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Auf eine Nummer
1 )
Der Journalist saß in ihrem Wohnzimmer in einem weichen, pinkfarbenen Sessel, der sich mit seinen Lehnen um ihn legte wie eine Gebärmutter. Die übrige Wohnzimmereinrichtung erinnerte mit ihrer Marmorierung und dem Kristalleuchter an eine Kinoattrappe. Auf dem Beistelltisch mit dem Cognacschwenker und der künstlichen Rose lagen Illustrierten.
Frau Gold wusste also, was schön ist und modern. Denn wenn sie auch nicht oft ins Kino ging, so war es ihr doch wichtig, wie der Journalist vermutete, dass sie in der Lage war ihre Welt dem Kino nachzuempfinden.
Bevor man allerdings Frau Gold sah, konnte man sie selbst durch die Tür riechen. Denn sie stäubte sich immer mit diesem billigen Parfüm ein, das ihn irgendwie an süßlichen Schweiß und verwesendes Fleisch erinnerte.
Kurz, der Journalist hörte eine leise Männerstimme, die sich an der Haustür von Frau Gold verabschiedete.
“So…, “ sagte Frau Gold und klang erleichtert, als sie das Wohnzimmer betrat. „Das war heute mein letzter Gast. Entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug…. Netzstrümpfe, Tanga und Pumps machen ja aus jeder Frau das Weib, das sich die Männer wünschen…“
“Erschöpft?“ sagte der Journalist und legte seinen Block auf den Beistelltisch.
“Wissen Sie, wer das eben war? Ich werde ihnen das nachher erzählen… Was möchten Sie trinken?“
„Ich trinke nichts, “ sagte der Journalist und installierte das Aufnahmegerät.
“Ich brauche erst mal einen Aperitif, der meinen Schinken verdaulicher macht, “ lächelte Frau Gold. In ihren Mundwinkeln lag ein sanfter Spott, während sie spielerisch ihren Po tätschelte, um sich dann zu setzen.
Ihre blonden Haare waren wie zu einem Turm toupiert, während ihr Hals im Doppelkinn verschwand, als sie an ihrem Glas schlürfte. Ihre Hände hatten noch keine Altersflecken und die aufgeklebten Kunstnägel waren pinkfarbig lackiert.
“Stört sie das Gerät?“ sagte der Journalist und dachte, die Zeit ist wie eine unsichtbare Klarsichthülle in der sich alles abspielt.
“Sehe ich so zimperlich aus?“ sagte Frau Gold und ordnete ihren Busen. „Ich habe Ihnen doch gesagt: Ich schenke Ihnen meine Geschichte…“
“Andere schenken sich Photos…“ sagte der Journalist.
“Na ja, wir kennen uns ja schon lange genug…, “ lächelte Frau Gold und verschnürte ihren Bademantel. “…sonst würde ich mich auf dieses Gespräch gar nicht einlassen…“
„Also los…!“ sagte der Journalist und stellte das Aufnahmegerät an.
„Wenn man in der Kindheit keine richtige Ausbildung hatte, dann dauert es einfach länger bis man erwachsen wird…,“ sagte Frau Gold, als hätte sie schon lange auf diesen Augenblick gewartet, um ihre Geschichte loszuwerden. „ …denn damals habe ich oft die Schule geschwänzt. Aber warum soll ich mich heute für die Fehler meiner Jugend entschuldigen? Schon in meinem Volkschulzeugnis stand: Gilla lebt in ihrer eigenen Welt...“
„Das war aber sicher kein Lob…, “ lächelte der Journalist und korrigierte die Lautstärke des Aufnahmegerätes.
„Und meine Mutter sagte dann immer zu mir, wenn ich mich anders benahm, als die anderen Kinder: Du bist wie Dein Vater!
Für mich klang das irgendwie bedrohlich. Und vermutlich befürchtete ich einen genetischen Defekt zu haben. Natürlich wusste ich zu dieser Zeit nicht, was ein genetischer Defekt war. Aber ich wusste auch, mein Vater benahm sich anders als andere Väter. Ich hatte Angst vor ihm. Dabei war er glatt rasiert und passte hinter jeden Bürotisch.
Dem kleinen Mädchen aber gefielen die Männer mit einem Dreitagebart. Das fand ich so romantisch. Aber mein Vater legte nie seinen Arm um meine Mutter. Und ich zählte eigentlich schon gar nicht...
Vielleicht wollte ich aus diesem Grund die Männer immer nur verwöhnen, damit sie mich liebten. Ich wollte die Männer neugierig machen.
Als ich aber das erste Mal in meinem Leben ein Doppelbett sah, war ich davon überzeugt, dass man nur dann in diesem Bett liegen durfte, wenn man verheiratet war. Und schon war ich schwanger, obwohl ich meine Ausbildung noch gar nicht beendet hatte. Und so erfüllte sich das, was mein Vater immer als gehässige Prophezeiung in den Raum warf:
Die heiratet sowieso…!
Damals war das so.
Immerhin, damals waren meine Brüste so rund und weiß wie feines Porzellan. Dabei…, “ lachte Frau Gold, „… was für eine Vorstellung hatte ich von sexueller Reinheit?!
Und so war ich mir dann auch sicher, dass ich vor meiner Hochzeitsnacht keinen Chirurgen benötigte, der mir mein zerstörtes Jungfernhäutchen hätte wieder zusammennähen müssen. Denn ich heiratete den Vater meines Kindes.
Bernd war viel älter als ich. Und ich bewunderte ihn, weil er immer so sicher auftrat. Aber ihn, den Bernd, hätte ich am liebsten gleich geblendet, damit er nichts Schöneres mehr sehen sollte als mich.
Aber je jünger man ist, umso unerreichbarer ist diese Fata Morgana, die wir Liebe nennen. Und heute denke ich: Am besten betrügt man den Anderen schon gleich am Anfang. Dann geht man wenigstens auf Nummer sicher..., “ sagte Frau Gold und kicherte wie ein junges Mädchen, das zur Matrone wurde. „Aber das wusste ich damals natürlich noch nicht. Da hatte ich bescheidenere Träume von Liebe und Familienleben. Und mich sollten nur noch Menschen umgeben, die auch vor mir Respekt hatten. Ich träumte also von einem kleinen Häuschen mit Garten….“
„Die gute Hausfrau…, “ sagte der Journalist unentschieden, wenn es auch ironisch klang.
„Warum nicht…?“ lächelte Frau Gold und schlug die Beine übereinander. „Immerhin kann ich die Hemden so bügeln, dass jeder Mann davon überzeugt ist sein Hemd sei völlig neu... Ich arbeite überhaupt gern im Haushalt. Das entspannt mich. Und dann gibt es sogar Momente, in denen ich singen kann. Aber keine Angst, für die Oper reicht es nicht.“
„Und dann…?“ sagte der Journalist.
„Die Ehe dauerte nicht lange…“
„Und er, ich meine der Bernd, stellte alle Zahlungen ein…?!“
Im Übrigen war mein damaliger Mann viel zu alt für mich…
„Das konnte nicht gut gehen…, “ sagte der Journalist sachlich.
„…seitdem aber umflatterten mein Leben auch keine Brautschleier mehr…“
Glück ist etwas Anderes, als mit Worten auf die Wahrheit loszugehen, dachte der Journalist.
„Dabei glaubte ich immer eine Ausstrahlung als Frau zu haben, “ sagte Frau Gold, als erwartete sie die Bestätigung des Journalisten. „Auf diese eine Nummer habe ich ein Leben lang gesetzt…“
„Das ist ein bisschen wenig…, “ sagte der Journalist und machte seine Notizen.
„Auf eine Nummer...“ lachte Frau Gold, als sei sie selber davon überrascht. „Ist das nicht lächerlich…?“
2 )
„Ist das nicht schwierig immer die Sau raus zu lassen?“ sagte der Journalist und beobachtete Frau Gold über seine Brille hinweg.
„Ja, schon, vor allem dann, wenn man keine Sau ist…, “ seufzte Frau Gold wie andere Menschen lachen. „Aber ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich nichts mehr zu verlieren habe, “ sagte Frau Gold und atmete tief durch, als sei nun der schlimmste Teil ihres Lebens überstanden. Ihr aufgequollenes Gesicht aber wurde ernst: „Dabei bin ich kein Mensch, der zur Verzweiflung neigt. Ich kämpfe nur für eine verzweifelte Sache - die Liebe. Und ich habe Angst meine Lust auf die Liebe zu verlieren. Denn irgendwie vernachlässigte mich das Leben. Reizwäsche hin und Reizwäsche her…
Aber vielleicht konnte ich gerade deswegen meinen Neigungen treu bleiben. Ich hatte immer das Bedürfnis zu lieben, selbst wenn ich nur Sex bekam… Schreiben Sie mit?“
„Manchmal…, “ sagte der Journalist und sog an seiner Zigarette.
„Ja, und so hatte ich sie alle: die dreisten Aufschneider, die schüchtern Verliebten, die raffinierten Absahner und die Schönlinge. Für die einen war der Sex eine reine Pflichtübung und für die andere spielt das Bett angeblich gar keine Rolle…“
„Männer haben Angst vor Frauen…,“ sagte der Journalist, als lese er aus einer Statistik vor.
„Meinen Sie…?“ sagte Frau Gold und lachte, „ …dann hat sich so mancher zwischen meinen Beinen versteckt, um bei mir seine Zeit zu verschlafen.“
„Schon möglich…,“ sagte der Journalist.
„Nur für die Nummer: Ich will Dich leiden sehen… war ich nie zu haben. Irgendwie fand ich das auch albern...“
„Viele Männer glauben Frauen mögen „so was“…“
„Komisch…,“ sagte Frau Gold, „…ich hatte nie Lust die Männer zu kopieren. Ich wollte keinem Mann ähnlich sein…“
„…sonst hätten Sie die Männer eingeschüchtert…“
„So ein Mensch wie ich musste doch froh sein, wenn ich gelegentlich einen Goldjungen zwischen die Beine bekam…, “ sagte Frau Gold und lächelte ironisch.
„Na, na…, “ sagte der Journalist und schüttelte den Kopf wie ein nachsichtiger Beichtvater.
„Ist doch wahr…, “ sagte Frau Gold. „Dann saßen wir plötzlich, ich meine den Freier und mich, beim Frühstück und ich hoffte, dass mich irgendwann einmal eine bessere Vergangenheit einholen würde. Aber schon am gleichen Morgen wusste ich: Das wird nichts...“
„Man sollte schon mit dem Mann, mit dem man morgens frühstücken will, wählerischer sein, “ sagte der Journalist gutmütig.
„Wenn mir also ein Mann gefiel…, “ lächelte Frau Gold, „…dann fragte ich anfangs noch, ob wir uns nicht wieder sehen sollten? Die Antwort aber klang meistens so, als hörte ich die Zeitansage ab: Mal sehen… oder: Bis dann…
Da war also keine Zeit, dass sich zwischen einem Mann und mir Missverständnisse aufbauen konnten, “ sagte Frau Gold, als sei ihr das Lachen schon lange vergangen. „Aber trotzdem habe ich mir ein Bild von den Männern bewahrt. Das lässt sich zwar nicht einrahmen, aber auch nicht vergessen...
Dabei gab es so manchen, der mich nur schnell loswerden wollte und doch nie von mir loskam…, “ lächelte Frau Gold. Aber ihr Mund zuckte, als wollte sie sagen: Jetzt ist es sowieso zu spät…
3)
„Wissen Sie…,“ sagte Frau Gold und lächelte, „…ich habe ja ein dickes Fell. Denn schon mein Körper ist eine Übertreibung. Aber das ist nicht mehr mein Problem. Ich bin ja keine Balletteuse. Und jung bin ich auch nicht mehr…“
„Und wenn schon…, “ sagte der Journalist.
„Eigentlich habe ich alles für die Männer geopfert...,“ sagte Frau Gold und zuckte mit den Schultern, „…aber da war keiner dabei, der mir ein Lifting bezahlt hätte, “
„Sie haben doch kaum Falten, “ sagte der Journalist, um etwas zu sagen. Frau Gold aber lachte nur gutmütig:
„Ach, Sie waren schon immer ein Kavalier. Aber wenn man so dick ist wie ich, sieht man die Falten einfach nicht mehr.“
„Die Männer lieben Sie…,“ sagte der Journalist aufmunternd, obwohl er sich in diesem Augenblick unwohl fühlte.
„Wissen Sie…,“ sagte Frau Gold sachlich, „…früher waren meine Kunden Geschäftsleute und so. Die hatten immerhin Manieren. Die nahmen mich auch mal mit in ihr Hotel…“
„Verstehe…,“ sagte der Journalist.
„Gut…, “ sagte Frau Gold, „ …da war auch der eine oder andere, der deftige Reden hielt. Aber meine Kunden heute sind allenfalls nur noch kleine Ganoven, die den Chef spielen…“
„Haben Sie mal an eine Agentur gedacht…?“ sagte der Journalist.
„Wie naiv sind Sie denn?!“ sagte Frau Gold, als spreche sie mit einem begriffsstutzigem Kind. „ Hier, mein Handy, das ist meine Agentur...“
„Und was war mit den Dreitagebärten, von denen sie als kleines Mädchen träumten…?“ sagte der Journalist. „ …was dagegen, wenn ich rauche?“
Frau Gold schüttelte den Kopf und lachte:
„Ja, die Männer mit dem Dreitagebart… Inzwischen sind sie keine Abenteurer mehr, sondern haben nur noch Flechten im Gesicht. Denn irgendwann liebte ich nur noch Männer, die für die Gesellschaft Aussätzige waren. Tätowierte und Alkoholiker. Dabei sehnte ich mich immer noch nach einem Mann, der unter der Dusche sang. Und wenn er sich dann in meinem weißen Badetuch einwickelte, sollte er aussehen, als schwebe sein Körper in der feuchtwarmen Luft des Badezimmers.“
„Romantisch…,“ sagte der Journalist und blätterte in seinen Unterlagen. „Aber Sie waren doch noch einmal kurz verheiratet, wenn ich richtig informiert bin?“
4)
„Ja, ich war noch einmal verheiratet…, “ sagte Frau Gold und zupfte an ihrem Bademantel. „…mit Rolf. Auch der war ein ehemaliger Alkoholiker mit tätowierten Unterarmen…“
„Ich glaube, den kenne ich noch…, “ sagte der Journalist.
„Wäre ich ein Mensch mit Grundsätzen…, “ sagte Frau Gold sachlich, „… hätte ich mich mit ihm nie einlassen dürfen. Dabei war er so anhänglich wie ein Kaugummi unter dem Schuh…“
„Das wird man auch nicht mehr los…, “ sagte der Journalist und zog an seiner Zigarette.
„Richtig… aber für Rolf war das im nach hinein die letzte Galgenfrist, die ihm das Schicksal noch ließ…, “ lächelte Frau Gold unsicher, „…aber damals wusste ich noch nicht, wohin die Reise ging… und letzte Woche starb er …“
„Ach, das tut mir aber wirklich Leid…,“ sagte der Journalist und drückte ihre Hand.
„Na, ja…, “ sagte Frau Gold, „…die letzten Monate hatte ich nur noch Ärger mit ihm. Angeblich liebte er mich ja. Aber ich glaube, er suchte nur ein warmes Dach… und im Bett war zwischen uns schon lange nichts mehr los.“
„Alkohol…?!“
„Ja…,“ nickte Frau Gold, „…und zu allem Überfluss schlug er mich auch …“
„Mit manchen Männern kann man im Krieg mehr anfangen, als im Bett…,“ lächelte der Journalist.
„Da weiß man wenigstens, wo der Feind steht, “ lachte Frau Gold.
„Und jetzt ist er tot?!“ sagte der Journalist
„Ja…,“ sagte Frau Gold. „…dabei schraubte ich meine Erwartungen von Anfang an nicht zu hoch, als ich ihn kennenlernte …“
„Warum…?“
„Rolf war ein Mann, der darauf hoffte, dass ihm eine Frau genauso großzügig verzieh wie eine Mutter ihrem Kind. Immerhin war ich 12 Jahre älter als er. Nur seine ehemalige Ehefrau ließ sich nicht den Mund verbieten.“
„…aber es gibt Augenblicke im Leben, da schauen die Frauen nicht so richtig hin, was? “ lächelte der Journalist.
„Muss wohl so sein…, “ sagte Frau Gold. „… vielleicht lag es auch an seiner Stimme. Seine Stimme war ruhig und sanft… das tat mir gut…“
„Er durfte nur nichts trinken...?!“
„Ja…, “ nickte Frau Gold. „…aber es gab auch Tage, da streichelten mich seine Worte. Ich war für ihn ohnehin billig zu haben…“
“Vielleicht hat er sie wirklich geliebt?!“ sagte der Journalist freundschaftlich.
„Ja, vielleicht…, “ sagte Frau Gold, „… aber eigentlich gefiel ich ihm nicht. Ich meine optisch. Er mochte keine dicken Frauen.“
Der Journalist korrigierte das Aufnahmegerät und dachte, Männer glauben immer einen Anspruch auf junge Frau zu haben. Aber wenn sie die Leidenschaft packt, sind sie erstaunt, wenn sie in den Armen einer älteren Frau aufwachen. Aber er sagte:
„Vielleicht hat sich Ihr Rolf nicht verziehen, dass er gerade sie liebte…“
„Sie werden aber kompliziert…,“ sagte Frau Gold. „…aber da sagen Sie was, eigentlich mochte er diesen Nutten-Fummel nicht.“
„Aber so haben Sie sich doch kennen gelernt…?!“
„Ja, schon, aber vielleicht hasste Rolf ja nur die Einsamkeit seiner Onanie?“
„Das haben Sie aber schön gesagt, “ lächelte der Journalist und dachte, wo ein sexueller Notstand herrscht, ist die Schnulze nicht weit. Denn seit wann basiert die Liebe auf der Realität? Da sagt einer Mäuschen zu einer Frau, obwohl sie aussieht wie eine Ratte. Aber will er deswegen auf die Bequemlichkeit ihrer Vagina verzichten?
Frau Gold lächelte stolz und nippte an ihrem Glas:
„Ich bin zwar eine Hure. Aber nicht dumm…“
„Entschuldigung…,“ sagte der Journalist und nickte ihr freundschaftlich zu. Frau Gold war keine Frau, deren Geheimnis man auf der Kinoleinwand hätte nachspüren wollen.
„Aber ich muss zugeben…, “ sagte Frau Gold, als treffe sie eine Diagnose: „…ich bin als Frau nicht so geworden, wie ich es mir mit 15 vorgestellt hatte. Denn jetzt sehe ich genauso aus, wie ich nie aussehen wollte. Nicht, dass ich früher schmal war, aber doch nicht so..., “ sagte Frau Gold. „Hätte ich doch wenigstens nur kleine Brüste, dann fielen die Kleider anders aus.“ Frau Gold schlug die Beine übereinander. An ihrem Fuß wippte ein hochhackiges Schläppchen.
5)
„Dabei habe ich schon früh begriffen, “ sagte Frau Gold, „ dass meine Fehler auch Vorteile brachten. Vielleicht wurde ich so zumindest auf einem Gebiet intelligent…“
„Sie meinen den Sex…?!“ lachte der Journalist.
„Zum Beispiel…,“ lächelte Frau Gold wie eine Verschwörerin. „…denn das erste Mal mit einem Mann im Bett ist eigentlich immer eine Pleite. Da muss man sich zu helfen wissen.“
Der Journalist steckte sich eine neue Zigarette an:
„Auf diesem Gebiet…, “ sagte er, „…ich meine beim Sex, hat doch jeder die gleiche Chance seinen Partner zu verblüffen…“
„Den Rolf jedenfalls hatte ich schnell durchschaut, “ lächelte Frau Gold. „ Denn je weniger ich für ihn die begehrenswerte Frau sein musste, desto weniger stand er unter dem Druck der große Liebhaber zu sein. Und was meinen Sie, was dann passierte…?“
„Keine Ahnung…,“ sagte der Journalist.
„Mein Rolf zeigte mir wie einer Mutter stolz sein erigiertes Glied. So fand er Geschmack an mir…“
„…und wollte nicht mehr auf Sie verzichten…richtig?!“
„Ja…, “ sagte Frau Gold verhalten. „… da war nur ein Schönheitsfehler. Denn irgendwann wollte auch ich immer nur noch Sex. Aber da bekam Rolf kalte Füße. Dafür zerbrach er sich ständig den Kopf darüber, was wohl aus mir werden würde, wenn er zuerst sterben sollte. Da konnten mich die Blümchentapeten unseres Schlafzimmers auch nicht mehr retten. Aber irgendwann hatte ich einfach keine Lust mehr ihn zu trösten... Aber inzwischen kann ich Rolf betrauern, weil ich von ihm Abschied genommen habe. Ich lasse mich auf Menschen ohnehin nur ein, wenn sie mich nicht besitzen wollen.“
„Na ja…, “ sagte der Journalist irritiert und zeigte auf die Tür, „…es geht mich ja nichts an, aber…“
„Ach, Sie meinen Jürgen…?!“ sagte Frau Gold und bemühte sich um einen Tonfall, mit dem man kleine Kinder beruhigt oder alte Eltern. „…ja, das ist schon eine verrückte Geschichte, warum er immer noch kommt.“
„Starb denn ihr Mann hier in dieser Wohnung?“ sagte der Journalist und bemühte sich um einen angemessenen Tonfall.
„Ja…,“ sagte Frau Gold. „…nachdem aber der Notarzt gegangen war, kam schon am Nachmittag der Bestatter. Der hatte schon vor Jahren meine Mutter eingesargt. Als mich aber Jürgen, ich meine der Bestatter sah, lächelte er mich mit seinen weißen Zähnen breit an. Er war braun gebrannt und sagte in einem Tonfall, als müsse er meine Möbel verrücken:
„Der Sarg steht schon unten im Hausflur…
Ich aber saß nur da in meinem Sofa und ließ mich von ihm betrachten. Er ließ mich nicht mehr aus seinem Blick. Dabei klopfte er mit seiner flachen Hand mehrfach auf den Türrahmen und ließ sich dann mit einem plötzlichen Ruck neben mir auf dem Sofa nieder. Während er vorsichtig den Arm um mich legte, als müsste er mich trösten, sagte er plötzlich irritiert: -Auf was sitze ich denn da?- Und im gleichen Augenblick zog er unter dem Sitzkissen, auf dem er saß, meinen Dildo hervor. Ich glühte bis in die letzten Haarwurzel, weil ich mich so schämte. Und er lächelte, ja wirklich…, “ lachte Frau Gold, „…wie ein Menschenfresser, der sich nach frischem Fleisch sehnte. Ich aber fühlte trotzdem keinen Widerstand in mir. Nur mein schwarzes Kostüm, das mir sowieso nicht passte, engte mich ein, als er mir noch näher rutschte. Zuerst bäumte ich mich auf wie ein Pferd, während er mir Beschwörungen ins Ohr flüsterte. Aber wir mussten uns nicht mehr ansehen, um zu wissen, was wir wollten. Und ich kam mir vor wie in einem Film, in dem der Ton immer schneller lief als die Bilder. Oder vielleicht war es auch umgekehrt…“ lächelte Frau Gold, als sei ihr erschöpftes Gesicht noch immer von einem leichten Schleier überzogen.
Das andere Geschlecht ist wie ein fremder Kontinent, dachte der Journalist. Man kann ihn besetzen, aber hat man ihn damit begriffen?
„Ja…,“ sagte Frau Gold. „…und kaum entglitt ich ihm wie dahin schmelzende Butter, flackerten schon seine Augen hin und her, während er mich flüchtig anlächelte. Jürgen wollte weg. Aber er wusste nicht mehr wie er mich loswerden sollte…“
„Hoffentlich vergas er nicht den Sarg unten im Hausflur…,“ grinste der Journalist. Frau Gold lächelte:
„Aber immer dann, wenn meine Gefühle wieder frei werden, dann arbeitet mein Verstand für sich alleine.“
„Hat denn dieser Jürgen keine Familie…?!“ sagte der Journalist.
„Eben…,“ sagte Frau Gold, „…eben…,“ als sei sie schon lange zuvor auf diesen Gedanken gekommen. „…ja, er hat eine Familie…, “ sagte sie langsam und lächelte so, als hörte man ihren drohenden Unterton. Aber ihr Blick sagte: Vielleicht ist das eine Nummer zu groß für mich, aber es wird schon klappen…
„…und jetzt hat Ihr Rolf auch noch seinen Grabstein…?“ fragte der Journalist vorsichtig. Frau Gold lächelte dem Journalisten zu wie einem Verschwörer und sagte leise:
“Wenn Sie das Gerät abschalten, erzähle ich Ihnen was…“
ENDE