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Badeschaum

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21.03.2005
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Badeschaum

Der Wasserhahn tropft.
Dort, wo er in die spiegelglatte Oberfläche eindringt, verdrängt er den Spiegel in konzentrischen Kreisen. Die Glätte des Spiegels weicht einer sanften Turbulenz. Dampf steigt auf. Der Dampf zeigt die gleiche Turbulenz. Nichts steht still. Alles bewegt sich.

Früher mochtest Du die schlängelnden, sich windenden Bewegungen des Wasserdampfes. Hast Deine Beine aus dem Wasser gehoben, um so sehen, wie der Dampf von der Haut aufsteigt. Erinnerst Du Dich?
Du versuchtest, den Schaum von der Oberfläche unter Wasser zu ziehen und zu ersäufen. Und manchmal, wenn Du Deine kleinen Fäustchen ganz fest geschlossen hattest, gelang es Dir sogar.

"Kaltblütig: 7-Jährige ertränkt Badeschaum" – eine wirklich dramatische Schlagzeile. Vermutlich hätten die Leute die Zeitungen massenhaft gekauft, wenn sie es gebracht hätten. Ertrinkender Badeschaum.

Jetzt liegst Du nur da und beobachtest den Schaum.
Sieh nur die Fantastilliarden kleiner Oberflächen, in denen es ölig glänzt. Genau wie die Pfützen an den Tankstellen. Oder das Seifenblasenzeug, mit dem Du als Kind gespielt hast. Die anderen Kinder haben sich gefreut, wenn Tausende von Seifenblasen durch die Luft segelten. Hast Du nicht damals schon gedacht, dass sie Trottel sind? Sie lachten über farblose, durchsichtige Kugeln in der Luft, dabei lag es doch auf der Hand, dass die Schönheit einer Seifenblase in ihrer Oberfläche steckt. Sie dachten: eine Seifenblase ist eine Seifenblase ist eine Seifenblase. Aber das war so falsch.
Die Kinder sahen die bunten Schlieren nicht.
Du dagegen hast die kleine Seifenhaut gar nicht erst aufgepustet. Du hast sie in der Plastiköse gelassen und Dir die flirrenden Muster in ihr angeschaut. Dabei bemerktest Du, dass die bunten Wirbel sich sehr langsam bewegten, wenn die Seifenhaut noch frisch war. Je dünner die Haut wurde, desto schneller flogen die Wirbel in der Öse hin und her – gerade so, als würden sie versuchen, dem Unausweichlichen, nämlich dem Platzen der Seifenhaut in der Öse, zu entkommen. Man merkte, dass die Seifenhaut schlecht wurde, wenn sich plötzlich farblose Flecken unter die bunten Schlieren mischten und sie zu verdrängen versuchten. Die bunten Wirbel wurden schneller, immer schneller.
Du fandest schon damals, dass sie hysterische kleine Tröpfe waren. Schließlich wurden sie von den farblosen Flecken geschluckt und die Haut platzte. Und so hatte sich ihre Hysterie letzten Endes immer gelohnt, nicht wahr?

Manchmal hast Du aber auch nur in die Seifenhaut geschaut und Dich gefragt, was hinter den Wirbeln war. Du hattest Dir nämlich folgendes überlegt: Was nun, wenn die jeweilige Schliere etwas anderes verbarg? Was nun, wenn diese Farben Fenster waren? Ins Universum, zum Beispiel. Wie kleine Gucklöcher. Du erinnerst Dich doch?

Fragst Du Dich das immer noch? Ach, was frag ich – natürlich fragst Du es Dich nicht mehr. Heute sind andere Dinge wichtig für Dich. Das Bezahlen der Miete. Im Beruf nicht zu versagen. Form wahren. Heute findest Du die Schlieren beängstigend. Genau wie den Dampf. Warum? Weil er Dich an das erinnert, was in Deinem Kopf ist? Weil dieses unkontrollierbare Chaos aussieht wie Dein Inneres? Weil Du Angst davor hast, von den farblosen Flecken gefressen zu werden? Lauf nur, lauf. Versuch', den Flecken zu entgehen. Aber Du bist wie einer von den Wirbeln. Du weißt, dass Du nicht entkommen kannst. Du weißt, dass sie Dich eines Tages bei lebendigem Leib fressen werden. Die ersten sind schon bei Dir angelangt. Du kannst ihnen den Triumph lassen und farblos gehen. Oder Du nimmst Deine ganze Kraft und springst aus der Seifenhaut.

Zugegeben: was dann mit Dir wird, weiß keiner. Vielleicht wirst Du unsichtbar für die anderen. Vielleicht sieht keiner Dich je wieder. Die farblosen Flecken auch nicht. Du musst zugeben, dass das ein Vorteil wäre.
Es ist heiß. Dein Gesicht ist ganz rot. Deine Wangen glänzen. Vom Schweiß.
Sieh die kleinen Seifenblasen in Deinem Badeschaum. Der Schaum wird immer weniger. Das sind die farblosen Flecken und Du weißt es.

Spring, kleiner Liebling, spring jetzt.

 

Hallo Der Weg!

Was mir gleich von Anfang an nicht gefällt, ist die Du-Form Deines Textes, die auch noch mit Fragen wie »Du erinnerst Dich?« gespickt ist. Es wirkt so, als wolltest Du dem Leser einreden, daß er das alles so erlebt hat, und wenn man dann sagen will, »Nein, so war das bei mir nicht, ich habe ganz andere Experimente gemacht«, geht es einfach weiter, Du läßt nicht locker, versuchst es mit dem nächsten Erlebnis oder den nächsten Gedanken, und ich kann immer wieder nur denken »Nein …«
Wesentlich geeigneter wäre hier die Ich-Form. Wenn mir jemand erzählt, »Ich habe das erlebt« oder »xy hat das erlebt«, dann kann ich der Geschichte zuhören, ohne mich zum Widersprechen herausgefordert zu fühlen.

In der Ich-Form könntest Du dann vielleicht auch etwas mehr Geschichte draus machen, denn im Moment ist es in meinen Augen eher eine Aneinanderreihung von Experimenten mit und Gedanken über Badeschaum, die zeitweise schon recht albern wirken:

Der Badeschaum ist auch nur ein Mensch.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

mit dem menschlichen Badeschaum magst Du Recht haben. Ich denke darüber nach.

Was die Du-Form angeht - die urprüngliche Intention dahinter war eine ganz andere, insofern vermittelt mir Deine Kritik einen ganz neuen Standpunkt. Ich habe die Geschichte eher wie eine Art Selbstgespräch gesehen. Eine Stimme in meinem Kopf spricht mit mir. Ein Teil meines Ichs befragt, bedrängt einen anderen Teil. Möglicherweise ist das nicht wirklich herausgekommen. Ich werde die Geschichte diesbezüglich noch einmal überarbeiten und sehen, ob ich diese Intention auch besser umsetzen kann.

Danke für die Kritik. Man wächst ja auch dran ... äh ... nicht wahr? ;o)

M.

 

Okay, mir gefällt das sehr gut, es sind ja nicht einfach nur lustige Experimente mit Seifenschaum, sondern eine ganze Weltsicht um die es da geht.

(Außerdem hab ich zufällig als Kind selbst auch solche Spiele mit dem Schaum getrieben, drum hat mich das Du nicht so gestört, aber es stimmt schon, darauf kann man sich nicht verlassen).

Wenn das allerdings ein Selbstgespräch sein soll, dann find ich das mit dem "kleinen Liebling" am Schluss reichlich seltsam. Ich mein, gut und schön, wenn man mit sich selbst auf gutem Fuß steht, nur beneidenswert, sag ich da. Aber, sich selbst einen Kosenamen verpassen?

Das "kleiner Liebling" am Schluß hat mich sehr irritiert. Ich dachte eher an einen Elternteil, der sich an sein Kind richtet deswegen, das wäre praktisch der einzige Kontext der mir für "Kleiner Liebling" passend scheint.

Würd ich sowieso rausnehmen.

lg
mög

 

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