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Antithetische Hypothesen des Verführenden
Ungesprochen (Die antithetischen Hypothesen des Gefühls)
Sie saß in der ersten Reihe, rechts außen. An diesem Tage war ich sehr zerstreut. Einmal ist ihr ein Papier heruntergefallen. Ich machte zwei schnelle, sichere Schritte auf sie zu und klaubte es von dem staubigen Boden auf, bevor sie sich bücken konnte. Sie hob ihren Kopf nicht, sondern blickte mich von unten an. Ein herbstwarmer, brauner Blick floss hinauf zu mir, schokoladig, liebesleicht und freundlich. So schrecklich kokett. Ich zwinkerte ihr zu.
Auf dem Schulkonzert war sie Stimmführerin der zweiten Geige. In dem figurbetonten schwarzen Kleid stolzierte sie auf die Bühne, sie hatte eine geile Figur mit den hohen Schuhen. Ich beobachtete sie, während sie spielte. Sie hatte einen sehr konzentrierten Gesichtsausdruck, manchmal schürzte sie die Lippen nachdenklich, und es bildete sich ein kleines Grübchen auf dem Kinn. Sie hatte die langen Haare hier noch zusammengebunden, in der Pause fielen sie ihr dann offen auf die weißen Schultern. Ich bemühte mich, sie nicht anzusehen, als sie von der Bühne schritt, ich wendete meinen Kopf in eine andere Richtung. Ich hätte schwören können, dass sie meinen Blick gesucht hat, aber ich würde es selbst nicht glauben. So schrecklich, schrecklich kokett. Und doch so liebesschwer.
In der Pause war es voll. Sie lief zwei Mal an mir vorbei, ich stand in einem kleinen Lehrerkreis. Es war eng und sie bahnte sich den Weg durch die Menge an mir vorbei. Ich zwinkerte ihr wieder zu, mit beiden Augen, freundlich, distanziert, unverbindlich. Sie lächelt mich dann immer an, als hätte ich ihr einen Blumenstrauß geschenkt. Irgendwie entsetzt, irgendwie berührt, nichts versprechend und unglückselig heiter.
Ist es denn wirklich so?
Dann habe ich sie mit einem Jungen gesehen, einem Mann, vielmehr. Groß, stattlich, nicht übertrieben hübsch, aber gut aussehend. Anders als ich, längere rotblonde Haare, anders als ich, eine markante Nase und ein männlicher Ausdruck in dem sanften Gesicht, anders als ich, roter Pulli, Ring am Finger, machtvoll gebärdend, und in den Tiefen unsicher, vielleicht genau wie ich, aber so furchtbar anders als ich. Sie ist schrecklich kokett mit ihm, aber so sicher dabei. So gewiss und vertraut. Sie küsst ihn, seine Hand fährt zu ihrem Po. Ich bin erschrocken, wie egal es mir ist. Ich bin erleichtert. Doch mich interessiert der zweite Teil des Konzerts nicht, ich gehe.
Der nächste Morgen, ich surfe im Internet. Ich besuche ein Kommunikations und Freunde-Board namens Studivz für Studierende und andere im studierenden Alter. Ich habe eine Freundschaftseinladung bekommen, und eine Nachricht. Ganz heiter schreibt sie. Sie wünscht einen guten Morgen. Sie sei so frei, mich als Studivz-Freund hinzuzufügen, wenn ich’s denn gestattete, ich, der Herr Lehrer. Sie wünscht mir ein schönes Wochenende. Ich antworte ganz direkt. Ich beginne zu schreiben, ich lösche wieder alles und warte fünf Minuten. Ich überlege. Ich denke nichts. Liebe Isabella, schreibe ich. Fünf Minuten. Dann überlegen. Als ich wieder auf den Bildschirm sehe, steht ein Ich vor dem Liebe. Ich Liebe Isabella. Ich könnte schreiben, ich, liebe Isabella, möchte dir die Füße küssen, ich will dein Haar riechen, tausendfach mit dir befreundet sein, liebe, liebe Isabella, was kannst denn du dafür. Ich schreibe weiter an der Nachricht. Es dauert fast eine Stunde bis ich fertig bin.
Liebe Isabella,
ich danke Ihnen für das "Adding". Dennoch bitte ich Sie um Verständnis, wenn
ich es mir erlaube, Sie nicht auf meine Freundesliste zu setzen, da meine Seite auch private Informationen und Fotos enthält. Ich möchte nämlich nicht, dass sie unter die Schüler gelangen und Verbreitung finden.
Ich hoffe, Sie können meine Gründe nachvollziehen.
Ebenfalls ein schönes Wochenende.
Ich klicke auf Absenden. Ich möchte wirklich wissen, ob ihr zum Heulen war. Mir nicht. Es tut nur gut, ihr die Küsse auf dem blonden Mund in Schlägen zurückzutun. Und recht habe ich ja alle Mal. In jedem Belang. Diese kleine Lolita.