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Angst - Perspektive1
Es war soweit. Ich stand vor der versammelten Mannschaft meines Literatur-Grundkurses, den Herr Steiner leitete, und alle sahen mich an. Meine Haut fühlte sich heiß an, die Hände feucht und ich spürte, dass mein rechtes Augenlid zuckte. Das tat es immer, wenn ich aufgeregt war. Die Papiere, die ich zu Hause vorbereitet hatte, lagen ordentlich sortiert vor mir und das war gut so. Mein Kopf schien wie in Watte gepackt, jeder Gedanke, jedes so gut zurecht gelegte Wort war verschwunden. Was wenn ich wieder anfange zu stottern, so wie damals in der dritten Klasse, als mich alle auslachten? Was, wenn mein Konzept nicht aufgeht und ich niemanden bewegen kann, Fragen zu stellen, mit mir zu kommunizieren?
Mich überkam leichte Übelkeit, als ich die Stimme von Herrn Steiner hörte.
"Jeder von Ihnen, sollte sich Gedanken zu einem literarischen Werk machen. Ob Roman, Kurzgeschichte, Gedicht oder Songtext hatte ich Ihnen frei gestellt. Frau Axmann wird den Anfang machen."
Er sah zu mir und ich spürte, dass mir die Röte in den Kopf schoss, als sich sein Blick auf mich legte, der keine Enttäuschung seiner Erwartung zuließ. So war es halt, wenn man als die Klassenbeste galt. Ich nickte ihm schüchtern zu, ich war mir nicht mal sicher, ob mein Kopf sich wirklich bewegt hatte. Dann sah ich in meine Klasse. Es waren nicht viele, die meisten hatten bereits im ersten Jahr diesen Kurs abgewählt, Literatur war bei der Jugend nicht mehr sonderlich beliebt.
Mein Puls verursachte ein Rauschen in meinen Ohren und ich konnte die verschiedenen Körpergerüche meiner Mitschüler nur zu gut riechen. Männer- und Frauenparfüm, gemischt mit dem Schweiß der zurückliegenden Sportstunden. Die Übelkeit bahnte sich einen Weg aus meinem Bauch hoch zum Hals und schnürte mir schier die Luft ab.
Ich kann das einfach nicht.
Oh doch, du kannst, du hast es geschrieben, du hast es geschaffen und du kannst es verdammt nochmal präsentieren.
Die Stimmen in meinem Kopf stritten bereits seit geraumer Weile. Der Blick meines Lehrers, der mein bester und größter Kritiker war, den ich bis zu diesem Zeitpunkt hatte, haftete auf mir und bohrte sich durch meine Haut. Schweißperlen rannen meinen Rücken hinab.
Ich nahm allen Mut zusammen den ich aufbringen konnte, straffte meine Schultern, hob den Kopf, atmete nochmals tief und langsam ein und fixierte dann einen Punkt etwa dreißig Zentimeter über den Köpfen meiner Schüler hinten an der Wand. Den Trick hatte ich aus einem Buch und ich betete das er funktionieren möge.
Ok, dann mal los.
"Ich habe mir als literarisches Stück ein Gedicht ausgesucht. Dieses Gedicht habe ich selbst geschrieben."
Die Blicke meiner Mitschüler ruhten nun auf mir. ich schaltete den Overhead-Projektor an und mein Gedicht war nun gut sichtbar in riesigen Buchstaben auf der weißen Wand zu lesen. Jeder Buchstabe war so groß wie meine Hand, die den Füller gehalten hatte, als ich die Zeilen schrieb.
"Ich möchte jemanden von euch bitten, es vorzulesen. Ich selbst kenne es ja, weiß wie man es betonen muss und auf welchen Worten das meiste Gewicht liegt. Aber ich möchte gern, dass es ein "Fremder" " - Meine Finger formten dabei zwei Gänsefüßchen in die Luft - "vorliest, um zu hören, wie es für Außenstehende klingt."
Wie erwartet meldete sich für diese Aufgabe niemand. Alle sahen zwar gebannt auf den Text, aber keiner der zahlreichen Arme hob sich.
Dann muss ich halt jemand heraussuchen.
"Carolin, könntest du es bitte vorlesen."
Das zierliche, hübsche Mädchen mit den dunklen Haaren und wachen, hellen Augen sah mich kurz an, fixierte dann die Augen auf den Zeilen und laß mit ihrer hellen, aber gut verständlichen Stimme vor.
In meinen Ohren rauschte es noch immer und ich musste mich stark konzentrieren, um den Moment nicht zu versäumen, als ihr Mund die letzten Worte formte.
Dannach wieder Stille. Keiner sagte etwas. Sogar Hannes, der sonst immer einen spitzen Kommentar zu jedem Thema und jeder Person hatte, hielt den Mund.
Ich starrte auf meinen Notiz-Zettel auf den mir in roten Druckbuchstaben der nächste Stichpunkt entgegenleuchtete. 'Diskussion' stand auf dem Papier, an dass ich mich wie eine Ertrinkende klammerte.
"Was haltet Ihr davon? Was meint Ihr, war der Grund für dieses Gedicht?"
Diesmal meldeten sich sämtliche Schüler und ich spürte, dass meine Gedanken zurückkehrten. Meine Muskulatur war noch angespannt - "Immer zum Sprung bereit" - wie meine Mutter immer meinte.
Die Antworten sprudelten mir förmlich entgegen. Jeder spekulierte, fantasierte und argumentierte. Der Raum war zum Leben erwacht. Ich hatte es geschafft, die Stille und Anspannung, die ein Referat mit sich führte, zu verbannen.
Ich machte Stichpunkte an die Tafel, auf der die Kreide geräuschvoll entlang glitt. Ich beantwortete Fragen, stellte Gegenfragen.
Es fühlte sich wunderbar an.
Doch ein Räuspern unterbrauch meine Euphorie leicht.
Ich blickte zu Herr Steiner, der lächelte und dann scherzhaft ermahnend auf seine Armbanduhr zeigte, die mir golden entgegen schimmerte.
Hannes hatte noch eine letzte Frage, die ich rasch beantworten konnte, dannach schloss ich meinen Vortrag ab und bedankte mich.
Als das Klatschen und Jubeln meiner Kammeraden einsetzte, war nicht mehr mein Kopf voll Watte, sondern ich schien darauf zu gehen. Zurück zu meinem Platz.