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Aus dem Leben eines Koteletts

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19.02.2006
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Aus dem Leben eines Koteletts

Ich bin weder wirklich tot noch richtig lebendig, doch es scheint mir, als wäre ich dem Tod wesentlich näher als dem Leben. Mein Herz schlägt zwar, aber keine Seele bewohnt diesen gezüchteten Körper. Das Herz pumpt Blut durch meine Venen, doch ich bin nicht fähig etwas anderes zu empfinden, als den immer gleichen Zustand der grauen Leere.
Ich bin dazu verdammt, als willenloser Beobachter in diesem aufgedunsenen Leib gefangen zu sein und zu warten, bis ich abgeholt werde.
Hätte ich die Wahl, so würde mein Herz auf der Stelle aufhören, zu schlagen. Ich würde alles dafür geben, diesem Dahinvegetieren ein Ende zu setzen - aber ich habe nichts zu geben, denn ich besitze nichts. Und ich verkörpere nicht mehr Wert als den, den ich auf die Waage bringe.
Obwohl das Futter vergiftet ist und grausam schmeckt, fresse ich es mit Hingabe, denn Fressen ist das Einzige, zu dem ich überhaupt fähig bin.
Fressen scheint meine Bestimmung zu sein, denn nur, wer anständig frisst, der wird geholt. Und so fresse ich also mit den zahllosen anderen um die Wette, die wie ich in den Käfigen liegen. Ich fresse mit ihnen so lange es hell ist, und es ist hier eindeutig länger hell als dunkel. Selbst wenn es dunkel ist, fresse ich manchmal weiter, denn diese Leere in mir dehnt sich immer mehr aus. Trotzdem ich weiß, dass ich sie nie zu stillen vermag, so kann ich ihr doch nur entkommen, indem ich weiter fresse.
Ich kann mich in meiner Box nicht mehr bewegen, überhaupt kann ich mich nicht erinnern, je gelaufen zu sein. Und selbst wenn ich jetzt Gelegenheit dazu erhielte, so könnte ich sie nicht mehr wahrnehmen, da mich meine Beine schon lange nicht mehr tragen.
Aber das brauchen sie auch nicht, denn ich komme auch so ans Futter. Und wenn ich nur tapfer genug weiter fresse, so werden sie mich schon bald holen kommen.
Das ist gewiss. Sie kommen jeden holen, der anständig frisst. Ich weiß nicht, wohin sie meine Leidensgenossen bringen, denn niemand, den sie geholt haben, ist je zurückgekehrt. Aber ich weiß, dass es ein besserer Ort als dieser sein muss. Dieses Wissen ist unumstößlich, jeder Ort kann nur besser sein als dieser hier. Das gibt mir stets die Kraft weiter zu fressen, wenn mich jene Leere zu verschlingen droht.
Als sie mich holen kommen, quietsche ich vergnügt. Sie packen mich weitaus gröber, als es nötig gewesen wäre, doch ich wehre mich nicht. Ich wehre mich auch dann noch nicht, als sie mich unsanft durch einen langen Flur schleifen. Seltsame Gerüche beißen in meinen Rüssel, entfesseln grässliche Bilder.
Zum ersten Mal in meinem Leben wird die gähnende Leere in mir mit etwas Anderem als Futter gefüllt.
Angst macht sich in mir breit. Eine unbestimmte Angst, welche die über die Jahre angefressene Zuversicht ins Wanken bringt.
Als ich mich endlich aufbäume, ist es zu spät. Sie halten mich gekonnt in einem Griff, der besagt, dass sie nur auf meine Widerwehr gewartet hatten. Mein plumper fetter Leib, mit Muskeln, die sich nie entfalten konnten, hat den routinierten Händen nichts entgegenzusetzen.
In einer kalten Halle, in der der Gestank mir beinahe die Gesinnung nimmt, reißt man mich plötzlich empor. Ehe ich einen Schrei ausstoßen kann, baumle ich auch schon kopfüber in einer Schlinge, die mein hinteres linkes Bein abschnürt.
Mein panisches Grunzen erstickt in blutigem Röcheln, als mir plötzlich die Kehle aufgerissen wird. Ein langes Messer durchstößt meinen Hals und legt die Gurgel frei.
Ein roter Vorhang schießt an meinen Augen vorüber, nässt mein Gesicht mit falschem Leben. Ein Schmerz, der so grauenhaft ist, dass er meine Wahrnehmung zu verglühen droht, lässt meine Augen trüb werden.
Ich wehre mich nicht länger, ich sehe dem Ausfließen meines Blutes mit Ungeduld entgegen.
Denn ich weiß, dass hinter dem roten Vorhang der bessere Ort auf mich wartet.

* * * * *

„Wie magst du deins, Willy?“, rief der Dicke aus den Rauchschwaden in das fröhliche Gelärme der Gartenparty.
„Schön blutig muss es sein!“, rief Willy zum Grillmeister zurück. „Blutig ist es am Besten!“

 

Das Herz pumpt Blut durch meine Venen, doch ich bin nicht fähig etwas anderes zu empfinden, als den immer gleichen Zustand der grauen Leere.
fähigKOMMA
Zum ersten Mal in meinem Leben wird die gähnende Leere in mir mit etwas Anderem als Futter gefüllt.
anderem
"Schön blutig muss es sein!", rief Willy zum Grillmeister zurück. "Blutig ist es am Besten!"
besten

Hi weltenläufer,
also, nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, dachte ich mir "Ja und?"

Na gut, der letzte Satz ist dir geglückt, und der Schreibstil ist auch in Ordnung, aber alles in allem ist das eine Geschichte, die ich kurz nach dem Lesen wieder vergesse (n würde, wenn ich net son blödes gutes Gedächtnis hätte). Sorry.

Bruder Tserk

 

nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, dachte ich mir "Ja und?"
du kaltherziger Banause, schämen solltest du dich ;)

´Was ich dazu zu sagen hätte, habe ich schon mit Wolto ausgetauscht. Lies dir mal unseren Wortwechsel durch :)

Trotzdem danke fürs lesen und ganz in Ordnung finden (wird wohl diesmal nix mit Empfehlung, wa? :lol: )

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

auch mir hat deine Geschichte gut gefallen. Sie macht auf jeden Fall nachdenklich und prangert die Missstände an.

Zudem muss ich sagen, dass der Titel für deine Intention sehr gut gewählt ist. Dadurch verdeutlichst du nochmal sehr schön, dass es dem Züchter, oder dem Metzger, oder wem auch immer, nicht um das Tier Schwein geht, sondern nur um die Ware Fleisch. :thumbsup:

Was mir nicht gefallen hat, war die häufige Verwendung des Verbs "fressen". Klar willst du die Monotonie schildern, aber irgendwie nutzt sich das dann doch ab. Ein paar Mal wenige wären schon besser.

Die letzten zwei Sätze würde ich streichen. Die fand ich total fehl am Platz.

Fazit: Eine Geschichte, die mich nachdenklich zurück lässt und ihre Wirkung nicht verfehlt. Da ich denke, dass das deine Intention war, Daumen hoch.

Weiter so!

lg neukerchemer

 

Hi neukerchemer,

danke für dein Lob.
Freut mich, dass dich die Geschichte nachdenklich stimmt. Damit hat die Kg seine Intention erfüllt. *sich selbst Daumen hoch halt*

Da du der erste bist, dem die letzten zwei Sätze falsch platziert vorkommen, werde ich die Löschung selbiger zunächst mit einem schüchternen Grinsen auf unbestimmte Zeit verschieben :shy: ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

ich will einfach mal erzählen, wie es mir beim Lesen erging:
Erst die Überschrift, da dachte ich an ein sprechendes Kotelett.
Dann die ersten Zeilen, da dachte ich an einen Menschen, der seinen Lebensmut verloren hat und sich nur noch wie ein Stück Fleisch fühlt...und in dem Kotelett aus der Überschrift vermutete ich eine Metapher - quasi er selbst fühlt sich nur noch wie ein Stück Fleisch.
Erst als es um Futter und Käfig ging, liefen meine Gedanken in Richtung Mast-Tier. Ist zwar auch ne gute Idee, aber durch meine Erwartungen aus den ersten Zeilen, nämlich einer stark gemachten Beschreibung eines psychischen Wracks, war es fast eine kleine Enttäuschung, dass es dann "nur" um ein Schwein ging.
Für den ganzen Rest der Geschichte bin ich aber aufgeklärt, habe mein Schwein im Kopf, ein vermenschlichtes Schwein, das als Solches in dieser Situation wohl durchaus so denken könnte.
Natürlich glaubt wohl ein Schwein nicht an "einen besseren Ort", also ein Leben nach dem Tod - aber andererseits, wer weiß das schon...
Die Geschichte ist eigentlich eine moderne Fabel!
Der Stil ist meiner Meinung nach tadellos, Du schreibst klar verständlich, ich finds gut!
Mit dem gelungenen Schluss hat man auch was zum Nachdenken. Aber wehe Du hast mir jetzt bei meinem nächsten Steak den Apetit verdorben *droh*

Fazit: Hab ich gerne gelesen, Daumen hoch.
Gruß
Bacardi

 

Danke für deine wohlwollende Kritik, Frieser

Interessant, wie deine Lesart sich entwickelt hat. Eine regelrecht Metarmorphose. Du fandest es anfangs enttäuschend, wie du sagst, dass es sich letztlich nur um ein Schwein handelt. Schade, das sehe ich nämlich gar nicht so. Wenn es mir beim Lesen einer Geschichte so ergeht wie dir, dann freue ich mich in der Regel eigentlich immer (vorausgesetzt es ist gut geschrieben und wartet nicht mit Logik-Lücken auf). Denn ich finde eigentlich nichts langweiliger als einen durchschaubaren Text.
Ob es sich hier um eine Fabel handelt... Naja, im weitesten Sinne vielleicht.

Der Stil ist meiner Meinung nach tadellos, Du schreibst klar verständlich
das freut mich natürlich ganz besonders
und wenn ich dich auch noch zum Nachdenken gebracht habe, bin ich rundum zufrieden.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi weltenläufer,

es gibt arme Schweine und dumme Schweine!
Der Mehrzahl der dummen Schweine will das Kilo für 3,-- Euro haben. Dann kommt die Schweinepest und alle dummen Schweine haben angst sich anzustecken, schnell schwenken sie auf Geflügelfleisch um. Natürlich nur solange bis die Vogelgrippe kommt, dann kommt das Rind und BSE. Der positive kurzzeitige Effekt: das Kilo kostet dann 2,--EURO, was dann wieder verlockend ist...durch den immerwiederkehrenden Kreislauf der Natur regelt sich die Überproduktion und auch der Preis wieder auf 3,-- EURO.

Und wer noch nicht gestorben ist, der grillt noch heute...

Treffende Geschichte und gottlob unappetitlich zu lesen.

LG
Katinka

 

Hallo KatinkaH

Treffender hätte ich es auch nicht ausdrücken können.
Mehr bleibt mir da eigentlich auch nicht zu sagen.

Und wer noch nicht gestorben ist, der grillt noch heute...
:D

Vielen Dank für´s Lesen und Gutfinden

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

hey weltenläufer:zensiert:

auch ich fand die geschichte gut. auch(?) - ich hab die kommentare nicht mal gelesen. es waren einfach zu viele, sorry:shy: .

ich bin stolze halbvegetarierin:lol: ich esse nämlich nur flügel. okay, die sind vllt noch ärmer dran, als die schweine. bin mir nicht sicher, hab mir nie gedanken gemacht. werde ich wohl auch nicht. es ist zwar traurig, dass die tiere so behandelt werden, als wären sie keine lebewesen, aber die meisten menschen essen viel lieber fleisch, als sich gedanken zu machen, wie ein tier gelebt hat.
von zuvielem denken kriegt man kopfschmerzen, da gehen wir doch viel lieber den magen füllen.

du hast dich aber sehr gut in ein schwein versetzt(:D ), dass hätte mich fast berührt, wenn es kein schwein wäre. ich hab nämlich gar keine beziehung zu schweinen.:D (oh man wieder so ein satz, dass man falsch versteht)
egal, es hat gefallen und das war die hauptsache

cu blacky:zensiert: (hab dich auch zensiert)

 

Yo blacky,
was soll ich zu deinen Kommentar sagen?
Also erstmal Danke für´s Lesen und Gutfinden.

Aber den Kommentar über dein Halbvegetarierdasein solltest du dir vielleicht noch mal selbst durchlesen.
Der anklagende Ton ("sie") will mir da nicht so recht als passend erscheinen, wo du doch anscheinend genau das Selbe tust?
Hab`s aber vielleicht auch nur falsch verstanden...

grüßlichst
weltenläufer

 

hallo weltenläufer,

das ist ja schön, wenn ältere geschichten wieder nach oben gespült werden und man dann auf so eine perle (und dann auch noch über säue...) trifft. hat mir sehr gut gefallen, besonders die sprache, und mich an meine schul- und studienzeit erinnert, als ich in einem großschlachthof als aushilfe gearbeitet habe. besonders die passage mit dem vorhang aus blut trifft es sehr genau, ich habe bei verschiedenen gelegenheiten unter so einem vorhang gestanden, immer dann nämlich, wenn sie mich zum "blut holen" schickten.

da nimmt man ein paar eimer, geht in diesen langen, gekachelten gang, in dem die schweine abgestochen werden, nachdem sie im elektroband betäubt wurden. die metzger arbeiten dort mit gehörschutz. dieser gang also ist sehr schmal, man drückt sich an die wand, an der alle paar sekunden die neuen stahlhaken, an langen ketten hängend, direkt vor deiner nase herunterkrachen. man muß die zeit zwischen zwei haken genau abschätzen, klong, erster haken, runterbeugen zu der wanne, in die das blut fließt, den eimer drunterstellen, auf den nächsten haken, warten, klong, und sich erst dann wieder an die wand pressen. du MUSST auf den nächten haken warten, anders geht es nicht, sonst kriegst du ihn in die fresse. und während dieser zeit, in der man den nächsten haken abwartet, hältst du den kopf über die wanne, die tiere kommen dir da auf handbreite nah, und du kannst glück haben oder aber eine warme blutdusche abkriegen, je nachdem, wo das schwein gerade hängt und wie stark es es noch zuckt. und das kann dir gehörig die laune verderben, vor allem, wenn die metzger das gerade abgestochene schwein absichtlich so drehen, daß du was abkriegst und sich dann halbtot lachen, wenn du besudelt da stehst und das blut dir langsam in den kragen und sonstwohin läuft.

mann, ich muß unbedingt mal eine schlachthofgeschichte schreiben.

 

Hallo sundance

Danke für dein Lob, trotzdem die Geschichte schon älter ist, freut mich das natürlich immer wieder ungemein...

Gegen das, was du an eigene Erfahrungen gemacht hast,klingt ja meine Geschichte beinahe harmlos.

Ich kann dich nur in dem Entschluss bestätigen selbst eine Kg über dieses Thema zu schreiben!

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Weltenläufer,

über "arme Schweine" gibt es ja haufenweise Geschichten. Aber ich habe noch nie eine Geschichte über solch ein armes Schwein gelesen. Regt ziemlich direkt zum Nachdenken an und ist in Aufbau, Wortwahl und Länge genau richtig konzipiert, um das nachhaltig zu tun. Sie zieht einen rein, in eine schreckliche Situation.

Für mich würde die KG aber viel mehr nachhaltige Wirkung erzielen, wenn du auf den Schlussdialog verzichten würdest.

Natürlich willst du mit dem Break noch einen oben drauf setzen. Aber du zerstörst meiner Ansicht nach sofort einen Gedankenstrom, den du mit deiner Geschichte selbst ausgelöst hast. Du zwingst meine Lesergedanken von der allgemeinen, mitfühlenden Fantasie, die bereit ist, die ganzen Konsequenzen, die ganzen kritischen Überlegungen, die ich mir dazu machen will, schlagartig in ein Bild, dass die moralische Bewertung zusammenfassend selbst vornimmt. Klar, deutlich und unmissverständlich. Das finde ich schade, weil es mich aus meinen eigenen Überlegungen und Bildern rausreißt.

Das ist, als würdest du mir z. B. eine gruselige Geschichte mit einem offenen Ende erzählen, und mich dann, während ich noch mit leichtem Schauer deine Story weiterspinnen will, plötzlich mit dem Knall einer aufgepusteten Papiertüte erschrecken. Dieser Knall reißt mich vorzeitig aus der eigentlichen Geschichte, die im Kopf vielleicht noch weiter gegangen wäre.

Grüße von Rick

 

Hallo Rick,
Über ein Lob aus deinem Munde freue ich mich ganz besonders.

über "arme Schweine" gibt es ja haufenweise Geschichten. Aber ich habe noch nie eine Geschichte über solch ein armes Schwein gelesen. Regt ziemlich direkt zum Nachdenken an und ist in Aufbau, Wortwahl und Länge genau richtig konzipiert, um das nachhaltig zu tun. Sie zieht einen rein, in eine schreckliche Situation.
Dieser Absatz liest sich wie wohltuender Balsam. Seligen Dank dafür...

Für deine Anmerkung zum Schlussdialog bin ich dir auch zu Dank verpflichtet. Das habe ich nämlich noch gar nicht aus dieser Perspektive betrachtet. Ja, es ging mir tatsächlich "nur" darum,

noch einen oben drauf zu setzen
- dass damit jedoch auch etwas zerstört werden könnte, habe ich gar nicht beachtet. Jetzt wo du es sagst, erscheint mir dein Einwurf jedoch sehr berechtigt.
Bei dieser Geschichte werde ich es dennoch dabei belassen, aber ich behalte das für meine kommende Arbeit auf jeden Fall im Kopf.
In der "Erstversion" kam dieses Ende auch gar nicht vor, schon allein deswegen nicht, weil die Idee aus einer Schreibaufgabe geboren wurde, in der es darum ging, aus der Sicht eines Tieres zu schreiben. Aber am Ende hat mir da noch der letzte Schliff gefehlt. So kam es dann nach einigem hin- und herwenden zum abschließenden Dialog.

Danke nochmal
weltenläufer

 

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