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Auf Wunsch meines Gatten

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29.01.2010
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Auf Wunsch meines Gatten

Die Hausangestellte, die in der Nähe der Eingangstüre bereitstand, öffnete Paul Florin auf sein Klingeln hin. Mit einer Handbewegung deutete sie zur offenen Tür an der rechten Seitenwand. Die Geste bezog diskret das Kondolenzbuch mit ein, das auf einem freistehenden Glastisch lag. «Frau Caminada empfängt Sie gern im Salon.» In ihrer sonoren Stimme lag etwas Andächtiges.

Im Kondolenzbuch waren bereits etliche Seiten umgeschlagen. Florin blätterte in den Vorgehenden, sich überlegend, welche Abschiedsworte für Andrin angemessen wären. Als Freund der Familie und deren Anwalt hatte er ein zweigeteiltes Verhältnis zu ihm gehabt, Beruf und Privates streng getrennt.
Nebst Texten hatten Kunstmaler vereinzelt auch stilvolle Zeichnungen angebracht. Eine Reverenz an den Verstorbenen. Er musste lächeln, als sein Blick auf eine Skizze von Felix Tête fiel. Mit knappen Strichen hatte dieser filigran einen Strauss Callas gezeichnet. Eine Schleife hielt diese zusammen, mit «In ewiger Dankbarkeit» geziert.
Andrin Caminada hatte als Mäzen den jungen Maler gefördert. Dabei war er sehr streng, wollte Leistungen und Entwicklung erkennen, ansonsten gab er sich zurückhaltend. Tête hatte es trotz anfänglicher Mühe geschafft, seinen eigenen Stil und Anerkennung zu finden, auch wenn er noch keineswegs zur Elite zählte.
Die Hand zitterte erst leicht, als Florin einen eigenen Füllfederhalter hervornahm, um eine Widmung anzubringen. Die extra breite Federspitze ermöglichte ein kalligraphisches Schriftbild. «Deine Lebensfreude und Dein besonderer Humor, die durch nichts aus der Fassung zu bringen waren, bleiben mir unvergesslich.» Mit einem andern Füllfederhalter setzte er seine Unterschrift darunter. Die bescheidenen Worte dekorativ geschrieben sind Andrin gerecht, sie würden ihn freuen. Mehr muss es nicht sein!

Als Florin in den Salon trat, standen knapp ein Dutzend Personen im Raum herum. Einige Kondolenzbesucher waren wohl bereits wieder weg. Paolo Lucchini, der langjährige Sekretär von Andrin, kam auf ihn zu und begrüsste ihn. Claire Caminada stand in ein Gespräch vertieft, mit jemandem, der ihm den Rücken zuwandte, an einem Fenster. Sie sah gefasst aus. Andrin war immerhin einundachtzig gewesen, zweiunddreissig Jahre älter als sie, und sein Ableben war nicht gänzlich überraschend gekommen. Das schwarze Kleid, das sie mit einem kurzen, zitronengelben Jackett darüber trug, verlieh ihrer Erscheinung einen dezent fröhlich wirkenden Anstrich. Ganz im Sinne des Verstorbenen. Als ihr Gesprächspartner sich kurz leicht umwandte, erkannte ihn Florin. Es war H. R. Giger, der Skulpteur. Als Einziger der Anwesenden ganz in Schwarz gekleidet, doch dies gehörte bei ihm zum Standard. Wahrscheinlich eine Marotte, da sein weisses Haar dadurch voll zur Geltung kam. Florin konnte dessen Werk nicht besonders viel abgewinnen, technisch-surrealistische Figuren aus Metall, biomechanische Kunst, wie Giger sie nannte, oder auch Androide. Da war sein ästhetisches Empfinden völlig anders als das von Andrin, der zu allen Richtungen der Kunst offen war und ihn wegen seiner Begrenztheit im Kunstverständnis auch mal scherzhaft einen Kleinbürger genannt hatte.

Claire entdeckte Florin und gab ihm ein Zeichen, zu ihnen zu treten.
«Mein herzliches Beileid, Claire», sagte er, um sie dann auf beide Wangen zu küssen.
«Danke Paul. Es ist schön, Dich in diesem Moment hier zu haben. – Du bist mit Hansruedi bekannt oder?», sprach sie ohne Umschweife weiter.
Florin und Giger gaben einander die Hand.
«Andrin hatte uns einander mal vorgestellt», bemerkte Giger mit einer tiefen Stimme, die zu seiner stattlichen Erscheinung passte. Das charmante Lächeln, das er dazu aufsetzte, liessen ihn in seinem Auftritt weich wirken.
Er ist ein Typ, auf den die Frauen fliegen, ging Florin durch den Kopf. Gleich ärgerte er sich für diese unpassenden Gedanken. Es war wohl eine leichte Spur von Eifersucht. Claire kam ihm, diesem Mann gegenüber, auf undurchsichtige Weise verbunden vor. Nichts Sichtbares gab Anlass dazu, nicht in den Gesten oder den Worten, nur ein Gefühl, das Florin plötzlich unbehaglich beherrschte.

«Möchtest Du Andrin sehen?», unterbrach Claire seine Gedanken. «Er ist nebenan aufgebahrt.» Sie führte ihn in einen Nebenraum, dessen Tür offen stand und in dem gedämpftes Licht brannte. Der Sarg stand erhöht in der Mitte, daneben war auf einer Staffelei ein farbenfrohes Bild von Chagall platziert.
Eine Inszenierung, ganz im Sinne von Andrin. Er hatte den Tod nie als düstere Erscheinung verstanden. «In allen Lebenssituationen, und seien sie noch so trist, steckt ein Splitter zur Heiterkeit. Man muss nur den Sinn darin erkennen», bemerkte er einst. Diese Erinnerung erweckte Florin beinah den Eindruck, Andrin, der bleich auf dem weissen Laken lag, könnte ihm mit einem der geschlossenen Augenlider zuzwinkern. Dabei war sein Gesicht ernst, eine starre Totenmaske, kein verschmitztes Lächeln, wie er es wohl für diesen Akt gern zur Schau getragen hätte.
«Wann wird das Begräbnis sein?», wandte er sich an Claire.
Claire zögerte, als überlege sie sich sorgfältig ihre Worte. «Morgen in drei Wochen, an seinem Geburtstag.»
Florin war überrascht. Dieses Hinauszögern der Beisetzung kam ihm ungewöhnlich vor, normalerweise fand eine solche innert Wochenfrist statt. Eine Aufschiebung wurde nur veranlasst, wenn eine unnatürliche Todesursache vorlag. «Gibt es Missverständnisse über die Todesursache? Machen die Behörden Schwierigkeiten?» Er fühlte sich als Anwalt auf den Plan gerufen.
Claire lachte beherzt auf. «Nein überhaupt nicht. Sein Hausarzt hat den Todesschein ausgestellt, der Tod ist zweifellos durch Herzversagen eingetreten. Seitens der Behörden gibt es keine Einwände.»
«Aber?» Florin konnte sich keinen Reim auf ihre Antwort machen.
«Andrin hat sich für seine letzte Ruhestätte etwas ganz Besonderes gewünscht. Du kennst ihn ja, in manchen Dingen konnte er richtiggehend exzentrisch sein.» Einen Moment schwieg sie, den Blick auf das Gesicht von Andrin gewandt, doch dann hoben sich ihre Mundwinkel zu einem milden Lächeln. «Er war ein besonderer Mensch, dies wusste ich, als ich ihn damals heiratete. Es war auch das, was ihn ausmachte. Als er mir vor zwei Jahren von seiner Absicht erzählte, wie er sich seine letzte Ruhestätte vorstellt, hielt ich es für einen vorübergehenden Spleen. Doch er fing immer wieder mal davon an. Anfänglich vorsichtig einfädelnd, es auf eine theoretische Ebene hebend, um dann sanft, jedoch bestimmt durchblicken zu lassen, dass es ihm damit Ernst sei. Wir hatten heftige Diskussionen, rangen um gegenseitiges Verständnis, wogen den Sinn ab. Es blieb in der Schwebe, über ein Jahr. Sein Verlangen hätte er bestimmt zurückgezogen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, mich von seiner Idee letztlich zu überzeugen. Allmählich verstand ich seinen Wunsch, es vollendet sein Dasein für die Kunst und gibt diesem Esprit, den er ein Leben lang verkörperte, Ausdruck. Es wird kein ewiger Wert sein, vergänglich, wie alles Irdische, aber mit Faszinosum erfüllt.»
Florin hatte ihr gespannt zugehört, ihre tiefe Zuneigung, welche sie für ihren Mann in den Worten ausdrückte, wahrgenommen. Sie liebte ihn über den Tod hinaus. Doch er verstand nicht, auf was es hinauslaufen könnte. Eine prunkvolle Grabesstätte würde der Lebensanschauung von Andrin zuwiderlaufen, auch wäre die Bauzeit dafür zu kurz.
«Entschuldige bitte Claire, aber ich verstehe nicht.»
Claire seufzte. «Es tut mir leid, aber Andrin hatte mich gebeten, mit niemandem, auch seinen engsten Freunden gegenüber nicht, darüber zu sprechen, bis es soweit ist.»
Ihr sanfter Blick, mit dem sie ihn anschaute, besänftigte seinen Unwillen. Einen Moment hatte er befürchtet, es als Ausgrenzung verstehen zu müssen. Doch es war wohl eher ein Überraschungscoup eines exzentrischen, alten Mannes, der gegenüber seinen Freunden und der Welt noch ein letztes Mal aufzutrumpfen beabsichtigte.
«Du bist mir nicht böse, Paul?»
Florin erschrak, er wurde sich bewusst, dass seine Mimik ihn verraten haben musste. «Gewiss nicht, Claire. Es ist klar, dass Du seinem Willen entsprechen musst. … Ach Blödsinn, was schwafle ich da. Ich war einen Moment verunsichert. Meine Beziehung zu Andrin und Dir habe ich immer als eine tiefgreifende Freundschaft wahrgenommen, in der wir weitgehend über alles sprechen konnten. Und nun dieses Ausklammernde, es hat mich brüskiert. Den Bruchteil einer Sekunde, den Gedanken aufkommen lassen, diese Gefühle seien nur meinerseits aufgetreten. Ich sei nur einer, na ja, unter vielen Freunden.»
«Ach, Paul!» Claire umarmte ihn herzlich, sich wieder lösend, blieb ihre Hand auf seinem Oberarm ruhen. «Du bist mein bester Freund und ich fühle mich gut bei diesem Gedanken.»
«Tut mir leid, wenn ich kurz zweifelte. Andrins Tod hat mich wohl etwas empfindsam gemacht, er hatte sicher Gründe dafür, dass er Dich um Stillschweigen bat.»
«Die Gespräche mit mir hatten ihn sensibilisiert und bewogen, es nicht noch mit weiteren Personen zu erörtern. Es ist sein Wunsch und heute bin ich froh, dass er sich von mir nicht abbringen liess. Mein Arrangement wäre vermutlich einem Grabmal wie jenem von Jean Marais in Vallauris nahegekommen, dessen künstlerische Gestaltung mich einst verblüffte und zugleich faszinierte. Jean Marais hatte es sich zu Lebzeiten noch selbst geschaffen. Kennst Du es?»
«Ja doch, vor ein paar Jahren, als ich in Cannes weilte, hatte es mir ein Bekannter gezeigt. Es war mir allerdings zu mysteriös, diese Fabeltiere, die es bewachen, ich meinte Marais Gesicht in ihnen zu erkennen und über allem ruhend das Wesen eines Menschen mit Geweih. Ehrlich gesagt, es war nicht so mein Geschmack, bei allem Respekt vor dem vielseitigen Künstler, der er war. Für Andrin hätte ich mir eher einen Grabschmuck von Henry Moore vorgestellt, etwa seine „Reclining Figure“ oder seine „Oval with Points“, die Schlichtheit und Moderne verbinden. Ich denke, sie würden das Wesen von Andrin, sein intuitives Gespür für das Besondere, das er weit über die Kunst hinaus besass, vorzüglich versinnbildlichen.»
Claire blickte nachdenklich auf Andrin, der wie ein stiller Zuhörer gegenwärtig war.
«Du hast die Wesensart von Andrin, seine Liebe zur Kunst und zu den Menschen, mit Moore sehr schön ausgedrückt. Ja, ein Teil seiner Werke hätte ihm diesbezüglich wirklich entsprochen. Warum ich selbst nicht daran dachte? Aber er war so auf seine eigene Idee fixiert, und letztlich hatte er recht. Die letzte Ruhestätte sollte ihn widerspiegeln, wie er sich selbst verstand, um den Hinterbliebenen die Möglichkeit zu geben, ihm nahe zu sein. Ich bin sehr froh, mich in der kommenden Zeit auf Dich stützen zu dürfen.»

Als sie in den Salon zurückkamen, waren erheblich mehr Leute da. Claire nahm von diesen die Beileidsbezeugungen entgegen, sprach mit allen ein paar Worte. Es musste für sie anstrengend sein. Da erklang der feine Ton eines Glases, das mit einem metallischen Gegenstand angetippt wurde. Alle Anwesenden sahen in die Richtung des Verursachers, es war Theophil Koch, der ein Glas in die Höhe hielt. Die meisten kannten ihn, wenn nicht persönlich, hatten sie ihn zumindest abgebildet gesehen. In Zeitungen veröffentlichte Interviews mit ihm, zu zeitgemässer Moraltheologie, sorgten ab und zu für Aufsehen.

«Liebe Claire, werte Trauergäste! Es ist mir ein Anliegen, ein paar Worte zum Heimgang von Andrin sprechen zu dürfen. Der Anlass unseres heutigen Zusammentreffens erfüllt uns mit Trauer, Andrin Caminada weilt nicht mehr unter uns. Gönnen wir uns die Zeit wehmütigen Abschiednehmens. Doch lassen wir auch die Freude zu. Die Freude, dass wir Andrin in seinem Leben begegnen durften! Ich will mich hier nicht darüber auslassen, was er in seinem Leben vollbrachte und Gutes bewirkte. Ich will auch nicht über den Kunstsammler und Mäzen sprechen, der er mit Herz und Seele war. Ihr alle kanntet ihn diesbezüglich vielleicht noch besser als ich. Es ist der Mensch, dem ich begegnete und dessen Persönlichkeit mich tief beeindruckte. Er ist mir sehr gegenwärtig, wenn ich mich an das erste Gespräch mit ihm erinnere. Es war ein fröhlicher Anlass, eine Geburtstagsfeier im Badrutts’s Palace in St. Moritz, bei der wir beide geladene Gäste waren. Er hatte sich gelangweilt und war auf eine Terrasse geflüchtet. Kurzum, wir kamen ins Gespräch. Eine leichte Ironie konnte er nicht verbergen, als er erfuhr, dass ich Theologe bin.» Koch liess die Worte verklingen, bis er weiterfuhr.
«So, so, Sie glauben also, der Mensch sei dazu bestimmt, ein ewiges Dasein zu führen. Welchen Sinn sollte dies denn haben?» Er blickte mich dabei herausfordernd lächelnd an.
Ich gestehe, ich war überrumpelt von seiner Fragestellung. Gegen Angriffe auf den Glauben an sich war ich gerüstet, hatte zu allen Diffamierungen eine treffende Antwort bereit. Er aber hinterfragte entwaffnend schlicht den Sinn eines ewigen Daseins der menschlichen Seele. Mein Versuch, ein Konstrukt von theologisch- rhetorischer Deutung aufzubauen, unterbrach er kurzerhand.
«Ich frage nicht den Gelehrten, sondern den Menschen: was versprechen Sie sich davon?»
Einen Schreckensmoment lang dachte ich, er kenne meine Zweifel, die mich wie jeden andern meiner geistlichen Mitbrüder gleichsam schon überkamen. Mit einem Schauer durchfuhr mich die Erkenntnis, dass sich mein Gottesbild längst gewandelt hatte, meine Sichtweise sich längst dem Transzendentalen im Sinne von Kant angenähert hatte. Das Liebliche und Fromme, das Transzendente hingegen, das mich einst anzog, nur noch verblasste Erinnerung ist. Nicht, dass ich es missen möchte, doch es musste der reifer werdenden Weiterentwicklung weichen, die Wegfindung führte mich mehr und mehr zu mir selbst, meinem Sein im Jetzt. Es war mir, als ob in ihm dies erfüllt sei, wonach ich noch suchte, dabei war er weit davon entfernt, sich auf irgendwelchen Glauben einzulassen. Er stand nur da und lächelte.
Dies war vor zwanzig Jahren gewesen. In dieser Zeit hatte ich mehrfach Gelegenheit, Gespräche mit ihm zu führen. Oft waren es Themen, die weitab von meiner Berufung standen, doch immer waren sie erfüllt mit Leben. Mit seinem Enthusiasmus, mit dem er die Kunst liebte, konnte er sich ebenso auf alle möglichen Fragen des Lebens und der Gesellschaft einlassen. Es waren Gespräche auf gleicher Ebene, keiner, der sich dem andern über- oder unterlegen fühlte, und auch wenn Differenzen blieben, wir verstanden und respektierten uns. Von dem her verkörperte er mir eine der eindrücklichsten Begegnungen in meinem Leben.»
Theophil Koch machte eine angedeutete Verbeugung zu Claire hin, die ihm für seine herzlichen Worte dankte.

Claire benutzte den Augenblick, um die Anwesenden über die Beisetzung zu orientieren und vielleicht auch weitere pathetische Reden abzublocken.
«Liebe Freunde und Anteilnehmende. Ihr habt Euch sicher schon Gedanken gemacht, wann und wo die Beisetzung von Andrin stattfinden wird.» Sie machte eine Sprechpause, als sollten sich diese Worte setzen. «Auf Wunsch meines Gatten wird die letzte Ruhestätte in Gruyères sein. Es mag eigen klingen, dass er sich diesen Ort wählte, obwohl er nie dort lebte. Es entspricht aber durchaus ihm. Er liebte es, ungewöhnliche Wege zu gehen, öfters etwas Neues auszuprobieren und für alles offen zu sein. So darf es nicht überraschen, wenn er für diesen letzten Akt, wie er es mir gegenüber einmal nannte, sich etwas auswählte, das seinem Dasein etwas kunstvoll Besiegelndes gibt. In drei Wochen, an seinem Geburtstag wird er dort seinen Platz finden.»

Florin schaute Claire überrascht und erheitert an. Er hatte dieses historische Städtchen besucht, als er einmal in dieser Gegend war. Die steilen Gassen, erinnerte er sich, waren ihm beschwerlich gewesen. Einen krasseren Gegensatz zu moderner Kunst, wie Andrin sie besonders liebte, konnte er sich nicht vorstellen. Er war immer für eine Überraschung gut. «Hm, da erfüllt er sich ja einen unerwartet romantischen Traum, dass er diesen Ort wählte», sprach er leise zu Claire.
Sie schwieg.


*​

Auf der Karte war nur eine Adresse mit Plan angeführt: Château St. Germain, Gruyeres und die Uhrzeit. Florin machte sich keine weiteren Gedanken. Immerhin hatte sich Andrin ein Schlösschen ausgesucht, einen würdigen Ort, um seine Gebeine niederzulegen. Der Gedanke versöhnte ihn etwas mit der Geheimnistuerei, die Andrin sich da um sein Begräbnis geleistet hatte. Nun, er wollte sich vielleicht noch einmal besonders exzentrisch geben, eine versteckte Huldigung an Dali oder dergleichen damit einbringen. Lächelnd stieg Florin die steile Strasse im Ort empor, sein Freund war wirklich facettenreich gewesen, bis in den Tod.

Dem Plan folgend stand er in wenigen Minuten vor dem Château, das Haus überrascht musternd. Natürlich, er hätte es ahnen können. Château bedeutete nicht immer gleich ein Schloss im klassischen Sinn. Wohl von kleinen Lustschlösschen inspiriert, waren manche weniger dekorative Häuser auch so benannt. Doch diesen Anblick hatte er nicht erwartet, skurrile Skulpturen zierten neben und über dem Eingang die Hauswand. Einen Moment stand er mit halboffenem Mund da. Na gut, das ist nur der Treffpunkt.

In der Eingangshalle hatten sich schon einige Gäste versammelt, es war nur der engste Kreis der Freunde von Andrin. Pünktlich forderte Paolo Lucchini die Anwesenden auf, ihm zu folgen. Claire schritt neben ihm her, sie hatte noch keine Angaben gemacht, wo dann letztlich die Beerdigung stattfinden sollte. Die Räume waren alle mit Skulpturen und Bildern von Giger ausgestattet, eine faszinierende, aber auch skurrile Kunstwelt.
Im Untergeschoss gelangten sie in einen separierten Raum, der anscheinend neu geschaffen worden war. In einer Vitrine aus entspiegeltem Sicherheitsglas stand eine mannshohe Skulptur. Das silbern verchromte Skelett glänzte im Scheinwerferlicht, Raum und Betrachter spiegelten sich an der Figur. Claire hatte sich seitlich davon aufgestellt, und die Gäste reihten sich im Halbkreis auf.
«Andrin, auf ewig, wie lange dies auch sein möge.» Die Worte von Claire klangen wie ein Ritual.
Florin wusste nicht recht, was er davon halten sollte, weder Andrin noch Claire hatten jemals irgendwelche religiöse Neigungen, und diese Szene wirkte beinah etwas okkult. Da machte Claire einen Schritt nach links, ein Schildchen, das an der Wand angebracht war, dem Blick freigebend. «Andrin Caminada, Kunstsammler» war darauf zu lesen.
Es dauerte eine Weile, bis Florin den tieferen Sinn begriff. Diese Schildchen waren in den Museen üblich, um den Stifter des Werkes auszuweisen. – Hier hatte es einen doppelten Sinn erhalten, der Stifter stand vor ihm, in einem gläsernen Sarkophag.

 
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Hallo Dreimeier

ich habe die Kritiken der Anderen nicht gelesen, weshalb es sein kann, dass ich die Kollegen wiederhole.

Das finde ich gut, erlaubt es doch eine unbeeinflusste Meinungsbildung, auch wenn sich diese allenfalls mit andern überschneiden mögen.

Mir hat Deine Geschichte gefallen. Der Stil ist irgendwie klassisch … wenn das so richtig ausgedrückt ist. Es wird natürlich dadurch unterstützt, weil es in Frankreich spielt.

Das freut mich sehr, dass die Geschichte Deinen Zuspruch findet. Der Akt der Kondolenzbesuche hat durchaus einen klassischen Charakter, früher war dies verbreiteter, heute eher „Persönlichkeiten“ vorbehalten. Aber vielleicht meinst Du mehr meinen Sprachstil, der mehrfach schon für antiquiert befunden wurde. :D In mehreren Geschichten hatte ich Frankreich als Handlungsort verwendet, da die Ideen dazu dort ihren Ursprung hatten, doch hier war dies nicht der Fall. Im ersten Teil blieb es offen, an welchem Ort es sich abspielt, einzig, dass es sich um das Haus des Verstorbenen handelt, konnte man entnehmen. In Gedanken siedelte ich dies in der Deutschschweiz an, das Finale (Gruyeres) dann in der Romandie, also der französischen Schweiz. Diese Dopplung könnte das Ambiente stärker Francophil gestaltet erscheinen lassen, umso mehr, da ich eine trennende Umschreibung wieder herausgenommen hatte.

Allerdings hat mich das Ende etwas gestört, weil ich ähnliches fast erwartet hatte. Ich dachte zunächst an sowas wie Körperwelten. Bei der ersten Erwähnung des Sarkophags wusste ich schon, dass es der Tote ist. Dadurch ist für mich natürlich der Große „Bum“ nicht gekommen.

Es überrascht mich, dass bei dieser Geschichte diese Lesererwartung auftreten konnte. Eine Leserin und ein Leser ahnten bereits eine Frivolität, da ihnen der Künstler H. R. Giger bekannt war, und sie meine despektierliche Ironie in Bezug zur Vergänglichkeit aus einzelnen Geschichten kannten. Ich war hier jedoch bemüht, jeden Hinweis auf den eintretenden Ausgang zu vermeiden.
Der Sarkophag ist das letzte Wort der Geschichte, ich befürchtete schon, als ich Deine Worte las, vorhergehend nicht die Bezeichnung Vitrine genannt zu haben, aber dem war nicht so. - Hast Du etwa vorgehend den Schluss gelesen, Deine Neugierde nicht gezügelt? :bib:

Ich hätte mir gerne einen Raum mit Skulpturen vor gestellt, in dem ein Objekt mit einem Tuch verhüllt ist. Claire enthüllt den Sarkophag und da steht er … glänzend, der Schädel grinsend …
Ok, war so mein Denken. :-)

Solches hätte der Geschichte den eisigen Hauch von Grusel verliehen, was ich nicht wollte. Mit solchem assoziiere ich eher Hagens Körperwelten, die ich nur von Bildern kenne. Übrigens so manches medizinhistorische Museum verwahrt für mein Verständnis anschaulichere Relikte, wenn jemand sich mit Formen der Vergänglichkeit auseinandersetzen möchte. :eek:
Bei dieser Geschichte ging es mir um einen künstlerischen Effekt, der Überspanntheit eines Sammlers, selbst in jene Welt einzugehen, für die er lebte.

Die zweiten Seiten würde ich weglassen.

Habe ich herausgenommen.

„halb drehte“ klingt in dem sonst recht geschliffenen Text etwas unbeholfen.

An dieser Formulierung hatte ich lange rumgebastelt, bis sie mir tragbar erschien. Hm, als ich jetzt durch die verbale Falltür im Untergeschoss aufschlug, kam mir eine andere Wendung in den Sinn. Ob sie besser ist? Weiss nicht, aber ich setze mal leicht umwandte ein, immerhin klingt es gepflegter.

Allgemein fehlt mir ein Hinweis auf Claires Stimme. Ist sie traurig gedämpft oder deutlich und sachlich. Irgendwie fehlt mir das, um ihre Stimmung und die Atmosphäre zu erkennen.

Dieser Aspekt wurde auch von andern angesprochen und ich hatte in der vorliegenden Fassung bereits etwas nachgelegt. An sich meine ich jedoch, dass zwischen den Zeilen in Kombination mit dem geschriebenen Text die Stimmung durchscheint. Beachtet man die Altersangaben, den gesellschaftlichen Status, die Worte von Claire, aber auch die Eindrücke von Florin, da sind schon Bilder vorhanden die Auskunft geben. Einerseits lamentieren die Leser sie möchten nicht alles vorgekaut bekommen, anderseits fehlt es ihnen, wenn es anders ist, da haben die armen Autoren schon ihr Kreuz damit. :sconf:

Chagall „hingestellt“. ***

Klingt wieder in dem sonst recht geschliffenen Text etwas unbeholfen.

:lol: Du hast recht, der Ästhetik wurde damit ein Fusstritt erteilt. Hier hatte ich unbewusst einem leichten Unbehagen gegen Chagall Ausdruck gegeben, was nicht hätte passieren dürfen. Ein Grund mag sein, da ich früher öfters an seinem Grab in St. Paul vorbeikam und immer wieder lagen da grosse Kieselsteine auf der Platte verstreut, was mich störte.
Ich habe die „launige“ Wortwahl nun durch einen gewählten Ausdruck ersetzt.

„Innert“ Das Wort kenne ich nicht, was nicht heißt, dass es dort falsch wäre.

Innert Wochenfrist, da hast Du mich glatt erwischt. Duden und Wahrig weisen es zwar beide aus, doch mit dem Vermerk, es handle sich um einen Schweizer Ausdruck, synonym für binnen. Da beide „Gelehrten-Werke“ es als Hochdeutsch eidgenössischer Herkunft akzeptieren, lasse ich es als nicht falsch stehen.

*** um dann sanft, jedoch bestimmt durchblicken zu lassen, dass „es?“ ihm damit Ernst sei. ***

Ich bin mir nicht sicher, ob es diesem „es“ zwingend bedarf? Da ich zu früher Morgenstunde jedoch nicht in den Wälzern blättern will und die Einfügung sicher nicht falsch ist, fand es nun seinen Platz im Text.

*** Es ist klar, das „s“ Du seinem Willen entsprechen musst. … ***

Dieser Lapsus ist beseitigt.

Na, der ist aber eine Mimose!

Lass ihn dies nicht hören, er ist Anwalt!

Irgendwie gefällt mir das mit dem metallischen Gegenstand nicht. Klingt nicht elegant, geschliffen.

Hm, da fällt mir im Augenblick nichts Gewandteres ein, um es nicht wie eine Glasharfe anklingen zu lassen. Vielleicht finde ich noch eine Wendung, wenn sich dieser Floh in meinem kommenden Schlaf festbeisst.

Doch, der liegt ja direkt nebenan!

Sein Körper ja, doch wäre die Theologie wohl ihrer wesentlichsten Substanz beraubt, müsste sie den Glauben an eine manifeste Seele aufgeben, sich ihre Auflösung wie alles in der Natur eingestehen. Koch zaudert an anderer Stelle noch, da gönnen wir ihm diesen kleinen Halt. Die Erkenntnis über alles Seiende und deren endgültige Vergänglichkeit muss er allein finden. :pah:

Wie sieht das Château denn aus? Skulpturen können ja auch vor einer Gartenlaube stehen

Das Bild ist in der Visualisierung [#2] unter Museum zu finden.

Hier noch ein separiertes Bild jener Figur, die direkt oberhalb des Eingangs hängt. http://farm3.staticflickr.com/2642/4518699826_0023d728ea_z.jpg

So nun lege ich die Geschichte wieder ins Archiv, wo ich sie bereits verwahrte. Doch es hat mir Spass gemacht, sie nochmals hervorzukramen und mit den Inhalten konfrontiert zu werden.

Ich danke Dir herzlich für das Gefallen daran zu finden, das Aufgreifen von wunden oder kritischen Aspekten und die Kommentierung insgesamt.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Der Text schafft es nicht, die hochgestimmte Sprache, die zu diesem Milieu passt, in jedem Detail durchzuhalten. Immer wieder kommt es zu Ausrutschern, die ganze Passagen in ein unfreiwillig komisches Licht tauchen. Aber das ist nichts, was ein guter, stilsicherer Lektor nicht in zwei Stunden beheben könnte. Dafür ist die Geschichte recht gut getaktet, deswegen liest man auch, ohne auf solche Störungen zu achten, gerne weiter. Es baut sich dabei ein enormer Pointendruck auf, den der Autor nur bedingt einlösen kann, aber man ist auch nicht gerade enttäuscht. Alles in allem eine gute, aber verbesserungswürdige Geschichte, auch wenn ich lese, dass sie vom Autor bereits überarbeitet wurde.

PS: Ich glaube niemand ist darauf eingegangen, dass die Rede des Priesters an die Trauergemeinde unfassbar taktlos ist. Er redet viel zu sehr über sich. Dergleichen kommt in der Wirklichkeit natürlich vor.

 
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Hallo Anakreon,

ich wollte deine Geschichte schon lang mir mal vorknöpfen und nun ist es endlich soweit. Die anderen Kritiken habe ich (noch) nicht gelesen, vielleich tu ichs noch und schreibe dann, falls ich meine noch Ergänzungen anfügen zu müssen, in diesen Kasten etwas dazu. Das weiß ich jetzt noch nicht.

Ich muss gestehen, dass ich den Titel "Auf Wunsch meines Gatten" für irreführend halte. Ich hätte in 100 Jahren nicht gedacht, dass ich dann eine Geschichte über den Tod und das Danach und die Kunst zu lesen bekomme. Der Titel klingt mehr so nach einer vielleicht humorigen Alltagsgeschichte, vielleicht ein büschen bieder. Sowas hatte ich erwartet. Statt dessen geht es hier um tiefgreifende Dinge im Leben. Ob du nun dringend den Titel deswegen ändern solltest, wage ich nicht zu beantworten. Er ist ja durchaus in seiner Aussage nicht verkehrt. Es geschieht ja auf Wunsch des Gatten alles wie er es haben möchte.

Was mir an deiner Geschichte gleich zu Anfang auffällt, sind diese ausgesucht interessanten Namen. Die sind dir gelungen. Sie wirken so wie ich mir die Namen von Menschen vorstelle, die künstlerische Ambitionen haben.
Leider habe ich nach ein paar Absätzen das Problem gehabt, dass mir zu viele Personen mit ihren Namen vor die Augen kamen. Das verwirrte etwas, gab sich aber im Laufe der Geschichte, weil sich dann alles auf deinen Protagonisten konzentriert und es sozusagen ruhiger im Namenswirrwarr wird.

Das mit dem Namenswirrwarr hat seine Ursache auch darin, dass du, höflich ausgedrückt, mit dem eigentlichen Thema deiner Geschichte, nicht mit der Tür ins Haus fällst.
Es braucht lange bis es so richtig losgeht. Es ist anfänglich so, dass ich leicht ungeduldig wurde, weil ich nicht verstand, worauf das alles hinläuft, quasi, worauf ich eigentlich achten soll. Auf die Namen? Auf das Ambiente? Auf die Zusammenkunft der Personen? Das wird erst ab genau diesem Zeitpunkt deutlich, als dein Protagonist nach dem Datum der Beerdigung fragt.
Und überhaupt ab diesem Zeitpunkt beginnt so etwas wie eine leichte Spannung sich aufzubauen.

Leider, denn irgendwie hätte das auch schon am Anfang der Fall sein können. Z.B. indem du deine Protagonisten gleich am Anfang schon darüber rätseln lässt, weshalb ausgerechnet es so lange dauert, bis die Beerdigung stattfindet. So ein Fragezeichen, das der Leser in den Kopf gepflanzt bekommt, ist geeignet, ihn viel begieriger weiterlesen zu lassen, weil er ja die Lösung wissen will.

Im Grunde genommen ist es ja die Neugiede, die du hier einfach nur wecken müsstest und das gleich am Anfang.
Das ginge, ohne den Inhalt zu verändern. Nur die Stellen, an denen was steht, wären andere.

Dann war es mir an einer Stelle zuviel des umständlichen Redens und ich fragte mich: "Spricht man wirklich so?"

Allmählich verstand ich seinen Wunsch, es vollendet sein Dasein für die Kunst und gibt diesem Esprit, den er ein Leben lang verkörperte, Ausdruck.
Ja, wirst du sagen, weil du gerade solch gestelzte Form der Rede darstellen wolltest, aber ich fand es doch zu viel des Typischen.

Zwischendrin dachte ich, oh je, er wird doch wohl nicht auf diese Körperwelten des Gunter von Hagens hinauslaufen wollen, aber das erhöhte mein Gespanntsein.

Tatsächlich ging es dann in diese Richtung und hier fehlt mir einfach die Atmosphäre dazu. Da müsstest du viel viel mehr zeigen, wie es auf den Protagonisten wirkt und was er dabei fühlt.
Du schreibst ja nur:

Das silbern verchromte Skelett glänzte
Das ist zu mager.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Atmosphäre, die du geschaffen hast. Ich bin mit recht wenig Leuten befreundet, die künsterlich tätig sind, daher kann ich nur von meinem Gefühl her argumentieren. Aber das sagte mir, dass es sehr stimmig wirkte, dein Einblick in die Welt der Künstler.
Das hatte was.
Das Thema selbst fand ich sehr lohnenswert und wünschte mir, es gäbe noch mehr Geschichte darum.
Ich finde auch, es ist überhaupt nicht einfach, dazu eine runde spannende Geschichte zu schreiben.


Lieben Gruß

lakita


In der Eile, ich wurde leider laufend unterbrochen heute, ist mir dieser Absat noch aufgefallen, zu dem ich etwas sagen wollte. Ich bin der Meinung, dass der die Geschichte derartig entschleunigt, dass ich ihn entweder sehr sehr straffen oder vielleicht ganz streichen würde. Während ich diesen Absatz las, fing ich an schneller zu lesen, weil ich ihn nicht so wichtig fand.

«Liebe Claire, werte Trauergäste! Es ist mir ein Anliegen, ein paar Worte zum Heimgang von Andrin sprechen zu dürfen. Der Anlass unseres heutigen Zusammentreffens erfüllt uns mit Trauer, Andrin Caminada weilt nicht mehr unter uns. Gönnen wir uns die Zeit wehmütigen Abschiednehmens. Doch lassen wir auch die Freude zu. Die Freude, dass wir Andrin in seinem Leben begegnen durften! Ich will mich hier nicht darüber auslassen, was er in seinem Leben vollbrachte und Gutes bewirkte. Ich will auch nicht über den Kunstsammler und Mäzen sprechen, der er mit Herz und Seele war. Ihr alle kanntet ihn diesbezüglich vielleicht noch besser als ich. Es ist der Mensch, dem ich begegnete und dessen Persönlichkeit mich tief beeindruckte. Er ist mir sehr gegenwärtig, wenn ich mich an das erste Gespräch mit ihm erinnere. Es war ein fröhlicher Anlass, eine Geburtstagsfeier im Badrutts’s Palace in St. Moritz, bei der wir beide geladene Gäste waren. Er hatte sich gelangweilt und war auf eine Terrasse geflüchtet.

 

Hallo baronsamedi

Ich musste grinsen, als ich Deinen kurzgefassten, punktuellen Kommentar las, der Ansatzpunkte enthält, die bei einer Rezension zu berücksichtigen sind. Dabei fällst Du gleich mit der Tür ins Haus, was mir nicht unsympathisch ist.

Der Text schafft es nicht, die hochgestimmte Sprache, die zu diesem Milieu passt, in jedem Detail durchzuhalten.

Dieser getrimmte Satz, würde er ohne Autor und Buchtitel zu nennen, im Feuilleton einer grossen Zeitung stehen, liesse wohl so manchen Literaten aufhorchen, da er sich angesprochen fühlte.

Immer wieder kommt es zu Ausrutschern, die ganze Passagen in ein unfreiwillig komisches Licht tauchen.

Dabei komme ich gut weg, wenn ich an einen Zeit-Artikel denke, der von der Ohnmacht der Sprache in der Gegenwartsliteratur berichtete.

Aber das ist nichts, was ein guter, stilsicherer Lektor nicht in zwei Stunden beheben könnte. Dafür ist die Geschichte recht gut getaktet, deswegen liest man auch, ohne auf solche Störungen zu achten, gerne weiter.

Da Martin Suter auf Anregung seiner Lektorin, vor Drucklegung stets auch noch Änderungen an seinen Werken vornimmt, fühle ich mich bei diesem Kompliment in guter Gesellschaft. Wobei dieser Vergleich von mir schon an Hochstapelei grenzt, doch auf tiefer Ebene meine Befriedigung nicht schmälert.

Es baut sich dabei ein enormer Pointendruck auf, den der Autor nur bedingt einlösen kann, aber man ist auch nicht gerade enttäuscht.

An sich konzipierte ich keine Pointe im klassischen Sinn, doch der Wunsch des Protagonisten schob es mit seinem Ansinnen auf dieses Niveau, dem ich mich als Autor nur noch beugen konnte.

Alles in allem eine gute, aber verbesserungswürdige Geschichte, auch wenn ich lese, dass sie vom Autor bereits überarbeitet wurde.

Um solche Quäntchen Salz in der Suppe kommt wohl kein Autor umhin.

Ich glaube niemand ist darauf eingegangen, dass die Rede des Priesters an die Trauergemeinde unfassbar taktlos ist. Er redet viel zu sehr über sich. Dergleichen kommt in der Wirklichkeit natürlich vor.

Es gab schon Stimmen, die Anstoss nahmen. Bei diesem Szenario ist aber zu bedenken, dass es sich um eine „geschlossene Gesellschaft“ handelt und nicht um eine Predigt auf der Kanzel. Auch ist es nicht unüblich, einen Nachruf an persönlichen Begegnungen festzumachen, auch wenn es den Redner so selbst reflektiert.

Ich danke Dir herzlich für das Lesen, die pointierte Kommentierung und die Kritik, welche die positive Einschätzung nicht einschränkte. Ich freute mich darüber und setzte mich vergnüglich damit auseinander.

Schöne Grüsse

Anakreon


PS @ lakita: Da darf ich mich ja zu den “älteren Hasen“ zählen, die Du Dir vorknöpfen wolltest. :D Ich trete baldmöglichst darauf ein.

 

Hallo Anakreon,
ist deine Geschichte eine Kritik am Künstlertum/Mäzenatentum, das sich für überaus wichtig hält und dies durch Absonderlichkeiten zu legitimieren weiß (Damien Hirst?)?
Ist heute doch der Trend zu beobachten, dass die letzte Hülle wenig geachtet wird, sondern dass man die Reste von ihr zum Verstreuen im Ruheforst freigibt. Mag rational manches dafür sprechen, so zeigt es, wie wenig Achtung viele Leute für ihren Körper haben: vergehen in der Anonymität.
Nun die Rede des Theologen:

weitere pathetische Reden abzublocken
Ein deprimierendes Monument aus Wörtern? Sie ist das Gegenstück zum durchsichtigen Sarg. Aber ist sie wirksam? Es sind doch nur Phrasen, Wörterrituale, inhaltsleer.
«So, so, Sie glauben also, der Mensch sei dazu bestimmt, ein ewiges Dasein zu führen. Welchen Sinn sollte dies denn haben?» Er blickte mich dabei herausfordernd lächelnd an.
Das ist die Frage. Das Vergehen in der Natur? Der Sinn bleibt im Vagen.
Die letzte Ruhestätte sollte ihn widerspiegeln, wie er sich selbst verstand, um den Hinterbliebenen die Möglichkeit zu geben, ihm nahe zu sein.
Das erinnert ein wenig an die Pyramiden. Wenn der Mensch schon sterben muss, soll doch die Grabstelle dokumentieren, dass er einst gelebt hat.
Deine Geschichte verstehe ich jetzt so, dass gegen den Trend zur Anonymität der Toten einer aufsteht und sein „Grab“, vielleicht als Protest gegen den Tod, besonders gestaltet.
Wer sich als Toter nicht achtet, achtet sich auch als Lebender nicht. Oder doch nicht?
So sagt der Tote:
In allen Lebenssituationen, und seien sie noch so trist, steckt ein Splitter zur Heiterkeit.
So verstehe ich deine Geschichte als eine Darstellung des Wunsches eines Menschen, seine ehemalige Existenz zu dokumentieren. Die Anspielung auf Schneewittchen gibt Heiterkeit.
Vielleicht könntest du eine treffendere Überschrift finden. So klingt es, als sei die Gattin wenig begeistert.
Ein schönes Thema gut erzählt.
Herzlichst
Wilhelm Berliner

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,

klar zähl ich dich zu den älteren seriösen soliden und vor allen Dingen angnehmst engagierten Hasen. Und du gehörst insoweit dann zur Vorknöpf-Zielgruppe. :D

Ich wollte noch mein zuletzt vollmundig angekündigtes Feedback zu den Kritiken der anderen geben, nein also kein Feedback zu dem, was die geschrieben haben, das ist deren Meinung und die habe ich nicht zu kommentieren und tue es dann auch nicht.
Aber mir fällt auf, dass letztendlich die überwiegende Anzahl an Kritikern dir deine eigene Sprache bescheinigt, aber gleichzeitig auch durchblicken lässt, dass es nicht gerade die leichtest zugängliche Sprache ist.
Mir fiel ja auch auf, dass ich mich auf deine Sätze schon deutlich konzentrieren musste, um sie zu erfassen.
Wenn du diese Sprache gerne verwendest, was dir unbenommen bleibt, dann ist es jedoch umso wichtiger, den Fokus darauf zu legen, dass auch wirklich nichts zuviel gesagt wird. In einem kleineren Rahmen könntest du durch ein wenig mehr Aufteilung der Sätze, denn manche sind doch schon arg lang, mehr auf den Leser zugehen.
Ich denke, immer dann, wenn man sich einen Satz laut vorliest und man seltsam kurzatmig dabei wird, ist das dringendste Gebot, ihn lungentauglich umzugestalten. :D

Luftiges Wochenende wünscht

lakita

 

Hallo lakita

Ich muss gestehen, dass ich den Titel "Auf Wunsch meines Gatten" für irreführend halte.

Da ich die Titel zu Geschichten selbst für sehr bedeutsam halte, hatte ich lange darüber nachgedacht, was hier angemessen ist. Da er weder die Auflösung preisgeben noch abschreckend wirken sollte, erschien mir das Zitat aus dem Inhalt hierfür ideal. Natürlich lockt er Leser an, die einzig unterhaltend in eine heile Welt eintauchen möchten. Bereits im ersten Absatz müssen sie erkennen, dass sie sich auf Kondolenzbesuch einlassen. Wer dies nicht erträgt, wird sich abwenden, ansonsten der Neugierde folgen, was es zu einem solchen eher stillen Anlass erzählenswert sein könnte.

Was mir an deiner Geschichte gleich zu Anfang auffällt, sind diese ausgesucht interessanten Namen. Die sind dir gelungen. Sie wirken so wie ich mir die Namen von Menschen vorstelle, die künstlerische Ambitionen haben.

Da ich selbst einen Namen trage, der in der Gesellschaft auf Interesse stösst, versuche ich den literarischen Figuren mit diesen den Zugang in ihre Welt damit zu erleichtern. Wenngleich ein Kopf fiel der Lynchjustiz durch die Leser grausam zum Opfer, dabei war ich auf Beschaulichkeit bedacht.

Leider habe ich nach ein paar Absätzen das Problem gehabt, dass mir zu viele Personen mit ihren Namen vor die Augen kamen. Das verwirrte etwas, gab sich aber im Laufe der Geschichte, weil sich dann alles auf deinen Protagonisten konzentriert und es sozusagen ruhiger im Namenswirrwarr wird.

Für eine Kurzgeschichte sind es schon einige, in den ersten Absätzen fünf, ein Sechster taucht später auf. Ein tieferer Ansatz an Namen um eine ganze Gesellschaft abzubilden, hätte sich da aber einschneidend auf das Szenarium ausgewirkt.

Es braucht lange bis es so richtig losgeht. Es ist anfänglich so, dass ich leicht ungeduldig wurde, weil ich nicht verstand, worauf das alles hinläuft, quasi, worauf ich eigentlich achten soll.

Das haben Kondolenzbesuche so an sich, sie sind langweilig, die Zeit zieht sich zäh hin. Würde das Atmosphärische nicht spürbar werden, natürlich ohne auszuarten, würde dies ebenso zu Kritik Anlass geben.

Das wird erst ab genau diesem Zeitpunkt deutlich, als dein Protagonist nach dem Datum der Beerdigung fragt.

Eine Vorverschiebung dieser Frage halte ich für wenig opportun. Das Vorspiel schafft den Rahmen, in welchem sich die Wandlung in der Geschichte aufzubauen vermag. Natürlich hätte es damit eröffnen können, so manches Nachfolgende erübrigte sich dann, doch hätte es dadurch nur eines gewonnen, nämlich Kürze. Miniaturgeschichten sind mir oft ein Gräuel, da sie nur selten über den Aphorismus hinaus gelangen, und in eine Idee stecken bleiben, die sich nicht verwirklicht.

Dann war es mir an einer Stelle zuviel des umständlichen Redens und ich fragte mich: "Spricht man wirklich so?"

Allmählich verstand ich seinen Wunsch, es vollendet sein Dasein für die Kunst und gibt diesem Esprit, den er ein Leben lang verkörperte, Ausdruck.

Diese Worte und Ausdrucksform von Claire hat an dieser Stelle schon eine tiefere Bedeutung, entstammen aber natürlich nicht ihrer Alltagssprache. Die gewählte Wortwahl entspringt ihrem Ringen, den Sachverhalt vertuschend darzulegen.

Ja, wirst du sagen, weil du gerade solch gestelzte Form der Rede darstellen wolltest, aber ich fand es doch zu viel des Typischen.

:lol: Da Du mich durchschaust, hm, was soll ich da sagen? Die Schreibratgeber sind ja voll damit, was sprachlich nicht erlaubt ist. Da gibt es aber doch auch diese Ausnahmeregel: „Was funktioniert, das funktioniert, was überzeugt, braucht keine Rechtfertigung.“
Ob es wie vorliegend für den Leser funktioniert, obliegt natürlich dessen Urteil.

Zwischendrin dachte ich, oh je, er wird doch wohl nicht auf diese Körperwelten des Gunter von Hagens hinauslaufen wollen, aber das erhöhte mein Gespanntsein.

Dieser verflixte Hagen, scheint in allen Köpfen zu sein. Dabei hat er doch weder mit Kunst noch mit Wissenschaft wirklich etwas am Hut.

Tatsächlich ging es dann in diese Richtung und hier fehlt mir einfach die Atmosphäre dazu. Da müsstest du viel viel mehr zeigen, wie es auf den Protagonisten wirkt und was er dabei fühlt.

Das silbern verchromte Skelett glänzte

Das ist zu mager.

Ich bin schockiert, ein Vergleich mit diesen skalpierten und geviertelten Körpern! :eek:
Ich hatte mich an dieser Stelle in die Situation von Florin versetzt, mich gefragt, was für Gedanken ihm da aufkämen. Dass er von dieser Kunstform nicht begeistert ist, kam schon früher zum Ausdruck. Hagen wäre für ihn kein Thema, dass sich hinter Chrom ein wirkliches Skelett verbergen könnte, ebenso wenig. Also findet er als nüchterner Jurist den Ort der Besammlung einzig ausgefallen, dass vor einer „Kunstfigur“ noch an Andrin gedacht wird nicht ungewöhnlich, doch von der Art her eben einzig okkult. Mehr Gedanken mag er da gar nicht fassen, die Erkenntnis kommt ihm ja erst danach.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Atmosphäre, die du geschaffen hast. [...] Aber das sagte mir, dass es sehr stimmig wirkte, dein Einblick in die Welt der Künstler.

:cool: Es waren zwar nicht nur Künstler vertreten, doch diese hatten natürlich regen Anteil am Leben des Sammlers. Die bildenden Künstler führen ja meist eher ein karges Dasein, wie die Literaten, wenn es ihnen nicht gelingt, sich mit weiteren verwandten Erwerbsquellen über Wasser zu halten. Oder eben wie hier einen Mäzen zu finden, der ihnen auch breiteren gesellschaftlichen Zugang zu finden.
Es gab da vor ca. 3 Jahren übrigens eine lesenswerte Geschichte von Makita, die einen Künstler glaubhaft eingefangen hatte, obwohl wie sie sagte, nie einem begegnet war.

mir dieser Absat noch aufgefallen, zu dem ich etwas sagen wollte. Ich bin der Meinung, dass der die Geschichte derartig entschleunigt, dass ich ihn entweder sehr sehr straffen oder vielleicht ganz streichen würde. Während ich diesen Absatz las, fing ich an schneller zu lesen, weil ich ihn nicht so wichtig fand.

Was habt ihr nur alle gegen diesen armen Moraltheologen?
Hier berufe ich mich auf das „Vetorecht des Autors“, verflixt, dies gibt es nicht! Na ja zur Not muss halt das Falsifizierungsprinzip von Karl R. Popper herhalten, aus dem abgeleitet das „Vetorecht der Quellen“ argumentiert wurde. Es gibt keinen Quellbeleg, der in diesem Fall das dargelegte Verhalten und die inhaltlichen Aussagen aus dem Munde des Theologen widersprechen würde.
Es entbehrt keineswegs an Plausibilität, wenn eine solche Figur bei gegebenem Anlass auch kurz das Wort ergreift, wenn auch nicht zu jedermanns Freude. Dass es entschleunigt, war mir bewusst. Was mir gewichtiger war, und dies liesse sich nicht in einem kurzen Satz einbinden, dass es einen Einblick in die Wesensart und Denkweise des Verstorbenen erlaubt. Ich nahm diese Kontrastierung also nicht dazu auf, um Füllmaterial einzubringen, sondern mit dieser zugegeben abgehobenen Passage auch Informationen zu verpacken. Die Passage zu kürzen, würde zwar einer verknappten Sachlichkeit dienen, doch wäre es mir selbst ein Verlust am Spektrum der Geschichte.

Hier greife ich gleich noch Deinen heutigen Nachtrag auf:

Aber mir fällt auf, dass letztendlich die überwiegende Anzahl an Kritikern dir deine eigene Sprache bescheinigt, aber gleichzeitig auch durchblicken lässt, dass es nicht gerade die leichtest zugängliche Sprache ist.

*Seufz* Dem war nie anders, meine Sprache natürlich. Deshalb habe ich diesbezüglich eine knappe Argumentation in meinem Profil implantiert.

Ich denke, immer dann, wenn man sich einen Satz laut vorliest und man seltsam kurzatmig dabei wird, ist das dringendste Gebot, ihn lungentauglich umzugestalten

Kürzlich hatte ich eine Geschichte hier gelesen, die durch kurze Sätze ein rasantes Tempo entwickelte. Mein Ding war es nicht, da das Erzählerische dadurch verlorenging. Andere hatten sich daran erfreut, vielleicht da es den Zeitgeist mitschwingt. Anderseits bin ich nicht unbedingt ein Freund von ellenlangen Sätzen, doch bei mancher Darstellung stören mich kurze, da dadurch auch etwas verloren gehen kann.
Wenn ich doch eine Neigung an zu vielen drin habe, liegt es vielleicht daran, dass ich seit Jahrzehnten eine Atemtechnik praktiziere, die als Nebenerscheinung ein erweitertes Lungenvolumen mit sich brachte. ;)

Ich danke Dir herzlich für das Lesen, die wie immer minutiös begutachtende Auseinandersetzung und Kommentierung und natürlich das Gefallen finden an dem Thema, obwohl die Sprachlichkeit Dich noch nicht zu überzeugen mag. Den „angnehmst engagierten Hasen“ hänge ich mir dann zu Ostern auf, obwohl ich den Tag an sich ja nicht begehe.

Schöne Grüsse

Anakreon


PS @ Wilhelm. Nun muss ich die Antwort an Dich noch etwas hinausschieben, da mir die Zeit einmal wieder entflieht. Aber sie kommt baldmöglichst.

 

Hallo Wilhelm

Die in Deinem Kommentar mitschwingende Betroffenheit hat mich etwas überrascht, war ich doch der Meinung, in diesem Stück nichts Verwerfliches inszeniert zu haben. Natürlich sollte es nebst der Unterhaltung auch zum Nachdenken anregen, wobei ich meine dem Leser auch Freiraum für eigene Gestaltung gegeben zu haben.

ist deine Geschichte eine Kritik am Künstlertum/Mäzenatentum, das sich für überaus wichtig hält und dies durch Absonderlichkeiten zu legitimieren weiß (Damien Hirst?)?

Es lag keineswegs in meiner Absicht, eine kaschierte Kritik zu platzieren. Die Chrom-Skulptur war Teil einer ent- und wieder verworfenen Geschichte, die im ausgehenden 18. Jahrhundert spielte, mich jedoch nicht befriedigte. Eines Nachts kam mir dann später unerwartet die Idee, sie nochmals aufzugreifen und im gezeigten Rahmen darzustellen.
Wahre Mäzene, wie sie seit der Antike wirkten, sind heute eine Rarität, die durch instabile Kulturförderungsprogramme von Unternehmen und dem Staat ersetzt wurden. Letztere stehen denn auch permanent in der öffentlichen Kritik.
Mit Damien Hirst hast Du wahrlich einen besonderen Bezug gesetzt, an ihn dachte ich keinen Moment, obwohl sein Diamanten-Schädel dies eigentlich assoziativ hätte einleiten können. Als Künstler schuf er sehr schöne Objekte, die sein Können belegen, doch die Kehrtwendung ins Extreme, indem er Kadaver zu Kunstobjekten erhob, lassen das Ästhetische leider in Vergessenheit geraten.

Ist heute doch der Trend zu beobachten, dass die letzte Hülle wenig geachtet wird, sondern dass man die Reste von ihr zum Verstreuen im Ruheforst freigibt. Mag rational manches dafür sprechen, so zeigt es, wie wenig Achtung viele Leute für ihren Körper haben: vergehen in der Anonymität.

Kulturabhängig gab es in der Menschheitsgeschichte seit jeher unterschiedliche Bestattungsformen. Vordringlich war die Hygiene, doch wahrscheinlich schon sehr früh auch ritualisiertes magisches Denken. Welchen Stellenwert man dem toten Körper beimisst, hängt weitgehend vom Menschenbild und dem Naturverständnis ab. Das Problem sehe ich da eher bei den Hinterbliebenen, können diese den Wunsch eines Verstorbenen mittragen, oder ist ihnen ein konventionelles Begräbnis unabdingbar. Es ist also vielmehr ein seelisches Problem, als denn eines des Respekts, aber man sollte es nicht unterschätzen.

Nun die Rede des Theologen:

weitere pathetische Reden abzublocken

Ein deprimierendes Monument aus Wörtern? Sie ist das Gegenstück zum durchsichtigen Sarg. Aber ist sie wirksam? Es sind doch nur Phrasen, Wörterrituale, inhaltsleer
.

Sind sie wirklich inhaltsleer? Ich denke nein. Natürlich ist es eine pathetische Rede, doch damit kommt präzis das zum Ausdruck, worin viele Menschen eben den Respekt gegenüber den Toten zu erkennen vermeinen. Das Ritual, welches vielleicht bereits in der Steinzeit einsetzte. Ob es ein nicht loslassen Können oder eher eine Würdigung gegenüber einem Toten darstellt, eine Wegbegleitung, wie frühere Rituale es auszeichneten oder einfach das Abschiednehmen, vielfach aber auch reine Formalität. Darüber mögen sich die Geister scheiden.

Das ist die Frage. Das Vergehen in der Natur? Der Sinn bleibt im Vagen.

Die Gesetzesmässigkeit der Natur kennt dieses Problem nicht, sie hat ihren Kreislauf von Werden und Vergehen. Einzig Menschen schaffen es sich, indem sie dies nicht zu akzeptieren vermögen. Philosophische Ansätze, die sich um ein solches Verständnis bemühten, lassen sich beispielsweise bei Francis Bacon finden. Doch hier geht es ja um den Einzelnen, Andrin Caminada, er hat seine Rückschlüsse für sich gezogen. Es lag nicht in seiner Absicht den Theologen zu belehren sondern anzuregen, selbst darüber nachzudenken. Dieses sokratische Vorgehen war insofern auch dem Leser gegenüber in Kraft. Etwas fies, es in einer Geschichte so zu spielen, doch war solches schon früher in Kurzgeschichten ein möglicher Ansatz. Die Sinngebung und -findung im Vagen zu lassen war also kein Zufall.

Das erinnert ein wenig an die Pyramiden. Wenn der Mensch schon sterben muss, soll doch die Grabstelle dokumentieren, dass er einst gelebt hat.

Das waren aber Pharaonen und ihre Grabstätten fürstlich ausgestattet mit Nahrung und Reichtümern, die ihnen in einem Jenseits eine entsprechende Etablierung ermöglichen sollten. Dass ihnen Leibeigene lebend mitgegeben wurden, zudem eher die Schattenseite dieses Totenkults. Dass nach aussen das frühere Dasein eines Herrschers dokumentiert wurde, war wohl ein Zeichen der Macht und des Reichtums. Für die Hinterbliebenen natürlich auch eine Form von Gegenwärtigkeit.
In der vorliegenden Geschichte dienen die von Claire rhetorisch vorgetragenen Worte jedoch vorwiegend dazu, den Sachverhalt nicht preisgeben zu müssen. Es stimmt ja auch, dass Andrin als Kunstbesessener sich in der Skulptur widerspiegelt, er sich ein Grab gewählt hat, das seine Überreste so darstellt, wie sein Leben ihm erfüllt war.

Deine Geschichte verstehe ich jetzt so, dass gegen den Trend zur Anonymität der Toten einer aufsteht und sein „Grab“, vielleicht als Protest gegen den Tod, besonders gestaltet.
Wer sich als Toter nicht achtet, achtet sich auch als Lebender nicht. Oder doch nicht?

Nein, das hätte Andrin nicht entsprochen, der Tod war ihm eine natürliche Gegebenheit, gegen den er keinen Grund sah, sich aufzulehnen. Doch da er selbst kein Künstler war, nur ein Sammler, schuf er sich die Möglichkeit selbst als Kunstobjekt eine vergängliche Erfüllung zu finden.

So sagt der Tote:

In allen Lebenssituationen, und seien sie noch so trist, steckt ein Splitter zur Heiterkeit.

So verstehe ich deine Geschichte als eine Darstellung des Wunsches eines Menschen, seine ehemalige Existenz zu dokumentieren.

Kaum. Er war ein humorvoller Mensch, der über sich selbst lachen konnte. Er sprach diese Worte zwar nicht in diesem Zusammenhang, aber sie zeigen insofern, dass er seinen Abgang durchaus auch unter eine solche Prämisse stellte.

Vielleicht könntest du eine treffendere Überschrift finden. So klingt es, als sei die Gattin wenig begeistert.

Sie ist es auch nicht, begeistert. Gegenüber Florin erwähnte Claire, wie sie lange dagegen ankämpfte, letztlich aber akzeptierte, da es sein ausdrücklicher Wunsch war. Für sie als Hinterbliebene dokumentiert es eben ihre seelische Befindlichkeit, sie hätte sich schon ein extravagantes Grab vorstellen können, aber nicht er selbst als Kunstobjekt. Der Titel war insofern also keine Verlegenheitslösung, in Claires Worten verrät er eigentlich schon, dass nur der Verstorbene seine exzentrische Idee umsetzte.

Ein schönes Thema gut erzählt.

Das freut mich sehr. Ich hoffe, Du bist nun nicht enttäuscht, dass sich die Lösung einfacher gestaltet, als die Interpretation auch zulassen würde.
Unter den Literaturwissenschaftlern gibt es solche, die der Meinung sind, ein Autor habe nach der Veröffentlichung nichts mehr zum Werk zu sagen, dies obliege dann der Literaturinterpretation. Dies löst mir wiederum Assoziationen aus, … doch nein, die verschweige ich nun besser. :D

Ich danke Dir herzlich für die engagierte Auseinandersetzung mit dem Thema, die dargelegten Interpretationen und die doch daraus gezogene Freude an der Geschichte.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon!

Die in Deinem Kommentar mitschwingende Betroffenheit hat mich etwas überrascht, war ich doch der Meinung, in diesem Stück nichts Verwerfliches inszeniert zu haben.
Mich hat es überrascht, das du in meinem Beitrag anscheinend, wenn auch nur eine mitschwingende, Betroffenheit über etwas Verwerfliches festgestellt hast. Ich war weder „betroffen“, noch fand ich irgendetwas Verwerfliches in deiner Erzählung. Ganz im Gegenteil war ich interessiert an dieser Inszenierung des Todes, weil Todestänze zu meinen Spezialgebieten gehören.
Deine Geschichte verstehe ich jetzt so, dass gegen den Trend zur Anonymität der Toten einer aufsteht und sein „Grab“, vielleicht als Protest gegen den Tod, besonders gestaltet.
Wer sich als Toter nicht achtet, achtet sich auch als Lebender nicht. Oder doch nicht?
Nein, das hätte Andrin nicht entsprochen, der Tod war ihm eine natürliche Gegebenheit, gegen den er keinen Grund sah, sich aufzulehnen.
Der Begriff Achtung beinhaltet ja gerade das Berücksichtigen der Natur. Allerdings ist doch etwas zu beachten:
Doch es war wohl eher ein Überraschungscoup eines exzentrischen, alten Mannes, der gegenüber seinen Freunden und der Welt noch ein letztes Mal aufzutrumpfen beabsichtigte.
Er ist wohl als Exzentriker ein Mensch, der gegen Normen verstoßen will. Er will gegen die „Welt“ auftrumpfen. Und doch auch gegen das Verschwinden des Körpers. Gerade Chrom ist ein sehr widerstandsfähiges Material, womit er (bzw. sein Skelett) als sein Kunstwerk „ewiges“ Leben erhält. In dem Kunstwerk steck ein Teil von ihm, das
silbern verchromte Skelett.
Das ist für mich keine Unterwerfung unter die Natur, sondern eine heitere Exzentrität.
So finde ich diesen Mäzen, der streng gegen Künstler ist, dabei auch voller Humor eine außerordentlich amüsante Figur, bei der Ernsthaftigkeit und Schalk zusammenkommen.
Und wahrscheinlich steht sie noch immer da, auch wenn wir nicht mehr über sie diskutieren können.
Deine Geschichte, darauf verzichte ich nicht, hat philosophischen Tiefgang.
Herzlichst
Wilhelm Berliner

 

Hallo Wilhelm

Danke für die Präzisierung zu Deinem Kommentar. Da hatte anscheinend die Schwere der Dunkelheit gelastet, als ich Deinen Kommentar zu nächtlicher Stunde analytisch las. :)

Ganz im Gegenteil war ich interessiert an dieser Inszenierung des Todes, weil Todestänze zu meinen Spezialgebieten gehören.

Im ersten Moment kamen mir Bräuche archaischer Stämme in den Sinn, als ich von Deinem Spezialgebiet las. Doch dann erinnerte mich der Basler Totentanz, ein mahnendes momento mori aus dem Spätmittelalter, daran, dass es in der bildenden sakralen Kunst das Motiv von „Totentanz“ verbreitet gab und dies später auch in der Musik und der Literatur Einzug fand. Ein interessantes Gebiet, das ich - ohne vertiefte Kenntnis dazu - dem damaligen Zeitgeist und den ewigen Ängsten der Menschen vor der Vergänglichkeit zurechne. – Im Vergleich zur Handlung des Protagonisten ein amüsanter Vergleich, dem er, ohne dass ich es voll durchschaute, noch eine ironische Komponente abgewann.

Der Begriff Achtung beinhaltet ja gerade das Berücksichtigen der Natur.

Das klingt, nimmt man einen engen Fokus, nach dem modernen Zeitgeist, der Ökologie. Dieser Respekt der Natur gegenüber ist natürlich nicht falsch, doch ist es letztlich menschliches Denken und Handeln. Die Natur selbst mag es beeinflussen, aber die Wege ihrer Entwicklungen und Regulationen wählt sie sich dennoch selbst. Naturkatastrophen, Epidemien u. a. sind für den Menschen eine Geissel, doch die Natur generiert sich daraus in stets neuen Formen. Als Beleg dafür mag die Erdgeschichte stehen, in der das Vergehen und Werden mannigfaltige Zeugnisse schuf. In etwa von einem solch vagen Naturverständnis, das keinen Anspruch auf Beständigkeit erhebt, ging der Protagonist aus. Die Chromlegierung gewährt dem Kunstwerk wohl eine lange Existenzdauer, doch irgendwann wird die Natur dann auch eine chemische Verbindung finden, die ihn dem Staub anheimfallen lässt.

Er ist wohl als Exzentriker ein Mensch, der gegen Normen verstoßen will.

Normen waren für ihn wohl beengend. So wie er in seinem Kunstverständnis offen war, gönnte er sich diese Freiheit auch für sein Leben. Als Exzentriker hatte er kein Vorbildcharakter, sein letzter Akt stiess darum nicht bei allen Lesern auf Verständnis – ungeachtet, dass es nur eine Fiktion ist. Ein Blick in Künstlerbiografien lässt aber ahnen, dass so mancher sich wohl gern in einer solchen Form verewigt hätte, was hier einem Sammler gewährt wurde.

Deine Geschichte, darauf verzichte ich nicht, hat philosophischen Tiefgang.

Wenn die Geschichte über ihren Unterhaltungswert hinaus zu eigenem Denken und Assoziieren anregen vermag, finde ich es doppelt gelungen. Beim Schreiben hatte es mir Spass gemacht, der Versuch das Thema unter dem Vorzeichen der Ästhetik abzuhandeln.

Ich danke Dir für Deinen Nachtrag, über den ich mich sehr freute.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

die Geschichte hat mich gefreut!
Schöne Spannung, post mortem, und atmosphärisch so gut eingefangen das Ganze, dass man geradezu dabeisteht, mit ernstem Gesicht aber nicht trostlos, ein klein wenig ungeduldig, das Glas Sekt in der Hand und Kunst im Kopf ...

Herzliche Grüße,

Eva

 

Hallo Eva

Es freut mich sehr, dass das dekadent-ironische Stück, welches reiner Fiktion entsprang, Dir ansprechende Unterhaltung zu bieten vermochte. Mir war es zu schreiben eine süffisante Gratwanderung, da sowohl das Thema Vergänglichkeit als auch die gezeigte Gesellschaftsschicht in früheren Geschichten nicht immer Anklang fanden.

mit ernstem Gesicht aber nicht trostlos, ein klein wenig ungeduldig, das Glas Sekt in der Hand und Kunst im Kopf ...

Genau so sollte es sein. Die Leser sollten sich darauf einlassen können, am Geschehen teilzuhaben. So erfreut mich Deine Resonanz, die Du in wohlfeile Worte zu kleiden wusstest. Danke dafür.

Als ich die Geschichte im Januar abfasste, ahnte ich nicht, dass sie nur knapp vier Monate später nahezu den Charakter einer Hommage an H. R. Giger annehmen würde.
Seinem innigen Verlangen nach Süssem und dem Ruf seiner Frau folgend, die mit Kuchen und Kaffee auf ihn wartete, eilte H. R. Giger in seinem Haus in Zürich eine Treppe hoch. Dabei stürzte er unglücklich und verstarb am 12. Mai im Spital an seinen Verletzungen.

Seine letzte Ruhestätte fand Giger in Gruyère. Nein, nein, nicht als Skulptur - auch wenn er Angst hatte, er könnte einmal lebendig begraben werden. So schrieb das reale Leben noch eine eigenständige Sequenz, deren Schnittstellen nicht der Fiktion entsprangen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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