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Bald wirst du sterben
Meine vierjährige Tochter Nancy litt unter schweren Bauchschmerzen. Man vermutete eine Blinddarmreizung aber erste Untersuchungen konnten diese Diagnose nicht zweifelsfrei bestätigen. Als sich ihr Zustand zusehends verschlechterte, brachten wir sie umgehend ins nächste Krankenhaus. Dort behielt man sie für einige Tage unter Beobachtung.
Da ich noch einen einjährigen Sohn hatte und mein Mann arbeiten musste, konnte ich leider nicht bei ihr bleiben.
Zu dieser Zeit war allerdings auch meine Tante Barbara im gleichen Krankenhaus als Patientin untergebracht worden. Sie erholte sich gerade von ihrer OP und war schon wieder recht fit auf den Beinen, so fit, wie eine Frau mit der Leibesfülle einer Sumoringerin und einer frischen OP-Narbe eben sein kann.
Bei einem langen Spaziergang mit Barbara baten wir sie darum, hin und wieder nach unserem kleinen Schatz zu sehen.
Auch wenn ich gewünscht hätte, sie nicht gerade unter solch unliebsamen Umständen wiederzusehen, war ich doch sehr froh, daß sie sich um Nancy kümmern konnte.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie sie mich als kleines Kind auf dem Rücken kilometerweit vom See zurück nach Hause trug, an dem wir zuvor den Tag verbrachten.
Sie trug mich durch die ganze Welt, über Stock und Stein, wenn meine erschöpften kleinen Beine mich nicht mehr tragen konnten.
Sie nahm mich überall hin mit, ich war schließlich ihre erste Nichte. Barbara war nur neun Jahre älter als ich, das jüngste von sechs Kindern. Durch mich fühlte sie sich endlich nicht mehr als Baby der Familie. Sie trug jetzt Verantwortung und war sicher die stolzeste und liebste Tante, die man sich nur denken kann. Ja etwas durchgeknallt hin und wieder, aber liebenswert durchgeknallt.
Ihr Anblick heute hatte mich ziemlich erschreckt. Nicht ihre herausgewachsene Dauerwelle, sondern der Ausdruck in ihren Augen hatte mir einen herben Schlag versetzt. Irgendetwas hatte die sonst so lebenslustige junge Frau völlig verändert..
Gesundheitlich ginge es ihr soweit gut, versicherte sie uns. Aber ihre dunklen Ringe unter den Augen machten mich doch sehr misstrauisch ihren beschwichtigenden Äußerungen gegenüber. Ging es ihr wirklich gut? Als ich ihr zum Abschied die Hand reichte, durchfuhr es mich wie ein Blitz. Ich konnte ihr in diesem Augenblick nicht sagen, was mich für eine Ahnung überkam. Ob sie etwas bemerkt hatte? Sie würde mich für verrückt erklären, sie würde mir niemals glauben, wenn ich ihr sagte, was ich in diesem Moment erfuhr.
Still saß ich auf dem Heimweg im Auto neben meinem Mann.
"Was ist denn los? Du bist so eigenartig ruhig." fragte Maik nach einer geraumen Weile. Seine blauen mandelförmigen Augen betrachteten mich forschend. "Ich glaube nicht, das du es hören willst."
"Sag schon, was ist los?"
"Bitte halte mich nicht wieder für verrückt. Es ist eben schon wieder passiert." Noch zögernd und abwägend, ob ich es ihm wirklich erzählen sollte, schaute ich besorgt zu ihm hinüber.
"Was ist passiert?" , hakte er erneut nach.
"Halte mich bitte nicht für verrückt, versprich es mir. Ich muss mit jemanden darüber reden." Nach einer kleinen Pause wagte ich dann endlich zu offenbaren, was mich so betroffen machte. "Sie wird sterben."
"Wer wird sterben?" ,ungläubig musterte er mich. "Barbara. Frag nicht, woher ich es weiß, es ist auch nur soetwas wie eine Vorahnung. Doch ich weiß es wird passieren. Bald schon. Ich weiß nur noch nicht wie."
"Hör auf Maren, ich will soetwas nicht hören. Das ist total abgefahren. Behalte das bitte für dich." Angewidert von meinen Ankündigungen wandte er sich von mir ab und sprach für den Rest der Heimfahrt kein Wort mehr mit mir, als ob er mich bestrafen wollte.
Nach einigen Tagen konnten wir unsere kleine Tochter aus dem Krankenhaus holen. Barbara war übers Wochenende nach Hause gefahren, so konnte ich ihr nicht mehr erzählen, was mich seit Tagen nicht mehr ruhig schlafen ließ.
In der kommenden Nacht wurde ich von den furchtbarsten Alpträumen geplagt. Ich sah Barbara tot auf der Bahre liegen, bis zum Hals mit einem Laichentuch bedeckt. Ihr Unterkiefer war seltsam verschoben, ihr linkes Auge völlig eingedrückt, die dunklen Ränder unter ihren Augen waren verschwunden.
Von irgendwoher hörte ich plötzlich laute, angstverzerrte Schreie, ihre Schreie. Es war Barbaras Stimme. Sie saß auf dem Beifahrersitz im Wagen ihres neuen Freundes, der nicht wirklich gut für sie sein konnte, vor dem jeder sie gewarnt hatte.....
Schweißgebadet und völlig erschöpft wachte ich am nächsten Morgen auf. "Maik, Maik. Wach auf!" Aufgeregt zupfte ich am Pyjamaärmel meines Mannes. Verschlafen und ziemlich entrüstet über den unsanften Weckversuch schaute er mich verständnislos an. "Was ist denn los? Was soll das? Drehst du jetzt völlig durch?" Egal was er sagte, er konnte mich gar nicht verletzen, das war schon lange vorbei." Ich weiß was passieren wird, wir müssen sie sofort warnen. "Bist du jetzt völlig übergeschnappt?" Maik war fassungslos, machte sich sichtlich Sorgen um meinen Geisteszustand. Wer konnte es ihm verübeln? Hektisch sprang ich unter die Dusche, ich musste sofort zu Barbara, selbst auf die Gefahr hin, daß sie mich auslachen würde, ganz gleich. Noch unter der Dusche stehend, höre ich das Telefon klingeln. Nur mit einem Handtuch bekleidet, haste ich, um den Hörer noch rechtzeitig abzunehmen.
"Ja Hallo. Wer ist da?" Am anderen Ende meldet sich meine Schwester Kati.
"Maren, es ist etwas passiert." sagt sie vorsichtig. Sofort, noch bevor sie weiterreden kann, sage ich wissend:"Es ist Barbara. Nicht wahr? Sie hatte einen Unfall, nicht wahr?" Schockiert bejaht Kati meine Vermutung. "Wie kannst du das wissen? Die Polizei war eben erst bei mir und ich war die erste von allen, die sie angetroffen haben."
"Ich kann dir nicht sagen, woher ich es wußte, ich wußte es eben. Ich wünschte, ich hätte sie gewarnt."
Erschüttert sehen Maik und ich uns an, als ich ihm die schaurige Neuigkeit mitteile. "Glaubst du mir jetzt?" Maik wendet sich ab, bestürzt schüttelt er den Kopf. "Ich fasse es nicht, das kann nicht sein, wie konntest du...........?"
Ahnungslos zucke ich leicht mit den Schultern.
Noch heute habe ich diese Vorahnungen, meist bereits ein halbes Jahr, bevor es dann passiert, bevor wieder jemand aus meiner Familie stirbt.
Aber nie kann ich jemanden retten. Damit muss ich leben, für alle Zeit. Was sollte ich jedem sagen? Bald wirst du sterben?