Auf Achse
Irgendwo im Dunkeln, jetzt
Naja, eigentlich war meine Lage gar nicht mal so übel. Ich meine, es hätte mir natürlich auch besser gehen können, aber abgesehen von der Tatsache, daß mein bester Kumpel vermutlich gerade von einem verrückten Tennislehrer geköpft wurde, die Spinne in meinem linken Hosenbein langsam aber sicher gefährliches Terrain erreichte, ich mit der Nase in Hundescheiße lag und in der Dunkelheit nichts sehen konnte, war eigentlich alles in Ordnung. Daß Uschi weg war, war eigentlich nicht wirklich schlimm. Ich meine, das war eh eine Sache zwischen ihr und Kurt. Ein wenig deprimierender war da schon, daß sie die Kohle mitgenommen hatte. Aber abgesehen davon ging es mir echt ziemlich gut.
...
Der Stadtpark, gestern
Es ist nicht so, daß wir nichts besseres zu tun gehabt hätten, aber statt uns darüber Sorgen zu machen, warum wir an einem Wochentag wirklich nichts besseres zu tun hatten, lagen Kurt und ich lieber im Park und ließen uns die Sonne auf die Bäuche brennen.
"... und das, mein bester Freund von allen, ist der Grund, aus dem man niemals mit einem Waschbären pokern sollte", sagte Kurt gerade, als ich diesen Kerl am Rande der Wiese auftauchen sah. Er stand einfach nur da in seinem zur Jahreszeit vollkommen unpassendem schwarzen Anzug und beobachtete die Sonnenbadenden. Als er uns zwei bemerkte, rückte er seine schwarze Sonnenbrille zurecht, zupfte seine Krawatte gerade und kam schnurstracks auf uns zu - ohne die anderen Leuten auch nur eines Blickes zu würdigen. Da waren das knutschende Pärchen auf der Wolldecke, der Rentner, der auf einer Parkbank sitzend Tauben fütterte, die drei Mädchen in ihren knappen Bikinis und der picklige Student, dessen Rottweiler sich gerade direkt neben der Wolldecke des Pärchens erleichterte.
"Kennt ihr zwei diesen Kerl?", fragte der Mann im schwarzen Anzug und zeigte uns ein Foto, auf dem jemand gerade dabei war sich mit Genuß einen Fisch in den Mund zu stecken.
"Nein", sagte Kurt und ich schüttelte den Kopf.
"Dann seid ihr genau die Richtigen für diesen Job. Kommt mal mit zum Parkplatz."
"Warum, mein schwarzgewandeter Freund, sollten wir das tun?" Eins mußte man Kurt lassen: er mochte der faulste Sack auf diesem Planeten sein, aber er besaß eine gewisse Eloquenz.
"Ich könnte entweder in meine rechte Jackentasche greifen, oder in meine linke. Nur in einer von beiden habe ich Geld."
"Ich nehme nicht an", sagte Kurt, "daß sich in der anderen Tasche Diamanten befinden, oder?"
"Richtig geraten. Ich möchte ungerne in der Öffentlichkeit ein Blutbad anrichten, aber trotzdem solltet ihr besser mitkommen." Mit diesen Worten ließ er verstohlen den Griff einer Pistole aus seiner Tasche aufblitzen. Widerwillig erhoben Kurt und ich uns und folgten dem Mann in Schwarz auf den Parkplatz neben der Wiese. Er führt uns direkt auf einen feuerroten Wagen zu, der... nein, eigentlich war das nicht bloß ein Wagen. Dieser 1970er Pontiac Firebird war mehr als das. Das war eine Legende auf vier Rädern.
"Also, ich möchte, daß ihr einen kleinen Job für mich erledigt. Dieser Wagen hier..." Er klopfte mit der flachen Hand zärtlich auf die Motorhaube und wischte ein wenig Taubendreck weg. "... gehört einem Freund von mir. Morgen früh muß er in seiner Garage stehen, sonst haben wir ein Problem."
"Wir?", fragte Kurt.
"Ja, wir. Denn jetzt, wo ihr von meinem Freund wißt, steckt ihr mit drin. Hier ist der Schlüssel. Im Handschuhfach liegen eine Wegbeschreibung und ein paar Käsebrote für Unterwegs. Morgen früh Punkt zehn Uhr." Der Mann verließ den Parkplatz, doch dann drehte er sich noch einmal zu uns um. "Hier ist eure Anzahlung. Mein Freund wird euch morgen noch so einen Umschlag geben. Ach ja... es ist euch sicher klar, daß ihr niemandem gegenüber ein Wort über die Sache verliert, oder? Mein Freund legt großen Wert auf seine Anonymität."
...
Wenn man, aus welchem Grund auch immer, die Gelegenheit bekommt, in solch einem Wagen durch die Stadt zu brausen, gibt es nur eines, um diese Situation angemessen zu würdigen: Deep Purples Speed King. Den Lautstärkeregler auf das Maximum stellen und Ian Gillan und seine Freunde dazu einladen, die Boxen mit purem Schalldruck zu zerschmettern. Dummerweise hatte das Autoradio kein Kassettendeck und die lokalen Radiosender schwammen auf einer Welle des Kommerz. Und so hielten wir zu den ebenfalls - wenn auch aus anderen Gründen - hypnotischen Klängen von irgendeinem Fräuleinwunder der Musik vor Kurts Mietshaus.
"Ich muß meiner Uschi ja wenigstens noch kurz tschüß sagen", meinte er. Uschi war so etwas wie seine Frau. Okay, sie hatten keinen Trauschein und manchmal kam es vor, daß sie sich mehrere Monate lang am Stück nicht sahen, weil einer von ihnen gerade nicht in der gemeinsamen Wohnung wohnte, aber irgendwie waren sie doch ein glückliches Paar. Kurt liebte Uschi, weil sie eine intelligente, warmherzige und wunderschöne Frau war und sie liebte Kurt weil... nun, sie liebte Kurt.
"Hallo, mein Schatz, da bist du ja", sagte sie strahlend und gab Kurt einen zärtlichen Schmatzer auf die Stirn. "Und du hast Walther mitgebracht. Grüß dich." Ich grüßte zurück. Aus der Küche roch es verführerisch nach Hackbraten und da ich wußte, was für eine ausgezeichnete Köchin Kurts Freundin war, grummelte mein Magen irgendwas von setz dich einfach mit an den Tisch und hau rein - vielleicht merken sie es gar nicht.
"Willst du nicht mitessen, Walther? Dann schäl ich noch schnell ein paar Kartoffeln. Ist kein Problem. Erinnert mich nur daran, ein wenig mehr Salz ins Wasser zu tun."
"Das ist wahnsinnig nett und zuvorkommend von dir, oh du Perle meines Ozeans", sagte Kurt. "Aber eigentlich müssen wir gleich wieder weg und dem Ruf der Landstraße folgen."
"Hat euch schon wieder irgendein Anhalter Geld gegeben, damit ihr ihn kurz in die Nachbarstadt fahrt?", fragte Uschi und rieb ein wenig Bratensaft von ihren Händen in die Schürze.
"Kommst du jetzt schon wieder mit diesem doch eigentlich längst vergessenen Intermezzo mit dem Bankräuber? Wie hätten der Walther und ich das denn erkennen sollen?"
"Er hatte eine Strumpfmaske über dem Kopf."
"Es war immerhin Winter, meine Teuerste", sagte Kurt ein wenig hilflos und erntete ein mildes Lächeln. Eins der Sorte, die Frauen einem Mann immer schenken, wenn sie sich ihm hoffnungslos überlegen fühlen, diesem Häufchen Elend aber trotzdem oder gerade deshalb nicht böse sein können.
"Wenn es nach dir ginge, wäre das die Ausrede für alles, Kurt... Was ist jetzt, wollt ihr was essen?"
...
Wenig später saßen wir zu dritt um den schönen Wohnzimmertisch herum und ließen es uns schmecken. Uschis Hackbraten war wirklich der beste auf der ganzen Welt, würde ich sagen. Irgendwann, so beschloß ich, würde ich sie mal nach dem Rezept fragen müssen.
Eigentlich war sie gar keine Köchin. Und eine Hausfrau schon gar nicht. Schon im zarten Alter von neun Jahren hatte sie ihre ersten Differentialgleichungen aufgestellt und nur wenige Jahre später auch gelöst. Ihre Eltern hatten die übermäßige Intelligenz ihrer Tochter bemerkt, als diese die Steuerklärung ihres Vaters innerhalb von nur zwei Stunden machte und dabei ein neues Steuerschlupfloch erfand, um ganz legal ein wenig Geld abzuzwacken. Damals war Uschi sieben. Es folgte eine kurze Schulaufbahn, an deren Ende schließlich ein erfolgreiches Studium gestanden hatte. Tatsächlich besaß Uschi jetzt nicht nur einen Doktortitel in Astrophysik und einen zweiten in Agrarwissenschaften, sondern hatte zudem ein paar interessante Computerprogramme geschrieben, die sich im Wesentlichen mit der Analyse von Musik und diesen kleinen Schrauben befaßten, die bei Ikea-Möbeln immer übrig bleiben.
Im Moment arbeitete sie in Heimarbeit an einer Dissertation über die Wahrscheinlichkeit intelligenten Lebens im All und hatte berechtigte Beweise gesammelt, daß es im Sternennebel Orion 4 - das ist gleich links hinter dem großen Bären - mindestens einen bewohnten Planeten geben müßte. Dessen Bewohner waren ihren Berechnungen zufolge nicht nur menschenähnlich, sondern hielten zudem auch domestizierte Schafe.
"Reichst du mir mal das Salz, mein bester Freund von allen?" Ich reichte Kurt das Salz.
"Wenn ihr gleich wieder wegfahrt, nehmt ihr mich dann mit?", fragte Uschi.
"Aber mein Honigtäubchen... das ist eine sehr gefahrenvolle und strapaziöse Fahrt, die wir da vor uns haben und..."
"Nenn mich nicht Honigtäubchen! Du weißt, daß du damit den Sexismus unterstützt. Und warum kann ich nicht mitkommen? Hältst du mich etwa für nicht belastbar?"
"Nein, mein Augenstern, natürlich nicht. Aber ich möchte halt nicht, daß dir etwas zustößt, verstehst du?" Ich konnte sehen, wie sich erste Schweißtropfen auf Kurts Stirn bildeten.
"Wenn die Sache so gefährlich ist, dann sollte ich dich am Besten gar nicht fahren lassen. Ich würde vor Sorge um dich umkommen."
"Aber... es ist... ich meine, nicht direkt gefährlich... eher... Walther, sag doch auch mal was!" Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
"Ach, ich verstehe. Es ist also eine reine Männersache. Eine von denen, bei denen eine Frau nichts zu suchen hat, richtig?"
"Äh... ja, richtig..."
"Na gut, dann fahrt halt. Aber nehmt keine Anhalter mit. Und noch einen Rat gebe ich euch mit auf den Weg: Wenn ihr einen Pinguin seht, dann wechselt auf jeden Fall die Straßenseite."
Obwohl Kurt und ich keine Ahnung hatten, was sie damit meinte, fragten wir lieber nicht nach, sondern verdrückten uns lieber schleunigst, bevor sie ihre Meinung wieder ändern konnte. Hätten wir gestern Mittag geahnt, daß sie uns in ihrer klapprigen Ente - sie hatte diesen Wagen seid ihrer Studentenzeit - folgen würde, wären wir sicher niemals aufgebrochen.
"Brechen wir auf?", fragte Kurt, nachdem er hinter dem Steuer des Firebird Platz genommen hatte. Ich nickte verschwörerisch.
"Also gut, brechen wir auf." Er trat aufs Gaspedal, der Motor brüllte laut auf und wir machten uns auf den Weg. Wir bemerkten weder das Klopfen aus unserem Kofferraum, noch den Wagen, der uns folgte. Auch die Tatsache, daß auf einmal sämtliche Stopschilder und Ampeln am Straßenrand abgebaut zu sein schienen, fiel uns nicht weiter auf. Irgendein Radiosender hatte sich nämlich endlich erbarmt und spielte Speed King.