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Ausgeweidet

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23.06.2009
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Ausgeweidet

Ausgeweidet

Die Sommersonne hatte frühmorgens um acht Uhr schon Kraft. Kraft, die Häuser am Westufer des Starnberger Sees mit Licht zu überfluten und den See in einen glitzernden Teppich zu verwandeln, Kraft, den Tau zu trocknen und alle Tiere und Menschen, die sich ins Freie begeben hatten, zu wärmen. Alle? Wilhelm Tattenberg, obwohl bereits völlig ausgekühlt, konnte sie nicht mehr wärmen, der lag zu diesem Zeitpunkt nämlich schon rund zehn Stunden mausetot in seinem Garten. Die fortschreitende Leichenstarre und Austrocknung konnte auch nicht von dem Dobermann gestoppt werden, der sein Herrchen treuherzig ableckte.
Als Janine Tattenberg, die 12 Jahre jüngere Gattin, von ihrer Shopping-Tour in New York zurückkam, hatte sie zunächst erwartet, dass Tyson - der Hund war nach dem bissigen Boxer benannt - sie anspränge, wie er es immer tut, wenn sie für ein paar Tage verschwunden war.
"Tyson? Wo ist denn mein Schatzi?", rief sie ins leere Haus, während sie die erste Ladung Einkaufstüten - der größte Teil der Beute war noch in den Koffern im Auto verstaut - abstellte und ihre neuen 2000-Dollar Schuhe abstreifte.
Endlich kam der Hund angelaufen. Sie herzte und drückte ihn, dann füllte sie seinen Napf mit frischem Fleisch, frischen Innereien, Dosenfutter für ihren Liebling lehnte sie ab. Doch der Dobermann hatte keinen Hunger. Er lief wieder in den Garten hinaus und leckte weiter sein Herrchen ab, gefolgt von seinem Frauchen.
"Willi, was liegst du schon wieder faul in der Gegend rum? Deine Faulheit bringt dich noch um, ehrlich." Als sie gewahr wurde, dass ihn nicht die Faulheit getötet hatte, sondern definitiv etwas anderes, erzitterte der Starnberger See von einem Schrei, der derartig spitz war, dass bei den Nachbarn nicht nur die hauchdünnen Orangensaftgläser platzten, sondern sogar die weichen Eier.

Kommissar Arnold Rebers und der Gerichtsmediziner Kai Balke waren ein bisschen wie Hund und Katz, Bayern und '60, Tschüss und Servus, einfach nicht kompatibel, aber die Unbill des Berufslebens brachte die beiden immer wieder zusammen.
"Na, was haben wir denn heute, Doktor Tod?", fragte Rebers provozierend.
"Sie werden's nicht glauben: eine Leiche. Eine tote Leiche, toter geht's nicht."
"Woran ist sie gestorben?"
"Herr Kommissar, Leichen sterben nicht, der lebendige Tattenberg dürfte gegen 22 Uhr seinen letzten Atemzug getätigt haben."
"Und was war so atemberaubend?"
"Tja, das ist nicht ganz einfach. Ich vermute, Tattenberg ist mit Chloroform oder einer artverwandten Substanz anästhesiert worden und dann…dann hat ihn der Täter allem Anschein nach ausgenommen."
"Ausgenommen?"
"Ausgeweidet, Herr Kommissar, nach allen Regeln der Kunst. Er hat ihm Leber, Nieren, Pankreas und das Herz herausgenommen, soweit ich das durch Abtasten spüren kann. Die Autopsie wird Genaueres ergeben."
"Also haben wir hier einen Fall von Organraubmord. Und wo sind die Organe?"
Balke deutete auf einen Fleck neben der blutverschmierten Leiche.
"Der Mörder hat die Organe offensichtlich hier abgelegt und dann, als er fertig war, mitgenommen."
"Seltsam", brummte Rebers. "Wenn der Killer die Organe verkaufen wollte, würde er doch pfleglicher damit umgehen."
"Da muss ich Ihnen ausnahmsweise beipflichten. Ansonsten ist der Killer nämlich tatsächlich pfleglich mit der Leiche umgegangen. Er hat sie abgewaschen, zumindest äußerlich dürften alle Spuren beseitigt sein. Vielleicht finden wir im Thorax oder im Bauchbereich noch ein Haar oder so etwas. Aber sehen Sie diese Naht?"
Tattenberg war vom Brustbein bis zum Nabel durch einen sauberen Schnitt aufgeschnitten und wieder zugenäht worden."
"Die Arbeit eines Profis?", wollte der Polizist wissen.
"Nein, nicht ganz. Die Naht ist zu wulstig. Das ist mal das Eine. Aber auch die Stiche sind zu unregelmäßig angesetzt. Ich würde sagen, ein Anfänger, aber fachkundig."
"Also ein Assistenzarzt zum Beispiel?"
"Möglich, aber eher ein Medizin-Student. Vielleicht auch ein ambitionierter Krankenpfleger."

Hannes Brabann, die rechte Hand von Rebers, erwartete seinen Chef mit dem Notizbuch in der Hand im Wohnzimmer, das zum Garten führte. Er stand neben der Ledercouch, auf der die schöne Witwe saß, die den nicht versiegen wollenden Tränenstrom mit parfümierten Papiertaschentüchern einzudämmen versuchte.
"Es gibt keine Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens, Chef, die Alarmanlage war eingeschaltet. Tattenberg hat seinen Mörder also vermutlich hereingelassen."
"Oder der Täter hatte einen Schlüssel", wandte Rebers ein. "Was mich stutzig macht, warum hat der Hund nicht eingegriffen?"
"Weil diese gemeinen Kerle ihn vergiftet haben. Mein Bubi will heute nicht mal sein bestes Fressen anrühren…", heulte die Witwe dazwischen, die das Gespräch der beiden Polizisten belauscht hatte.
"Wir haben eine andere Theorie", meinte Brabann. "Der Hund war vermutlich im Gang eingesperrt. Wir haben Kratzspuren an der Innenseite der Tür gefunden, frische Kratzspuren."
Rebers dachte kurz nach.
"Der nächtliche Besucher ist auf alles vorbereitet, nicht aber auf einen Dobermann. Also täuscht er eine Hundeallergie oder so etwas vor und bittet Tattenberg, seinen vierbeinigen Aufpasser wegzusperren. Dann gehen die beiden in den Garten. Tattenberg wird umgebracht, der Mörder muss aber durch den Gang, um das Haus zu verlassen. Er öffnet die Tür, der Hund läuft in den Garten zu seinem toten Herrchen und der Killer kann entkommen."
"So könnte es gewesen sein. Aber er hätte das Grundstück auch über den schmalen Streifen zwischen Haus und Gartenmauer verlassen können. Außerdem haben wir Spuren an der Innenseite der Terrassentür gefunden. Der Täter hat den Hund rausgelassen und dann die Glastür geschlossen."
"Seltsam", brummte Rebers. "Sind die Spuren zu gebrauchen?"
"Nein, er trug Plastikhandschuhe, wir haben nur etwas Flüssigkeit gefunden, vermutlich noch etwas Blut, Wasser und Chemikalien. Aber im Gang haben wir noch Jeansfasern gefunden, vermutlich von einer Jacke."
"Könnten die nicht vom Opfer stammen?"
"Mein Mann trug doch keine Proletenkleidung", entrüstete sich die Witwe.
"Der Hund hat den Mörder also mindestens einmal angesprungen", fuhr Brabann weiter.
"Das kann aber auch zur Begrüßung gewesen sein", meinte der Kommissar.
"Ja, unser Tyson begrüßt alle freundlich, so wie es sich gehört", schluchzte Janine Tattenberg dazwischen.
Dann muss er keine Hundeallergie vorgetäuscht haben, dachte sich Rebers insgeheim. Wie viele Menschen mag es auf diesem schönen blauen Planeten schon geben, die sich freuen, von einem solchen Säbelzahntiger angesprungen und behechelt zu werden. Aber Rebers beschränkte sich darauf, die üblichen Fragen zu stellen.
"Frau Tattenberg, hatte ihr Mann Feinde?"
Sie schüttelte den Kopf. "Er war doch so beliebt", presste sie hervor. "Und nächstes Jahr wollte er für den Bezirkstag kandidieren."
"Für die Schwarzen?", fragte Rebers sicherheitshalber.
"Für die FDP, mit diesen verkappten Sozialisten, so hat er die CSUler immer genannt, hat er nichts am Hut gehabt."
Auf dieses Glatteis wollte sich Rebers nicht begeben, schloss ein politisches Motiv aber vorerst aus.
"Womit verdiente ihr Mann denn sein Geld?"
"Mit harter, ehrlicher Arbeit!"
"Geht's etwas präziser?", bohrte Rebers nach. "Ich meine, so eine Villa kann man sich nicht unbedingt leisten, wenn man Postbote oder von mir aus auch Kriminalbeamter ist."
"Gell, das Haus ist schön", sagte sie plötzlich mit verträumtem Blick. "Er hat es mir vor ein paar Monaten erst geschenkt, mein Willie, mein Held."
"Und woher hatte er das Geld?", fragte Rebers mit nachlassender Geduld. "Hat er im Lotto gewonnen?"
"Ja, halten Sie uns für Proleten, oder was? Wir spielen doch kein Lotto. So was haben wir nicht nötig. Willie war im Import/Export tätig. Mit Brasilien, glaube ich."
"Glauben Sie?"
"Nein, ich weiß es. Er hat mir jedes Mal, wenn er drüben war, eine Postkarte geschrieben und mir brasilianische Schönheitsmagazine mitgebracht, so für plastische Chirurgie. Schauen Sie, das kommt da drüben monatlich raus in einer Auflage von ein paar Hunderttausend. So fortschrittlich sind diese Latinos manchmal. Und bei uns regen Sie sich auf, weil das gegen die Natur wäre, so eine Schönheitsoperation. Diese hässlichen Grünen da. Soll ich Ihnen die Magazine bringen?"
Janine Tattenberg war plötzlich in ihrem Element.
"Nein Danke", winkte Rebers ab, "mich würde mehr interessieren, was Ihr Mann so importierte."
"Maschinen, Arbeitsgeräte, irgendwelchen Zeugs, mit dem ich mich nicht auskenne. Wurstschneider und so ein Kram. Ja, und seit drei Jahren auch medizinische Geräte. Aber fragen Sie mich nicht, wofür die gut sein sollen."
Also nichts, um sich die Brust vergrößern und Fältchen verkleinern ließen, dachte sich Rebers, sonst würde sie's kennen.
In zwei Wochen wollte er wieder fliegen und am 13. Juni zurück kommen, da ist nämlich mein Geburtstag. Er wollte mir einen Rubin schenken." Dies waren Janine Tattenbergs letzte Worte, dann brachen wieder die Tränendämme.

Am frühen Nachmittag lag der erste Bericht über Tattenbergs Geschäfte vor. Rebers studierte ihn sorgfältig. Wilhelm Konrad Tattenberg lebte seit gut 15 Jahren vorrangig vom Import, genauer gesagt von Lebensmitteln und Lebensmittelmaschinen aus Brasilien.
"Das Geschäft lief wohl seit einer Dekade recht passabel", meinte Walter Blom, der Wirtschaftsexperte bei der Münchner Kripo. "Aber wirklich reich wird man davon nicht. 200.000 im Jahr, wenn's hoch kommt."
"Das reicht weder für die Hütte am Starnberger See noch für das zugehörige Luxusweibchen. Wie lange waren die Tattenbergs zusammen?", fragte er Brabann.
"Im August wären's vier Jahre geworden. Sie haben sich in Monte Carlo kennen gelernt. Am Roulette-Tisch. Er hat ne Menge Kohle verloren, dafür Janines Herz gewonnen."
"Kommt sie aus reichem Hause?"
Brabann lachte. "Hasenbergl. Der Papa war, du wirst es nicht glauben, Müllfahrer."
"Nichts gegen Müllfahrer, ich bin mit meinen per Du."
"Geh, ich hab ja auch keinen Dünkel, aber die Tattenberg, da denkt man doch, die wäre Spross von altfranzösischem Hochadel, so von der Sorte, die seinerzeit vor Robespierre geflohen ist. Dabei kommt die von ganz unten: Vier Kinder in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Ich habe mit der Mutter telefoniert. Die Frau Tochter hat jeglichen Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Das muss man sich mal vorstellen. Die Mama klang übrigens ganz anders als die Tochter, nämlich natürlich und sympathisch."
"Hm", brummte Rebers und sinnierte. "Eine Hochstaplerin? Betrügerin? Die war doch nur aufs Geld aus."
"Schon", warf Brabann ein, "aber die Mama meinte, Tattenberg hätte von ihrer Herkunft gewusst. Bald nach ihrer Rückkehr aus Monte Carlo hätte sie ihm gebeichtet, dass ihr Papi nicht Direktor der bundesweit größten Recyclingfirma ist, sondern sich etwas bescheidener um unsere Abfälle kümmert. Den Bären hat sie ihm nämlich echt aufgebunden."
Die drei Polizisten lachten über diese Dreistigkeit.
"Tattenberg angelt sich also ein junges, hübsches Luxusweibchen, das seine Unterschichtenvergangenheit hinter sich lassen und fortan von goldenen Tellern essen will. Das bedeutet für ihn: er braucht Geld. Hast du etwas gefunden Walter?"
"Möglicherweise. Er fängt vor ziemlich genau dreieinhalb Jahren mit Medizingeräten an."
"Das hat die Witwe schon gesagt. Aber Medizingeräte aus Brasilien, das ist doch ein schlechter Scherz. In die andere Richtung würde ich's ja verstehen."
"Täusch dich nicht, die Brasilianer haben ziemlich aufgeholt. Allerdings hat Tattenberg im Prinzip nur einfachen Praxiszubehör verkauft. Tupfer, Skalpelle, Stethoskope, also eher Kleinkram. Das Geschäft ist nicht sonderlich gut gelaufen. Zumindest hat er vor zwei Jahren damit aufgehört."
"Also eine Sackgasse."
"Nein, nicht unbedingt. Er hat einem Dr. Schlohinger zweimal für 80.000 Euro Waren geliefert."
"Was? Soviele Klemmen und Skalpelle kann der doch in zehn Leben nicht verbrauchen."
"Das habe ich mir auch gedacht."
"Und dann gibt es keine geschäftlichen Verbindungen mehr?"
Blom schüttelte den Kopf. "Zumindest steht nichts in den Büchern. Der Schlohinger ist uns allerdings bekannt. War vor ungefähr vier Jahren in einen ziemlich großen Anlagebetrugsfall verwickelt.“
„Täter oder Opfer?“
„Opfer natürlich. Der hat ne ganze Menge Schotter in den Sand gesetzt. Das verdienen wir in zehn Jahren nicht.“
„Interessant“, resümierte Rebers. „Der Tattenberg und der Schlohinger haben also vor knapp vier Jahren beide Geld gebraucht...“

„Privatpraxis Prof. Dr. Georg Schlohinger, Innere Medizin und Nephrologie“ stand auf einem der vielen vergoldeten Schilder des Ärztehauses in den Fünf Höfen. Rebers war überrascht, als er die Praxis betrat, herrschte dort doch alles andere als das übliche geschäftige Treiben. Im Wartezimmer saßen ein Araber mit seiner Frau sowie ein elegant gekleideter Geschäftsmann, der unaufhaltsam auf die Rente zusteuert.
An der Rezeption telefonierte eine Arzthelferin unüberhörbar mit einem Patienten jenseits des großen Teichs.
"Yes Sir…surely, now we have a kidney donor…yes…"
"Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte die andere Arzthelferin, eine groß gewachsene Blondine mit Pferdeschwanz und vollen Lippen.
"Ich würde gern mit Doktor Schlohinger sprechen."
"Tut mir leid, aber der Herr Professor ist heute an der Universität. Sie müssten mit seinem Assistenzarzt Dr. Klöbl vorlieb nehmen, aber der ist sowieso immer verantwortlich für die Erstellung der Anamnese. Dann können Sie vielleicht mit dem Herrn Professor Schlohinger sprechen. Was fehlt uns denn?"
"Mir geht ein Todesfall an die Nieren." Rebers konnte sich den Kalauer nicht verkneifen. Zudem wollte er sich vorerst noch nicht als Polizist zu erkennen geben.
"Da sind sie bei uns richtig. Dr. Klöbl ist ein erstklassiger Nephrologe."
Rebers grinste ein wenig in sich hinein. Derweilen hatte die andere Arzthelferin, eine junge Frau mit schwarz gefärbtem Haar und blassem Teint, das Telefonat beendet.
"Und, kommt der, dieser Bernie Madsen?", fragte sie die Blondine neugierig.
"Ja, wird auch Zeit bei ihm. Der hat schon eine gelbe Haut wie ein Chinese."
Dann tippte sie etwas in den Terminplaner, das Rebers, der ihr genau auf die Finger schaute, stutzig machte. Kurzerhand ging er hinter die Rezeption.
"Haben Sie morgen noch einen Termin frei?", fragte er scheinheilig und blickte auf den Monitor. Dort war für den kompletten 13. Juni "John Smith - Vagotomie" eingetragen. Als ihn die Helferinnen aus ihrem Reich hinauswarfen, hatte er schon genug gesehen.

Während der Autofahrt zur medizinischen Fakultät am Bavariaring rief Rebers den Gerichtsmediziner an.
"Hallo Dr. Tod, haben Sie etwas Interessantes gefunden in der Leiche?"
"Nein, keine Spuren, der Killer war vorsichtig. Herz, Nieren, Leber und Pankreas haben gefehlt. Milz und Magen haben ihn offensichtlich nicht interessiert."
"Ich hätte da noch eine Frage: Was ist eine Vagotomie?"
"Kommissar, das ist eine Magen-Operation aus der Steinzeit der inneren Medizin, damit hat man Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre operativ behandelt. Macht heute kein Mensch mehr."
"Auch nicht Dr. Schlohinger?"
"Der Schlohinger, der eine Gastprofessur an der Uni hat?" Balke kriegte sich vor Lachen kaum mehr ein. "Da können Sie gleich fragen, ob er mit heilenden Steinen bei Vollmond Voodoo-Rituale abhält. Der Mann ist eine internationale Kapazität."
"Etwa auf dem Gebiet der Organtransplantation?"
"Jaja, speziell Nierentransplantation."
"Ein kidney donor ist auf deutsch doch ein Nierenspender?"
"Ich bewundere Ihre Englischkenntnisse, Herr Kommissar, ich muss mich jetzt aber um einen Selbstmörder kümmern. Vermutlich Arsen. Der ist noch giftiger als Sie. Guten Tag."
Danach rief Rebers noch im Kommissariat an, um seine Kollegen mit Recherchearbeit einzudecken. Er hatte einen vagen Verdacht.

Aus dem Hörsaal, in dem Schlohingers Vorlesung "Nephrologie II" stattfinden sollte, drang ein dumpfes Stimmengewirr. Der Professor war seit über 20 Minuten überfällig, das war ein akademisches Viertel zu viel. Rebers fragte einen Studenten, was denn los sei.
"Keine Ahnung. Sein Assi, der Luiz, ist auch noch nicht da. Der Professor kam gestern schon ein bisserl später. Er hatte Besuch von so einem ganz geschäftigen Typen, mit dem er etwas Wichtiges zu besprechen hatte. Zumindest hat er sich damit bei uns entschuldigt", sagte der Student.
"Haben Sie den Mann gesehen?", fragte Rebers nach.
"Ja kurz. Eher hagere Figur, vielleicht 1, 75 groß, schütteres dunkles Haar. Unscheinbarer Typ irgendwie."
Die Beschreibung passte auf Tattenberg.
Rebers, dem Böses schwante, ließ sich von dem Studenten zu Schlohingers Zimmer führen. Nachdem das Klopfen unbeantwortet blieb, öffnete Rebers die Tür und bemerkte, dass ihn seine üble Vorahnung nicht getäuscht hatte. Dr. Schlohinger würde nie wieder eine Niere verpflanzen. Er lag mit dem Rücken auf dem Schreibtisch, eine frische Naht lief wie ein Reißverschluss vom Nabel zum Brustbein. Dem Studenten schoss die Farbe aus dem Gesicht und er übergab sich im Waschbecken.

Rebers überließ den Tatort den Kollegen von der Spurensicherung. Allerdings war er sich sicher, dass der Täter wieder sehr vorsichtig war und keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Wichtiger waren ihm einzig und allein die Informationen, die ihm Brabann etwas später brachte.
"Volltreffer, Chef. Wir haben den Terminplaner von Schlohinger mit den Reisedaten Tattenbergs verglichen. 'Vagotomie John Smith' steht in den letzten dreieinhalb Jahren achtzehn Mal im Terminplaner - und zwar genau an den Tagen, an denen Tattenberg frühmorgens aus Brasilien zurück gekehrt war."
Rebers nickte nachdenklich. "Und das Schwein hatte jedes Mal eine oder zwei Nieren im Gepäck."
"So sieht's aus. Man muss das Organ dann allerdings schnell verpflanzen, ist ja nicht ewig haltbar."
"So hat sich also Tattenberg seine Villa und sein Luxusweibchen finanziert."
"Genau. Blom hat ein Liechtensteiner Konto gefunden, über das die finanziellen Transaktionen liefen. Wahrscheinlich haben beide gemerkt, dass die 80.000 Euro für Praxisbedarf auf Dauer nicht glaubwürdig sind", meinte Brabann.
"Also Organhandel. Die Frage ist nur, ob die Spender ihre Nieren auch freiwillig hergegeben haben."
"Tja, da kommen wir zu deinem zweiten Auftrag: An der medizinischen Fakultät studieren derzeit drei Brasilianer. Eine Maria Rosalhoe, eine Girlane Maremba - beide allerdings noch im Grundstudium, und Luiz Maghaes."
"Der könnte unser Mann sein."
"Der ist es wahrscheinlich auch. Zehntes Semester, kam vor drei Jahren zum Hauptstudium nach Deutschland. Er kommt aus ärmlichen Verhältnissen, aus irgendeinem Favela in Sao Paolo. Er war aber schon in der Schule ein Überflieger und hat ein Hochbegabtenstipendium bekommen. Einfach ein heller Kopf. Aber jetzt komm die eigentliche Bombe, er…"
"…er war Schlohingers Assistent", vervollständigte Rebers.
"Du weißt ja schon alles."
"Der Student vorher erwähnte einen Luiz."
"Genau. Seit drei Monaten ist er Schlohingers Assistent."
"Dann hat er auch Tattenberg gekannt. Auf geht's."

Luiz Maghaes bewohnte eines dieser Wohnklos im Studentenheim am Olympiapark, die für Klaustrophobe denkbar ungeeignet sind. Das Bad ist so klein, dass man im Prinzip seine Geschäfte verrichten und gleichzeitig duschen könnte. Der brasilianische Student hatte sich für die Dusche entschieden, denn als er Rebers und Brabann öffnete, hatte er lediglich einen Bademantel an.
Rebers hielt Luiz Maghaes seinen Polizeiausweis unter die Nase und trat ein.
"Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?", fragte der Brasilianer höflich. Er hatte nur mehr einen leichten Akzent, etwas Nasales, Weiches.
Rebers lehnte ab und begann ohne Umschweife mit dem Verhör. Luiz zeigte sich bestürzt ob Schlohingers Tod und empört, als er erfuhr, dass er der Hauptverdächtige sei.
"Wo waren Sie gestern zwischen 20 und 24 Uhr?", fragte Rebers.
"Hier. Das Leben in München ist teuer, Herr Kommissar. Ich kann mir nicht viel leisten, einmal in der Woche gehe ich auf eine brasilianische Party an der Uni, das ist alles."
"Und heute Nachmittag?"
"Ich war bis 14 Uhr an der Uni bei Professor Schlohinger. Ich hatte ihn gebeten, mich für heute zu entlassen, da mir übel war."
"Waren Sie beim Arzt oder haben Sie irgendwelche Zeugen, die Ihre Aussagen bestätigen können?"
Maghaes dachte kurz nach. "Im Prinzip ja, Nemesis."
Die griechische Rachegöttin, da schau an, dachte sich Rebers. "Und wo kann man diese Nemesis sprechen?"
"Sprechen wird schwierig sein", antwortete Maghaes und zeigte neben das Bett, das gleichzeitig als Sofa und Essecke diente. Dort lag ein Schäferhund, der vor sich hindöste, neben sich ein ausgeleckter Fressnapf. Die Polizisten hatten ihn gar nicht bemerkt, so still und leise lag das Tier da.
"Ich war mit Nemesis Gassi, gestern Abend, und jetzt habe ich ein wenig mit ihm gespielt."
"Herr Maghaes, wir glauben, dass Sie gestern ein Gespräch zwischen Tattenberg und Schlohinger belauschten. Darin ging es um einen neuen Fall von Organschmuggel. Am 13. Juni sollte die nächste Operation über die Bühne gehen. Sie hatten lange auf diesen Moment gewartet. Drei Jahre. Drei Jahre recherchierten Sie, wer der zweite Mann neben Schlohinger war, der Drahtzieher, der Makler der Organe - und endlich hatten Sie es erfahren."
"Ich und recherchieren? Ich bin ein ambitionierter Medizinstudent, Herr Kommissar, ich habe keine Zeit für Recherchen." Der Brasilianer grinste etwas spöttisch.
"Aber Zeit für zwei Morde. Nachdem Tattenberg gestern Schlohinger verlassen hatte, sind sie ihm nach und haben sich mit ihm verabredet. Dann sind Sie nach Starnberg gefahren, haben ihn anästhesiert und ausgeweidet. Und heute haben Sie sich endlich an Schlohinger rächen können. Sie hätten ihn schon früher töten können, aber Sie mussten ja noch seinen Mittelsmann in Erfahrung bringen. Deshalb war jetzt der Moment gekommen. Sie hatten die nötigen Instrumente und als Assistent einen Zweitschlüssel. Sie haben dem Doktor aufgelauert und ihn genauso getötet wie Tattenberg."
Luiz Maghaes beugte sich nach vorn und blickte Rebers tief in die Augen. "Und warum sollte ich das tun?"
"Nemesis. Rache für ihren jüngeren Bruder, der vor gut drei Jahren verschwunden und nach drei Tagen wieder aufgetaucht ist. Als Leiche ohne Nieren. Hat uns die Polizei in Sao Paolo netterweise mitgeteilt. Sie meint, es gebe da mehrere Banden, die mit Deutschen, Amerikanern und Holländern zusammenarbeiten. Gegen diese Banden konnten Sie nichts ausrichten, Luiz Maghaes, aber die eigentlichen Mörder Ihres Bruders waren sowieso im Ausland. Und an denen konnten Sie sich rächen. Also sind Sie nach Deutschland, um den verantwortlichen Arzt und den Mittelsmann zu finden und genauso zu töten, wie Ihr Bruder Joao getötet wurde. Drei Jahre lang haben Sie recherchiert und endlich Doktor Schlohinger als den einen Schuldigen ausgemacht. Und seit gestern war Ihnen klar, wer der zweite Täter war: Tattenberg."
Der Brasilianer sah Rebers mit starrem Blick an, dann lehnte er sich zurück, kraulte seinen Hund und meinte mit ruhiger Stimme.
"Schöne Theorie, Herr Kommissar, aber können Sie irgendetwas beweisen?"
"Ich wette, Sie haben alle Beweise vernichtet. Ihre Jeansjacke von gestern, das Chloroform, das Nähwerkzeug, das Skalpell und so weiter."
Maghaes wurde wieder selbstsicherer. "Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen."
"Aber einen Fehler haben Sie gemacht. Ich dachte mir, warum hat der Täter den Dobermann von Tattenberg in den Garten gelassen und die Wohnzimmertür verschlossen. Und mir ist nur eine plausible Antwort eingefallen: Weil er sehen wollte, wie der Hund die Organe seines Herrchens frisst. Deshalb hatte 'Tyson' am nächsten Morgen auch keinen Hunger."
"Klingt pervers. Und? Wo ist der Beweis?", fragte Maghaes.
"Da frage ich mich, wohin sind die Organe von Schlohinger verschwunden?"
Maghaes wurde nervös. "Keine Ahnung."
"Wetten, dass wir sie im Magen von Nemesis finden? Er hat wohl gerade den letzten Happen verspeist, wenn ich richtig sehe. Es scheint ihm geschmeckt zu haben, er hat sogar den Napf ausgeleckt. Sie lieben doch Ihren Hund. Sollen wir ihn aufschneiden oder wollen Sie gestehen?"
Maghaes blickte Rebers fassungslos an, dann kratzte er sich am Kopf und nahm Haltung an. "Die beiden hatten es verdammt noch mal verdient. Joao war der hübscheste und talentierteste von uns. Er musste sterben, nur weil so ein reiches Schwein eine Niere braucht. Leute wie Schlohinger und Tattenberg sind Mörder, Bastarde."
Rebers konnte ihm schwerlich widersprechen, aber er musste ihn trotzdem verhaften.

 

Hallo Werner und herzlich willkommen hier!

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Sie ist durchdacht, gut durchkomponiert und bietet Infodropping an den richtigen Stellen in der richtigen Dosierung. Da gibt es (fast) nichts zu meckern.

Ein paar Fragen bleiben allerdings offen: Wie kommt Luiz Maghaes auf Schlohinger? Von Schlohinger auf Tattenberg - okay, das ist plausibel. Aber wie findet er den Anfang des Knäuels? Hat er erst die Unis in schneller Folge gewechselt, bis er in der richtigen landete? Wie hat er in ihm dann seinen Feind erkannt? Oder ist er schon ganz gezielt sofort an diese Uni gekommen, weil er zum Beispiel aus seiner Heimat heraus Nachforschungen angestellt hat und Schlohinger als bekanntesten Nierentransplanteur (ist er das?) ausgemacht hat? Wie kommt er eigentlich auf Deutschland, wenn es in Brasilien Banden gibt, die die Drecksarbeit machen (vermutlich Einheimische), die dann mit US-Amerikanern, Deutschen und Niederländern ihre Geschäfte machen. Haben die ihm gesteckt, dass der Auftrag von einem Deutschen kam? Wie wird das Problem mit der Verträglichkeit der Spenderniere gelöst (Blutgruppe, ...)? Wird gezielt jemand für eine bestimmte Spenderniere umgebracht? Oder halten die Banden immer einen Vorrat an Nieren (und evtl. anderen Organen) bereit und die richtige wird dann per Test herausgesucht? Im letzten Fall: Woher kann Luiz wissen, wohin die Niere seines Bruders exakt ging? Puh, das sind doch einige Fragen. Alle resultieren aber im Grunde daraus, dass man so nicht erkennen kann, wie Luiz auf Schlohinger kommt. Da gibt es eine Lücke.

Die Sprache wirkt auf mich hier und da etwas altbacken, aber das mag auch an regionalen Spracheigenheiten liegen. Bayern ist ja nicht das Rheinland, manches mag da anders gebräuchlich sein. Insgesamt liest sich die Geschichte aber durchaus kurzweilig und angenehm. Den Humor empfinde ich ebenfalls als gut dosiert.

Gerne gelesen!

Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Werner!

Der Herr Lehrer hat kein Interesse an Meinungen, die nicht seiner eigenen entsprechen?
Vom Kommentieren hält mich das nicht ab; ich werde mich aber kurz fassen, denn es gibt hier ja genügend andere Texte, von Autoren, die sich fürs Forum interessieren und hier mitmachen, nicht nur ihre Texte abladen.

Die Auflösung deines Plots macht nicht viel Sinn. Es sind ja schon einige kritische Fragen, bzw. Anmerkungen gekommen, ich mache da weiter:

Warum sollte man jemanden in Brasilien wegen zwei Nieren umbringen? So illegal und unmoralisch es auch sein mag, es gibt einen Markt für Nieren. Es gibt genug arme Leute, die für ein paar tausend Euro eine Niere verkaufen (und sich darüber freuen, weil sie mit ihrer Hände Arbeit im ganzen Leben niemals dieses Geld verdienen würden).

Und dann dein Täter! Der bringt also den Tattergreis um, so weit, so gut. Aber er weidet sein Opfer nicht nur aus (unter freiem Himmel, im Garten, wo eigentlich jede Sekunde jemand auftauchen und ihn entdecken könnte), er näht ihn auch noch wieder zu? Warum? Um möglichst verräterische Spuren zu hinterlassen?
Und er wäscht die Leiche auch noch? Dort, an der Stelle? (Oder schleppt er die Leiche ins Haus, wäscht sie dort, und bringt sie wieder raus?)

Und dass die Polizisten sofort auf den richtigen Verdächtigen stoßen, ohne Probleme, das ist sowas von unspannend!

Naja, und so weiter. Du konntest mich nicht überzeugen. Hübsch zusammengekleisterte Sätze bringen nunmal nichts, wenn der Plot nicht durchdacht ist, sorry.

Grüße
Chris

 

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