Mitglied
- Beitritt
- 08.01.2018
- Beiträge
- 171
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Anstoß
Anstoß mit fünfzehn Minuten Verspätung. Der Rauch hatte sich verzogen, die in Schwarzgelb bauten ihren ersten Angriff gegen die Blauweißen auf. Schuster und Lasig stießen mit ihren Plastikbechern an.
„Scheiß aufe Woche, is Samstach“, fand Schuster.
„Sach ich dir! Haste Pyro mit?“ Lasig dehnte seinen Hosenbund und warf einen verheißungsvollen Blick darauf.
„Klar, Alter!“
Sie stießen noch einmal an, streckten die Faust in die Höhe und grölten im Chor mit der Kurve.
Die erste Halbzeit war ein gegenseitiges Abtasten auf dem Platz und drumherum. Schlachtgesänge, Rauch und ausgestreckte Arme. Der Stadionsprecher war kaum zu verstehen, redete über das träge Spiel und auf die sich aufschaukelnden Ränge ein.
Halbzeitpause. Fünftes oder sechstes Bier, wer zählte da schon mit? Lange Schlangen an den Getränkebuden, Currywurst, Pommes. Schreie über Gitter hinweg, Flaggen, die einander entgegengestreckt wurden. Schweiß, Schwüre, Schwanken und Schwindel. Samstagabend. Da zählten nur Durchhaltevermögen und Standfestigkeit.
Keine Minute vor dem Wiederanpfiff zog ein Tross unauffällig gekleideter Damen über die Tartanbahn ins Stadion ein, positionierte sich vor der heimischen Fankurve und suchte die darin befindlichen Gesichter ab.
„Alter!“, schimpfte Lasig, „wat wollen die Schabracken hier?“
„Wat geht denn hier ab?“, wollte Schuster wissen und zeigte auf eine sich verteilende Gruppe der Damen. „Dat is meine Mutter!“
„Wat?“
„Na, da! Hat sich richtich in Schale geworfen.“
„Tatsache! Wat macht die denn hier?“
„Wat weiß ich?“
Der Stadionsprecher war wieder zu verstehen und verkündete den Stolz der Ausrichtenden über den Besuch einiger ... wohl eher latenter Anhängerinnen, die von nun an dem Spiel und der Freude der Zusehenden folgen wollten. Einige der Damen winkten in die Kurve, Schuster hob zögernd die Hand und formte ein schiefes Lächeln.
Zehn Minuten vor Spielende konnte es auf ein Unentschieden hinauslaufen. Die Auswärtigen quittierten das mit Beschimpfungen, die ungewöhnlich zurückhaltende Reaktionen provozierten. Schuster erntete skeptische Blicke, folgte aufmerksam jedem Spielzug und wünschte sich eine Bratwurst in die freie Hand. Aus den Augenwinkeln betrachtete er von Zeit zu Zeit die Tartanbahn.
Lasig zog etwas aus seiner Hose und hielt Schuster seinen Becher hin. Der wollte anstoßen, aber Lasig schüttelte den Kopf, steckte die Fackel zurück und kramte ein Feuerzeug aus der Hosentasche.
„Lass den Scheiß!“ Schusters Augen verengten sich und er machte keine Anstalten, den Becher entgegenzunehmen.
„Wat is?“, wollte Lasig wissen. „Is doch gleich Schluss.“
„Mann, wenn du dat Dingen anzündest, is dat Brett vorm Kopp Brennholz, dat sach ich dir!“
„Wieso?“
„Alter! Da steht meine Mutter!“
„Ja, is ja jut.“ Lasig ließ die Stange in der Hose.
Das Spiel plätscherte der neunzigsten Minute entgegen. Laut war es, ruhig im Vergleich zu sonst.
„Wat is nach dem Spiel?“ Lasig sah Schuster mit großen Augen an.
„Kommt drauf an.“
„Meinste, die kommen mit?“
„Glaub nich.“
„Also wie verabredet?“
„Weiß nich.“
„Wat weißte nich?“
„Alter, halt doch einfach mal die Fresse!“
„Frag ja nur.“
Abpfiff. Torloses Unentschieden. Die Damen winkten beidarmig, und wem der tosende Applaus galt, konnten weder Lasig noch Schuster sagen. Sie nahmen den Weg in Richtung Innenraum-Zugang und warteten, nicht das erste Mal, diesmal jedoch aus anderen Gründen.
Der Bus mit den winkenden Damen war befremdlich und erleichternd zugleich. Lasig winkte mit einem Grinsen, Schuster ohne.
„Also wie üblich?“, versicherte sich Lasig.
„Diesmal nich. Ich hau ab. Nächstes Mal wieder. Dat bringt heute nix.“ Schuster winkte ab.