Was ist neu

Balduin, der Karpfen

Mitglied
Beitritt
02.06.2005
Beiträge
31
Zuletzt bearbeitet:

Balduin, der Karpfen

Balduin kam atemlos zu seiner Frau geschwommen. "Ich habe eine Entdeckung gemacht. Komm mit, rasch!"
Helene rührte keine Flosse. "Komm her", sagte sie, "und erzähl erst einmal in aller Ruhe, was los ist. Du sollst überhaupt nicht so rasch schwimmen. Du weißt ganz genau, dass das nicht gut ist für deine Kiemen. Also was ist los?"
"Ich habe eben herausgefunden, dass auch die Fischer reden können."
"Blödsinn", sagte Helene. "Fischer sind stumm. Das weiß doch jedes Fischchen."
"Dann komm und sieh selbst", sagte Balduin und schwamm voraus.
Am Ufer saßen zwei Burschen und unterhielten sich angeregt.
"Dummkopf", sagte Helene, als sie die beiden sah. "Das sind keine Fischer."
"Aber sie haben doch ihr Angelgerät bei sich."
"Das beweist nichts. Haben sie schon jemanden gefangen?"
"Glücklicherweise nicht."
"Na also", sagte Helene verächtlich. "Eine Angelrute macht noch keinen Fischer. Du und deine Entdeckungen."
"Hör doch einmal", flüsterte Balduin, "worüber sie sprechen. Sie reden immer von einem Länderspiel, das am nächsten Sonntag in der Stadt ausgetragen wird. Weißt du, was das ist, ein Länderspiel?"
"Nein", sagte Helene, " Ich brauche das auch nicht zu wissen. Ich bin ja eine Frau."
"So, hör doch", sagte Balduin. "Eben hat der eine gesagt, es sei das größte Ereignis des Jahres. Helene, ich muss dieses Länderspiel sehen. So viel ich gehört habe, wird es im sogenannten Stadion in der Stadt ausgetragen!"
Helene gluckste verächtlich. "Möchtest du mir nicht erklären, wie du dort hinkommen willst, du Dummkopf"
"Ich werde darüber nachdenken", sagte Balduin.

Als er am Sonntagmorgen aufs Ufer zuschwamm begegnete er drei Freunden.
"Balduin", sagte der eine, "mach bitte keine Dummheiten. Deine Frau hat mir erzählt, dass du in die Stadt willst. Hat man schon so etwas je gehört? Ein Karpfen, der in die Stadt will! Du willst dich doch nicht etwa absichtlich fangen lassen?"
"Keine Angst", sagte Balduin, "ich werde in die Stadt schwimmen."
"Aber Balduin! Wie denn? Im Hauptkanal?"
"Gott bewahre! Nein. Ich werde durch die Luft schwimmen."
"Bist du verrückt? Das geht doch nicht!"
"Hat es einer von euch schon probiert? Na also."
"Aber es hat doch keinen Sinn, etwas Unmögliches zu probieren", sagten die Freunde.
"Ihr ödet mich an", sagte Balduin, sprang aus dem Wasser und flog davon.

Am Stadtrand traf er einen Lehrer.
"Um Gottes willen!" rief der Lehrer. "Ein fliegender Fisch."
"Na und?" sagte Balduin.
"Was heißt da: Na und? Sie müssen sofort dorthin zurück, woher sie gekommen sind."
"Warum?" fragte Balduin enttäuscht.
"Wegen meiner Schüler. Drei Wochen habe ich mich nun bemüht, diesen Hohlköpfen das Gesetz vom Auftrieb zu erklären. Sie sind doch nicht etwa leichter als Luft?"
"Ich wüsste nicht, wozu."
"Ich wüsste nicht, wozu ... Ja, sagen Sie, unterrichtet man dort, wo Sie herkommen, keine Physik?"
"Doch", sagte Balduin. "Aber ich war kein guter Schüler in diesem Fach."
"Eben", sagte der Lehrer, "das merkt man. Wären Sie nämlich ein guter Schüler gewesen, dann wäre es Ihnen gar nicht eingefallen, so respektlos herumzufliegen."
"Das ist möglich", sagte Balduin und flog weiter.

Da traf er einen Dichter.
"Schau mal an!" rief der Dichter begeistert. "Ein fliegender Fisch! Das ist ja großartig. Warten Sie mal - ja, ich hab's:

Flugfisch, Sonnenaal,
bist elemententfremdet, Bruder
wie ich.

Gefällt es Ihnen?"
"Oh danke", sagte Balduin. "Es ist sehr schön. Das ist das erste Mal, dass man über mich ein Gedicht geschrieben hat."
"Ich schicke Ihnen einen Durchschlag", sagte der Dichter. "Ich werde ihn eigenhändig signieren."
"Das ist aber sehr nett von Ihnen", sagte Balduin gerührt. "Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich am besten zum Stadion komme?"
"Zum Stadion? Ja. Was ist denn heute für ein Tag?"
"Sonntag", sagte Balduin.
"Um Gottes willen!" rief der Dichter und sah auf die Uhr. Da habe ich ja in zwei Stunden meinen Gedichtvortrag in der Stadthalle. Lieber Fisch . Fliegen Sie wieder zurück zum See. Bitte, ja?!"
"Aber warum denn?" sagte Balduin enttäuscht. "Sie sind jetzt schon der zweite, der mich zurückschicken will."
"Stellen Sie sich doch vor: Ein fliegender Karpfen. Das ist eine Sensation, wie sie diese Stadt noch nicht erlebt hat. Alle Leute würden zusammenlaufen, um Sie zu bewundern. Und die Stadthalle wäre leer. Es ist dies meine erste Lesung."
"Es tut mir sehr leid", sagte Balduin, "aber ich muss zum Stadion." Und flog weiter.

Er begegnete einer Hausfrau mit einer großen Einkaufstasche.
"Sieh mal an: ein Karpfen", sagte sie belustigt. "Ja, wo wollen denn Sie hin?"
Endlich, dachte Balduin. "Zum Stadion. Können Sie mir den dorthin zeigen?"
"Wollen Sie zum Länderspiel?"
"Ja."
"Aber das ist ja erst am Nachmittag. Da können Sie mit meinem Mann gehen. Kommen Sie mit."
"Du bist schon wieder zurück?" fragte der Mann.
"Ja. stell dir vor, und ich bringe einen Gast. Darf ich vorstellen? Mein Mann... "
"Balduin."
"Das freut mich aber", sagte der Mann. Zeige Herrn Balduin doch einmal unsere Küche."
Balduin hat nie erfahren, was ein Länderspiel ist, aber er schmeckte vorzüglich.

 

Der im Glashaus mit Steinen werfende Greis Dundich hofft auf die Gnade seiner jungen Kritiker. :(
Hab soeben Flashbak's andere Korrekturen nachgetragen. Werde versuchen, mich zu bessern. :sealed:

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom