Bahnunglück
Manchmal, wenn ich morgens alleine in der Küche sitze, weil meine Frau schon zur Arbeit gegangen ist, und ich lustlos an einem Brötchen kauend aus dem Fenster schaue, denke ich daran wie wir uns kennen gelernt haben. Das liegt daran, das vor unserem Fenster rote Rosensträucher gepflanzt sind, die mir immer wieder die Geschichte unseres Kennenlernens erzählen.
Rote Rosen, die meine Nostalgie heraufbeschwören, das klingt jetzt erst einmal schrecklich kitschig, aber dahinter steckt etwas weitaus subtileres. Vielen, denen ich die Geschichte erzählt habe, sind der festen Überzeugung, dass hier das Schicksal der Liebe unsere Wege ineinander verflochten habe.
Es war an einem Montagabend, so gegen sieben. Ich fuhr gerade von der Bibliothek nach Hause zu meiner Mutter. Bisher hatte ich noch keinen drängenden Grund darin gesehen mein Studentenleben mit zusätzlicher Arbeit zu beschweren, um mir eine eigene Wohnung zu leisten. Ich war recht fröhlich und schaute unbekümmert aus dem Fenster der Bahn, nahm die vorbeiziehenden Bilder der Großstadt wahr ohne groß darüber nachzudenken.
Die Bahn hielt ruckelnd, öffnete ihre Türen und nahm einen Schwall geräuschvoller Menschen auf. Und einen von ihnen verschlug es zu mir.
Ihr seitlich aufgerissener Rucksack streifte mich, als sie sich schwungvoll in den Sitz gegenüber von mir warf. Ich wandte mich zu ihr herum. Statt einer Entschuldigung warf sie mir einen eiskalten Blick zu. Ich lächelte sie an.
Einen abweisenden Blick mit einem Lächeln zu parieren ist so ziehmlich das Dümmste , was man machen kann, aber ich neige leider dazu Dummes zu tun. So oft ich das tue, so oft falle ich dabei auch auf die Nase, aber bisher fand sich immer jemand, der mich wieder aufhebt. Vielleicht nicht unbedingt das Beste, was mir passieren konnte.
Zugegeben, mein Lächeln war wirklich daneben. Aber mich wegen dieser unüberlegten Geste gleich strafend und geradezu angewidert anzusehen, war für meine Begriffe schon etwas unfreundlich.
Das Haar fiel ihr in schwarzen Strähnen aus dem lose geflochtenen Zopf und spielte vom Wind bewegt über ihrem weit ausgeschnittenen Shirt. Sie hatte schöne Brüste, rund und von mittlerer Größe, ganz nach meinem Geschmack. Ich wehrte mich gar nicht erst gegen den Drang meinen Blick unterhalb ihrer Schlüsselbeine ruhen zu lassen. Wunderschön, dachte ich, und wollte mich gerade in einem anregenden Tagtraum verlieren.
Doch daraus wurde nichts. Demonstrativ riss die den Reißverschluss ihrer Jacke nach oben. Sie atmete hörbar entnervt ein und strafte mich mit einer Entrüstung, in der die Verachtung sämtlicher Frauen dieser Welt lag, die jemals als Lustobjekt betrachtet worden waren.
Ihr Verhalten blieb nicht unbeachtet. Eine alte Frau mit Falten, so tief, dass sich grauer Staub darin zu sammeln schien, betonte ihr Missfallen mit einem kehligen Räuspern und einem kurzen, aber strengem Blick. Auch andere Fahrgäste wandten sich neugierig zu mir, warfen mit vielsagenden Blicken um sich und wahrscheinlich hatte jeder einzelne einen Spruch auf den Lippen, der Typen wie mich charakterisiert.
Für ein oder zwei Sekunden stieg so etwas wie Scham in mir hinauf. Doch ich rechtfertigte mich damit, dass ich eben auch nur ein Mann und den weiblichen Reizen ebenso erlegen wie ein Hund bin. Und abgesehen davon kann man nicht behaupten, dass sie ein besonders freundlicher Mensch wäre.
Das Schamgefühl wandelte sich in beleidigte Selbsgefälligkeit. Das Bedürfniss sich zu entschuldigen wich dem stechenden Drang es ihr heimzuzahlen. Immerhin hatte sie mich hier in aller Öffentlichkeit bloßgestellt. Wahrscheinlich haben ihr heute schon eine ganze Reihe Männer in den Ausschnitt gestarrt. Auf den Hintern eher nicht, der hat ja schon ziehmlich Fett angesetzt. Und nur weil sie heute schlecht gelaunt ist, muss sie mich jetzt als anstandslosen Perversen hinstellen.
Etwas unüberlegt, was meine weitere Vorgehensweise anging, beschloss ich, das nicht auf mir sitzen zu lassen.
„Entschuldigung“, sagte ich betont ruhig.
„Was?“, antwortete sie bissig.
„Würden Sie bitte so freundlich sein ihre Tasche ein Stückchen weg zu schieben, damit ich etwas mehr Beinfreiheit habe?"
Ich konnte förmlich sehen wie die Wut in ihr hinaufkroch. Das heißt, eigentlich kroch sie eher herab. Zuerst färbten sich Stirn und Wangen rot. Die Lippen bebten wie ein Heer, dass sich zum Kampf rüstet. Zwei Sekunden später ballten sich die Fäuste und ihr Mund öffnete sich.
„Was glaubst du Arschloch eigentlich wer du bist? Ich hatte einen verdammt anstrengenden Tag hinter mir, während du wahrscheinlich ein fauler Student bist, der sich noch von Mama durchfüttern lässt.“
Ehrlich, ich habe keine Ahnung wie sie darauf kam. Aber seit diesem Tag habe ich das Gefühl eine durch und durch transparente Person zu sein.
„Ich komm hier in die Bahn, setz mich hin und will einfach nur nach Hause und dann sitzt mir so`n Scheißkerl gegenüber, der meint mich mit einem idiotischen Sunnyboylächeln anmachen zu müssen. Aber statt mich in Ruhe zu lassen, nachdem er mitbekommen hat –nun, wenn er das überhaupt mitbekommen hat- , dass er einfach nur nervt, starrt er mir auch noch auf die Titten. Und um sich dann gänzlich daneben zu benehmen beschwert er sich dann auch noch über meine Tasche, die ihm angeblich die Freiheit seiner kurzen Beine raubt.“
Sie holte gerade Luft und wollte noch eine Reihe weiterer Beschimpfungen loslassen, als sie von einem jungen Mann ostdeutscher Abstammung unterbrochen wurde. Es handelte sich um einen Rosenverkäufer, welche sich in diesem Sommer auch Gebiete außerhalb von Restaurants erorbert hatten.
„Wollen Sie der jungen Dame nicht eine Rose zur Beschwichtigung schenken?“, fragte er gutgelaunt und schaffte es dabei sowohl ihr als auch mir sympathisch zuzuzwinkern.
Die junge Dame wollte davon nichts wissen, und ich wäre sicherlich auch viel zu stolz gewesen mich jetzt noch zu entschuldigen.
Wir rollten konfkliktbeladen im Bahnhof ein. Sie riss ihre Tasche gewaltsam vom Boden und drängte sich an den anderen Fahrgästen vorbei zur Tür. Wie ich später erfuhr, war das tatsächlich die Station an der sie aussteigen musste, doch in diesem Moment wirkte es eher wie eine panikartige Flucht. Das gab mir ein etwas merkwürdiges Gefühl des Sieges.
„Außerdem mag ich keine Rosen.“, warf sie noch etwas trotzig in den Wagong, bevor sie aus der Tür ging und in der Menschenmenge verschwand.
Der Verkäufer wandte sich nun den anderen Fahrgästen zu, die alles mit Aufmerksamkeit verfolgt hatten, und ganz andere Dinge als Rosen im Kopf hatten. Es herrschte die gespannte Stimmung von tausend Worten, die gesprochen werden wollten und nur auf eine Chance warteten, dass die entsprechenden Münder sich öffneten. Jeder der Anwesenden würde sich in Kürze auf mich stürzen. Man sah es ihnen an, man konnte es fast schon riechen!
„Junger Mann!“ Es war die grauverstaubte Frau, die das Gemetzel eröffnete.
Gleichzeitig mit ihrer Stimme ertönte das Warnsignal zum Türenschließen. Ich sprang auf und hechtete durch den sich schließenden Türspalt.
Ich stand allein inmitten der Wartenden. Jetzt war ich es, der geflohen war. Irgendwo brüllte eine Stimme ins Mikrofon, dass ein Warnsignal eine Bedeutung hätte, nämlich nach Paragraph sowieso...Ich hörte nicht darauf, sondern eilte zum Ausgang des Bahnhofs.
Ich hatte nicht wirklich vor das Mädchen wieder zu finden. Eigentlich fühlte ich mich nicht schuldig. Sie war es, die überreagiert hatte. Und trotzdem lief ich etwa eine Stunde im Gelände um den Bahnhof herum und schielte nach jedem schwarzhaarigen Mädchen.
Die ganze nächste Woche spukte sie in meinem Kopf herum. Wann immer etwas mich auch nur im entferntesten an sie erinnerte, sah ich ihr Gesicht vor mir. Ich begann mein Leben zu überdenken und dachte tatsächlich daran mir einen Job zu suchen und auszuziehen. Das hatte natürlich nichts mit ihr zu tun, versuchte ich mir einzureden.
„Seit wann bist du eigentlich auf dieser trübsinnigen Schiene?“, wurde ich irgendwann von einem dauerbekifften Mitstudenten gefragt.
Ich fand mich nicht besonders trübsinnig, aber er beharrte darauf, dass ich eine Ablenkung bräuchte. Deshalb schlug er vor mich nächste Woche zu einem Double Date mitzunehmen. Ich wollte schon nein sagen, denn normalerweise bin ich Kiffern gegenüber etwas skeptisch. Besonders was die Körperpflege betrifft, aber er versicherte mir, dass sie ein grundanständiges Mädschen sei, vielleicht sogar ein bisschen zu anständig.
Ich willigte ein und am nächsten Wochenende standen wir vor der Tür einer Altbauwohnung in einem hübschen Umgebung. Ich trug einen dunklen Pullover und darüber eigentlich einen karierten Pollunder, weil es recht kühl für eine Sommernacht war. Doch den hatte mir mein Begleiter entsetzt ausgezogen, in seine Tasche gesteckt und etwas wenig nettes über meinen Kleidungsgeschmack gesagt.
Über die rote Rose, die ich für mein Date gekauft hatte, lachte er auch nur. Als ich im Blumenladen vor Nelken, Orchideen, rosafarbenen, gelben und eben auch rotenRosen stand, musste ich natürlich wieder an sie denken. An diesen letzten, etwas merkwürdig unpassenden Satz. Alle anderen Frauen lieben Rosen, dachte ich mir, deshalb kaufte ich auch welche.
Die Tür öffnete sich und vor uns stand ein Mädchen mit einem Lächeln, so breit, wie ein Pferdegebiss. Sie begrüßte mich lapidar und zog den kiffenden Studenten in ihr hageren Arme. Sie verzogen sich kichernd in die Küche.
Ich bereute es schon jetzt hier zu sein. Etwas anderes als Drogen und ungeschützter Geschlechtsverkehr war hier eigentlich gar nicht zu erwarten. Ich ging in den einzigen anderen Raum der kleinen Wohnung und da sah ich sie auf dem violetten Sofa sitzen.
Das Mädchen aus der S-Bahn, das mir seit unserer Begegnung nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich stand vor ihr mit meiner Rose in der Hand und hatte nicht die geringste Ahnung, was ich sagen, geschweige denn wie ich mich verhalten sollte. Sie musste schon eine ganze Weile gelangweilt herumgesessen haben, denn vor ihr lag ein Berg aus zerkleinerten Pappstückchen, und sie hielt immer noch eine angefressene Karte in ihrer Hand. Bei meinem Anblick schaute sie erst misstrauisch, suchte nach der passenden Erinnerung zu diesem Gesicht, und dann verwundert, als sie mich erkannte.
Wir sagten eine ganze Weile nichts. Sie war nicht mehr zornig, und ich gott sei dank sprachlos.
„Und jetzt?“, sagt sie „Soll ich so tun als würde ich mich über die Rose freuen?“
„Nun, das wäre jedenfalls freundlich“, antworte ich, und dann etwas demütig: „Aber auch nicht besonders ehrlich.“
Sie lächelte. Die Bahnszene war vergessen.
„Willst du dich nicht vorstellen?“
„Eduard Schmitz.“, sage ich und mein Körper schwitzte heftig als ich mich ihr nähere.
Drei Jahre später hießen wir beide Schmitz. Nicht, weil ich wollte, dass sie unbedingt meinen Namen annimmt, sondern einfach, weil sie ihren nicht leiden kann. Sie gibt sehr viel auf die Dinge, die Menschen mögen oder nicht mögen. Das Schicksal liebt solche Dinge, und wenn wir unsere Leidenschaften und Abneigungen nicht vergessen, wird es uns schon auf den richtigen Weg führen. Das ist ihre feste Überzeugung. Und wenn ich so darüber nachdenke, dann hat sie vielleicht Recht.