Assos
Ich bin Privat in Assos. Das ist an der ägäischen Küste der Türkei, und nur ein kleinkalibriges Geschoss weit von der griechischen Insel Lesbos entfernt. Man verzeihe mir diesen Scherz.
Ich verehre die Sonne, und liebe das Meer. Ich bin ein Salzwasserjunkie.
Assos liegt in der Nähe von Ayvacik. Einige wenige schmucke Hotels im antiken Stil, ein Laden, drei Clubs, und zwei Cafes, liegen unterhalb der Steilküste, an einem schmalen Küstenstreifen. Der Hafen ist winzig, und jeden Tag in der Frühe, kommt ein fettleibiger Fischer in Kapitänsuniform, schlendert lässig zu einem Platz auf dem Wellenbrecher der den Hafen beschützt, öffnet einen gewaltigen blauen Nivea - Sonnenschirm, einen Klappstuhl, einen Klapptisch, und frühstückt im Schatten seines Schirmes. Die Serpentinen hoch, an einem Amphitheater, und alten Königsgräbern vorbei, liegt das Dorf Berhamkale, wunderschön und glitzernd wie ein Brillant, das über Assos wacht. Neben der Moschee liegt eine Philosophieschule die Aristoteles gegründet hat, und man muss sich darüber im Klaren sein, das man den Spuren des Paulus folgt, wenn man von Dorffrau zu Dorffrau geht, auf der Suche nach den perfekten Olivenöl, oder einem Strauch Thymian.
Das Meer ist glasklar, und auf den im Meer umgekippten Säulen in Strandnähe haben sich Korallen gebildet, die von einer Heerschar bunter Fische bevölkert werden, überhaupt spürt man überall den Einfluss der Antike.
Ich übernachte dieses Mal im Saray, ein Hotel, das zwei Brüdern gehört, und wo im man sich im Foyer in Kissen legen und osmanischer Palastmusik lauschen kann, während man Wasserpfeife raucht.
Die Besitzer sind äußerst gesprächige Zwillinge aus Diyarbakir, der eine schielt, der andere stottert, und beide sehen dabei absolut undurchsichtig aus, sind aber Herzensgute Menschen, und sie träumen von einem späteren Leben in Paris.
Früh wurde ich heute wach. Ich habe es mir auf meinen Stammplatz, ein schmales Stück Felsen im Wasser, bequem gemacht. So kennen sie mich Hier, denn Hier bin ich der Mann am Platz; Der, der die Yachten begrüßt, wenn sie in den Hafen einfahren. Dann hebe ich die Hand, ganz sachte und schaue unter meiner Dschungel Guerillamütze hervor. Ich frage nach dem Heimathafen, ganz weltmännisch. Das mache ich immer so.
Später dann, Frühstück. Ich krame mein Weißbrot, das Olivenöl und Salz hervor. Ich habe noch 2 Aprikosen. Ich trinke Wasser aus der Plastikflasche. Rauche anschließend eine 2000 und lasse mich rücklings ins Meer fallen. Ich tauche zum Grund und bringe mir einen Seeigel an die Oberfläche. Ich betrachte verträumt ihre perfekte Form, esse Brot und genieße den Moment.
Es kann losgehen.
Ich liege in der Hängematte, und komme mir vor wie eine südamerikanische Schneefledermaus die dösend unter einem Palmenblatt hängt. Vor mir breitet sich der schroffe Strand von Berhamkale, das antike Assos aus.
Ich beobachte ein lesbisches Paar aus Süddeutschland, das sich auf dem wackeligem, ins Meer ragendem Holzsteg barbusig der Sonne hingibt.
Um die beiden Exoten herum hat sich eine Traube von Dorfjungs gebildet, die grinsend und sabbernd dem unfassbaren Schauspiel folgen, und Unmengen an schwarzen und weißen Sonnenblumenkernen verzehren.
Für einige von ihnen dürfte es das erste Mal sein, dass sie die Nippel einer Frau zu sehen bekommen, abgesehen von denen ihrer Mütter, woran sie sich aber zweifelsohne nicht mehr erinnern dürften.
Die Frauen bemerken erst spät was vor sich geht, und versuchen die Jungs mit hektischen Handbewegungen zu verscheuchen, vergeblich. Los, schleicht euch, rufen sie auf Deutsch. Die Jungs rühren sich nicht einen Meter von der Stelle, warum auch? Wann hat man hier so etwas schönes, so etwas wundervoll Pralles schon Mal gesehen? Die Frauen, beide haben kurze blonde Haare, Bikini Kill Buttons auf ihren Rucksäcken, und natürlich ein Tatoo an der Schulter. Sie kommen nicht auf den Gedanken, sich zu bedecken. Warum auch, denke ich verächtlich, recht so, sie sind ja nur in einem islamischen Land, und die sind bekannt dafür, in Sachen Nacktheit die progressivsten Nationen der Welt zu sein. Saudi Arabien ist die Mutter der Freien Körper Kultur, und Lilo Wanders gibt Autogramme in einem Nachtclub in Teheran, oder nicht? Na ja, jetzt nur nicht lakonisch werden, denke ich, sie wissen es nicht besser.
Die braungebrannten Jungs hauen sich gegenseitig auf die Schulter oder boxen sich in den Bauch, während sie mit weit aufgerissenen Augen, und völlig enthemmt auf die Brüste der Frauen glotzen und rufen: Schau dir diese Melonen an. Die sind größer als die auf unseren Feldern.
Aber nicht größer als die Kürbisse vom alten Osman.
Allah, schaut euch die Melonen an.
Bestimmt saftiger und süßer, so wie Feigen. Ooooch!
Schmecken die wie Feigen? Ich glaube ja eher wie die getrockneten Aprikosen von Tante Hülya. Man, ich hol gleich meinen Schwanz raus.
Ich schreite ein, und vertreibe die Jungs. Tut mir Leid, sage ich, die sehen so etwas nicht oft, und frage mich auf der Stelle, wieso ich mich eigentlich für die jungen Flegel entschuldige. An ihrer Stelle, hätte ich vermutlich genauso geglotzt, da bin ich sicher wie sonst nur was.
Jetzt wo ich vor den beiden Frauen stehe, bedecken sie sich, na danke auch.
Sagt die eine: Was ist das hier eigentlich für ein unzivilisiertes Land? Sagt die andere: Komm lass uns weg hier, rüber nach Griechenland. Da wird man wenigstens nicht belästigt. Sagt die andere: Brauchst mich nicht zu überreden, Barbara.
Sie stehen auf, packen ihre Badetücher ein, und beachten mich keines Blickes mehr. Barbara und ihre Freundin verschwinden.
Fein, denke ich, soll mir recht sein, und lege mich wieder in die Hängematte, und führe weiter das Leben der faulen Fledermaus unter dem Palmenblatt.
Später am Abend fahre ich mit einem der Fischer des Ortes raus aufs Meer.
Sein Name ist Mustafa, wir haben uns bereits am ersten Tag meines Aufenthaltes angefreundet, und sein blaues Fischerboot heißt Mercan. Wie eine frühere Freundin von mir, ist es gleichermaßen wie sie, eine vornehme Schönheit.
Manchmal kochen wir zusammen, das heißt Mustafa kocht und fragt mich währenddessen aus über das Leben in Deutschland. Ich erzähle. Gelegentlich frage ich ihn auch, wie es so ist in dieser Gegend als Fischer sein Brot zu verdienen.
Zwischen dem Meer, den archäologischen Hinterlassenschaften von Paulus, der Religion Mohammeds und den bedeutsamen Worten Aristoteles, den amerikanischen Kampfjets samt ihrer Kondensstreifen am blauen Himmel, und den zum Glück noch spärlichen, doch überwiegend einheimischen Touristen. Mustafa redet nicht viel, und man muss ihm die Worte regelrecht aus der Nase ziehen.
Komm doch mal mit, wenn ich raus fahre, hat er gesagt, aber rede bitte nicht so viel, bei der Arbeit muss ich mich konzentrieren, außerdem vertreibt das Gerede die Fische.
Wir sind also draußen auf dem Meer, und ich habe den Eindruck, dass das gegenüber liegende Ufer der griechischen Insel Lesbos mühelos schwimmend zu erreichen wäre, so nah scheinen die flackernden Lichter ihrer Küste.
Ich bilde mir ein, dass ich ein ganz passabler Schwimmer bin. Aber so etwas täuscht ja auch bekanntlich, und das Meer ist so dunkel und tief.
Es ist still, das Wasser ruhig, spiegelglatte Bühne für den strahlenden Vollmond. Die Sterne sehen aus, als würden sie jeden Moment wie Goldstaub auf uns hernieder rieseln.
Wir hören plötzlich Motorengeräusch, und etwa dreißig Meter von uns entfernt, sehen wir ein griechisches Fischerboot treiben. Wir können den Fischer gut erkennen. Er trägt einen langen Bart, der ihm bis zur Brust reicht, humpelt ein wenig, und trägt ein Backstreet Boys T-Shirt. Türke, ruft er, ey Türke. Dann reißt er sich die Hose bis zu den Knien runter, und zeigt uns sein bleichen, im Lichte unseres Scheinwerfers wie ein Stern in die mediterrane Nacht hinaus strahlenden Hintern.
Die beiden Fischer tauschen Freundlichkeiten über ihre Frauen und Familien aus, und recken sich gegenseitig ihre behaarten Ärsche entgegen. Dann trennen sich wieder unsere Wege. Mustafa sieht meinen fragenden Blick, und sagt nur: Ach die blöden Griechen, frag nicht. Mann hat immer nur Ärger mit ihnen. Sie sind wie unsere kleinen Brüder. Manchmal muss man ihnen ein paar auf die Finger geben. Ach, frag nicht, sagt er und holt das Netz ein. Mann oh Mann, denke ich.
In der nächsten Nacht kann ich nicht schlafen. Es ist gegen Vier Uhr früh, der Ort liegt tief im Schlaf, und die hiesigen Katzen träumen unruhig von feisten Mäusen, als ich den Strand entlang laufe.
Wie ich da so am Strand hergehe, und sich die klare Nachtluft wie eine warme Decke auf mein ohnehin zufriedenes Gemüt legt, sage ich mir, dass mir diese Welt, in der sich die Menschen nur als Spiegelbild in den Erwartungen und Einschätzungen anderer Menschen wieder finden, in der sie sich arm fühlen, wenn sie nicht am Konsum der Gesellschaft teilnehmen können, sich über das was sie besitzen selbst definieren, Arbeit als oberstes Primat des Daseins gilt, und Wachstum der einzige globalisierte Glaube ist, gründlich gegen den Strich geht, und meinem Empfinden überhaupt nicht entspricht. Hölle ist, was wir nicht haben, wer hatte das gesagt? Wir laufen alle nur einem Trugbild hinter her, denke ich, wie Windhunde die auf der Rennbahn einem falschen Hasen hinter her hetzten. Das sind wir; räudige Hunde, nichts weiter, die auf etwas warten, ohne einen Schimmer, worauf eigentlich. Worauf, verdammt, worauf eigentlich? Das alles besser wird?
Dabei gibt es natürlich nichts, was mehr Wert besitzt, als die Sonne zu spüren, verliebt zu sein, mit seinen Freunden über Kunst zu streiten, dabei den Tag am Meer verstreichen zu lassen, ein gepflegten Drink einzunehmen, gelegentlich eine Tüte zu rauchen, und anschließend geilen Sex zu haben. Wer das nicht versteht, dem ist nicht zu helfen, denke ich.
Dem Glauben an den Konsum, stelle ich meinen Glauben an die Zärtlichkeit entgegen, dem Primat der Arbeit, schleudere ich das Primat der Ritterlichkeit entgegen, Besitz kontere ich mit Edelmut.
Anstatt als anonymes Teil im Verwertungsprozess menschlicher Arbeitskraft vaporisiert zu werden, sei empfohlen, sich der Herzen der Löwen anzueignen.
Ja, in das sollten wir uns verwandeln: Löwenherzen, die sanftmütig am Strand liegen. Wir sollten den Gral suchen, anstatt an falsche Reliquien zu glauben.
Ich schüttele den Kopf, und gehe weiter meines Weges. Ich könnte diese Nacht umarmen.
Nach einer Weile höre ich ein zweistimmiges Lachen, schleiche mich an eine Feuerstelle in der Nachbarbucht heran, und verstecke mich hinter einem Felsen. Ich kann sehen dass zwei Fischerboote am Strand festgemacht haben. Das eine ist das Boot von meinem Kumpel Mustafa, Mercan, das andere gehört zweifellos dem Griechen mit dem blanken Hintern. Sie scheinen bemüht leise zu sein, aber immer wieder höre ich wie die beiden laut losprusten, und sich gegenseitig volltrunken ermahnen still zu sein, um wieder loszulachen, und sich auf die Schenkel klopfen. Ich lasse sie allein, jeder muss sein Geheimnis haben, sage ich mir, und mache mir keine Illusionen; vermutlich lachen sie über mich. Oder Leute wie mich.
Ich schleiche wieder zurück, und ohne den schnarchenden, und auf die Seiten des Gästebuches sabbernden Portier zu wecken, begebe ich mich wieder auf mein Zimmer. Es ist schön alleine zu verreisen, denke ich. Man sieht so viel mehr, die Augen weit offen, die Sinne geschärft und ohne Ablenkung von den wesentlichen Dingen.
Ich kann immer noch nicht schlafen, und mich beschleichen hier im zauberhaften Assos, wo selbst die Gandarmen ihre Mützen lässig in den Nacken schieben, an Weizenhalmen kauen, mit ihren Vorgesetzten lachend Eis essen und dabei den winzigen Hafen bewachen, merkwürdige Gedanken. Bei dem Gedanken, dass ich bald wieder nach Deutschland zurück muss, wird mir speiübel.
Manchmal wäre ich gern ein Killer. So wie eine Figur in einem Tarantino Film. Ich würde kostspielige, schwarze Anzüge tragen, italienische Schuhe, und eine verspiegelte Sonnenbrille. Ich wäre ein charaktervoller Mörder, und würde nur die Bösen töten, Indianer Ehrenwort!
Ich frage mich erneut: Wieso habe ich so komische, gewalttätige Gedanken heute Nacht? Ach ja, Deutschland raubt mir den Schlaf. Der Gedanke bald wieder zurück zu müssen, trifft mich wie ein Schlag mit einem Eispickel.
Dann schlafe ich mit den ersten Sonnenstrahlen, eingewickelt in gut riechender, gestärkter Bettwäsche ein.
Am nächsten Tag klingelt mein Handy und weckt mich aus meinem Hängemattenschlummer. Die Grillen zirpen, eine Schildkröte läuft unter meiner Hängematte her.
In der Luft liegt ein Duft von gebratenem Fisch, der sich mit dem süßen Geruch geplatzter Feigen zu messen scheint, Lesbos schickt mir eine angenehme Briese rüber, und am Telefon meldet sich eine Stimme mit:
Jahaa, Regert hier, Arbeitsamt Bielefeld, habe ich Herrn
Gazi am Apparat?
Gazi am Zauberrohr, korrekt.
Herr Gazi, ich möchte mit ihnen ein Perspektivgespräch führen.
Wie schön, Herr Regert.
Schön nicht? Morgen Vierzehn Uhr geht doch in Ordnung?
Ich bin krank, Herr Regert, bin zwei Wochen krank geschrieben (es ist immer gut, einen verständnisvollen Arzt zu kennen). Der Rücken Herr Regert, der Rücken.
Wo befinden sie sich gerade, Herr Gazi?
Ich sitze vor dem Fernseher, und sehe mir eine Sendung über die Strände der Türkei an, herrlich Herr Regert, waren sie schon mal dort? Kann ich nur empfehlen.
Wie sieht es denn aus mit ihren Bemühungen in Arbeit zu kommen?
Gut, in drei Wochen habe ich drei Vorstellungsgespräche (drei Freunde mit Firmen, die mich partout nicht einstellen wollen).
Nun gut, Herr Gazi, ich schicke ihnen eine Einladung zu einem Gespräch in einem Monat. Dann sehen wir weiter. Aufwidersehen!
Ahoi, Herr Regert, und Aloha.
Ich lege auf, und nehme einen Schluck von meinem eisgekühlten Raki. Schön ist es auf der Welt zu sein, das Jenseits kann mir gestohlen bleiben.
Aber wieso habe ich immer diese Gedanken, diese seltsamen, gewalttätigen Gedanken…ach ja…
Ein zersaustes Maultier schreit seine Paarungsbereitschaft in den Tag, und sein Gebrüll prallt mehrmals, wie ein flacher Stein, auf das Meer, versinkt in ihm, und kommt bei mir am Meeresgrund, über hellenischen Ruinen hinweg tauchend, an.
Ich habe eine Harpune in der Hand, und ich halte sie in allenfalls zehn Zentimeter Entfernung auf einen selten hässlichen Felsenfisch. Ich kann ihn gar nicht verfehlen. Ich schieße, aber er entwischt mir. Ich, die Krone der Evolution, bin nicht in der Lage den vermutlich trägsten Fisch der Ägäis aus zehn Zentimeter Entfernung zu erlegen, Bravo mir, ich tauche auf.
Mustafa steht an der Kaimauer, angelt, ruft nach mir, und winkt mit beiden Armen. Ich schwimme zu ihm hinüber, und mir gefällt der Salzgeschmack im Mund. Mustafa bittet mich nach dem Angelhaken zu tauchen, irgendwie hätte es sich am Meeresgrund verfangen. Als ich ihn frage, wieso er nicht selbst nach dem Angelhaken taucht, antwortet er, er könne nicht schwimmen, und außerdem hätte ich ja eine Harpune.
Ich tauche die Angelschnur entlang, an alten Ruinen, und Korallen vorbei, als es unter mir schlagartig tiefer wird, und sich das Smaragdgrüne, relativ warme Wasser, in eine warnende, kalte, schwarze Wand verwandelt. Mir ist nicht wohl, und ich tauche auf, auch weil ich keine Luft mehr habe. Egal. Ich nehme wieder tief Luft und tauche, da fällt mir der Satz von Mustafa ein. Außerdem hast du eine Harpune. Hm? Egal. Ich tauche an der Angelschnur entlang und ziehe an ihr, als ich einen Felsen entdecke, an dem sich der Haken offensichtlich verhakt hat. Ich bin auf etwa Sieben Meter, und tiefer kann ich nicht frei tauchen, das weiß ich.
Da bewegt sich etwas am Felsen, und ich ziehe an der Schnur. Wieder bewegt sich etwas.
Jetzt sehe ich, dass sich dort ein bräunliches Geschöpf, - vermutlich irgendein, inzwischen ziemlich verstimmter Felsenhai (hier gibt es doch Haie, oder?) - an den Fels geklammert hat. Dass er die Kraft hat, dem Ziehen von Mustafa und mir gegen zu halten, beruhigt mich nicht gerade. Ich blicke hinaus ins offene Meer, welches sich mir dunkel, und abweisend präsentiert. Hier bin ich nur geduldet, allenfalls ein Gast auf Zeit, ausgeliefert den Launen der Meeresbewohner, ausgeliefert auf Gedeih und Verderb, denke ich. Dankeschön und Aufwidersehen, ihr Kreaturen und Monster, Ungeheuer, und Dämonen. Ich tauche auf, und schwimme an den Strand.
Lass es, sage ich zu Mustafa, während ich mir das Meer aus dem Gesicht wische, und schneid die Schnur ab.
Da unten ist ein Kollege, vielleicht ein Haifisch, der sieht ganz schön groß aus, und wehrt sich seiner Haut. Lass ihn am Leben.
Mustafa sieht mich verständnislos an und ich merke, dass ich mich in diesem Moment lächerlich gemacht habe. Das Maultier kreischt immer noch, und immer mehr, und ich denke, ich sollte da im Gatter stehen und kreischen, ob meiner Blödheit einen Fischer zu bitten, einen Fisch am Leben zu lassen, bloß weil der sich seiner Haut wehrt.
Während der Mittagszeit mach ich es wie alle. Ich verziehe mich in die kühlste Ecke meines Apartments, esse Obst, und sehe ein wenig fern, tonlos. Sie zeigen etwas über die verheerenden Anschläge auf jüdische Synagogen in Istanbul. Die beiden größten Synagogen wurden in die Luft gesprengt, und ich muss darüber nachdenken, dass meine Wohnung unmittelbar neben der drittgrößten Synagoge in Istanbul liegt. Mich macht das fertig. Familie, Nachbarn, Freunde, nicht auszudenken.
Manchmal wäre ich gern ein Killer, das sagte ich ja bereits. Ich hätte einen schwarzen Ninjaanzug an, und würde nur mit einem Messer bewaffnet und einem Nachtsichtgerät, über die Berge in der pakistanisch afghanischen Grenzregion huschen, mich in das Zelt von Bin Laden schleichen, und ihn zu einer Privataudienz bitten.
Usama, Usama, was machst du bloß für eine große Scheiße, würde ich sagen. Er würde mich aus seinen sanften Rehäuglein heraus ansehen. Mach deinen Frieden, du ödest mich an, würde ich leise zischen.
Ich würde ihm mit dem Messer die Halsschlagader öffnen, und so lautlos verschwinden, wie ich gekommen war. Flitz, husch, Fledermaus mäßig.
Es ist Zeit, im Cafe am Hafen einen Tee zu trinken, und die törichten Gedanken zu vertreiben, indem ich auf das Meer sehe. Ich sitze neben einem Tisch, der von einer türkischen Familie bevölkert wird. Ein Mann geht vor uns her, und spuckt auf den Boden. Zwei alte Damen an dem Tisch echauffieren sich darüber.
Sieh dir das an, sagt die eine. Unser Volk, du weißt schon, wir haben keine Kultur. Alles Bauern.
Ja, sagt die andere, alles Bauern.
Die Deutschen, ja die, die sind da ganz anders. Die Frau macht eine Faust. Genauso sind die. Ein Volk wie Stahl.
Ja, ein Volk wie Stahl, sagt die andere, und verzieht anerkennen die Mundwinkel.
In Deutschland wäre der Kerl längst im Knast.
Jaaa?
Jaaaaa, da kannst du vom Boden essen, so ist das da.
Wirklich?
Wenn ich es dir doch sage. Sie macht wieder eine Faust, und sagt, so sind sie, die Deutschen, wie Stahl.
Kinder habt ihr gehört, in Deutschland kann man vom Boden essen, so sauber ist das da.
Der ganze Tisch verzieht anerkennend die Mundwinkel. Bloß ein Mann in mittleren Jahren sagt: Lass sie doch ihre Schweinescheiße vom Boden essen. Scheiße sollen sie essen! Er spuckt verächtlich auf den Boden. Die beiden älteren Damen ermahnen ihn. Osmaaan!
Osman lächelt mich zufrieden an, und ich lache zurück, ich kann nicht anders. Großes Theater.
Es wird Zeit für einen Spaziergang, und ich mache mich auf, nachdem ich einige Millionen auf dem Tisch zurück lasse.
Ich entdecke Mustafa, der sich die Hosen hochgekrempelt hat, und bis zu den Knöcheln im Wasser neben einem Felsen steht. Auf dem Felsen ruht ein Plastikeimer. In der Hand hält er einen kleinen braunen Tintenfisch, den er abwechselnd immer wieder gegen den Felsen schlägt, und ins Wasser taucht. Mustafa erklärt mir, dass man einen Tintenfisch auf diese Weise von einem giftigen Sekret säubert. Ich schaue ihm zu und wundere mich wie zäh doch so ein Tintenfisch sein kann. Immer wieder schlägt ihn Mustafa gegen den Fels, und sieht dabei sehr angestrengt aus, aber der Tintenfisch zerplatzt nicht in mehrere Teile, wie man annehmen könnte.
Dein Monster, keuch, war übrigens dieser, keuch, niedliche Tintenfisch. Aber mach dir nichts daraus, keuch, unter Wasser, keuch, sieht alles immer viel größer aus, als es tatsächlich, keuch, ist. Wollen wir ihn, ächz, heute Abend essen? Im, keuch, Salat? Das, keuch, wird lecker! Mustafa reibt sich seinen kleinen Bauch.
Klar Mustafa, sage ich und klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter. Bis später, Mustafa, sage ich und mache mich auf den Weg.
Ich lege mich wieder in meine Hängematte, schlummere einer südamerikanischen Fledermaus gleich in der Gegend herum, im Hintergrund zirpen die Grillen ein Hardcore Konzert, und ich kann Mercan, Mustafas Boot, sehen.