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Auf der Piste

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02.02.2005
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Auf der Piste

Die Sirene hallte im kalten Innenhof des Krankenhauses in Graubünden wider. Rasch hoben Rettungskräfte die Trage aus dem Notarztwagen und übergaben sie den Sanitätern.
„Platz! Weg da! Das ist ein Notfall!“, rief einer von ihnen im unnachahmlichen schwyzer-deutschen Akzent.
Bei jedem Schritt tat mir der Brustkorb weh, als würde ihn jemand mit einem Hammer bearbeiten.
„Vorsicht!“, erklang noch einmal die Stimme eines Krankenpflegers.
Neonlicht. Bullige Hitze im Notfallflur. Aufgeregtes Flüstern der Gaffer und Krankenschwestern.
‚Lasst mich in Ruhe!’, hätte ich am liebsten schreien wollen. Doch mir fehlte die Kraft dazu.
Ich war müde. Jedes Atemholen, jeder Herzschlag eine Anstrengung.
Die Trage nahm eine brüske Richtungsänderung vor.
„Aufpassen! Aus dem Weg!“ Wieder diese lauten Befehle.
Endlich wurde ich vorsichtig abgesetzt.

Ein Gesicht, dessen Stirn nur aus nachdenklichen Runzeln zu bestehen schien, beugte sich über mich. Eine Hand kraulte den fein gestutzten Salz-und-Pfeffer-Bart und eine sonore Stimme, die ich schon vorher gehört hatte, erklärte:
„Alles wird gut abgehen. Nur mit der Ruhe.“
Mit diesen Worten zog er eine Spritze auf und rammte sie in meine Armbeuge. Ich zuckte merklich zusammen.
„Gleich wird es Ihnen besser gehen.“
Dann versank ich in eine tiefe Stille, und die Wirklichkeit entfernte sich auf angenehme Weise von meinem schmerzerfüllten Körper.

Es war ein grau verhangener Morgen heute. Nebel. Leichter Schneefall.
Schon bevor die Ski-Pisten öffneten war ich den Berghang hinauf gestapft.
Ich hatte schon immer Angst gehabt, in Sesselliften zu fahren. Allein der Gedanke, dass eines der dicken Kabel reißen könnte, das all die sorglosen Urlauber schwebend in der Höhe hielt.
Nur ein winziger Riss...
Was konnte man tun?
Ski-Stöcke wegwerfen, Ski abstreifen, damit man sich nicht noch unnötig verletzen konnte und sich im schlimmsten Fall noch das Rückgrat brechen würde.

„Herr Siegmaier, Herr Siegmaier!“
Mühsam öffnete ich die Augen und wurde sofort von den Neonlichtern geblendet.
Blinzelnd schaute ich in ein fremdes Gesicht.
„Herr Siegmaier? Verstehen Sie mich?“ Wieder diese laute, aber freundliche Stimme.
Langsam schloss und öffnete ich wieder meine Augen, um zu signalisieren, dass ich ihn verstand.
„Ich bin Kommissar Zäpfli.“
Erstaunt zog ich eine Augenbraue nach oben.
„Sie wundern sich wohl, weshalb ich Sie aufsuche. Aber wir müssen von der Annahme ausgehen, dass der Liftunfall heute in den Morgenstunden ein Anschlag war.“

Da war es wieder, das Zischen.
Mit einem Ruck sackte der Sessel ab. Ich warf die Stöcke weg, streifte die Skier in rasender Geschwindigkeit ab. Jetzt nur keine Zeit verlieren. Ich nahm allen Mut zusammen, stieß mich ab und landete im Schnee.
Benommen registrierte ich, dass mein Brustkorb wie wild schmerzte und ich wurde ohnmächtig.

„Herr Siegmaier?“ Eine raue Hand tätschelte meine Wangen. „Aufwachen!“
Benommen blinzelte ich und sah immer noch den freundlichen Mittfünfziger, der sich über mich beugte.
„Kein Unfall?“, presste ich hervor.
„Nein, wir gehen von einem Anschlag aus. Die Züricher Zeitung sowie die Basler Nachrichten haben Drohbriefe erhalten. Darin kündigten sie an, Attentate in den Schweizer Skiorten zu verüben, wenn die Schweiz nicht innerhalb von 72 Stunden ihr UN-Mandat im südlichen Kongo aufgibt und alle ihre dort stationierten Truppen zurück in die Schweiz verlegt. Nichts von dem wurde veröffentlicht. Die Zeitungen haben die Schreiben der Polizei übergeben.“
Ich hatte verstanden und nickte mühsam mit dem Kopf, jede unnötige Bewegung vermeidend.
„Sie hatten Glück gehabt. Haben im richtigen Moment das Richtige getan. So ist Ihr Sturz in den Schnee weich gewesen.“
Ich schlug die Augen nieder. Was sollte ich auch dazu sagen?
„Sie müssen verstehen“, unterbrach der Kommissar die Stille. Er schaute jetzt aus dem Fenster in die verschneite Winterlandschaft. „In so einem Verdachtsfall müssen wir allen Spuren nachgehen, selbst wenn es die Opfer betrifft.“
Wieder nickte ich, doch er beachtete mich gar nicht. Sein Blick war starr nach draußen gerichtet.
Plötzlich drehte er sich ruckartig zu mir um.
„Um elf Uhr ist das Kabel gerissen. Nur geschah dies nicht talaufwärts, wie von den Terroristen erhofft, sondern talabwärts. Die Ski-Fahrer, die in den bergseitigen Sesselliften saßen, hörten das Reißen, und das Seil verlor an Höhe. Die Sessel sanken ab, auch talaufwärts.“

Ich stand auf dem Berghang und wartete.
Der Ski-Lift war wie gewöhnlich um neun Uhr geöffnet worden. Die Touristen strömten von allen Seiten herbei, um trotz des diesigen Wetters die Pisten zu nutzen.
Langsam wurde ich unruhig, trat von einem Fuß auf den anderen, bis ich endlich den Mut fasste und mich in die Schlange der wartenden Ski-Fahrer einreihte.

„Nur eins wussten die Attentäter nicht“, setzte Zäpfli seinen Bericht fort. Ich zog fragend die Brauen hoch. „Eine Reiß-Sicherheit in der Berg- und der Talstation verhindert, dass das ganze Kabel zu Boden fällt. Diese Schnappsicherung hält das Stahlseil, sobald es übermäßig über die Umlenkrolle rutscht, einfach fest. Es schnappt zu.“
Er machte eine Pause, kehrte vom Fenster zum Bett zurück und fragte mich: „Das wussten Sie nicht, oder?“
Langsam schüttelte ich den Kopf.
„Sehen Sie, das habe ich mir gedacht“, sagte der Kommissar mit ruhiger Stimme. Das Kabel reißt also im talwärtigen Bereich. Die Umlenkrolle an der Talstation schnappt zu, und die Ski-Fahrer auf der Bergseite kommen mit dem Schrecken davon…“
Er hielt inne und ich ahnte Fürchterliches.
„Nur einer nicht, Sie!“ Seine Stimme bekam einen gepressten Klang. Er vergaß zu atmen. „Sie… Sie springen von Ihrem Sessel in den Schnee. Sie sind der Einzige. Alle anderen bleiben wie vor Angst erstarrt sitzen. Sie sind das einzige Opfer dieses Attentates. Und Sie reagierten so schnell, wie nur jemand reagieren kann, der weiß, was passieren würde…“

Die schmale Stahlleiter. Eiskalt, Spiegelglatt. Zwanzig Meter hoch.
Endlich oben angekommen, hatte ich Schwierigkeiten, die Akku-Flex einzuschalten, so sehr zitterten meine Finger, trotz Handschuhe.
Dann die Wartezeit am Lift. Bereits zehn Uhr und noch immer war nichts passiert.
Mein Auftraggeber war am Telefon ganz deutlich gewesen: „Acht Millimeter, genau acht Millimeter müssen am Stahlkabel stehen bleiben. Wenn du mehr abfleckst, reißt das Kabel sofort innerhalb von fünf Minuten. Wenn du weniger runter nimmst, passiert gar nichts.“
Acht Millimeter!
Wer kann das schon im eisigen Wind, auf einem Pfeiler in dieser schwindelnden Höhe so genau abstimmen…
Hatte ich zu wenig durchgetrennt?
Um elf Uhr immer noch nichts. Ich betrat einen der Sessellifte. Ich wollte sehen, was passiert war.

„Nein“, krächzte ich und wollte abwehrend meine Arme unter der Bettdecke hochheben, doch die Linke fesselte eine Handschelle am Bettrahmen.
„Tut mir leid. Vorsichtsmaßnahme“, murmelte Zäpfli. „Bis bald beim Verhör.“
Er verließ grußlos das Krankenzimmer.
Im Türrahmen wurde ein Streifenpolizist sichtbar.

 

Hallo zusammen,

ich habe mich ebenfalls an der zweiten Geschichte von Wolfgang Urach versucht und zwar an "Der kleine Ski-Unfall".

Ob es mir gelungen ist, die Auflösung ziemlich weit ans Ende zu setzen, müsst ihr als Kritiker entscheiden.
Bei Urachs Krimi stand der Verbrecher für mich schon viel zu früh fest.

Auch bei dieser Krimi-Version würde ich mich über Kritiken freuen.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu!

Die Geschichte gefällt mir an sich sehr gut, auch war es wirklich erst sehr spät klar, was es mit dem "Opfer" auf sich hat.
Lässt sich gut lesen, was mir allerdings aufgefallen ist, dass es zum Ende hin irgendwie "hektischer" wird. Es wirkt, auf mich zumindest, so, als hättest du die Geschichte dann doch schnell zu Ende bringen wollen, es fehlt ein wenig an Tiefe.
Die Idee mit den Rückblenden fand ich gut, aber vielleicht könntest du das etwas deutlicher kennzeichnen, vielleicht reicht auch schon ein zweites Leerzeichen. So hab ich das anfänglich lediglich für einen neuen Abschnitt gehalten.

Einen kleinen Fehler hab ich noch gefunden:

Darin kündigten sie an, Attentate in den Schweizer Skiorte zu verüben, wenn die Schweiz nicht innerhalb von 72 Stunden sein UN-Mandat im südlichen Kongo aufgibt und alle ihre dort stationierten Truppen zurück in die Schweiz verlegt.

Skiorten / ihr UN-Mandat


Ansonsten: Schöne Geschichte, sagt jemand, der keine Ahnung hat...

Gruß, Manika

 

Hallo Manika,

freue mich, dass dir die Geschichte gefallen hat, zumal es sich ja mehr oder weniger um eine Korrektur eines bestehenden Krimis gehandelt hat.
Da ich mich vielleicht ein bisschen zu sehr an die Erstfassung gehalten habe, ist das Ende wohl etwas zu kurz geraten.

Wenn du auch meinst, keine Ahnung von Krimis zu haben, übrigens genau wie ich ein Newcomer in diesem Genre bist, habe ich mich trotzdem über die Kritik gefreut.
Die beiden Fehler bessere ich gleich noch aus.

Viele Grüße
bambu

 

"Nein", krächzte ich und wollte abwehrend meine Arme unter der Bettdecke hochheben, doch die Linke fesselte eine Handschelle am Bettrahmen.
wie kann dann der linke Arm unter der Decke sein
"Bis bald beim Verhör."
Er verließ grußlos das Krankenzimmer.
grußlos? Er hat doch gerade "bis bald" gesagt ...

Hi bambu,

also, um ehrlich zu sein, erinnert mich das so ein bisschen an Krimis in Frauenzeitschriften :D (ich war halt auch mal klein ...)

Nee, ging schon. Der Stil war zumindest ziemlich gut, der Inhalt nett, wenn auch zu unüberraschend.

Als alter Pedant kann ich es mir nicht nehmen lassen, zu sagen, dass die Festnahme nicht legitim war, denn der Prot wurde nicht über seine rechte aufgeklärt, noch dazu wurde er festgenommen, ohne es zu merken. Geht ja nicht, nicht? :)

Tserk!
Gefundene Fehler:

Rasch hoben Rettungskräfte die Trage aus dem Notarztwaren und übergaben sie den Sanitätern.
Notarztwagen
‚Lasst mit in Ruhe!', hätte ich am liebsten schreien wollen.
mir
Nur ein winziger Riss ….
weg
bis ich endlich den Mut fasste und mich in die Schlage der wartenden Ski-Fahrer einreihte.
Schlange
"Tut mir Leid. Vorsichtsmaßnahme", murmelte Zäpfli. "Bis bald beim Verhör."
leid

 

Hallo Tserk,

vielen Dank für deine Kritik.
Habe ich wohl doch nicht so gut aufgepasst bei den allabendlichen Krimis, eine Verhaftung, ohne dass es der Übeltäter weiß. ts, ts ts.

Ich gelobe Besserung. Übrigens, ich bin ja weiblich, also kann ich mir auch erlauben einen Soft-Krimi zu schreiben, oder? *smile*

Deine gefundenen Fehler werde ich noch ausbessern. Nur bei dem Satz

‚Lasst mit in Ruhe!', hätte ich am liebsten schreien wollen.
werde ich lieber "MICH" verwenden statt dein vorgeschlagenes "MIR".
"Tut mir Leid", wird da nicht Leid nach der neuen Schreibweise groß geschrieben, oder ist das schon wieder nichtig?

Nochmals Danke fürs Lesen
Viele Grüße
bambu

 

Hi bambu,

Übrigens, ich bin ja weiblich, also kann ich mir auch erlauben einen Soft-Krimi zu schreiben, oder? *smile*
na gut, es sei dir verziehen ;)
werde ich lieber "MICH" verwenden statt dein vorgeschlagenes "MIR".
ach Gott ist das peinlich. Der betroffene Azubi von Tzerk Interscope wurde schon gefeuert. Hatte da wirklich an "mich" gedacht, aber aus unerfindlichen Gründen "mir" geschrieben. Sorry.
"Tut mir Leid", wird da nicht Leid nach der neuen Schreibweise groß geschrieben, oder ist das schon wieder nichtig?
Leid nach der neuen RS groß, leid nach der reformierten neuen RS klein ... verrückte Welt, verrückte. Was das wieder für einen Papierkram anch sich zieht, hatte Tzerk Interscope doch zu gegebener Zeit alles in "Leid" verbssert :(

Tserk!

 

Hallo Tserk,

vielen Dank für die Aufklärung der neuen neuen Rechtschreibreform. Ich glaube, wenn es so weitergeht, dann schreibe ich bald wieder wie im Mittelalter, nämlich wie ich spreche.

MICH und MIR sei dir übrigens verziehen. Immerhin war es die richtige Stelle, die du mir aufgezeigt hast. *smile*

Viele Grüße
bambu

 

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