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Aufsässig

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18.04.2002
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Aufsässig

Wenn mein Chef morgens um halb sechs anruft und meint, ich soll ‚doch schnell mal kommen, um eine Besprechung vorzubereiten’, möchte ich eigentlich nicht sagen „klar, kein Problem, ich wollte sowieso gerade losgehen“, sondern eigentlich wäre die richtige Antwort „Mann, ich bin müde, habe erst gestern Überstunden gemacht, was soll der Scheiß?“
Dann auf dem Weg zur Arbeit, in der Fußgängerzone, den Mund hastig mit Wasser aus einer Plastikflasche ausspülen, eine Banane frühstücken, kein Abfallkorb ist in Sicht. Man trägt mit spitzen Fingern, wie ein Versager, die Bananenschale vor sich her. Mir langt's, gerne würde ich das schmierige Objekt einfach so fallen lassen, dass es kein Arsch sieht.
Ich habe mich natürlich nicht getraut. Schließlich hat jeder Mensch eine Erziehung genossen („DAS tut man aber nicht“), besitzt Kultur („Höflichkeit ist die größte Zier“) und Vernunft („tue nur, was auch gut ist, wenn es alle tun würden“).
Vernunft hängt wohl mit dem Großhirn zusammen. Homo sapiens, der vernunftbegabte Mensch. Man muss lediglich mal in die Zeitung schauen, dort erhält man dafür die Bestätigung. Täglich, mit Gruselbonus. Homo sapiens sapiens, sogar. Auf meine Vernunft würde ich ja gerne stolz sein. Ich bin ja einer von denen. Also keinesfalls bösartig handeln, trotz allem.
Nun, die kleine Plastikflasche habe ich dann doch mal in den Glascontainer geworfen, ich Revolutionär ...

 

Ich finde diesen Text sehr amüsant. Es sind viele, vielleicht versteckte, Anspielungen auf die Peinlichkeiten ("wie ein Looser"), Notlügen ("Klar, klar, kein Problem") und boshafter Freuden (Plastikflasche in den Glaskontainer) drinnen, die mich wirklich zum schmunzeln brachten und mir die tatsächliche Winzigkeit unserer Selbst nochmmals zeigt, ohne wirklich aufdringlich zu sein.

Natürlich muss man sich aber in diesem Forum immer Fragen, was beabsichtigt ein Autor in "in medias res" mit seiner Geschichte. Leider sehe ich nicht, dass der TEXT in medias res oder eine Geschichte ist. Das lässt mich ein wenig fraglos zurück, kann aber auch sein, dass nur ich keinen Zugang dazu finde, da Stimmen vor mir damit einverstanden waren.

Liebe Grüße aus Wien, Peter Hrubi

 

Hallo Peter,

vielen Dank für Deine Anmerkungen, mit der Frage, `wann ist ein Text eine Geschichte´ beschäftige ich mich schon seit einiger Zeit und bin da wohl auch anderen Autoren gegenüber großzügiger geworden. Meine (derzeitige) Definition ist , verkürzt, folgende: Wenn eine Handlung sich von A nach B entwickelt (gedanklicher oder auch räumlicher Fortschritt), dabei das gedankliche Niveau zwischen A und B eine Differenz aufweist, dann ist es eine Geschichte. (Es gibt natürlich auch erweiterte Formen, z.B. A - B – A). Deshalb halte ich meinen Beitrag für eine Geschichte, von einer recht einfachen Geisteshaltung (sauer auf Chef) entwickelt sie sich zu einer Reflexion über Erziehung, Moral, Änderungsmöglichkeiten...
Da die gedankliche Entwicklung vom Speziellen zum Generellen plötzlich anfängt (Weckruf) und sich rasant entwickelt, hoffe ich zumindest auf meine Weise die Challenge- Vorgabe zu erfüllen.
Danke für Deine faire Kritik.

Jedenfalls fand ich Deine Anmerkung recht anregend, und bin froh, wenn Du den Text wenigstens amüsant gefunden hast.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hi Woltochinin!

Dann hat sich das für mich erledigt und dein Text ist nun auch für mich eine Geschichte. Wenn jemand sein Werk als Geschichte bezeichnet und dies auch erklären kann, so ist jeglicher Streit sinnlos.
Hättest ja auch sagen können: "Naja, hast recht, is gar keine Geschichte, oje..." aber die Argumentation und vor allem die Absicht lassen aus dem Text eine Geschichte werden.

In medias res hast du somit erfüllt, wie ich mir denke. Klarer Beginn, wirtschaftlichkeit ist klar da, das voraussehbare Ende ist für mich schwer zu erkennen, aber daran solls nicht scheitern.

Gut dass du meine Kritik als "fair" und "anregend" empfunden hast, denn genauso soll sie auch sein. ;)

Liebe Grüße, Peter

 

Hallo,
also auch diese kleine Geschichte halte ich für gelungen. Man kann sich gut in die Lage des Protas hineinversetzen, weil es eben vielen selber so wie ihm geht. Teilweise traut man sich dann nicht einmal irgendetwas zu tun, weil man von der Erziehung vielleicht doch zu viel genossen hat... oder man so viel scheiß lernt, dass man Hemmungen entwickelt. Naja, bei gibt es das nur in Fhasen glücklicherweise.

Der Schluß finde ich gut, weil der Prota sarkastisch ist und gleichzeitig zu einem gewißen Teil kindlich denkt. FInde ich richtig richtig gut!!!!

Viele Grüße
Herbert

 

Hallo Herbert,

es stimmt, der Prot. ist sarkastisch, braucht den Sarkasmus, bzw. eine Portion Humor, um das Leben auszuhalten, schließlich belastet ihn ein Arbeitsproblem so, dass er über die Menschheit an sich zweifelnd nachdenken muß.
Das mit dem „kindlich“ bezieht sich wohl auf sein Verhalten beim Glaseinwerfen?

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon

Also, wie ich so in den Rubriken umherirrte, auf der Suche nach einer schönen Geschichte, fand ich unter Challenge "In medias res".
Mein erster Gedanke war: irgendetwas Lateinisches, also nichts für mich. Ich irrte mit meinen Augen weiter umher. Humor, war ich schon drin. Sonstige, das eine zu schwierig, das andere zu lange für jetzt. Meine Neugier ließ mich nicht los, die Augen wieder auf den Text gerichtet, gehst halt mal schauen.

So nun war ich da, wußte aber immer noch nicht, um was es sich handelte. Da ist Woltochinon. Der kann das sicher, und so kam es wie es kam. Gelesen und kapiert.

Mal sehen ob ich mich auch mal an "In medias res" wage.

Vielen Dank fürs Lesen und Lernen dürfen

Morpheus

 

Hallo morpheus,

den Werdegang zu Deiner Kritik hast Du schön beschrieben. Herzlichen Dank, für das große Lob, werde mich weiterhin bemühen!

Es lohnt sich sicher, „in medias res“ zu gehen…

Viel Erfolg,

tschüß… Woltochinon

 

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