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Aye!
»Wusstest du, Jungchen, dass sich hier auf der Insel, tief in der Grotte unter dem Vulkan unvorstellbare Reichtümer befinden? Ein Schatz von unglaublichem Wert wartet nur darauf gehoben zu werden.«
»Klar Opa. Und du hast ditt Jold und de Juwelen nur noch nich jeholt, weilet dir solch eene Freude bereitet, hier mit mir Wache zu schiem…«
»Naja, was ist so falsch daran? Hier unter den Palmen, im Schatten, auf einer wunderschönen Karibikinsel. Aufs Meer schauen und spüren, wie der Wind die Eier umschmeichelt.«
»Ditt allet und dabei sajenhaft reich zu sein?«
»Von der Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet.«
»Siehste. Kennste denn den Weech in die Jrotte?«
»Na klar, schließlich hab ich damals mit Tom Morgan das ganze Zeug da runter geschafft.«
»Wer isn Tom jetze?«
»Wir waren Bukaniere und teilten uns alles. Das getrocknete Fleisch, die Hängematte, das Bier und den Rum, die Achterstücke. Sogar die Frauen und das Klopapier.«
»Bier?«
»Jou, wir waren wie Pech und Schwefel und hatten eines schönen Tages zusammen auf der „Lucky Princess“, unter dem berüchtigten Piratenkapitän Blueberry Lightwater angeheuert.«
»Hört sich ja jrausam an.«
»Das war es auch. Wir sind monatelang von Insel zu Insel gesegelt und haben einen Hafen nach dem anderen beschossen, die Städte ausgeplündert, die Einwohner terrorisiert oder getötet – je nachdem -, alles niedergebrannt bevor wir wieder in See stachen und… ja eigentlich war es das im großen und ganzen. Hat Spaß gemacht. Tolle Zeit. Da hatte ich noch beide Hände und kein Holzbein.«
»Also jenau wie jetze.«
»Oh. Und warum trage ich dann eine Augenklappe?«
»Modejründe?«
»Na immerhin habe ich Polly auf meiner Schulter.«
»Wer isn Polly?«
»Na mein Papagei, du Dummerchen.«
»Hier is keen Papajei.«
»Den hab ich schon seit ich sechs bin. Der ist eingebildet.«
»Da jeht mir dochn Licht uff. Aber watt is nu mit dem Schatz?«
»Welcher Schatz?«
»Haste doch eben noch von jeredet.«
»Echt? Ach ja. Also gut. Wir waren konsequentermaßen piratenmäßig richtig gut drauf und eines schönen Tages hatten wir überhaupt nix zu tun. Flaute. Keine Wolken. Vierundzwanzig Stunden nur Sonne. Und die stand immer im Zenit.«
»Natürlich.«
»Doch echt jetzt. Auf jeden Fall hatten wir das Deck so sauber geschrubbt, dass wir uns drin spiegeln konnten, die Segel waren gestopft und blütenweiß gewaschen und jeder hatte sich mittlerweile mit jedem geprügelt. Einige von uns hatten sich sogar kielholen lassen, so langweilig war uns.«
»Interessant.«
»Der Rum und das Bier war auch alle. Frauen gab’s damals noch nicht bei den Piraten, weiß du.«
»Scheiße wa?«
»Wir wussten uns zu helfen…«
»Gloob ick dir jern.«
»…einer kam da auf die unglaubliche Idee, die Schweine die wir an Bord hatten…«
»Allmächtijer! Keene Details bitte!«
»Schade, du hättest was lernen können Jungchen. Wie auch immer, wir hatten Glück, eine spanische Galeone tauchte am Horizont auf.«
»Die hatten wohl Wind wa?«
»Willst du nun hören was passiert ist oder was?«
»Ick brenne druff.«
»Blueberry Lightwater hatte die findige Idee, die Beiboote zu Wasser zu lassen und die „Lucky Princess“ zu ziehen.«
»Hui, ditt muss ja anstrengend jewesen sein.«
»Fünf Stunden haben wir gebraucht, um längsseits gehen zu können.«
»Ham die denn nich jeschossen oder watt?«
»Das war ja das merkwürdige…«
Die See war ruhig, die Sonne stand hoch am Firmament und es sah auch nicht so aus, als ob sich die Wetterlage oder die Stimmung innerhalb der Mannschaft verschlechtern würde.
Warum auch? Wir hatten schließlich fette Beute gemacht. Die „HMS Vengeance“ fiel uns zum Opfer. Es war eines dieser protzigen, völlig übertakelten, britischen, hey-wir-sind-die-allerallergrößten Handelsschiffe; mit vier durchlaufenden Decks und viel Proviant und Wertgegenständen an Bord. Obwohl mit mehr als doppelt so vielen Kanonen, Mannschaftsmitgliedern und Ratten bestückt, war es uns ob unserer Wendigkeit ein leichtes, die Situation zu kontrollieren – wir hatten sie sozusagen mehrmals umzingelt. Die Besatzung des Linienschiffes war uns gegenüber chancenlos. Mann, hatten wir denen die Ruderanlage zerschossen; die konnten von Glück reden, dass wir sie nicht gleich versenkt haben. Besser durch den Säbel als durch salziges Wasser dem Tod die Klinke in die Hand geben, sag ich meinen Männern immer.
Freilich verloren wir ebenfalls einige unserer Kameraden beim gegenseitigen Kanonengefecht, beim Entern und tödlichen Ausrutschen auf blutverschmierten Planken, aber das gehört zu unserem blutrünstigen Arbeitsfeld. Aye, ich habe schließlich auch nur noch ein Auge! Trotz meiner Abgebrühtheit, ist es für mich immer noch etwas unangenehm, einen Kumpanen von einem 24-Pfünder zerquetscht zu sehen - da muss ich immer brechen. Aber Rum beruhigt den Magen.
Sei es wie es sei, ein voller Laderaum und die Aussicht auf Wein, Weib und Gesang, ließen mich den neuen Kurs nach Montserrat bestimmen. Keine leichte Aufgabe, da sich mein Navigator bedauerlicherweise in das Bajonett eines britischen Soldaten geworfen hatte. Noch viel bedauerlicher war, dass dieser Soldat bereits tot gewesen war. Sein Kopf wurde später in einem Gurkenfass entdeckt.
Im Logbuch hielt ich nachfolgend fest, der Navigator wäre wagemutig, zum Wohle und Ruhm der gesamten Besatzung auf den blutigen Dielen in den Tod gestolpert.
Ich hatte etwas mehr Glück, denn mein persönliches Erfolgserlebnis war die Tötung des Kapitäns dieser englischen Nuckelpinne. Der hatte ein schickes Holzbein in genau meiner Größe und da meines schon vom Wurm zerfressen war und bei jedem Schritt bedenklich knarzte, wollte ich es haben. Als ich ihm sagte, er solle es mir doch bitte rüberreichen, spuckte er verächtlich auf meine Pistole und mir blieb nichts weiter übrig als ihn zu erschlagen. Mehrmals. In reiner Habgier, versteht sich.
Wir hatten jede Menge Spaß und mehr als genug Rumreserven. Die Mannschaft prügelte und betrank sich während ich versuchte, diesen vermaledeiten Kurs zu bestimmen.
Unsere Fregatte, die „Cutty Sark“, das mit Abstand schnellste Schiff in der Karibik, befand sich irgendwo nordöstlich von Curacao. Aber ich wusste nicht mehr ob ich vor, oder nach St. Lucia nach Norden abbiegen musste, aye!
»Käpt’n Dampier!«
Die aufgeregte Stimme von Stede Bonnet, meinem ersten Offizier, drang dumpf aber trotzdem scheppernd durch die Tür in meine Kabine. Da mich die Navigiererei schon immer gelangweilt hatte, erschrak ich nicht sonderlich und hob ermattet den Kopf vom Kartenbeladenen Tisch. »Ja?«, stammelte ich mühsam hervor. Stede trat ein und gestikulierte mit dem Haken seines linken Arms Richtung Oberdeck. Er war ganz aufgeregt und außer Puste. »Der Penny«, schnaufte er, »der Penny hat was ausgemacht!«
Oh wie ich diese Engländer hasste. Sie waren nichts weiter als Abschaum, mistige Maden im verschimmelten Brot in unserem Vorratslager; nicht den Dreck unter meinen Fingernägeln wert. Nicht dass ich Dreck unter meinen Nägeln hätte oder gar Brot im Lager.
Aber König James I. kündigte mir einfach meinen Kaperbrief. Wir wurden von geachteten und einer Kommission legitimierten Freibeutern zu einer gesetz- und rechtlosen Bande von Verbrechern und Nichtsnutzen. Einfache Seeräuber! Niederträchtige Piraten! Jetzt war Entern, Erdolchen, Plündern, Brandschatzen und Spanier verachten komplett illegal.
Da kam mir die „HMS Vengeance“ gerade recht. Versorgung für die britischen Karibik-Inseln. Reichhaltiger Nachschub für meinen nach Schätzen lüsternen Laderaum.
Gold ahoi! Und Rache, blutige Rache nicht zu vergessen. Wenn schon Pirat, dann aber richtig!
»…es wurde nicht ein einziger Schuss abgegeben.«
»*schnarch*«
»Hey, du kannst doch nicht an einer solch spannenden Stelle einpennen!«
»Wie? Watt? Oh,… ’tschuldijung.«
»Was ist, wenn ich dich nachher abfrage?«
»Du verarschst mir!«
»Ich verarsche nie.«
»Is ja jut.«
»Wir gingen also längsseits und enterten die spanische Schönheit. Der Anblick, der sich uns bot als wir über die Brüstung schwangen, raubte einigen den Atem.«
»Wieso ditt?«
»Nicht alle Piraten sind so hart im Nehmen, weißt du. Manche haben sich übergeben und es gab auch einige die in Ohnmacht gefallen sind. Nicht jeder sollte Pirat werden. Aber das ist meine Meinung.«
»Nee, ick meente, watt war so atemberaubend?«
»Das glaubst du mir nie.«
Hatte ich zu viel Rum getrunken oder wieder vergessen meine tägliche Dosis Zitrusfrucht zu mir zu nehmen? Oder hatte ich plötzlich zwei erste Offiziere? Das ging doch gar nicht, mit nur einem Auge! Mit Skorbut ist nicht zu spaßen.
Ich rieb mir mein einziges Sehorgan und stellte beruhigt fest, dass ich nur etwas schlaftrunken war. Das nahm auch Stede wahr.
»Äh, Käpt’n…«
»Hm?«
»Euch hängt da, äh…«, er fuchtelte mit seinem rechten Haken herum, »…und da steckt auch…«, betonte er. Stede holte tief Luft und setzte noch mal an. »Ihr navigiert, Käpt’n? Schicke Karte übrigens.«
Er deutete auf mein Gesicht und schaute verlegen an die Decke. Die Karte der Nordküste Südamerikas baumelte, von einem beachtlichen Sabberfaden gehalten, über dem Tisch. Mit einer kurzen Handbewegung wischte ich Kolumbien und Venezuela von meinem Kinn und richtete mich aufrecht in den Käpitänsstuhl. Stede lehnte sich gegen die Tür, richtete vorsichtig sein rotes Kopftuch und juckte sich demonstrativ am Auge.
»Was ist denn Stede? Was am Auge?«
»Penny hat ein Schiff ausgemacht!«
»Schiff ahoi?«
»Aye.«
»In diesen Gewässern? Das ist merkwürdig…«
»Käptn Tew, wir sind längsseits und klar zum entern!«
»Spitzenmäßig! Schnappt euch die Briten! Und seht zu, dass ihr die Kanoniere im zweiten Deck unschädlich macht! Diesmal machen wir keine Gefangenen!«
»Da schießt eh keiner.«
»Nicht?«
»Nee, alles ruhig da unten.«
»Und warum haben wir ein paar Breitseiten abgegeben?«
»Naja, der Crew war ein wenig langweilig und da dachte ich mir…«
»Okay Okay, ist schon in Ordnung.« An Deck zog ich meine Muskete, klemmte mir einen Säbel zwischen die Zähne und schnappte mir ein Seil.
»Mnfps…«
»Wir verstehen kein Wort! Nimm den Säbel aus der Gusche!«, schrie jemand zu mir herüber. Nachdem ich das Metall aus meinem Mund genommen hatte, setzte ich noch mal an.
»Männer…«
Aus der Menge schleuderte mir ein fröhliches, »Heh, hier sind auch Frauen an Bord!« entgegen.
»Oh, stimmt ja. Gut, dann eben: Liebe Freibeuter und Freibeuterinnen…« Read, mein Steuermann knuffte mich in den Arm und flüsterte unauffällig: »Piraten, Käpt’n! Wir haben doch keinen Kaperbrief mehr.«
»Ach stimmt ja.« Ungefähr dreißig Augenpaare glotzten mich erwartungsvoll an.
»Äh… Piraten…«, brachte ich schließlich hervor und schloss die Augen, um die Worte zu genießen, die mir immer Ehrfurcht und Respekt entgegengebracht hatten, »…ich bin stolz, mit solch loyalen und erfahrenen Seeräubern zusammenarbeiten zu dürfen. Es ist ein Privileg, welches nur durch… Nanu?«
»Käpt’n, wir entern bereits.«
»Oh, na gut. Vorbildlich. Weiter so.« Ein gellendes Geschrei breitete sich über die ruhige und sonnige Karibiksee aus. Die Enterhaken bohrten sich krachend in das Holz des Handelsschiffes und die Kaperseile spannten ein undurchschaubares Netz über die gegnerische Brüstung. Wir hatten leichtes Spiel, nach einer halben Stunde war alles vorbei. Kaum Widerstand. Gar kein Widerstand um genau zu sein. Entern mussten wir wohl noch etwas üben.
Ich schwang mich als letztes hinüber. An Deck des britischen Versorgungsschiffes war alles ruhig – totenstill.
»Ick gloob dir nie watt. Aber erzähl weiter.«
»Uns trat niemand entgegen. Wir hatten keinerlei Widerstand.«
»Die ham ohne Kampf einfach so uffjejeben?«
»Nicht direkt.«
»Warn die etwa alle tot?«
»Nein, es war nur niemand da.«
»Wow. Ein Jeisterschiff also.«
»Nein, so kann man das nicht sagen. Es war schließlich aufgetakelt und sogar das Deck war frisch geschrubbt und… Na, es war wohl doch ein Geisterschiff.«
»Watt passierte denn?«
»Wir hatten alle Decks nach Menschen durchsucht, fanden aber noch nicht einmal Ratten. Sogar die Hühnerkäfige und Schweineställe waren leer.«
»Und wo war die Mannschaft jeblieben?«
»Das wussten wir nicht. Es war uns auch egal.«
»Warum ditt?«
»Der Laderaum…«
»Uuh, der Laderaum. Mutta halt die Tochta fest: der Laderaum hui buh.«
»Es ist die „Vengeance“ Sir!«
»Was? Die hatten wir doch erst vor ein paar Stunden…« Wie konnte dieses schwere Schiff innerhalb weniger Stunden vor uns liegen? Zumal keine Besatzung an Bord war. Wir hatten wirklich gründlich gearbeitet, so richtig den Piraten raushängen lassen.
Die gesamte Mannschaft ging über die Planke oder war in der Schlacht getötet worden. Gefangene gibt es bei mir nicht.
Dass das verlassene Schiff nun vor uns lag, war eigentlich ein kläglicher Beweis dafür, dass ich nicht navigieren konnte. Oder gab es vielleicht doch Geisterpiraten?
»Penny muss sich irren«, hoffte ich inständig, »oder zweifelst du etwa an meinen Fähigkeiten bei der Navigation?«
»Aber es ist das Handelsschiff Käpt’n.«
»Echt?«
»Aye Käptn, die „Vengeance“…«
»Glaubst du eigentlich an Geisterpiraten Stede?«
»Hähä. Nö.«
»Mist!« Ich hatte das mit der Navigation echt nicht drauf.
»Was aber viel interessanter ist, neben der „Vengeance“ ist eine Korvette.«
»Korvette?«
»Aye.«
»Welches Baujahr?«
»Aye?«
»Ich komme rauf.«
Stede war im Begriff die Tür zu öffnen, zuckte aber zusammen. Ich vernahm ein spritziges Geräusch.
Der Käptn war tot. Erschlagen. Mit einer Steinschlosspistole, die in dessen Kopf steckte. Das Gesicht war nur noch ein breiiger Klumpen aus Hirn und Haaren. Ich sag meinen Männern immer: ‚Wenn das Pulver erst mal nass wird… na ja, da kann man nur noch zuhauen.’. Der Rest der Offiziere war schon tot, bevor wir das hätten übernehmen können. Abgerissene Arme, zerfetzte Beine, fehlende Köpfe, zerquetschte, erstochene, erhängte, von Holzsplittern durchbohrte und mit Bordäxten am Vormast drapierte Engländer. Recht hübsch hergerichtet und alles voller Blut. Aber es gab einen noch viel schlimmeren Anblick.
»Käptn Tew«, schrie Read aus dem Unterdeck zu mir herauf, »der Laderaum ist leer.«
»Oh nein!«, rief ich voller Entsetzen, »Wie leer?«
»Wisst Ihr was Sauerstoff ist?«
»Ja, aber was soll die däm…«
»Davon gibt’s hier reichlich.«
»Das kann doch gar nicht sein!«, wunderte ich mich entschieden. »Naja, vielleicht doch, denn hier sind ja alle tot.« Ich boxte einem vollbärtigen, grimmig dreinschauenden Piratenkumpan, der anscheinend ein Kilo Kautabak zu schmatzen schien, an die Schulter und lachte peinlich berührt.
»Ick find ditt übahaupt nich lustich«, entgegnete der Pirat mit tief rumpelnder Stimme und rotzte, nachdem er hochgezogen hatte, donnernd auf meine Stiefel.
»Und dieset jeboxe hier, könnte ick als sexuelle Belästijung ausleeng.«
Nach genauerer Betrachtung erkannte ich, der Pirat war eine Piratin; fast nicht zu glauben bei solch einem Bartwuchs. Aber Quote war nun mal Quote.
»Ist denn überhaupt nix mehr drin da unten?«
»Doch. Teerfässer und ein paar Ratten.«
»Igitt, Ratten! Was ist mit dem Vorratsraum?«
»Der steht teilweise unter Wasser.«
»Ist da noch was drin?«
»Ein paar Ratten.«
»Bäh, Ratten!«
»Obwohl…«
»…der Laderaum war mit immensen Reichtümern angehäuft. Gold, Juwelen, Rubine, Smaragde, einfach alle Edelsteine, die ich bis dato kannte. Hatte ich schon Gold erwähnt? Immens viel Gold.«
»Und ditt liegt jetz allet da unten in der Jrotte?«
»Bergeweise.«
»Warum habtn ihr ditt nich verprasst? So wie jeder richtije Pirat ditt jemacht hätte?«
»Nun, damals galten noch andere Tugenden. Nicht so wie heute, wo immer alles gleich zum Fenster rausgeschmissen wird. Wir dachten noch an unsere Zukunft. Wir wollten im Alter ein ruhiges und sorgenfreies Leben führen.«
»Ja, ditt seh ick ja hier an dir, Keule.«
»Wir wollten den Schatz verstecken und Blueberry Lightwater zeichnete die Karte.«
»Wattn für ne Karte?«
»Mein Gott, ne Schatzkarte natürlich.«
»Uuh.«
»Wir machten diese Insel zum Versteck. Der perfekte Ort.«
»Und zufällijerweise seit Jahren unser Piratennest…«
»Genau. Aber es ging was schief.«
»Als hätt ick druff jewartet.«
»Ich hab mir gerade mein Auge ausgestochen.« Stede hielt den Arm hoch und ich erkannte den kleinen schleimigen Ball an der Spitze des bluttriefenden Hakens. Der Augapfel sah mich an.
»Neuer Haken was?«
»Aye«, seufzte er leicht bedrückt.
»Kein Problem, der Wundarzt wird dir das zunähen und dann bekommst du eine schicke Augenklappe, genau wie ich.« Stede seufzte wieder und schlurfte langsam an Deck.
Er war hart im Nehmen. Aber er konnte auch austeilen.
Der Sextant griente mich höhnisch an. Verfluchte Navigation!
Ich fegte die Karten vom Tisch und schrie, so laut es meine Lungen vermochten Luft zu entbehren. Beides war nicht unbedingt erforderlich gewesen, genau wie der Zirkel, der nun in meinem rechten Oberschenkel steckte. »Autsch, verdammt!«
Die Augenklappe wollte nicht so recht passen, es war mir unmöglich sie über die leere Augenhöhle zu stülpen. Kein Wunder, eine halbe, ausgelutschte Zitrone steckte darin. Und Stede hatte nix gesagt. Naja, jetzt sah er ja nicht mehr so gut. Ich schraubte mein neues Holzbein an und ging an Deck.
An Bord sprang die Mannschaft wild umher; gehorchte auf Befehle meines Kanoniers und des Bordmeisters. Überall wuselten Arme und Beine herum und die gesamte Besatzung krakeelte um die Wette.
Stede stand mit mir beim Ruder und reichte mir das Fernrohr.
»Was machen die denn?«, fragte ich. Er sah mich mit einem Tellergroßen Auge an und ich merkte förmlich wie sich sein Geist immer weiter von seinem Körper entfernte.
Ich nahm das Fernrohr und haute ihm eine runter. Er schüttelte sich den Kopf und spuckte ordentlich auf die Planken. Er verfehlte mein hölzernes Bein nur knapp. Gar nicht mal so übel für einen Einäugigen.
»Na die machen sich gefechtsbereit«, entgegnete er.
Stimmt, genau, gefechtsbereit. Wusst’ ich doch gleich.
»Natürlich machen die sich gefechtsbereit. Sieh diese Frage als rein rhetorisch an, klar?«
»Aye.«
Ich hob das Vergrößerungsgerät an mein Auge und war fassungslos.
»Alles schwarz!«, rief ich entsetzt. »Es ist dunkel wie in einem Affenarsch! Ich seh’ gar nix! Muss kaputt sein oder so was.«
Stede schob das Rohr langsam von meiner Augenklappe Richtung intaktes Auge.
»Oh. Gut! Jaja, schon besser. Danke!«
Das britische Schiff erkannte ich sofort, aber die Korvette war mir fremd. Allein die Entertaktik des Korvettenkapitäns weckte gruselige Erinnerungen.
Als ich in den Laderaum geklettert war und mir dabei mehrere Splitter einzog, traute ich meinen Augen nicht. An der Wand war eine mit Blut gezeichnete Notiz.
Der arme Teufel, der unter dieser Nachricht lag, musste sie kurz bevor er abnippelte mit seinem rechten Arm geschrieben haben - mit seinem rechten, sauber abgetrennten Arm. Und anhand der Sauklaue war er wohl kein Linkshänder.
Die blutige Information lautete: „Dampier, meist gefürchteter aller Piraten in diesen Gewässern, hat uns auf dem Gewissen. Es war mir eine Ehre…*ächz* es ist mir eine Ehre für ihn zu sterben.“. Und so weiter und sofort, blah blah blah. Weiter unten kam das wichtige, wobei ich einige Schwierigkeiten hatte dieses Gekrakel zu entziffern: „Dampier hat das Holzbein des Kapitäns, es soll der Schlüssel zu einem immensen, riesengroßen, gewaltigen, majestätischen, bombastischen, in sei… sei… seiner Grö…Größe nicht abzu… *Argh* …nicht auszu…*würg*…malenden *röchel*“.
»Ein Schatz! Ohne Zweifel ein Schatz«, rief ich freudig hüpfend und in die Hände klatschend aus.
Read sah mit gewissem Zweifel auf die blutige Wandmalerei und kickte vorbeischwimmende Ratten durch das Bilgenwasser gegen die Planken.
»Kann sein Käpt’n. Wer hat noch nicht vom sagenumwobenen, bisher NIE gefundenen Schatz der Karibik gehört.«
»Ich zum Beispiel.«
Read verdrehte die Augen und wandte sich zum gehen. Als er die Treppe zum Oberdeck betrat hielt er kurz inne und informierte mich: »Außerdem hat Dampier das Bein. Und Ihr wisst wie ihr zu Dampier steht.«
Meine Miene verfinsterte sich und blanker Hass kochte sich erinnernd und siedend durch die Adern.
Ich hüpfte immer noch.
»Habt ihr die janze Beute beim Verladen über Bord jehen lassen oder watt? Hehe.«
»Quatsch. Für wie unprofessionell hältst du mich eigentlich? Ich hab mehr Erfahrung im Beute verladen als du, du dämlicher Sohn einer nichtsnutzigen, viel zu fetten Hure!«
»He, meene Mama is nich zu fett…«
»Wir fanden eine sehr merkwürdig aussehende Schachtel unter den Bergen voll Gold.«
»Ah, ne Schachtel. Wahnsinn.«
»Ja du Depp! Eine sehr absonderliche Schachtel wohlgemerkt. Dieses Ding sah so absonderlich aus, dass Lightwater sie sogleich gierig an sich nahm. Und seit dem Zeitpunkt, nahm das Unheil seinen Lauf.«
»Es ist Tew, kein Zweifel«, würgte ich zu Stede, der in seiner selbst zugefügten Wunde herumpulte. »Warum entert der ein verlassenes Schiff?« Stede war zu sehr mit Wunde erkunden beschäftigt um mir zu antworten. »Es muss einen Grund haben, warum dieser Wahnsinnige dieses Schiff aufbringt.«
»Vielleicht wegen dem Holzbein«, meinte Stede gedankenverloren und steckte sich das Auge in die Verwundung. Ich war von diesem Anblick zu fasziniert um auf seine Antwort reagieren zu können. Als ihm das Auge heraus und mit einem klatschenden Geräusch auf den Boden fiel, kam ich wieder zu mir.
»Welches Holzbein?«
»Das Holzbein von dem Kapitän der „Vengeance“.«
»Was ist so toll an diesem«, ich sah an mir herunter, »Bein?«
»Es soll wohl der Schlüssel zum sagenumwobenen, bisher NIE gefundenen Schatz der Karibik sein.«
Ich trat das Auge spritzend platt und schnappte mir Stede am Kragen, schüttelte und rüttelte ihn. »Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt? Du dämlicher, nach Walkacke stinkender Idiot! Woher weißt du das?«
»Als wir uns im Piratennest versteckt hielten, hat’s mir der alte Buckley bei einem Saufgelage erzählt. Der kann vielleicht Geschichten erzählen, sag ich Euch.«
»Und der kennt diesen Kapitän?«
»Aye. Er hat gesagt, er wäre einst mit ihm zur See gefahren und dass der damals auch mal Pirat war, es aber wegen der schlechten sozialen Leistungen der Piratengewerkschaft drangegeben hat und dann in den Dienst der Engländer trat. Da wurde er wohl krankenversichert.« Stede schüttelte spöttisch den Kopf.
»Welche Piratengewerkschaft?«
»Seid Ihr etwa kein Mitglied? Das würde sich bei einer Meuterei bezahlt machen.
Ich könnte Euch eine gute Meutereipolice über die Gewerkscha…« Ich ließ Stede los und schwankte zur Reling. Mir wurde speiübel und einiges klar. Der Kapitän muss Thomas Morgan gewesen sein, der Lehrmeister dieser verkommenen Ratte Tew. Okay, in diesem Moment kotzte ich in die salzige See.
»Wer hat dich bloß zum ersten Offizier gemacht!?«, regte ich mich weiter auf und besprenkelte Bonnet mit Erbrochenem.
»Das wart Ihr Käpt’n«, meinte er angewidert.
»Werd bloß nicht frech Freundchen! Für diese Blödheit wirst du die nächsten drei Nächte im Krähennest Dienst tun.«
»Och nö.«
»Das heißt ‚Aye’ verfluchtnocheins! Und geh zum Wundarzt! Das ist ja ekelhaft.«
»Zu Snyder? Aber der ist Zimmermann.«
»Der Vater von Jesus war das auch.«
»Wer in Dreiteufelsnamen ist Jesus?«
»Troll dich!«
»Aye!«
Ich setzte mich auf einen Hocker, schraubte mein Bein ab und untersuchte es. Erst jetzt bemerkte ich eine schmale Nut, die sich längs über das Holz erstreckte.
Bibeln für die Männer wären eine gute Idee. Unterricht im Lesen allerdings auch.
»Sofort die Segel setzen! Ich will wissen, ob ein Schiff in der Nähe ist!« Ich stemmte die Fäuste in die Hüfte und schwellte meine Brust. »Bringe man mir ein Fernrohr!«
Wenn es nötig war, konnte ich richtig gut kommandieren - und schwülstig schwafeln.
»Käpt’n, wir haben die „Cutty Sark“ ausgemacht.«
»Argh, Dampier!«
»Aye.«
»Sofort Verfolgung aufnehmen! Und macht die Kanonen klar!«
Da die meisten Piraten mit Popeln, schon wieder Rum saufen oder ähnlichem beschäftigt waren, schlugen meine Befehle ein wie mehrere vierundzwanzig-Pfund-Kanonenkugeln – sie richteten mehr Schaden an als Nutzen.
Allenthalben war zu vernehmen: „Ach nö, keenen Bock drauf.“ oder „Der Rum reicht noch für mindestens drei Tage, wozu also die Eile.“ Und so weiter und sofort.
»Dampier hat eigentlich unsere Beute in seinem Laderaum. Wir müssen ihn kriegen!«, schlug ich vor. Leider vergebens.
Ein hoffnungslos betrunkener Pirat keuchte mir ranzig entgegen: »Wir kriegen bestimmt ein anderes Schiff *hicks* in die Fittiche. Noch ist nicht der letzte Weisheit Abend. Der frühe Wurgel wängt den Furm. *hicks* Locka bleim!«
War das jetzt Meuterei?
»Wattn, wart ihr uff eenmal verflucht?«
»Ja, genau so war’s. Woher weißt du das?«
»Watt isn passiert?«
»Als wir das Schiff verließen und wieder zum Piratennest segelten, geschahen unheimliche Dinge an Bord. Nach und nach ereigneten sich unerklärliche Unfälle. Einer brach sich das Genick beim Deck schrubben, ein anderer starb beim pinkeln…«
»Watt? Wie denn ditte?«
»Der ist einfach umgefallen als er Wasser ließ. Einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Ich kann mich noch ganz genau an seinen Namen erinnern. Er hieß Luis oder Robert oder so und war bestimmt schon achtzig.«
»Na denn is doch allet klar…«
»Gar nichts ist klar Jungchen. Denn nur Morgan und ich kamen heil auf dieser Insel an.«
»Die anderen sind alle jestorben?«
»So ähnlich kann man es ausdrücken…«
Wie blöde, in dem Holzbein verbarg sich eine Schatzkarte. Wer fertigt denn heutzutage noch Schatzkarten an? Aber die beigefügte Notiz, dass es sich um den gigantischsten, immensesten und ich zitiere, „allerallerallerallerallerjrößten“ Schatz der Karibik handelte, machte mich scharf - aufs Schatzsuchen.
»Wie viel Pulver und Kugeln stehen uns noch zur Verfügung?«, fragte ich meinen Kanonier, der auf einem Pulverfass saß, sich ein Stück gammeliges Brot in den Rachen stopfte und dazu Bier trank.
»Wir haben noch genug um Port Royal zweimal zu beschießen, auszuplündern und niederzubrennen.« Er neigte sich zur Seite und hob die linke Pobacke. Ein tiefes Knattern, begleitet von einem säuerlichen Gestank entfleuchte seinem Hintern. »Wenn wir allerdings Saint John’s auf Antigua dreimal beschießen, könnten wir noch locker fünfmal Codrington auf Barbuda niederbrennen. Falls wir aber vorhaben, nach Saint Kitts zu segeln um lediglich zu plündern und…«
»Ich hab’s kapiert!«
Das war ja wunderbar. Nur leider wollte ich nicht nach Port Royal. Ich wollte auf die Schatzinsel. Ich wollte den allerallerallerallerallerjrößten Schatz.
»Geht sofort auf Abfangkurs zur „Cutty Sark“; holen wir uns unsere Ehre und das Gold!«
Ich wollte zwar nur das Bein aber ich schätze, dass Gold das Wort war, welches die Mannschaft mit einem Mal zur Höchstform auflaufen ließ. Mir flogen der Schweiß und die Spucke nur noch so um die Ohren. Ein kleiner, mir unbekannter Pirat, mit dicklichen Fingern und reichlich Zahnlücken, erbrach einige kaum verständliche Worte: »Käppn, wia finn die Scholli Rodscha nich meeha…«
»Wie ist dein Name Bootsmann?«
»Sch… Sch… Schimmi Käppn.«
»Verpiss dich du Stück Scheiße.« Ja, manchmal war ich unausstehlich, aber da mussten sie mit fertig werden. Nachdem sich dieser erbärmliche Pirat verdrückt hatte, verschränkte ich genüsslich die Arme und beobachtete das Treiben an Deck. Ich ließ meinen Blick den Hauptmast empor wandern und erblickte schreckliches.
»Ihr habt sie alle umjebracht!«
»Genau Jungchen. Morgan hatte die Schachtel aus der Kabine des Käpt’ns geklaut und fand darin einen Flakon, gefüllt mit einer ominösen Flüssigkeit.«
»Ominös, wow! Von wejen verflucht.«
»Richtig. Nach einigem herumprobieren an unseren Schweinen, erkannten wir schnell, dass es sich um ein hochtödliches Gift handelte. Wir haben sie alle vergiftet und über Bord geworfen.«
»Und ihr habt ditt Schiff zu zweit hierher sejeln können?«
»Das brauchten wir gar nicht.«
Ich weiß, Sie wollen jetzt bestimmt wissen, was Tew so schreckliches am Hauptmast erblicken musste oder wie der alte Sack es schaffte, zur Schatzinsel zu segeln, obwohl er nur mit Morgan an Bord war.
Aber was sind Geschichten ohne Geheimnisse?
Nun, wahrscheinlich nur Geschichten ohne Geheimnisse.
Es kam wie es kommen musste. Kapt’n Dampier versuchte die Schatzinsel noch vor Käpt’n Tew zu erreichen. Aufgrund navigatorischer Fehler und der doch viel schnelleren Korvette, kam es zu einer der blutigsten Seeschlachten der karibischen Piratengeschichte. Am Ende überlebten nur Dampier und Tew. Sie hielten sich am Holzbein von Morgan über Wasser und strandeten auf einer einsamen Insel. Gerüchten zufolge bauten sie eines der größten Piratennester der Menschheitsgeschichte.
Vor einigen Jahren fand man heraus, dass auf dieser Insel ein Eingeborenenstamm lebt, der beide mit Haut und Haaren aufgegessen hatte. Gerüchten sollte man nicht trauen.
Aber was geschah mit dem alten Sack und dem Jungchen?
Nun, nachdem sie sich zur Grotte aufgemacht hatten um den sagenhaften Schatz zu sichten, fiel dem alten Sack ein, dass er sich alles nur eingebildet hatte. Genau wie den Papagei.
»Du Jungchen.«
»Ja, alter Sack?«
»Mir fällt grad ein, dass ich mir das alles nur eingebildet habe.«
»Penner.«
Aye!