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Auszug aus Micrographica
Es gab einmal ein Land, das hieß Micrographica. Wo es lag, weiß keiner mehr so genau. Denn es ist zerfallen zu Staub im Laufe der Zeit, wie alles einmal vergehen wird. So war es immer und so wird es immer sein bis diese Welt auch einmal daran zerbricht.
Seine Bewohner sind schon lange zu ihren Ahnen gegangen und ihre Kinder erinnern sich nicht mehr ihrer Herkunft. Doch ab und zu, wenn der Name Micrographica erwähnt wird oder der Wind ihn leise zwischen den Bäumen singt, ist hier und da einem Menschen so, als erinnere er sich an etwas. Eine weit entfernte Melodie von sanften Hügeln, grünen Wäldern und malerischen Dörfchen klingt dann in ihren Seelen wider. Dann wundern sie sich ob dieser seltsamen Erinnerung und vergisst sie schon einige Augenblicke danach wieder. Dann zerfällt Micrgraphica erneut zu Staub, der im Wind der Zeit verweht.
Doch davon wollte ich nicht erzählen. Ich wollte euch von Micrographica erzählen, wie es wirklich war, von seinen Bewohnern und seiner Geschichte.Wie bereits beschrieben war dieses Land sehr schön. Seine Dörfchen, nicht zu groß und nicht zu klein, gelegen zwischen einigen Hügeln auf deren saftigen Hängen Schafe und Wölfe einträchtig nebeneinander grasten.
Die Menschen waren alle sehr freundlich zueinander. Sie machten sich jeden Tag Geschenke und stritten nie. Eine Regierung gab es nicht und hatte es auch nicht gegeben. Das hielt auch niemand für nötig, da eine Regierung Streit schlichtete und Gesetze machte. Streit gab es nicht und wer brauchte schon gesetze, wenn es auch ohne ging? Doch eines Tages wurde diese Idylle jäh gestört.
Ein Mann kam aufgeregt ins Dorf gelaufen. Er erzählte die ungeheuerliche Geeschichte von einem Löwen, ein ganz großer zottiger, der ein Schaf auf den Hügeln "nicht mehr lebend" gemacht hatte. Dann hatte er es mit sich gezerrt. Große Entrüstung herrschte in ganz Micrographica. Man beschloß einige starke Männer auszusenden, die der Fährte des Löwen folgen sollten. Gespannt erwartete man deren Rückkehr. Diese zog sich aber einige Tage länger hin als erwartet. Doch als sie schließlich zurück kamen erzählten sie wunderliche Dinge von einem Land hinter den Hügeln. Ein anderes Land als das ihre war ja schon seltsam genug, aber die Dinge, die die Männer von diesem land erzählten, waren noch viel wunderlicher. Sie erzählten von Tieren, die sich gegenseitig umbrachten und auffraßen, von Stürmen und Schnee und Hagel. Sie erzählten von Menschen, die stritten und Hand aneinander legten. In dieser Zeit hörte man in Micrographica das erste Mal die Worte "Streit" und "Mord" und "töten".
Bei einer Versammlung, bei der das ganze Volk anwesend war, beschloß man einstimmig diesen armen Wesen zu helfen. So packte ein jeder seine Sachen und machte sich auf den Weg in das Land, dass sie "Welt" getauft hatten.
Das kleine Völckhen stellte mit Verwunderung fest, dass die Welt viel näher war als angenommen. Mit großen staunenden aber auch ängstlichen Augen wanderten sie durch das neue Land. Doch ihre Wanderung fand bald ein wenig ruhmreiches Ende. In einem Waldstück wurden sie überfallen. Alles gute Zureden half nichts. Bald waren die Räuber mit all ihren Sachen und den frisch gezähmten Pferden auf und davon.Ein paar schimpften. Andere stimmten murrend ein. So versuchte man auf dem schnellsten Wege zurück nach Micrographica zu kommen.
Doch schnell ging ihnen der Proviant aus und sie waren gezwungen Tiere zu fangen und zu schlachten. Dann erreichten sie ihre Heimat.
Nach einigen Tagen berief man neuerlich eine Versammlung ein. Man hatte Angst bekommen vor den anderen. Zum ersten Mal fiel das Wort "Krieg". Einstimmig beschlossen sie dem Feind zuvor zu komme. Sie schmiedeten sich Schwerter und Dolche, bauten Bogen, Armbrüste und Morgensterne. Die Frauen schlachteten das Vieh, denn man brauchte ha Vorrat für den krieg. Als letztes fingen sie die Pferde ein und schulten sie zu mutigen Kampfrossen. Nun war alles bereit. Doch man stellte fest, dass man einen Führer brauchte, der die Truppen befehligen sollte. Streit entstand und zwei Parteien bildeten sich. Als der erste Kandidat den zweiten erschlug floß das Blut eines Menschen in Micrographica.
Der Rest ist rasch erzählt.
Sie zogen aus, verloren einige Schlachten aber gewannen auch welche. Ihre Gefangenen erwartete ein schlimmes Schicksal, denn ihre Kreativität, ein Relikt aus den alten Tagen, kannte keine Grenzen. Und dann kam irgendwann der Tag an dem Micrographica überrannt wurde. Schon lange weideten keine Schafe und Wölfe mehr nebeneinander auf den Hügeln. Denn die Wiesen waren zu Geröllhalden und die Wölfe zu Fleischfressern geworden. Bürgerkrieg hatte das Land erschüttert und nichts mehr war übrig geblieben um das es schade gewesen wäre.
Hiermit endet die Geschichte Micrographicas.
Was ist mit dir? Hörst du die Melodie? Micrographica!