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Ausgetrickst
Okay, alles klar, es kann losgehen. Gespannt sitze ich am Schreibtisch vor meinem Computer. Ich hole tief Luft und lege die Finger auf die Tastatur. Heute habe ich die felsenfeste Absicht, endlich und tatsächlich mit dem Schreiben meiner Diplomarbeit zu beginnen. Ich bin wahnsinnig früh aufgestanden, habe schnell gefrühstückt und könnte nun loslegen. So rein theoretisch. Ich starre auf den blinkenden Cursor im Textverarbeitungsprogramm. Blinkblink. Sonst passiert leider gar nichts. Blinkblink. Macht mich ganz nervös das Ding. Wie soll man denn da kreativ werden?
Ich blicke aus dem Fenster. Milchigblauer Himmel, herbstliche Morgensonne... eine Runde Jogging im Stadtwald wäre jetzt ein Traum. Ich seufze mein Selbstmitleid in die Welt hinaus und drehe mich unschlüssig auf dem Schreibtischstuhl hin und her. Ach was soll´ s, lebe deine Träume, so heißt es doch. Es läuft eben nicht immer alles nach Plan. Und schließlich kommen einem beim Joggen doch die tollsten Ideen! Während man locker und leicht durch den Stadtwald hopst – da wird doch mindestens ein läppischer Einleitungssatz herausspringen. Also wirklich! Erleichtert über diese neu entdeckte Möglichkeit der Kreativitätsfindung fahre ich rasch den Computer herunter und suche eifrig nach meinem Sportdress.
Wunderbar. Ganz einfach wunderbar. Ich genieße den Lauf, mache extra etwas langsamer und hänge noch einen Kringel um den kleinen Stadtwaldsee dran. Meine Gedanken kreisen um das Wochenende, das bald vor der Tür steht. Ups, na so was, wie sind sie denn dahin gekommen? Nicht zu fassen. Hopp hopp zurück!
Also gut, wie könnte ich denn meine Diplomarbeit elegant einleiten? Hmm, mal überlegen… Derweil lasse ich den See hinter mir und biege wieder in den Wald ein. „Lena? Hee Lena! Huuuhuu!“ höre ich es auf einmal hinter mir rufen. Ich drehe mich um und bleibe überrascht stehen. „Miri!“ Ich winke dem einige Meter hinter mir ankeuchenden Wesen verdutzt zu. Nicht zu fassen, es ist meine Freundin Miri! Sie schleppt sich noch bis zu mir und stützt sich dann prustend mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, wobei sie Oberkörper samt hochrotem Kopf herunter hängen lässt. „Ich…kann nicht mehr!“ bringt sie von da unten hervor. Ich kann es immer noch nicht glauben. „Spinn ich? Seit wann joggst du?“
Meine Verwunderung ist echt. Miri ist so ziemlich der unsportlichste Mensch, den ich kenne. Es müsste schon jemand mit der Peitsche hinter ihr stehen, und selbst dann hätte sie bestimmt noch eine fantastische Idee, wie sie diesen Jemand überzeugen kann, doch eher mit ihr einen Kaffee trinken zu gehen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Welche Diskrepanzen sich auch hinsichtlich unseres sportlichen Engagements auftun – in sämtlichen anderen Fragen des Lebens kommen wir sozusagen gar nicht ohne einander aus. Manchmal telefonieren wir viermal am Tag miteinander, um uns schlussendlich entweder bei ihr oder bei mir zum klönen einzufinden.
„Also“, schnauft sie und hebt den Kopf, um mich anzusehen, „ ich muss verrückt geworden sein. Völlig durchgedreht. Alles nur wegen diesem elenden Kerl, ich –„ ein Hustenanfall unterbricht sie.
„Welcher Kerl? Erzähl!“ dränge ich sie ungeachtet möglicher lebensgefährlicher Konsequenzen. Miri hat immer großartige Männergeschichten auf Lager und ich brenne darauf, die neueste zu hören. Schlimm genug, dass ich scheinbar nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge bin. „Wieso weiß ich eigentlich davon noch nichts?“ schiebe ich also schnell noch entrüstet hinterher.
Miri kommt ächzend nach oben und stemmt die Hände in die Seiten. „Ja also gestern, da gehe ich aus dem Büro, und als ich in den Aufzug steige, kommt dieser Ole noch um die Ecke reingestürzt. Ole, der süße Typ aus der Marketingabteilung.“ Erwartungsvoll blickt sie mich an. „Äh -", mache ich und krame beflissen in meinem Gedächtnis. Dann erinnere mich daran, dass sie mal von einem unglaublich obertollen Typen aus dem Büro geschwärmt hat, der so toll sein muss, dass selbst Miri sich nicht getraut hat, ihn anzusprechen. Ich beeile mich zu nicken. „Richtig, Ole, und weiter?“
„Also, wir haben ein bisschen geredet und er sagte, er ginge jetzt noch ins Fitnessstudio und ich habe gesagt, was für eine tolle Idee, ich sei auch so eine begeisterte Sportlerin und -“.
„Du hast was?!“ Ich kann es nicht glauben. Miri ist einfach unverbesserlich.
„Naja, ich weiß. Aber wie hätte ich denn sonst da gestanden? Jedenfalls hat er mich gefragt, ob wir dann am Samstag nicht mal gemeinsam joggen gehen. Tja, und da muss ich doch jetzt üben.“
Ich muss lachen. „Mensch Miri, das ist ja der Oberwitz. Ausgerechnet du! Ein Jogging-Date!“ Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Miri grinst schief. „Ja ich weiß. Total skurril. Sag mir lieber, wie ich da wieder rauskomme.“ So eine Chaotin. Aber ich weiß schon was wir tun. „Okay, los, erstmal ab zu mir nach Hause. Da habe ich Verbandszeug. Damit basteln wir dir einen sensationell verstauchten Knöchel! Und dann stellen wir dir ein umwerfendes Outfit für ein richtiges Ole-Date zusammen.“ Miri strahlt mich begeistert an. Kurz blitzt ein Gedanke an meine Diplomarbeit auf. Aber da hakt Miri mich schon mit einem fröhlichen „Auf geht´ s!“ unter, und wir marschieren los.
Wäre doch gelacht, wenn ich nicht wenigstens eine sinnvolle Tat heute in Gang kriegen würde!