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Arbeit
Niemand will ihn kennen, niemand interessiert sich für ihn und er trinkt. Wieso er trinkt? Unwichtig! Was er trinkt? Nebensächlich! Seine Finger beginnen bereits zu zittern, als er sein Glas erneut heben will.
Sein Körper scheint immer kälter zu werden und doch kleben ihm seine Sachen schweißnass auf der Haut. Er will doch nur arbeiten, einfach seine Glieder bewegen und das Gefühl haben, am Leben teilzunehmen. Seine Umwelt scheint zu verschwimmen, schwarz mischt sich mit weiß, Licht mit Schatten. Er hat die Anzeichen schon seit langem erkannt und doch ist das Einzige, was er tut, er trinkt. Wieso er trinkt? Unwichtig! Was er trinkt? Nebensächlich.
Seine persönliche Gosse, die nur aus Stahl und Glas zu bestehen scheint, ist schlimmer als jede Hölle. Dabei weiß er doch genau, dass er nie mit diesem Job aufhören wird. Dass er immer weiter jeden Abend hier verbringen wird, bis sein Körper den Streß einfach nicht mehr aushält. Er kann sich nicht mehr genau erinnern wieso er sich dabei so sicher ist, aber in seinem innerstem ist ihm klar, dass selbst die andauernden Nörgeleien seiner Freundin von wegen Familie und Zukunft ihn nicht von einem normalem Lebensstil überzeugen können. Er versucht zwanghaft weiter darüber nachzudenken, doch da beginnen seine Sinne schon wieder zu verschwimmen.
Jetzt erkennt er erst, wie kostbar Gedanken waren, wie kostbar es war, klar zu denken und er schwört sich nie mehr eine Sekunde an den Alkohol zu verschwenden, doch das Einzige, was er tut, er trinkt. Wieso er trinkt? Unwichtig! Was er trinkt? Nebensächlich! Er sieht sich langsam um, will krampfhaft irgendeinen Punkt fixieren. Er sieht alles, jede Bewegung, jede einzelne Kontur, doch er erkennt nichts, denn immer wieder scheint seine Umwelt zu zerfasern, als ob die Erde ihren Halt verloren hätte. Langsam schließt er seine Augen, um sich wenigstens der Geräuschkulisse dieser kalten unangenehmen Welt bewusst zu werden. Es ist laut, sehr laut, er erkennt jeden Ton wieder, doch es ist ihm unmöglich in der schnellen Abfolge irgendeine Logik zu entdecken.
Es scheinen auch Wortfetzen wie ein Nebel über der Szenerie zu hängen, doch er kann sie keiner, ihm bekannten, Sprache zuordnen. Ohne Hast öffnet er seine Augen und schließt sie, geblendet vom hellen Licht, das von der Decke brennt wie tausend kleine Sonnen, sogleich wieder. Plötzlich verschwindet eben dieses Licht und direkt vor ihm scheint wie aus dem Nichts eine andere Person aufzutauchen. Ob es wirklich eine Person ist? Er glaubt es nicht. Verwirrt und ängstlich hebt er seinen Blick, um sein Gegenüber zu mustern, doch vor ihm breitet sich nur ein wabernder Schleier aus.
Mitten aus diesem Prisma aus Farben und Gerüchen ertönt eine Stimme. Tief! Fordernd! Jetzt ist sein Einsatz, seine Chance, er hat sie erkannt, doch was er tut, er trinkt. Wieso er trinkt? Unwichtig! Was er trinkt? Nebensächlich. Plötzlich ertönt sie wieder, lauter und dröhnender diesmal und begleitet von aufkeimender Wut: „Herst gems ma endlich mei Bier und stöns des Scheiß Glasl weg, se sand ned zum saufn do." Ohne seinen Blick von seinem Gegenüber zu lösen, greift er unter die Theke und zieht, eine bereits geöffnete, Flasche Bier heraus. Mit letzter Kraft knallt er sie auf den mit Eisen beschlagenen Schanktisch und wie von selbst beginnt sich sein Mund zu bewegen: „Zwei Euro und siebzig Cent…Bitte“.
Das Einzige, was jetzt noch an den Gast erinnert, sind drei gleich große Münzen, die sich langsam auf dem eisernen Untergrund drehen. Er will nur noch seine Hand heben und die glänzenden Metallstücke in die an seiner Hüfte baumelnde Geldtasche werfen, doch stattdessen hebt er sein Glas und erkennt: Niemand will ihn kennen, niemand interessiert sich für ihn und er trinkt. Wieso er trinkt? Unwichtig! Was er trinkt? Nebensächlich …