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Aprikosentage

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03.03.2020
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Aprikosentage

Wenn Jakub eine Sache verabscheut, dann sind es die verdammten Aprikosen. Den Baum hat sein Vater gepflanzt, vor wer weiß wie langer Zeit. Und er macht ja auch was her mit den langen, fast senkrecht in den Himmel greifenden Trieben, aber vor allem macht er Arbeit. Wenn Jakub eine Sache noch mehr verabscheut als Aprikosen, dann ist es Arbeit.
Das war nicht immer so. Doch in den letzten Wochen ist Jakub schon mit einem schlechten Gefühl aufgewacht, einem flauen Magen, und am Anfang dachte er noch, das Problem mit Flohsamenschalen in den Griff zu bekommen. Oder indem er abends die Chips weglässt. Aber die Chips braucht er ja, um sich auf irgendetwas zu freuen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, jeden Tag in der Mittagspause steht Jakub vor dem Chipsregal mit den silbrig glänzenden Plastiktüten und fühlt sich wieder zurückversetzt in seine Kindheit, als er vor den genauso silbrig glänzenden Boosterpacks stand und sich nicht entscheiden konnte.

Ein Mal, erinnert sich Jakub, hat sein Vater ihn zur Schule gebracht. Seine Mutter muss da wohl krank gewesen sein, und so durfte er sogar vorne sitzen in dem olivgrünen Renault Mégane und sein Vater drehte die Anlage auf, drehte noch lauter, als der Steuersong lief, die Gerd-Show, verrückt … Da hatte er wohl einen seiner guten Tage, der Vater. Vielleicht freute er sich auf sein Feierabend- (oder Feiermorgen-) Bier, sein festes Ritual nach jeder Nachtschicht, dazu noch Oliven … Vielleicht hatte er aber auch heimlich im Lotto gewonnen und plante da schon, wie er uns loswerden konnte. Aber warum sollte es dann noch Jahre dauern, bis er den Schritt wirklich wagte, er sich mit einer anderen Frau einließ, die er im Internet kennengelernt hatte, heimlich, vielleicht nach der Frühschicht, während aus dem einen Feierabendbier wie so häufig mehrere wurden und wir anderen schon schliefen?
Zumindest würde der Lottogewinn den Fünfzig-Euro-Schein erklären, den er mir an dem Morgen in die Hand drückte. Fünfzig Euro waren hundert D-Mark und zehn ganze Boosterpacks, wovon ich mich staunend, den Klang der Türglocke kaum wahrnehmend, noch mal überzeugte. Und mein Vater wartete mit laufendem Motor vor dem kleinen Kiosk. Die Anlage immer noch aufgedreht, Dreamer von Ozzy jetzt, und vielleicht, stelle ich mir heute vor, war ihm der Anblick seiner Tochter an jenem Morgen genug. Vielleicht vergaß er damals für ein einziges Mal sein Bier.

Wie viel er zurückgelassen hat, denke ich jetzt – seine Frau, die Wohnung, die beiden Katzen, Lani und Luna und den verdammten Cocker, den er kurz davor selbst noch angeschleppt hatte. Kein Jahr, nachdem Cocker Nummer Eins gestorben ist, warum, frage ich mich heute – wurde er später selbst überrascht, überrannt von den eigenen Gefühlen? Oder wusste er da schon Bescheid? Dachte er, mir so eine Freude machen zu können? Indem er mir mit Tommy einen Steffl-Klon vor die Nase setzt, den ich in den kommenden Jahren Gassi führen musste, was ja eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, eine genauso verfressene, genauso hirnverbrannte Furzmaschine, die nicht nur nicht die Leere füllen konnte, die mein Vater hinterlassen hatte, sondern alles noch viel enger machte, als es eh schon war?

Denn wir hatten kein schönes Haus mit Garten und Aprikosenbaum. Ich wollte mir eine Vergangenheit zurechtschreiben und wurde von meiner eigenen eingeholt.
Ich wollte von Jakub schreiben, einem Mann, dessen größtes Problem der Aprikosenbaum in seinem Garten ist. Von herabfallenden Aprikosen, die ihn daran erinnern, dass er etwas tun muss, wenn er nicht tatenlos zusehen möchte, wie sie auf dem Boden liegend verfaulen. Wie er die Blicke der Nachbarn spürt, derselben Nachbarn, zu denen er nie wirklich dazugehört hat, dazugehören wird, mit ihren fein gestutzten Hecken und den vom Unkraut befreiten Wegen. Ich weiß, dass mir das Arbeiterkind ins Gesicht geschrieben steht, dass ich immer noch ein Arbeiterkind bin, ein Kind mit Erwachsenenproblemen jetzt, mit krummgeschafftem Rücken und leergefegtem Konto.

Und ich fürchte, dass sich daran nichts mehr ändern wird, dass ich dafür in der Schule hätte aufpassen müssen, während in meinen Gedanken ein Tornado wütete, der alles, was für mich so unverrückbar erschien, aus den Angeln riss. Derselbe Tornado, der mich heute nachts wachhält und durch das Getöse säuseln Geisterstimmen die immergleichen Fragen in mein Ohr: Warum hat er nichts gesagt, am Ende? Warum hast du nicht geschrieben? Weil du es nicht mehr konntest, als der Krebs dich dahingerafft hat? Weil du nicht wolltest? Nicht durftest? Hat sie es dir verboten? Wie sie mir, deiner Tochter, verboten hat, zu deiner Beerdigung zu kommen?

Und auch, wenn du jetzt tot bist wie Ozzy und Tommy, führe ich noch immer einen Cocker an der Leine, der tut, was er will. Der seinen eigenen Kopf hat. Mich mit heraushängender Zunge, fast lächelnd, könnte man meinen, mal nach rechts, mal nach links zieht, aber vor allem nach unten.

Und Jakub sitzt in seinem Garten und gibt den Aprikosen die Schuld.
Jakub, du hast doch Aprikosen.
Wie schlimm wird’s schon sein?

 

Hallo @Akka,

tja - wenn es eine Rubrik "Psychologisches" gäbe, hättest du wahrscheinlich die Mustergeschichte für diese geschrieben.

Gut gefallen hat mir der Titel, die Einflechtung des 'Aprikosenmotivs' in die psychische Lage der Protagonistin, der innerliche Mechanismus, der durch dieses beschrieben wird. Den alten Plot 'verlassenes Kind ist traumatisiert' hast du geschickt neu verpackt, gut nachvollziehbar und interessant (auch die Verlagerung der eigenen Probleme auf den fiktiven Jakub - gute Umschreibung von Verdrängung, bzw. Übertragung ...).

Soweit zum Inhalt, etwas zur Form:

Und er macht ja auch was mit her mit den langen, fast senkrecht in den Himmel greifenden Trieben, aber vor allem macht er Arbeit. Und wenn Jakub eine Sache noch mehr verabscheut als Aprikosen, dann ist es Arbeit.
Sind zweimal "und" nötig?


Aber warum sollte es dann noch Jahre dauern, bis er den Schritt wirklich wagte, er sich mit mit einer anderen Frau einließ, die er im Internet kennengelernt hatte, heimlich, vielleicht nach der Frühschicht, während aus dem einen Feierabendbier wie so häufig mehrere wurden und (während ?) wir anderen schon schliefen?
Solche langen Sätze sind unbeliebt - trotzdem: Wenn du so schreiben willst, dies dein Stil ist, du damit das zu Sagende ausdrücken kannst - dann würde ich da nix ändern, da, wie du siehst, ich auch manchmal, dann aber gerne, so schreibe (und es das Textverständnis trainiert).


genauso hirnverbrannte Furzmaschine, die nicht nur nicht die Leere füllen konnte, die mein Vater hinterlassen hatte
Dieser Bezug ist eine gute Idee. Vielleicht doch direkt, ohne die doppelte Verneinung des Sachverhalts das Ganze ausdrücken: ... die keinesfalls/niemals die Leere ...

Und ich fürchte, dass sich daran nichts mehr ändern wird, dass ich dafür in der Schule aufpassen gemusst hätte
... hätte aufpassen müssen

Gern gelesen!

Weiterhin viel Erfolg wünscht dir

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon,

Gut gefallen hat mir der Titel, die Einflechtung des 'Aprikosenmotivs' in die psychische Lage der Protagonistin, der innerliche Mechanismus, der durch dieses beschrieben wird. Den alten Plot 'verlassenes Kind ist traumatisiert' hast du geschickt neu verpackt, gut nachvollziehbar und interessant (auch die Verlagerung der eigenen Probleme auf den fiktiven Jakub - gute Umschreibung von Verdrängung, bzw. Übertragung ...).

Ich hatte tatsächlich die Sorge, hier inhaltlich plattgewalzte Pfade abzuwandern. Deshalb freut es mich zu hören, dass dich die neue Verpackung überzeugen konnte!

Sind zweimal "und" nötig?

Nein, danke.

Solche langen Sätze sind unbeliebt - trotzdem: Wenn du so schreiben willst, dies dein Stil ist, du damit das zu Sagende ausdrücken kannst - dann würde ich da nix ändern, da, wie du siehst, ich auch manchmal, dann aber gerne, so schreibe (und es das Textverständnis trainiert).

An der Stelle gibt es ja mehrere Möglichkeiten, Punkte zu setzen, ich bin aber mit keiner davon wirklich zufrieden ... Es würde den Text zu sehr ausbremsen, finde ich, obwohl er da ja gerade Fahrt aufnimmt. Aber ich versuche, in Zukunft mal bewusster darauf zu achten.

... hätte aufpassen müssen

Na klar, das kam mir gleich spanisch vor - danke!

Vielen Dank, dass du die Geschichte gelesen und dir die Mühe gemacht hast, mir einen Kommentar zu hinterlassen, ich habe mich sehr darüber gefreut!

Liebe Grüße,
Akka

 

Hallo @Akka
ich habe deinen Text gelesen und habe ein bisschen Kritik mitgebracht. Kannst es dir ja mal anschauen und wenn es dir hilft, nimm es gerne mit. Falls nicht, auch kein Stress - ist dein Text!

Ich wollte von Jakub schreiben
Ich finde diesen Ausgangspunkt eigentlich ziemlich gut. Eine Person schreibt über jemanden und wird dann während des Schreibens vom eigenen Leben eingeholt. Ich finde, dass du da echt was draus machen kannst. Wie es im Moment dasteht, fehlt mir aber etwas - der Text ist zu dünn. Das Schicksal der Erzählerin geht mir nicht nahe, auch weil ich keine der genannten Personen kenne und sie mir im Text auch nicht nähergebracht wurden. Ich habe keinen Einblick in die Beziehung bekommen, außer einzelne für sich stehende Aussagesätze der Erzählerin. Das reicht aber nicht, um ein Gespür für das Drama zu bekommen, dass bestimmt hinter diesen vereinzelten Aussagen steckt. Ich würde also dafür plädieren, dass du das ausbaust, bestimmte Teile streichst und dich auf andere stärker konzentrierst.

Wenn Jakub eine Sache verabscheut, dann sind es die verdammten Aprikosen
Ich würde das streichen.

Wie viel er zurückgelassen hat, denke ich jetzt – seine Frau, die Wohnung, die beiden Katzen, Lani und Luna und den verdammten Cocker, den er kurz davor selbst noch angeschleppt hatte.
Du machst hier viele Namen auf, aber die kommen vorher nicht wirklich vor und spielen eigentlich auch im weiteren Verlauf keine Rolle. Es bleiben nur Namen, zu denen ich keinen Bezug habe und sie sofort wieder vergesse. Interessant wäre doch, da mehr ins Detail zu gehen, aufzuzeigen welche Rolle sie für die Erzählerin spielen und warum!

Indem er mir mit Tommy einen Steffl-Klon vor die Nase setzt, den ich in den kommenden Jahren Gassi führen musste, was ja eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, eine genauso verfressene, genauso hirnverbrannte Furzmaschine, die nicht nur nicht die Leere füllen konnte, die mein Vater hinterlassen hatte, sondern alles noch viel enger machte, als es eh schon war?
Ein Satz, der sich wie eine Kaskade an verschiedensten Vorwürfen liest. Ich erkenne das an, aber da mir die Beziehung der beiden nicht näher gekommen ist, erzielen auch die Vorwürfe bei mir nicht wirklich einen Effekt. Ich würde plädieren, dass du grundlegend im Text noch mal die Beziehungsebenen (zumindest der beiden) vertiefst. Dann würden solche Stellen in meinen Augen auch mehr Wirkung entfalten können.

Ich weiß, dass mir das Arbeiterkind ins Gesicht geschrieben steht, dass ich immer noch ein Arbeiterkind bin, ein Kind mit Erwachsenenproblemen jetzt, mit krummgeschafftem Rücken und leergefegtem Konto.
Auch da könntest du viel draus machen. So bleibt es aber einfach eine Behauptung, die du gegen Ende des Textes in den Raum stellst. Ich kann den Satz lesen und mir denken: Ah ja, wird wohl schon so sein oder auch: Das ist doch Quatsch! Aber im Grunde kann ich es überhaupt nicht beurteilen, weil ich es anhand deines Textes nicht einordnen kann. Verstehst du, was ich meine?

die immergleichen Fragen in mein Ohr: Warum hat er nichts gesagt, am Ende? Warum hast du nicht geschrieben? Weil du es nicht mehr konntest, als der Krebs dich dahingerafft hat? Weil du nicht wolltest? Nicht durftest? Hat sie es dir verboten? Wie sie mir, deiner Tochter, verboten hat, zu deiner Beerdigung zu kommen?
Auch hier machst du wieder ganz viele Dinge auf, die sicherlich wichtig sind für die Erzählerin (vielleicht auch für dich?), aber es überträgt sich quasi null auf mich als Leser. Dazu müsstest du mich mit dem Text emotional mehr einbinden. So bleiben es einfach nur Fragen, die für mich als Leser an dieser Stelle kaum eine Bewandtnis haben, weil ich den Hintergrund nicht verstehe.

War jetzt viel Kritik, aber überhaupt nicht böse gemeint. Ich denke, dass es wert wäre, dass du deinen Text noch mal überarbeitest und die Schwerpunktsetzung überdenkst. Dann denke ich, dass da was draus werden könnte!

Beste Grüße
Habentus

 

Hi @Habentus,

bevor ich einen neuen Text einstelle, ist es mir noch wichtig, auf deinen Kommentar zu antworten. Ich habe den Text hier jetzt seit über einem Monat nicht mehr angerührt und sehe mit diesem Abstand deutlich die Hauptschwäche, auf die ja auch dein Kommentar abzielt: Er wird an einigen Stellen sehr "spezifisch", das heißt, es werden (für die Erzählerin wichtige) Details erwähnt, für die der Leser aber gar keine emotionalen Anknüpfungspunkte hat.

Ich schwanke jetzt noch zwischen zwei Überarbeitungsansätzen. Entweder ich baue das Ganze aus, gebe diesen Details mehr Fleisch und liefere so (hoffentlich) die emotionalen Anknüpfungspunkte, oder, und ich glaube, dazu tendiere ich aktuell, ich spare den Großteil der Details einfach ein und gestalte das "Drama" allgemeingültiger.

Dein Kommentar hat das Grundproblem auf jeden Fall gut auf den Punkt gebracht, deshalb vielen Dank! Wenn mir zeitnah eine Überarbeitung glückt, werde ich sie hier einstellen und dich dann auch noch mal darauf hinweisen.

Liebe Grüße,
Akka

 

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