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augenblicke wie dieser

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18.06.2001
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augenblicke wie dieser

Augenblicke wie dieser


Ich bin müde. Ich bin es müde zu warten. Ich bin es müde mein Lächeln jeden Tag aufs neue einzufrieren. Ich bin es müde schallend aufzulachen. Ich bin es müde darüber nachzudenken, was andere von mir halten. Ich bin es müde allein zu sein. Ich bin es müde noch ein weiteres Wort zu sagen. Ich bin es müde unterbrochen zu werden, wenn ich versuche zu schreiben. Ich bin es müde zu versuchen herauszufinden, ob etwas mit mir nicht stimmt. Ich bin es müde einen richtigen Schritt zu tun und wieder da anzukommen, wo ich losgegangen bin. Ich bin es müde an der Klippe zu stehen und mich zu fragen, ob es dort unten bei den dummen Fischen nicht doch besser ist. Ich bin es müde mir jeden Abend einen runterzuholen, damit ich einschlafen kann. Ich bin es müde immer wieder dem Dämon zu begegnen, der in mir haust. Ich bin es müde immer wieder Lauras Gesicht zu sehen. Ich bin es müde in mitleidige Augen zu blicken. Ich bin es natürlich auch müde in den Spiegel zu schauen. Ich bin es müde Zeit zu verschwenden. Ich bin es müde zu suchen und nicht zu finden. Ich bin es müde in Augen zu blicken, die es nicht wagen den meinen zu begegnen. Ich bin es müde so vielen nicht helfen zu können. Ich bin es müde so vielen nicht helfen zu wollen. Ich bin es müde auf den Schmerz angewiesen zu sein, um wach zu bleiben. Ich bin es müde nicht zu wissen, wer ich morgen sein werde. Ich bin es müde mich im Kreis zu drehen. Ich bin es müde jeden Tag prahlen zu müssen, um mich besser zu fühlen. Ich bin es müde Angst zu haben. Ich bin es müde nie zu wissen, was mich meine Phantasie als nächstes sehen lässt.
Obwohl…, das ist wahrscheinlich noch das beste an der Sache. Ich gehe durch die Straßen und ein Drache begleitet mich, während Blumen aus den Häusern wachsen und die Menschen ihre Farbe wechseln. Es duftet schwer nach Dschungel und Napalm. Eine Bombe äschert den Block neben mir ein und plötzlich ist Krieg. Dann schweben Engel vom Himmel, die mich sanft anlächeln. Bist du schon über Wasser gelaufen? Solltest du mal, ist lustig. Weich nur den Flossen der Haifische aus. Neulich bestieg ich einen Vulkan und ritt auf der Lava zurück ins Tal. Eine Meute von Hunden verfolgte mich und im letzten Moment konnte ich mich in die Burg meines Herrn retten. Dann wieder hörte ich meine dritte Symphonie und aller Verkehrslärm verstummte. Goldene Schlieren liegen manchmal in der Luft, die nach Rosen duften. Wußtest du, dass du ohne Probleme von hier zum Pluto sehen kannst? Weißt du auch, was die Kerle dort treiben? Wußtest du, das man durch die Klamotten der Leute einfach durchsehen kann? Ah, diese Wärme arabischer Seide! Als Ninja schleichst du dich auf leisen Sohlen an, bevor du für deine Enkel im Schaukelstuhl Pullis strickst. Weißt du wie gebratenes GrorMa Noh vom dritten Planeten des Aldebaraan schmeckt? Musst du auch nicht unbedingt wissen, glaub mir. Es ist verdammt kalt am Nordpol, selbst wenn Superman dabei ist. Gestern erst bin ich wieder über den Rand der Welt gesprungen und hatte eine nette Unterhaltung mit ein paar Schnecken aus der 45. Dimension.
Und dann gibt es noch die Momente, wo weder das eine noch das andere sonderlich wichtig wäre, Momente zwischen Tür und Angel in denen das Licht gerade schwach genug ist, keinen Schatten zu werfen.
So wie jetzt.

 

Einer meiner Deutschlehrer sagte uns einmal, man könne sich totinterpretieren an einer Geschichte. Deshalb unterlasse ich hier mal den Versuch der ausgedehnten Interpretation und beschränke mich mal auf die schlichteste.

Anscheinend versuchst du den morbiden Zustand, der lediglichlich auf der monotonen Lebensweise des Protagonisten beruht, darzustellen.
Das dafür klassisch bewährte Mittel der aneinandergereihten Wiederholungen "Ich bin es müde, ..." ist in der Tat hilfreich, jene gelangweilte Situation zum Ausdruck zu bringen.
Schließlich flüchtet man, sei es auch nur in der Phantasie, so gut es geht dem Alltagstrott und erlebt wild durcheinander jene Abenteuer, die einem Abwechslung bescheren und die eben nur in Träumen zu verwirklichen sind.
Und plötzlich ist wieder jener Zustand erreicht, der einem nichts mehr abgewinnen lässt, von nichts und niemandem.

Typische Alltagssituation eben.


Gruß, Hendek

 

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