Angst
Angst
Sie hatte Angst. Angst davor, zu viel über sich raus zu lassen. Angst, viel zu viel preiszugeben. Angst, verletzbar zu sein. Wieder einmal. Noch ein Mal verletzt zu werden - würde sie das durchstehen? Aber wenn sie sich weiterhin so verhielt wie jetzt - würde sie ihn dann nicht verlieren? Er hatte doch selbst gesagt, er sah keine Zukunft für sie beide, wenn sie weiterhin so verschlossen war. Und das würde sie auf keinen Fall durchstehen. Ihn zu verlieren... Ihr liefen Tränen das Gesicht herunter. Sie liebte ihn doch so sehr... Aber es fiel ihr einfach mehr als schwer, ihm diese Dinge zu erzählen. Diese Dinge in ihrem Kopf. Gefühle, Gedanken. Sie akzeptierte sie doch selbst nicht, warum also sollte er es tun? Würde er sie denn noch lieben können, wenn er wusste, was ihr tagtäglich durch den Kopf ging? Liebte er sie denn jetzt? Sie war sich inzwischen nicht mehr sicher. Am Anfang war sie es gewesen, aber nun... begann sie zu zweifeln. Wieder einmal. Nein. Sie durfte doch nicht zweifeln! Das war doch das Ende. Sie hasste sich selbst so sehr wie sie ihn liebte, nur weil sie zweifelte. An sich selbst. An ihm. An seinen Gefühlen für sie. Alles was sie wollte, war geliebt zu werden. Von ihm. Und die Angst vergessen. Die Angst vor sich selbst und allem anderen. Sie wollte sich geborgen fühlen. Ihm vertrauen. Ihm alles sagen. Aber sie konnte nicht. Noch nicht. Sie brauchte doch Zeit. Warum setzte er sie so unter Druck? Warum konnte er nicht warten? Warten, bis sie so weit war. Bis die Angst verschwunden war...
Ihr Blick fiel auf ihre Handgelenke. Die alten Narben waren kaum noch zu sehen.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und trat zum Badezimmerschrank. Da waren die Rasierklingen. Die Angst konnte nun endgültig aufhören. Sie wünschte, es würde einen anderen Weg geben, aber sie sah keinen. So war es wohl am besten. Sie schrieb ihm noch einen kurzen Brief, wo ihr Tagebuch zu finden war. So war es am besten. Er erfuhr alles über sie, und sie musste nicht ertragen, wie er sie nicht mehr liebte.
Und dann brachte sie es zu Ende.
