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Ausgeschnitten

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30.12.2002
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Ausgeschnitten

Letzte Nacht hat sich die Welt verändert. Ich weiß nicht, wodurch, aber heute Morgen ist alles anders.
Ich wache auf und bemerke, dass mein Zimmer in ein diffuses, grünes Licht getaucht ist. Irritiert verlasse ich mein warmes Bett und gehe zum Fenster, um die Vorhänge aufzuziehen. Draußen geht gerade die Sonne auf, aber der Himmel trägt nicht, wie sonst, Morgenröte, sondern Morgengrün. Da ist noch etwas anderes, was mich beunruhigt, ich kann es nur noch nicht genau einordnen. Kopfschüttelnd wende ich mich vom Fenster ab und gehe in die Küche, um die Kaffeemaschine zu starten, die ich, wie immer, gestern Abend schon vorbereitet habe. Ich warte auf das brodelnde Zischen des heißen Wassers, aber es passiert nichts. Der Stecker ist in der Steckdose, ob die Sicherung rausgeflogen ist? Auf dem Weg zum Sicherungskasten fällt mir ein, was ich vorhin am Fenster vermisste: Das Zwitschern der Vögel. Kein Ton dringt von draußen ins Haus, es ist geradezu gespenstisch still. Ich öffne den Sicherungskasten und finde alle Sicherungen unversehrt vor. Ratlos kehre ich in die Küche zurück und sehe mir die Kaffeemaschine genauer an. Wasser ist eingefüllt, der Filter enthält Filterpapier und weißes Kaffeepulver. Moment, wieso ist das Kaffeepulver weiß? Ich schnuppere daran und kann keinen Geruch feststellen.
Verstört gehe ich ins Bad, um meine Morgentoilette zu verrichten. Beim Blick in den Spiegel erstarre ich. Meine Haare sind über Nacht schlohweiß geworden, und meine Gesichtsfarbe ist von einem seltsamen hellblau. Ich öffne den Mund zu einem stummen Schrei und sehe eine Reihe schwarzer Zähne darin.
In Panik drehe ich mich um und renne aus dem Haus. Dass ich barfuss bin noch meinen Schlafanzug trage, ist mir egal. Ich will hier nur raus, und zwar sofort.
Die Eingangstür fällt hinter mir ins Schloss und ich stehe in meinem Garten. Dumpfe Stille senkt sich auf mich herab. Ungläubig betrachte ich den roten Rasen, die blauen Osterglocken und die schwarzen Krokusse. Ich versuche, zu gehen, aber meine Beine versagen mir den Dienst. Dafür beginnen die Fliesen des Gartenweges, sich langsam zu bewegen. Sie treiben gleichmäßig, sanft auf- und abschwingend vorwärts und scheinen sich ständig zu erneuern. So gelange ich sachte zur Straße. Es ist gespenstisch leer, außer mir ist kein Mensch zu sehen. Der Fußweg vibriert unter meinen Füßen und befördert mich zur Straße, wo ich vom Kopfsteinpflaster empfangen werde. Die einzelnen dicken, klobigen Steine bewegen sich rumpelnd, reiben aneinander und ab und zu quetschen sie mir meine Zehen ein, was schmerzhaft ist. Angst kriecht langsam meinen Nacken hoch und nimmt von mir Besitz. Mein Puls fängt an zu rasen, ich höre meinen Herzschlag in den Ohren. Leichenblass vor Entsetzen sehe ich am Straßenrand tote Vögel liegen, es müssen hunderte sein. Sie liegen alle auf dem Rücken und strecken ihre steifen Füßchen in den Himmel. Ich sehe nach oben. Über rotbelaubten Bäumen spannt sich ein orangefarbener Himmel. Was ist nur los, wieso sind die Farben alle falsch? Die Angst in mir wächst sich zu Panik aus. Ich versuche, stehen zu bleiben, aber das Kopfsteinpflaster mahlt unaufhörlich weiter und ich treibe auf eine große Straßenkreuzung zu. Auch hier sehe ich kein Anzeichen von Leben, im Gegenteil. Auf den Fußwegen liegen tote Hunde und Katzen, sie sehen so aus, als schliefen sie. Ich spüre, wie ich unendlich traurig werde und fange an zu frieren, obwohl kein Luftzug zu verspüren ist, kein Windhauch. Ich bewege mich auf eine große, weiße Fläche zu. Sie wirkt auf mich bedrohlich und beruhigend zugleich, ich kann mich nicht entscheiden. In mir toben Gefühle, die so intensiv sind, dass sie mir körperlich wehtun. Jetzt habe ich das blendende Weiß erreicht und die Straße katapultiert mich mitten hinein. Es ist, als sei ich schwerelos in einem weißen Nichts. Wenigstens kann ich jetzt meine Arme und meine Beine wieder bewegen, aber ich spüre nirgendwo einen Widerstand. Die Umrisse der Stadt, in der ich lebe, werden kleiner und kleiner und verschwinden schließlich ganz. Verzweifelt versuche ich, irgendwo ein Ende des weißen Nichts zu entdecken, aber es ist kein Ende zu sehen. Überall nur weißes, helles Nichts. Ich habe das Gefühl, ausgeschnitten zu sein. Ich habe den Kontakt zur Welt verloren, gebe mich auf und dem weißen Nichts hin.
Da höre ich in der Ferne ein Grollen. Es kommt näher, Sturm braust auf, Blitze zucken durch das Nichts und dann wirft sich das Unwetter über mich. Sekundenlang bekomme ich keine Luft mehr und ein brennender Schmerz fährt durch meinen Körper. Wie vom Sturm aufgepeitscht, bäumt sich mein Körper auf, um dann wieder in sich zusammenzusacken. Ich versuche, mich irgendwo am weißen Nichts festzuhalten, was mir nicht gelingt. Ich kann dieses Nichts nicht mehr ertragen und schließe meine Augen. Wieder durchzuckt mich ein gewaltiger Schmerz, lässt meinen Körper krampfartig zucken und jetzt höre ich ein leises, regelmäßiges Piepsen. Plötzlich empfinde ich körperlich Kontakt zu meiner Umgebung, spüre mich wieder. So, als sein ich nicht mehr ausgeschnitten, sondern wieder eingefügt, wie ein Puzzleteil. Ich öffne mühsam die Augen um sie gleich wieder vor Schmerz zu schließen, weil helles, gelbes Licht mich blendet. Eine Männerstimme sagt:“ Wir haben sie wieder."

 

Hallo barkai!

Luzifers Salto Dimensionale?

Das lässt mich sehr ratlos zurück. Was wolltest du damit ausdrücken? Schön geschrieben, ja, lässt sich lesen und verstehen, ja, auch die Bilder sind verständlich - aber mehr als das sagt es mir leider nicht.

Schöne Grüße,

yours

 

Ich habe die Geschichte "Ausgeschnitten" genannt, weil sie beschreiben soll, wie ich mir das Ausgeschnittenwerden aus dem Leben vorstelle, also das Sterben. Erst verändern sich alle Farben in ihre Komplementärfarben und dann kommt das Nichts.

 

Hallo barkai,

das liest sich wie ein Traum, ein Alptraum,aus welchem man dann erwacht und feststellt, dass alles noch seine Ordnung hat und man lebt und atmet und die Farben auch noch alles stimmig sind.
Du wolltest das Ende deines Protagonisten darstellen, das habe ich eben gelesen, weil du yours truly geantwortet hattest. Ich selbst wäre sonst nicht so direkt darauf gekommen, dass es dir um den Tod ging.

Was mir sehr fehlt, ist dennoch die Frage nach dem Sinn dieser Geschichte. Was genau willst du aussagen? Was willst du mitteilen?
Deine Figur erlebt viel Unnatürliches, aber fühlt offensichtlich nicht. Es wird alles nur festgestellt, aber nicht mit dem Gefühl unterlegt, dass dies auslöst.
Am Anfang ist noch Irritiertsein und Kopfschütteln, also Verwunderung zu erkennen, aber danach ist dein Protagonist nur noch Berichtender ohne Wertungen. Dadurch wirkt dein Text für mich intentionslos.


Lieben Gruß
lakita

 

Lakita, du hast vollkommen Recht, darum habe ich heute Morgen die Geschichte noch einmal gründlich überarbeitet und den Schluss verändert und hoffe, sie kommt so besser rüber.

 

Hi barkai,

mir gefällt deine Geschichte insgesamt sehr gut. Auch in ihrer ursprünglichen Version von gestern fehlte mir nicht die Existenzberechtigung, die hier in Frage gestellt wurde. Dass es um den Tod geht, erschien mir als wahrscheinlich, und allein durch die Selbstverständlich- und Natürlichkeit dieses Themas erschien mir der Text eigentlich schon als sinnvoll.

Aber auch der neue Schluss sagt mir sehr zu. Vielleicht könntest du noch an einigen Formulierungen feilen (z.B. verwendest du im letzten Absatz recht gehäuft das Wort "Nichts"), ansonsten gefällt es mir aber. Besonders die Idee des "brutalen" Herunterbrechens des Lebens und Sterbens auf ein simples Copy&Paste-Prinzip finde ich gut umgesetzt.

 

Hallo barkai,

mit diesem Schluss erhält die Geschichte tatsächlich wesentlich mehr Aussagekraft, ABER ich glaube, du hast mich leider nicht ganz vollständig verstanden.
Leider habe ich nicht so viel Zeit, um es dir detailliert auseinander zu setzen, deswegen nur einige wenigen Beispiele.
Wenn du plötzlich unnatürliche Farben siehst, was geht dann gefühlsmäßig in dir vor? Was für Gedanken und somit Gefühle beherrschen dich, wenn du merkst, dass kein Vogel mehr singt? Wie fühlt sich das an? Wenn man plötzlich im Spiegel etwas völlig Unerwartetes sieht, welche Gefühle rasen dann los?
Von dieser emotionalen Seite finde ich nichts in deiner Geschichte. Davon hätte ich aber gerne mehr gewusst und deinen Protagonisten gerne näher kennen gelernt.

So, als sein ich nicht mehr ausgeschnitten, sondern wieder eingefügt, wie ein Puzzleteil.
Hier würde ich nur vom Puzzleteil schreiben, der Leser hat ja verstanden, dass sich der Protagonist vorher ausgeschnitten gefühlt hat.

Lieben Gruß
lakita

 

Lakita, ich habe doch eigentlich recht viel von dem geschrieben, was meine Protagonistin fühlt. Sie ist beunruhigt, ratlos, verstört. Sie erstarrt beim Anblick ihres Spiegelbildes, gerät in Panik, schreit, rennt weg, Angst kriecht in ihr hoch, der Puls rsat, das Herz klopft in den Ohren, sie wird vor Entsetzen blass. Sie ist unendlich traurig, friert, die Gefühle toben in ihr. Meinst du, ich sollte noch mehr von ihren Gefühlen beschreiben? Oder anders? Aber dan wird es eine andere Geshcichte, fürchte ich. Ich weiß nicht, ich lasse es jetzt erst mal so, vielleicht kannst du mir ja, wenn du mal Zeit und Lust hast, (eventuell per PM) mehr davon beschreiben, was du meinst. :D

EinePizza, du hast mich zum Lächeln gebracht. Ich freue mich über das, was du gechrieben hast, Danke.

 
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Hallo barkai!

Das hier zum Beispiel:

Verstört gehe ich ins Bad, um meine Morgentoilette zu verrichten. Beim Blick in den Spiegel erstarre ich. Meine Haare sind über Nacht schlohweiß geworden, und meine Gesichtsfarbe ist von einem seltsamen hellblau. Ich öffne den Mund zu einem stummen Schrei und sehe eine Reihe schwarzer Zähne darin.
In Panik drehe ich mich um und renne aus dem Haus. Dass ich barfuss bin noch meinen Schlafanzug trage, ist mir egal. Ich will hier nur raus, und zwar sofort.

Du beschreibst schon, aber ich spüre nichts dabei. Ebenso hättest du schreiben können:

Durcheinander gehe ich ins Wohnzimmer um ein Buch zu lesen. Beim Öffnen erstarre ich. Die Buchseiten sind gelb und voller Buchstaben und irgendwer hat Joghurt auf die Seiten gekleckst. Ich öffne meinen Mund, ich schreie, aber ich höre nichts. Meine Hände sind faltig.
Ich habe Panik und renne aus dem Wohnzimmer. Mir ist egal, dass ich meinen Hut vergesse, ich will nur noch raus.

Ich hätte mir als Leser gewünscht, dass du nicht nur gesagt hättest, dass sie Panik hat ("In Panik drehe ich mich um ..."), sondern dass du es mich spüren hättest lassen.

Etwas, das dir dabei im Weg steht, ist deine Perspektive. Du wählst die "ich"-Form.
Aber nun ... wer würde denn bitte so sprechen: "Ich öffne den Mund zu einem stummen Schrei ..."

Entweder es ist eine Nacherzählung, okay, dann würde sie aber beim Erzählen Panik verspüren und eher so formulieren: (denk ich mal)

Ich war total durcheinander, wusste nicht, was los war. Dann bin ich ins Bad, wie immer hab ich in den Spiegel gesehen aber ... das war nicht ich! Meine Haare waren weiß wie die einer alten Frau und mein Gesicht war seltsam blau. Ich wollte schreien, aber es kam nichts aus meinem Mund, ich hab immernoch das Bild vor mir im Spiegel, mit offenem Mund, die Augen weit und voller Panik. Dann hab ichs nicht mehr ausgehalten und bin rausgerannt, ich wollte nur noch weg!

Oder sie erzählt es so nebenbei, als hätte sie ein Mikro dabei und würde einem stummen Beobacher erzählen, was sie tut:

Ich bin durcheinander, alles ist so fremd. Die Badtür steht offen, ich gehe rein und ... oh mein Gott, was ist das! Mein Gesicht im Spiegel, das bin nicht ich, das ... meine Haare sind weiß, die Haut ist blau ich ... ich kann nicht schreien, mein Mund geht auf, das spüre ich, aber es ist, als wäre ich stumm.

So wie du es verwendest, klar, das kann man schon auch machen, aber es klingt eben dann verklärt, distanziert, gefühllos, als wäre sie schon lange tot. Allerdings passt dann dein neues Ende überhaupt nicht, weil du da den Erzählstil wechselst.

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo yours truly, jetzt verstehe ich, was ihr meint. Ich werde es in meinen nächsten Geschichten berücksichtigen und versuchen, mehr Gefühle zu transportieren, die der Leser spüren kann. :D

 

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