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Ausgebrannt
Das Feuer bahnte sich langsam einen Weg durch das Holz. Lange hatte es so ausgesehen, als würde es nicht entfachen, aber jetzt leuchtete es grell. Die glatte Rinde des Buchenholzes bot die Grundlage für die gefräßigen Flammen. Edith warf ein Kohlestück hinzu und schloss den Kamin. In ihren Augen spiegelte sich das Feuer wieder, gemischt mit Tränen, die nicht im Stande waren, die Flammen zu löschen. Stumm blickte sie aus dem Fenster, beobachtete wie der Schnee lautlos die Erde bedeckte. So lautlos wie sie immer gewesen war.
1980. Die bemerkenswert dunklen Augen der Studentin leuchten, fahren das Gebäude immer wieder ab, von dem Dach mit den roten Ziegeln, bis zum gewaltigen Eingangsportal. Ein Lächeln liegt auf dem hübschen Gesicht, die Lippen umranden ihre weißen Zähne. Das ist die Zukunft, denkt Edith. Als sie den ersten Schritt auf die Treppen der Uni zugeht, packt sie eine unbändige Vorfreude.
Die Augen ruhten starr auf dem Himmel. Eine einsame Träne kroch die Wange hinab und benässte das schwarze Tuch. Schwarz, wie ihre Augen und ihre Gedanken. Innerlich sieht sie das Gesicht ihres kleinen Sohnes, das den Vater mit großen Augen anblickt. Der hält mit zusammen gekniffenen Augen einen Brief in der Hand.
„ Wo ist sie?“, fragt der Kleine und sein Vater schaut ihn stumm an. Er beugt sich zu ihm herunter und fährt mit der Hand durch sein dichtes Haar.
„ Weg“, antwortete er und eine harte Linie liegt um seinen Mund.
1982. Das ersten Semester sind überstanden. Die junge Frau läuft lachend untergehakt zwischen ihren zwei Freundinnen. Der Vollmond spendet genug Licht in den dunklen Straßen um das Nachtlokal zu erkennen.
„ Heute wird gefeiert!“, ruft Edith in die dunkle Nacht hinaus und ihr rotes Kleid leuchtet in der Dunkelheit. Es soll eine lange Nacht werden. Die Kleider sind verschwitzt vom vielen Tanzen und die Lippen schmecken nach den Küssen des anderen. Ediths Hand liegt in der eines Mannes. Er sieht gut aus, ist groß und breit gebaut. Seine Augen sind blau wie der Himmel und sein Lächeln so umwerfend wie tausend glitzernde Sterne. Das ist er, denkt Edith und ihre Lippen berühren seine.
Gepeinigt unter den Gedanken an ihren Sohn, wendete sich Edith vom Fenster ab. Schützend hielt sie die Hände vor ihre Augen, aber die Tränen ließen sich nicht stoppen. Ihr Herz bebte vor Trauer und Wut. Wut auf sich selbst.
1984. Der glücklichste Tag im Leben einer Frau: die Hochzeit. Die Frau mit den vor Glück glänzenden Augen, ist kaum älter als 22, ihr kleiner Kopf ist stolz empor gehoben, als sie den Weg zum Altar schreitet. Ich brauche kein Studium, das ist es was ich brauche, denkt sie und lächelt Erik selig an, der schon am Altar mit ausgestreckten Armen wartet. Starke Arme sind es, so beschützend und warm. Sie braucht nur das.
Unter Tränen faltete sie ein rotes Kleid. Als sie begriff was es war, verharrte sie in der
Bewegung. Es war das rote Kleid, das sie damals trug, als sie Erik kennen lernte. Die Verzweiflung brach aus ihr heraus. Sie schrie in das dunkle Haus hinein und zerriss den feinen Stoff des Kleides.
„ Du Mistkerl!“, schrie sie so laut, dass sich ihre Stimme überschlug.
Es folgt die Geburt der ersten Tochter. Elisa ist ein schönes Kind, mit roten Bäckchen und strahlendem Lachen. Ihr Bruder Max steht ihr in nichts nach. 15 Jahre später ist er der Schwarm aller Mädchen, auch wenn er seinen kleinen Bruder Timmy spazieren trägt. Oder vielleicht gerade dann. Die Drittälteste, Anne, schaukelt allein im Garten. Edith betrachtet ihre Kinder. Ihre Augen haben an Glanz verloren.
2005. Stumm und immer noch zitternd wegen ihres Ausbruches, schließt Edith den letzten Koffer. Ein letzter Blick aus dem Fenster bleibt an den funkelnden Sternen hängen. Dort blieben ihre Träume hängen, unerreichbar, die Chance ist verpasst. Immer noch weinend, schleppt sie den Koffer zur Tür. Edith blickt zurück, die dunklen Augen auf das Feuer im Kamin gerichtet. Das war das einzige, was ihr in den letzten Jahren Wärme schenkte.