich das erste Mal ein Didgeridoo geblasen habe, ein riesiges, blankes, wollüstiges Didgeridoo.“
Dingos, würde ich dann sagen, die könne man bestimmt noch aufziehen. Von Hand, mit Milch. Und Nicholson, würde ich zugeben, war Postbote und kein Milchmann und ein White Russian könne aus purer Milch bestehen, dann sei er ideologisch so einwandfrei wie blaue Gauloises. Oh, lass mich doch dein Milchmann sein, würde ich dann sagen.
Stattdessen höre ich von ihren blassen Lippen: „Du hast gewonnen.“