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Avida

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15.02.2003
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Avida

Es war an einem milden Sommertag, die Sonne hatte den Zenit überschritten. Für diesen Tag hatte ich mir nicht viel vorgenommen: an die Hochschule fahren, ins PC-Labor gehen, mir dort möglichst weit hinten einen Platz suchen - damit mir niemand auf den Bildschirm schauen kann - und mir Pornoclips aus dem Internet laden, während ich in Boccaccios Dekameron lese.

Leider saßen ganz hinten bereits Studenten: am Fenster eine stämmige Brünette mit einem rundlichen Gesicht; drei Plätze daneben am Mittelgang saß Keats mit seinem Notebook. Wir nickten einander zu. Ich setzte mich eine Reihe davor ganz rechts an die Wand und drehte meinen Bildschirm soweit, bis ich sicher war, dass Keats nichts erkennen konnte. Gleich darauf drehte ich ihn wieder zurück, weil mir bewusst wurde, wie auffällig das doch war und tat so, als würde ich den Bildschirm lediglich optimal positionieren wollen.

Während ich noch darüber nachdachte, ob es mir überhaupt peinlich sein sollte, solche Clips herunter zu laden, hörte ich eine weibliche Stimme, leise und zart, die mir vertraut vorkam. Ich blickte nach vorne, in die erste Reihe und da erkannte ich sie: Es war Avida.

Die Pornoclips waren nun nebensächlich.

Ich stand auf, verließ den Raum, ging im Flur auf und ab und trat wieder ein, in der Hoffnung dass sie aufschauen und mich erkennen würde, damit ich sie und sie mich begrüßen konnte. Aber sie blickte zu ihrer Kommilitonin, die mich an ihrer Stelle ansah, also ging ich vorbei und setzte mich wieder auf meinen Platz.

Ich besuchte Internetseiten zu Spielen und Filmen und eine mit vielen Fragen - Wie dick muss man werden, um kugelsicher zu sein? - und blickte dabei immer wieder zu ihr nach vorne. Dann drehte ich mich zu Keats um und schob mich mit meinem Stuhl - einem Drehstuhl mit Rollen - zu ihm hinüber, lächelte und schaute auf den Bildschirm seines Notebooks.

„Du sitzt hier im PC-Labor und spielst auf deinem Notebook World of Warcraft, interessant.“, sagte ich. Die stämmige Brünette mit dem rundlichen Gesicht drei Plätze weiter am Fenster grinste - ich dachte, sie hätte wegen dieser Bemerkung gegrinst, aber etwas später hab ich dann bemerkt, dass sie eigentlich die ganze Zeit grinsend auf den Bildschirm starrte. Was muss eine Frau nur lesen, damit sie so grinsen kann? Ich kannte dieses Grinsen… so grinsen Frauen, wenn es in einem Liebesfilm zu einer romantischen Kussszene kommt. Ich hatte Jenni so grinsen sehen und Marta. Ich kannte dieses Grinsen auch von mir selbst, wenn ich mir „Ein gutes Jahr“ mit Russell Crowe ansah und er das erste mal Marion Cotillard küsste. Oh wie gerne wäre ich an seiner Stelle gewesen! Große kastanienbraune Augen und dunkle Haare, die weit über ihre Schulter fielen, sinnliche Lippen; ein Gesicht auf dem ein zartes Lächeln liegt, selbst wenn sie schläft. Wie könnte man so eine Frau nicht küssen wollen?

Jedenfalls fing ich mit Keats ein Gespräch an, sprach extra ein wenig lauter, damit Avida meine Stimme hört, meine Anwesenheit bemerkt und ich sprach bewusst lässig, damit sie auch bemerkt, wie wenig es mich interessiert, dass sie hier ist und wie wenig das Einfluss auf meine gute Laune hat.

Und was tat sie? Sie hielt ihren Kopf schief, tippte etwas ein, hielt ihren Kopf gerade, blickte zu ihrer Kommilitonin, sagte etwas, blickte wieder auf ihren Schirm und hielt ihren Kopf schief.

Ich stand auf, ging den Mittelgang nach vorne an ihr vorbei, ohne nach links oder rechts zu schauen, verließ den Raum und ging geradewegs zur Toilette. Dort sah ich in den Spiegel und fragte mich:“Bist du bescheuert?“

„Ja, so ist das eben.“, sagte mir eine innere Stimme.

Ich kehrte zurück ins PC-Labor. Ihr Kopf war zu ihrer Kommilitonin gedreht und am Hinterkopf hatte die Evolution Avida keine Augen geschenkt, also schloss ich die Tür möglichst langsam, um ihr Zeit zu geben.

Sie sprach noch immer mit der da neben ihr, als ich längst wieder auf meinem Platz saß. Ich überlegte, ob ich nicht vielleicht doch die Pornoclips herunterladen sollte und einen sinnlosen Text zum Drucker schicke, um einen Grund zu haben, den Raum ein drittes mal zu verlassen. Da sah ich auf Avidas Bildschirm, dass sie sich gerade abgemeldet hatte. Ich meldete mich ebenfalls ab und schob mich noch ein letztes Mal zu Keats rüber, lächelte und sagte für alle hörbar: „Hey, ich muss dann los, will noch mit Freunden an einen Badsee. Vielleicht bis später!“

Avida hatte bereits den Raum verlassen. Ich schnappte mir meinen Rucksack und folgte ihr. Auf der Treppe lies ich mir ein wenig Zeit, um ihr einen kleinen Vorsprung zu geben. Draußen vor dem Eingang sah ich sie dann etwa 20m entfernt mit einem Typen quatschen. Da ich wusste, wo sie wahrscheinlich lang gehen würde, ging ich an ihr und dem Typen vorbei, ohne sie zu beachten, Richtung Bibliothek.
Hier stellte ich mich unter einen schattigen Baum, blickte zu den weit entfernten Bergen, blickte auf mein Handy und beobachtete schließlich Studenten, die die Bibliothek betraten und verließen.

Avida kam um die Ecke. Ich tat so, als würde ich auf jemanden warten: sah ungeduldig zum Bibliothekseingang, nahm mein Handy aus der Tasche und sah auch das ungeduldig an.

Dann sah ich Avida an, machte ein überraschtes Gesicht und lächelte.

„Hey, wie geht es dir?“, sagte ich.

Im vorbeigehen sagte sie: „Gut.“, und verschwand in der Bibliothek.

Toll!

Ich wartete eine Viertelstunde und beschloss mir ein Buch auszuleihen; Ein neues Buch war für mich wie für eine Frau ein weiteres Paar Schuhe. Ohne irgendeine Beute würde ich nicht heimkehren; entweder eine Frau, ein Buch oder die Pornoclips.

Im ersten Stock sah ich Avida auf einem Stuhl neben dem Kopierer sitzend eine Zeitschrift lesen und ihr Anblick lies mich sogleich wieder meinen Beschluss vergessen. Ich ging an ihr vorbei, zielgerichtet auf die naturwissenschaftliche Abteilung zu, um mir dort wahllos ein Buch zu greifen, es dann mit zum Kopierer zu schleppen und dort wahllos einige Seiten zu kopieren.

Als ich zurückkam, war sie weg.

Ich legte das Buch neben den Kopierer, verließ die Bibliothek und ging zurück ins PC-Labor, wo ich mir die Pornoclips herunter lud.

 

Halo braindead,
danke für Deine Geschichte! Mir hat sie ganz gut gefallen, das Theater, das man inszeniert, wenn man betonen will, dass man gar nicht an einer Person interessiert ist, in die man in Wahrheit schwer verliebt ist:

Jedenfalls fing ich mit Keats ein Gespräch an, sprach extra ein wenig lauter, damit Avida meine Stimme hört, meine Anwesenheit bemerkt und ich sprach bewusst lässig, damit sie auch bemerkt, wie wenig es mich interessiert, dass sie hier ist und wie wenig das Einfluss auf meine gute Laune hat.
Ich kenne das nur zu gut. Ich mochte auch, wie die Geschichte geschrieben ist, locker, flockig, gut. Vielleicht keine Nobelpreis-Geschichte, aber gut zu lesen.

lg, catlucy

 

Hallo braindead,

ja, wer kennt eine solche Situation nicht? Ganz cool tun und dabei doch um Aufmerksamkeit buhlen.
Als Geschichte hat mich der Text jedch nicht sonderlich befriedigt. Dafür bleibt mir das alles zu sehr an der Oberfläche, zu austauschbar, beliebig. Ich lerne den Protagonisten ebenso wenig kennen wie Avida. Es bleiben einfach Namen, die keinen Zauber für mic entfalten.
Zwischen dem Hin und her streust du dann seltsame Anekdoten über Filme und Frauen ein, die ich schwer mit der Geschichte in Einklang bringen kann. Hier leidert in meinen Augen die Stringenz.

Ich wartete eine Viertelstunde und beschloss mir ein Buch auszuleihen; Ein neues Buch war für mich wie für eine Frau ein weiteres Paar Schuhe. Ohne irgendeine Beute würde ich nicht heimkehren; entweder eine Frau, ein Buch oder die Pornoclips.
dieser Absatz ist ein Beispiel für das Gefühl, das ich die ganze Zeit über beim Lesen der kg hatte: Ungenau.
Erst setzt du Buch mit Schuhen gleich, dann sprichst du von irgendeiner Beute. Nein das finde ich nicht schlüssig.

Das Ende ist dann natürlich klar.
Nun ja, der Grundstock ist gelegt, jetzt solltest du dich ans Feilen machen :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo catlucy,

danke für die Antwort und es freut mich, dass sie Dir ganz gut gefallen hat… vielleicht schaffe ich es irgendwann ja noch bis zu einem gut. ;-)

Ja, eine Nobelpreisgeschichte ist es nicht. Ich bin wirklich froh, dass ich mit dem Schreiben nicht meinen Unterhalt verdienen muss. ^^

Hallo weltenläufer,

danke auch für Deine Antwort! Ich werde darüber nachdenken, wie ich dem Protagonisten und Avida mehr Farbe geben kann.
Mit den Anekdoten wollte ich wenige Details über den Protagonisten einstreuen / andeuten, wie die leicht femininen Charakterzüge und das er sensibel und auch ein wenig schüchtern ist. Aber es stimmt schon, wenn ich es mir genau anschaue, dann gibt es wohl noch viel bessere Möglichkeiten, das darzustellen.

Wegen dem Buch und den Schuhen und der Beute… hm, in meiner verqueren Logik ist das schlüssig. Und da ich nicht nur für mich schreibe, sondern anderen damit eine Freude machen möchte, werde ich darüber nachdenken. :-)

Ich wünsch euch beiden ein schönes Wochenende!

 

Hallo Braindead,
schöne Geschichte! Fühlte mich erkannt, ertappt, kenne beide Seiten. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass Du an sprachlichen Genauigkeiten feilen solltest ("Ihr Kopf war zu ihrer K. gedreht und am Hinterkopf hatte..."), solche und ähnliche Sätze erscheinen mir etwas zu witzbemüht. Sehr schön der ganze Abschnitt "Du sitzt hier im PC-Labor...", der hat wirklich Witz.
Gerne gelesen!
LG,
Jutta

 

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