Angst
Christian Contini setzte fast das Herz für einen Schlag aus, als er die huschende Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Er sass an seinem Schreibtisch und versuchte sich auf einen Brief zu konzentrieren, als etwas klein, schwarz und flink achtbeinig auf ihn zukrabbelte.
Christian schrie auf, sprang mit einem Satz nach hinten und riss dabei den Stuhl mit sich. Die Spinne - schwarz, mit einem dicken Körper, behaarten Beinen und sehr grossen Beisswerkzeugen - schien sich daran zu weiden, wie er halb angsterfüllt, halb von Ekel gepeinigt an die Wand zurückwich. Sie sass am Rande der Schreibtischplatte und starrte ihn an.
Für eine Minute standen sich die Rivalen gegenüber, dann hatte Christian seine Fassung zurückgewonnen und war bereit, den Kampf gegen das haarige Tier aufzunehmen. Dieses hingegen schien die Sache inzwischen zu langweilen, und so beging es den fatalen Fehler, den jungen Mann zu unterschätzen, ihm den Ruecken zuzuwenden und eiligen Fusses zur Wand zurückzukehren.
Der kleine Halbitaliener mit der grossen Angst vor Spinnentieren schob sich, ohne das schwarze Wesen aus den Augen zu lassen, an der Wand entlang und griff nach dem in der Ecke stehenden Staubsauger.
Mit kaum noch zitternden Fingern schloss er das Gerät an die Steckdose an, hob die Düse vor sich wie eine Lanze, schritt auf die regungslos an der Wand sitzende Spinne zu und versorgte den Sauger durch einen Knopfdruck mit Strom.
Die Spinne schien zu ahnen, dass der junge Mann doch nicht so wehrlos war, wie sie zunächst geglaubt hatte, doch ihre nun rasch ergriffene Flucht kam zu einem schnellen Ende. Mit einem "Flupp" verschwand sie im Inneren des Reinigungsinstruments.
Christian liess den Staubsauger fallen und verbrachte die nächste Stunde damit, ihn nicht mehr aus den Augen zu lassen. Konnte er denn sicher sein, dass die Spinne ihm nicht mehr entkam? Was war, wenn sie den Staubbeutel wieder verliess?
Tage vergingen, Tage, in denen eine leise, haarige Stimme in ihm flüsterte, dass die Spinne nicht tot sei, dass sie in ihrem Staubbeutel sass und sich von den bereits früher eingesaugten Insekten, Krümeln, vielleicht sogar von Staub ernährte. Diese dunkle Stimme sagte ihm, dass sie in ihrem Staubbeutel immer grösser und grösser wurde, je länger er es hinausschob, den Beutel endlich zu entleeren.
Mit fiebrig glänzender Stirn und starr vor Angst träumte er jede Nacht davon, dass die Spinne endlich ihrem Gefängnis entkam, um sich zu rächen. Er sah, wie der Staubsauger mit einem lauten, knackenden Geräusch auseinanderbrach und sich ein riesiges, schwarzbehaartes Bein den Weg aus Staub und Flusen freimachte. Jedesmal wachte er mit einem panischen Schrei auf den Lippen und weit aufgerissenen, gehetzten Augen auf.
Bis er eines Nachts dieses knackende Geräusch tatsächlich hörte.