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Archilles Traum
Es war eine Woche vor meinem Rückflug. Die Hitze des Tages war auch in den Abendstunden noch deutlich spürbar. Mit albernen Bermudashorts und Reggae-T-Shirt bekleidet war ich nicht unbedingt passend angezogen für den Anlass, der sich noch ereignen sollte. In Gedanken versunken spazierte ich Richtung Hotel zurück. Eigentlich wollte ich nie so einen Urlaub, Sonne, Strand, Baden etc... machen. Ich befolgte nur den Rat eines Freundes, mal richtig abzuspannen und ständig meiner verflossenen Liebe nachzutrauern. Mit dem nicht allzu empfehlenswerten Bier der Hotelbar sah ich mich bereits mir die Nacht um die Ohren schlagen. Doch die kleine Strandbar, die mir mit ihrer puffähnlichen roten Beleuchtung schon öfters aufgefallen war, weckte heute meine Neugierde. Viel mehr Menschen als sonst schienen gerade ihren Weg dahin zu finden.
So verließ ich den Strand und stand kurze Zeit später an einem der Tresen mit einem Glas Wein, das ich nicht bestellt hatte. Die Menge war bunt gemischt. Dorfjugendliche, alte Männer und Frauen, Familien mit Kindern und direkt vor mir eine schwangere Frau mit ihrem braungebrannten Begleiter, der ziemlich gelangweilt und gar nicht passend zu ihr schien. Ich wollte schon wieder leicht frustriert an zu Hause denken, als der kleine freie Raum inmitten der Bar Ablenkung bot. Ein knochiger alter Mann, ja eigentlich schon uralt, setzte sich mit einer, ziemlich ramponierten Gitarre auf einen Hocker. Das Gerede der Leute verstummte und die Stimme des Alten war deutlich zu vernehmen. Obwohl mein Portugiesisch eher mäßig ist,verstand auch ich jedes Wort, zumindest den Sinn.
Er möchte heute abend von Graf Antonio de Archille singen und dessen unerfüllbarem Traum.
Erst später erfuhr ich, dass der Alte einmal wöchentlich hier auftritt und die Attraktion des Dorfes ist. An diesem Abend war mir das egal, ich lauschte nur gespannt, was er zu berichten hätte. Mit fester Stimme und sicheren Griffen (er erinnerte mich irgendwie an John Lee Hooker ) begann er vom Grafen Archille zu erzählen.
Der Graf hatte einen Wunsch, er wollte die Begegnung mit seiner unerfüllten Liebe ungeschehen machen. Er hätte alles dafür bezahlt. Und, weiß Gott, er war so unermesslich reich, dass jeder sagte, der Graf könne sich alles leisten. Sein Reichtum aber war dem Grafen egal, er wollte sich nur seinen Wunsch erfüllen. So ging er in die Kirche und betete inbrünstig, dass es die Begegnung mit dieser Frau nie gegeben hätte. Traurig verließ Antonio de Archille die Kirche, vergeblich hatte er auf eine Antwort oder ein Zeichen gehofft, bis er merkte, dass die alte Frau, die neben ihm gesessen hatte, ihm nachging und zu ihm sprach.
Der alte Sänger machte eine Pause, wahrscheinlich um die Stimme zu ölen, da man ihm einen Becher Wein reichte. Ich war nur ungeduldig, weiterzuhören und wagte nicht, ein neues Glas Wein zu bestellen, um ja kein Wort zu verpassen.
Die alte Frau erklärte dem Grafen, so sang er weiter, Gott könne Geschehenes nicht rückgängig machen und alles habe seinen Sinn. Antonio aber wollte sich nicht damit zufrieden geben und
beauftragte seine besten Wissenschaftler, ihm eine Zeitmaschine zu bauen, die ihn vor die unliebsame Begegnung brächte. Sein ganzes Geld war durch die Gier seiner Forscher bald aufgebraucht, doch die Apparatur, die ihm seinen Wusch erfüllen sollte, blieb ihm versagt.
Abermals pausierte der alte Mann und ich leerte mein Glas, das man, von mir unbemerkt, befüllte, in einem Zug, als ob ich so den Alten beschleunigen könnte, weiter zu singen. Es schien mir wie eine Ewigkeit, bis der Reggaeblueser seine letzte Strophe sang.
Schon völlig verarmt hatte Archille doch immer nur den einen Wunsch, und auf den Rat eines Bettlers, sich dem Teufel anzuvertrauen, meinte er nur, wie er den bezahlen solle. "Verkauf ihm nur Deine Seele", riet der Bettler und Antonio machte sich auf, den Teufel um Hilfe zu bitten. "Gern nähme ich deine Seele, Graf Antonio de Archille, aber die hast Du ihr bereits gegeben. Und auch ich, Fürst der Finsternis, kann nicht zweimal kassieren. So kann dir niemand deinen Wunsch erfüllen."
Die Menge löste sich allmählich auf, ich weiß nicht mal mehr, ob man dem Alten applaudierte, so sehr war ich in Gedanken beim Grafen. Ich bezahlte mit einem viel zu großen Schein und die Blicke des Kellners ließen eher die Verachtung des arroganten Touristen als die Freude über das zu hohe Trinkgeld erkennen.
Erst später am Strand wurde mir bewusst, dass ich meine Schuhe am Tresen zurückließ und auch sonst nicht den allerseriösesten Eindruck hinterlassen hatte. Vom Wein schwer angeschlagen, wankte ich am Strand entlang, immer an den Wunsch des Grafen erinnert.
Um ein wenig nachzudenken, und die Müdigkeit tat ihr Übriges, ließ ich mich in den Sand nieder, bis Motorengeräusche mich wieder aufschreckten.
Ein übergroßer PKW, der fast so aussah wie eine Art Papstwagen, fuhr an mir vorüber und hielt direkt am Wasser. Der Chauffeur war auffallend hässlich und hatte zwei große Beulen unter seiner Mütze. Den offenen Motor konnte man sehen, doch sah dieser eher aus wie eine futuristische Maschine als ein herkömmlicher Otto-Motor. Langsam entstieg dem Wagen eine Person, fein gewandet mit einem Stock. Er streifte einen Ring vom Finger, warf diesen ins Wasser und ging einfach langsam hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war.
Ich wusste nicht mehr, ob ich wach war oder träumte. Das Auto schien weggefahren zu sein. Behutsam ging ich zu der Stelle, an der ich es stehen glaubte. Tatsächlich sah ich Reifenspuren und eine Chauffeursmütze. Ein stechender Schmerz durchdrang meine Zehen. Ich war auf etwas Spitzes, Hartes getreten. Ich bückte mich und hatte einen wertvoll aussehenden, mit einem roten Stein geschmückten Ring in der Hand. Mit einem kräftigen Wurf schleuderte ich den Ring ins Meer, um den Grafen seinem Wunsch näher zu bringen.
Wochen später, wieder in der Heimat, las ich in der Zeitung. Wohlhabender Adeliger auf Puerto del Gamas vermisst. Einziger Hinweis. Verlobungsring am Strand gefunden. Die örtliche Polizei bittet um Hinweise.
Ich werde keine Hinweise geben. Vielleicht hat sich der Graf seinen Wunsch doch erfüllt und sprechen wird der trügerische Ring hoffentlich nie lernen.