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Auszug aus nem Leben
Das Telefon klingelt, ich wache auf, suche kurz und ein verschlafener Blick aufs Display lässt mich vermuten, wer um 9.15 anruft. Genau in dieser Reihenfolge war das. Ich setze mich auf, denn ich wusste, dass es die Frau meines Lebens war. Ich trank einen Schluck Wasser, um nicht direkt durchblicken zu lassen, dass ich noch geschlafen hatte und sie keine Rückschlüsse darauf ziehen konnte, dass es gestern wieder ein bisschen länger wurde.
„Guten Tag!“
„Arbeitsamt Köln, Müller!“
„Ja, hallo Frau Müller!“
„Ich rufe sie an, weil sie nicht zum Termin erschienen sind, das ist ein Meldeversäumnis!“
„Ja, ich habe Freitag ja angerufen, dass ich nicht kommen kann.“
„Warum können sie nicht können?“
Komische Wortwahl, aber genau das sagte sie.
„Ich habe kein Interesse an der Veranstaltung, denn, wie ich Ihnen bereits erklärt habe, ist die Arbeitslosigkeit, zu der ich bekanntermaßen gezwungen bin und auf die ich ja auch keinen Bock habe, ein zeitlich begrenzter Zustand.“
„Wie können sie einen Zeitraum von zwei Jahren zeitlich begrenzt nennen?“
„Ja, wissen Sie. Ich will zu diesen Veranstaltungen nicht gehen. Das interessiert mich nicht. Außerdem habe ich abgesagt. Fristgerecht!“
„Ob die Absage begründet ist oder nicht, das entscheide ich.“
„Ja, und da wollen sie, dass ich jetzt antanze.“
„Ja!“.
„Ich habe doch abgesagt.“
„Nein, haben sie nicht. Sie haben ein Meldeversäumnis. Kommen sie jetzt sofort in die Arge!“
„Das ist ein bisschen spät. Es ist 9:20, und es hat um 8 angefangen. Das ist genau so zu spät, wie sie mir vor zwei Wochen ein freies Stellenangebot zu geschickt habe. 1. Juni stand da drauf, da sollte ich mich bewerben, spätestens. Allerdings bekam ich den Schrieb am 3. Juni.“
„Das habe ich nicht geschickt!“
„Das ist mir egal!“
„Ich spreche mal Ihre Sprache“, sagte sie ärgerlich: „wenn sie keinen Bock mehr haben, dann habe ich auch keinen Bock mehr und kürze Ihnen das Arbeitslosengeld. Aber der Termin ist Pflicht und ich entscheide, ob das ein guter Grund ist, zu fehlen oder nicht!“
„Arbeitsamfaschistin!“
„Ich zeichne das Gespräch mit.“
„Das dürfen Sie ohne meine Einwilligung nicht, Sie Arbeitsamtfaschistin! Und wenn ich recht überlege ist das keine Beleidigung, sondern ein Euphemismus dafür, was ich wirklich von Ihnen denke.“
Schlucken, Denken, Zusammenreißen. Genau in dieser Reihenfolge und für jede Regung zehn Sekunden, ergab eine halbe Minute Pause.
“Gut“, sagte sie. Wollte sie Zeit gewinnen?
„Sie müssen kommen.“
„Nein!“
„Dann ist das ein Meldeversäumnis.“
„Ich muss heute arbeiten“
Sie war in ihrem Beamtenregelkram drinne und sagte:
„Ich schick Ihnen einen Termin, sie können sich dann noch mal offiziell erklären.“
„Prima! Und bitte löschen Sie dieses Telefonat, falls Sie es aufgenommen haben. Sie sind nicht der verdammte BND.“
„Ja, sie lesen von mir“ Frustration in jedem Wort.
So fing der Tag an. Kaum war ich wach hatte ich mich schon wieder verbal ausgekotzt. Dabei wollte ich das doch gar nicht. Diesen seelischen Auswurf, den man Sarkasmus nennt. Ich wollte doch wieder zurück dahin, wo ich angefangen hatte. Ich wollte einen netten Roman schreiben, in dem der Protagonist das Wetter beeinflusst. Immer wenn er gut gelaunt war, gab es Sonnenschein. Das wollten dann die Wissenschaftler ausnutzen und gaben ihm viele Drogen und es gab den Jahrtausendsommer.
Und heute? Es regnet. Dabei kann ich nicht schreiben. Für ein solches Buch brauche ich gutes Wetter. Ich grübelte noch ein bisschen, und drehte mich um. Ärgerte mich über meine große Liebe Frau Müller vom Arge Zimmer Nr.312. Wie sollte ich nur vorgehen, wenn sie mich vorlädt? „Ich bringe Ihre Rosen mit!“ Das wird sie überraschen und Frauen lieben Rosen! Mit diesem Gedanken schlief ich wieder ein.
Ein anderer Tag in Deutschland, eine andere deutsche Stadt. Mindestens vier Leute riefen: „Weg mit dem Nazi pack“. Dritte Wahl oder die Version von mir und meiner mindestens zweitklassigen Punkrockband: „Boris Becker and the Navratilovers“. Punkmusik ist keine gute Musik, aber: Sie ist ehrlich. Dead Kennedys zum Beispiel: too drunk to fuck. Was gibt es daran nicht zu verstehen?
Ein anderer Anruf: Bertram, ein guter Freund, wollte in den Park. Ich sagte zu und düste mal kurz rüber und wir gingen in den Volksgarten. Es war mittlerweile vier Uhr und paar andere Leute waren auch schon da, während Gabi und Heinz Frisbee spielten, jonglierte Franz-Josef.
„Hallo zusammen“
„Jo, Alter“
Ich gab allen die Hand und befolgte das Ritual. Handschütteln (rechte Hand), Finger zurückziehen, schnipsen, Faust ballen, noch mal mit der Faust des anderen abchecken, die Faust zum Herzen führen, „to the heart“ oder auch wahlweise „Fotze“ sagen. Ich entschied mich dieses mal für Fotze und dachte an Frau Müller. "Ob sie gerade auch an mich denkt?", ging mir durch den Kopf.
Bertram ging es recht gut, er hatte seine Freundin mit seiner Nachbarin Josephine betrogen: Es lief bestimmt schon ein halbes Jahr etwas zwischen ihm und seiner Nachbarin, und ihr, Walburga, war nie was aufgefallen.
Walburga hieß bei uns eigentlich Wikipedia, weil sie ziemlich wenig redete und dann nur klugschiss und im allgemeinen ziemlich stolz war. Naja, der Stolz war kurzzeitig gebrochen: Sie stand plötzlich in Betrams´ Zimmer, so mit Brötchen und anderem Scheiß für ein schönes Frühstück und schrie Betram an, als der noch mit Josephine im Bett lag. Ein „und dann mit so einer“ fiel wohl auch. Und Josephine sprang auf und sagte. „Blasen!“
„Was meinte eigentlich Josephine mit Blasen?“ fragte ich Bertram.
Er zuckte die Schulter. Es war ihm unangenehm, auf dieses Thema zu sprechen zu kommen. Aber mir machte es einen Heidenspaß, ihn damit aufzuziehen. Er ist unsicher und verlegen zugleich. Im Endeffekt hat er genau das verdient: Eine ständige Erinnerung an Scham und Dummheit. Eine teuflische Mischung.
Die Sache mit den Namen war so ne Skatsache. Als wir noch Punks waren, spielten wir Altherrenskat. Jeder gab sich einen Namen aus der Zeit, in der der Großvater gelebt hat. Spricht man jemanden mit falschen Namen beim Skat an, muss man nen Schnaps trinken. Das hatte sich irgendwann erhalten und ich blieb Adolf. Naja, ich dachte, es ist nur ein Spiel. Aus Spaß wurde Ernst und Ernst spielt Schlagzeug bei „Boris Becker and the Navratilovers“.
Betram baute, ich spielte Frisbee. Später kamen noch Karl und Ernst und ich glaube, Ottilie und Martha. Wikipedia kam auch, begrüßte alle bis auf Betram mit Küsschen links und Küsschen rechts, „hallo“ zu Betram und setzte sich mit ner Taz auf die mitgebrachte Decke.
Ich fand sie immer schon attraktiv, aber wusste nicht, wie ich ihr näher kommen sollte, außerdem war da ja noch Bertram. Wir quatschen, sie saß da und hörte zu, gerade als sie zu etwas ansetzen wollte, rutschte mir ein:
„Red nicht dauernd dazwischen“ aus dem Mund. Ein Brüller, alle lachten, nagut, alle bis auf Bertram.
Ich setzte mich zu ihr und flüsterte ihr ein „war nicht so gemeint“ ins Ohr. Sie lächelte und nickte. Hieß das „ich weiß“? Ich wusste es nicht.
„Was wolltest Du denn sagen?“
„Ich wollte eigentlich die allgemeine Diskussionskultur mit einer Phrase kritisieren.“
„Zu mehr als Phrasen reicht es also nicht aus?“
„Ja.“
„Du redest nicht viel?“
„Ist das eine Feststellung?“
„Habe ich eine Frage gestellt?“
„Nein. Aber du bist zum Ende des Satzes mit der Stimme nach oben gegangen. Das lässt auf so was schließen.“
„Wikipedia!“ Ich sagte es so, als ob ich Klugscheißer sagte.
„Heil Hitler!“ Das hatte mir gerade noch gefehlt. Eine schöne Frau grüßt mich mit dem Gruß der Grüße.
„Wie bitte?“
„Drei litter!“
„Achso, ja lass uns einen trinken gehen!“
„Ja, Sieg heil!“
„He?“
“Wie geil. Schön, dass Du Bier holen gehst!“
„Ich dachte, du kommst mit.“
„Ne, warum?“
„Du hast doch eh nichts zu tun. Sitzt hier rum. Redest nicht, bist unhöflich, weil Du die ganze Zeit Taz liest, das kannste auch zu hause machen. Dann kannste eigentlich aber auch mit mir Bier holen gehen. Und für Betram haste das eh die letzten Jahre gemacht.“
„Ja, und am Ende hat er ne andere gefickt.“, sagte sie lauter.
Bertram wurde rot. Genau das sind die Momente, die liebe.
„Bertram, stimmt das?“
„Fick Dich, Adolf!“
Sie kam dann doch noch mit und folgendes Gepräch entwickelte sich.
„Alles klar?“ fragte ich.
„Warum?“
„Man beantwortet keine Frage mit ner Gegenfrage.“
„Warum?“
„Kindergarten?“
„Phrasengespräch?“
„He?“
„Schnauze!“
„Ich liebe Dich!“
Sie blieb stehen.
„Ich will nicht vom Führer gefickt werden, wenn das Röhm erfährt, bin ich geliefert.“
„Findest Du Ficken nicht ein bisschen zu vulgär, Eva?“
"Warum Eva?“
"Die Frau vom Führer!"
„Leck mich!"
“Gerne!“
„Penner!“
„Nur für Dich!“
„War das ernst gemeint?“
„Was?“
„Dieses: ich liebe Dich-Zeugs“
„Nein.“
„Gut.“
„Aber dann stellt sich mir die Frage, ob Du wirklich nicht von mir gefickt werden willst.“
Sie wurde rot. „Nein, ich würde mit Dir ficken, aber mir ist gerade ein bisschen die Lust auf Ficken vergangen, ich habe Josephine nackt gesehen.“
„Kein Wunder.“
Sie äffte sie nach: „Jeder denkt, dass ich hässlich bin, ich bin nicht hässlich, ich bin ein bisschen dick“; „Willste wissen, was ich über sie denke?“
„Vielleicht.“
„Ich denke, dass sie nicht so bescheiden sein sollte: Sie ist beides.“
„Und das macht Dich zu einem Asexuellem Menschen?“
„Ja, irgendwie schon. Einfach mal keinen Bock.“
„Interessant.“
„Das ist für Männer schwer zu verstehen.“
„Ja, schon.“
Wir kamen am Rewe an, der nicht nur bis zehn aufhat, sondern auch nen Kühlschrank für Bier hat. Das macht jedes Büttchen bis 22h echt entbehrlich.
„Kiste?“
Sie nickte. „Ich hol mal Fleisch zum Grillen. Treffen uns an der Kasse.“
Sie ging. Ich holte Bier und stellte mich an, zahlte und wartete. Sie kam nicht. Ich rief sie an. Mailbox. Hm, sie heißt wirklich Eva.
Egal. Bier geht vor.
Als ich wieder ankam, lag Karl im Gras und freute sich über das Kitzeln, das entstand, wenn er mit der Hand über das Gras strich.
„Was ist los?“ fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte. Es ist kein Aussagesatz, es sind drei Buchstaben: L S D.
„LSD?“,
„Ja.“, sagte Betram, „Wo ist Wikipedia?“, wollte er weiterhin wissen.
„Ja, keine Ahnung.“
„Womit haste sie vertrieben, ich wollte noch mit ihr reden?“
„Ich habe sie zum Ficken eingeladen.“
„Ja, das braucht sie mal wieder, muss ich eingestehen. Es tut mir ja echt leid und ich leide darunter, dass ich das arme Mädchen so enttäuschen musste.“
„Ja, aber sie wollte nicht. Hat kein Bock mehr auf Ficken.“
„Müsst ihr immer Ficken sagen? Ist das nicht ein bisschen vulgär.“, fragte eine Frauenstimme. Es war Walburga.
„Wo kommste her? Ich hab auf Dich gewartet. Den ganzen Weg musste ich den scheiß Kasten tragen. Ich bin fast 37, da wird man langsam bekloppt.“
„Rewe hat zwei Kassen, du Nase!“, sagte sie und dann: „achso, und du hast auch auf mich gewartet.“
„Ja, Eva. Ich hab Dich angerufen, aber Deine Mailbox ging ran: Eva kann gerade nicht, bin kacken“
„Kann nicht sein.“
„Soso, Eva heißt Du also in Wirklichkeit?“, sagte Bertram.
„Wie, das weißte nicht?“, wunderte ich mich.
„Ne, in ihrem Perso steht ein anderer Name."
„Was schließen wir daraus?“ fragte sie.
„Dass Du nicht Eva heißt? Und ich ne falsche Nummer von Bertram bekommen habe“, vermutete ich.
„Richtig“.
Sie überlegte:“ Mh, ich hab 9,21 bezahlt, also bekomm ich von jedem Geld. Außer vom Adolf, der hat das Bier gezahlt, der bekommt auch Geld.“
„Es gibt echt was schlimmeres als im Sommer arbeitslos zu sein,“ sinnierte ich. Keine Antwort. „Sagt mal, wer hat eigentlich kein LSD genommen?“
„Du und Walburga!“, antwortete Betram.
„Und du?“
„bei mir wirkt es heute nicht“, sagte Betram. „ich glaube, ich kokse noch ein bisschen und dann geht’s gleich schön auf ne Elektroparty ins Subway.“
„Ja, da bin ich dabei!“
„Wobei?“
„Nicht beim Koksen, aber Elektro ist super.“
„Was ist mit Dir, Eva?“
“Ich heiße nicht Eva. Aber mit der Pappase gehe ich nicht feiern.“
“Ist ja gut, dann nicht. ja.“
Im Subway lernte ich eine attraktive Frau mit Brille kennen. Ich war sehr betrunken und konnte nichts von mir preisgeben, außer meinem Namen. Sie hieß Maria. Wir tanzten, aber reden? Das geht ja eh nicht bei dem Lärm. Da hab ich keinen Bock zu. Smalltalk bei Elektromucke. Um vier ging sie. Ich fragte sie, ob sie nach hause gebracht werden wollte. Sie lehnte ab, aber gab mir ihre Nummer.
Bertram und ich legten noch zwei Stunden los und dichteten diesen Refrain: „was Du willst, das kriegst Du auch.“. Eine hohle Phrase, die wir uns zu warfen nach dem Prinzip der Sklaven: Call and Response. Oder auch "Wo Du bist, da sind wir alle" oder auch „Music is Action“ oder in anderen Versionen, wie z.B. „Musika est aktiona“.
Nächster Morgen.
13h, Briefkasten: Arge! Sie hatte auch an mich gedacht. Im Amtsdeutsch lud sie mich für den nächsten Tag ein. Ich sollte mein Meldeversäumnis erklären.
Ab zum P&C, ich brauchte dringend nen schwarzen Anzug. Ich probierte einen hässlichen, lila farbigen Samtanzug aus, stellte mich vor den Spiegel und fragte den Verkäufer:
„Steht mir schwarz?“, verdutzt schaute er mich an.
„Der ist lila, nicht schwarz“.
„Was?“, fragte ich panisch.
„Das heißt „Wie bitte“, korrigierte er mich. Er lächelte „Sie haben einen lilafarbenen Anzug an.“
„Ja, dann nehm ich nen schwarzen. Kann ruhig was billiger sein.“
Ich ging zu C&A und kaufte mir einen, ein bisschen zu großen, schwarzen Anzug plus schwarzer Krawatte.
Nächster Tag: Zimmer 312. Adolf in gewohnt schwarzer Uniform. Ich musste paar Minuten warten und nutzte die Zeit Maria eine SMS zu schreiben. „Hallo Maria, haste spontan Zeit? Grüße Simon.” Ich heiße nicht Simon, aber ich bin mir sicher, dass sie meinen Namen eh nicht mehr weiß, oder es falsch verstanden hat, und bevor ich aus Versehen noch Adolf drunter schreibe, mache ich lieber aus mir ein Phänomen. Mich gibt es gar nicht.
„Hallo Frau Müller!“
„Ich habe nicht viel Zeit!“
„Ich brauche auch nur zwei Minuten“ Ich gab ihr eine Arbeitsbescheinigung von Montag, die mir Karl ausgehändigt hatte. Ich arbeite gelegentlich für seinen Alten. Der hat nen Puff bei mir umme Ecke und ich steh hinterm Tresen und fülle notgeile, alte Säcke ab. Sie müssen sich mit Champagner locker saufen. Sie alle gehen fremd und ohne Champagner kriegen sie keinen hoch. Ich glaube, dass das auch der Grund ist, warum mir das Wort „ficken“ so leicht über die Lippen geht, vor allem in Anwesenheit von Mädchen. Gelegentlich ging ich mit Bunny, einer blonden vollbusigen Prostituierten mit nach Hause. Ich zahlte nie bei ihr und sie brauchte nach der Schicht häufig noch mal nen richtigen Mann, weil sie sich sonst vor sich ekelte und wenn ich mich nicht ekele, dann gab es ihr das Gefühl, auch nicht dreckig zu sein. Ich prostituierte mich. Sie bezahlte mich mit Sex als Ablass für Sex. Paradox, aber es geht.
„Sie arbeiten in einem Bordell?“
„Ja, warum? Suchen sie noch nen Nebenjob?“
Sie fing mir eine zehnminütige Standpauke zu geben, dass das wohl zuweit ginge und ich ein Penner sei und so ein Zeugs. Ich hab nicht wirklich zugehört. Ich schaute auf die Uhr und sagte: „können sie sich vorstellen, warum ich einen schwarzen Anzug trage. Es interessiert mich einen Scheiß, ob ich Montag kommen musste oder nicht, wenn mein bester Freund im Nebenzimmer an der Decke hängt und einen Brief hinterlässt, in dem steht: "Sie haben mich gezwungen.“
Ich stand auf. Sie guckte. Ich machte ein betroffenes Gesicht und sagte: „ich muss los, der Pfarrer fängt sonst ohne mich an.“
Gut gelaunt ging ich aus dem Arbeitslosenamt raus und zum ersten mal in die Arbeitslosenklausel, stellte mich dort zu den restlichen Arbeitslosen und beklagte mich über Frau Müller und erzählte von meinem Coup. Das kam sehr gut bei den frustrierten, alkoholkranken Arbeitslosen an. Sie gaben mir einen aus, so sagten sie, aber später zahlte ich die ganze Zeche. Mein Gott, ich hab halt ein gutes Herz.
Ich bekam eine Sms: „Simon kenne ich nicht. Aber Vermutung: vorgestern im Sub? Halb vier im Bollscheu“ Ich beantwortete mit Ja. Noch ne halbe Stunde.
Ich kam an, sah sie von weitem und erkannte, dass ich nen glückliches Händchen hatte. So genau, wie sie ausseiht, wusste ich nicht mehr. Aber sie war ne Topfrau! Ich wollte auf geheimnisvoll machen.
Sie sagte: „Hallo Simon!“ und es war so nett gemeint, dass es mir die Sprache verschlug und ich sie einfach küsste.
Zwei oder drei Stunden später. Wir hatten noch immer kein Wort gesagt.
„Ich muss los!“, sagte sie:
„Ich auch!“
„Wir sehen uns!“
„Ja!“
Später im Puff traf ich auf Bunny. Sie beschwerte sich, dass heute drei Männer keinen hoch bekommen hätten und drei das Gummi verweigern wollten. „ich bin doch nicht bekloppt, ich fick hier jeden Tag im Schnitt sechs Männer. Mann, ey. Und dann haben die den Mut ohne Präser vögeln zu wollen.“
„Ich würde Dich nie ohne Gummi bumsen!“
„Arschloch!“, sagte sie, „aber da ist noch der leidige Aidstest.“
„Ja, ich komme mit, wann?“
„Morgen!“
Es war das letzte mal vor gut drei Monaten, dass ich mit zu ihr ging. Sie wollte nicht mehr. Warum auch immer? Ich dachte mir da nichts bei.
Sie war sauber und ich auch, das wusste ich. Wir machten immer nen Aidstest zusammen. Das war Tradition, denn eines war klar. Wenn sie positiv wäre, müsste ich sowieso einen machen, dann doch lieber direkt wissen, ob es mich schon erwischt hatte.
„Und sonst?“ fragte ich.
„Nnichts! Und bei Dir?“
„Traumfrau kennengelernt!“
“Wwie heißt sie, was macht sie?“
„Keine Ahung, was sie macht. Sie heißt Maria“.
„Wie die Nutten in dem Buch „Henry der Held!“
Mein Lieblingsbuch.
„Daran musste ich auch denken, als sie mir ihren Namen sagte.“
„Na ja, du willst wohl lieber ne Frau, die wie ne Nutte heißt, als ne Nutte, die wie ein Tier heisst."
„Willst Du mich?“
„Nein, wollte Dich nur verlegen machen. Alles, was recht ist, aber Du bist ne Nummer! Und ich weiß, wovon ich rede“.
Ein Kompliment von einer Hure. Hätte nicht gedacht, dass mich das mal schaffen würde.
Ich mein, die Sache ist die: Ich bin nicht gerade aus das, was man ein gutes Elternhaus nennt.
Meine Mutter wachte auf, ihre Scheide schmerzte. Ein „nicht schon wieder“ schoss ihr durch den Kopf. Aber dieses mal blieb der Typ, der neben ihr erwachte. Sie hatten sich auf dem Kirmesplatz kennen gelernt. Er war Kirmesboxer und sie, na ja, anscheinend ne Schlampe. Er blieb bei ihr und sie veränderte ihn. Aber wie kann eine Frau einen Mann verändern?
Sie wurde schwanger.
Jahre später, er war mittlerweile Busfahrer, beschwerte er sich immer wieder über die Schlampe, die sein Leben versaut hätte. Aber er meinte es nur im Scherz. Sie hatte ihn verändert und er hatte erkannt, dass sie es zum Guten mit ihm gebracht hatte.
Das waren meine Mami und mein Papi!
Am nächsten Tag beim Arzt.
Negativ! Auch bei Ihr. Sie fing an zu weinen.
„Das ist das letzte mal, dass ich den Test gemacht habe. Ich höre auf!“
„Warum?“
“Na ja, ich werde ja auch nicht jünger. Ich bekomme nur noch die, die sich nicht trauen, mit ner 20jährigen zu bumsen und das sind nicht gerade Prachtkerle. Ich bin mit 32 alt für ne Nutte. Und dann ist dann letztes wieder mal ein gummi gerießen. Ich werde einfach nicht mehr feucht und das ist jetzt einfach zu gefährlich. Und dann dieser Test immer wieder!“
„Verstehe! Wenn Du Hilfe brauchst, auf mich ist Verlass!“
„Ja, ich weiß. Ich bin Dir dankbar, dass Du die Jahre immer gut zu mir warst. Aber ich will mich endlich verlieben und das ging ja nie, weil sich keiner in ne Hure verliebt.“
„Ja, wenn ich ehrlich bin, stand das auch irgendwie zwischen uns.“
„Ich weiß, ich hab immer das Gefühl, dass ich nicht gut genug für Dich war.“
„Das bist Du, aber ich weiß halt, mit welchen Männern und teilweise Freunden Du es schon getrieben hast. Und das steht zwischen uns.“
„Danke!“
“Gern geschehen! Und wo willste hin? Hört sich nach Neuanfang an.“
“Ich gehe nach Regensburg, schreibe meine Doktorarbeit und arbeite als Biologin. Diese Fickerei hat mein Studium finanziert und jetzt bin ich durch. Einige meiner Freier sind in hohen Positionen in der Stadt und haben mir Praktika ausgestellt. Ich bin ne Topadresse. Ich habe mich schon hochgeschlafen.“
Ich half ihr beim Umzug. Sie hatte alles vorbereitet. Ich fuhr am nächsten Tag mit dem Auto nach Regensburg. Ich bekam eine Sms von Maria. „Haste morgen zeit? Kuss Simone. „Ja, habe ich!“ „wo wohnst Du, lass was kochen.“ „vier bei mir! Maastrichter Str. 32 Klingel bei Assmussen. Sms schreiben hasse ich. Ich brauche für ne durchschnittlich kurze Sms 15 Min und für diese brauchte ich fast zwei Stunden. Sollte ich mich wirklich auf sie bei mir in ner Wohnung einlassen?
Ich half beim Unzug, schlief mit ihr im Bett, aber nicht mir ihr. Das war vorbei, kein Ablass. Ein neues Leben für Bunny! Ich drückte die weinende Bunny. „Du warst ein klasse Zuhälter!“
„Ich habs gerne getan!“
„Danke. Karl senior hat mich auch ohne weiteres ziehen lassen.“
„Das ist nicht selbstverständlich.“
„Er hat mir 12000 Euro als Abfindung geschenkt. Tausend für jedes Jahr. Er meinte, ich sollte mir damit ein Teil meines Lebens aufbauen, das ich leben möchte. Ich will es nicht. Ich habe genug auf dem Konto. Ich habe es Dir überwiesen. Als Dankeschön für die letzten Jahre der Freundschaft."
Ich weinte, ich konnte gar nicht anders. Ich nahm sie in den Arm und küsste sie freundschaftlich! "Ich wünsche Dir viel Glück!"
Dann fuhr ich mit den Gedanken an Maria nach Köln zurück. So viel Geld hatte ich noch nie. Was sollte ich damit machen?
Abends kam Maria, ich hatte eingekauft, ein Menu mir im Kopf vorbereitet. Wir kochten und küssten:
„Du redest nicht viel?“ stellte sie fest.
„Du hast mir die Sprache verschlagen.“,
„Du hast eine schöne Stimme.“
Ich bin Komplimente nicht gewohnt und wurde wohl rot.
„Süß“, sagte sie.
„Meerschweinchen sind süß.“
Sie küsste mich.
Wir redeten nicht weiter viel und fielen später über einander her.
Am nächsten Morgen wachte ich auf: ich hatte Kopfschmerzen, der rote Wein. Hello, dachte ich. Sie war weg! Aufgestanden? Ich ging in die Dusche. Sie war nicht da, ich stellte mich nackt ins Fenster und suchte die Straße ab.
„Das ist ja widerlich.“, rief mir eine Oma zu. Ich schaute an mir runter. „Stimmt“, dachte ich, „Ich bin durch meine Morgenlatte aufgewacht.“
Wo ist sie nur? Ich brauchte auf den Verlust erst mal ein Bier. Ging zum Kühlschrank. Machte ihn auf, kein Bier da. Aber ein Zettel:
„Lieber Samuel,
ich habe Dir Dein Bier geklaut, tut mir leid. Wir werden uns nicht wieder sehen können. Ich wohne nicht in Köln. Wenn ich’s Dir wert bin, suche nach dem Erbe von Charly Chaplin.
Liebe Grüße
für immer Deine Maria“
Ich war 25 und noch am Leben. Doch mein Leben schien kurzzeitig beendet. Mir stockte der Atem. Ich fiel auf die Knie. Ich kotzte. Draußen hörte ich den Regen. Komisch, dachte ich, seit dem Abend im Sub, hatte die Sonne geschienen. Und so wurde ich mein eigener Held!