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Barbie und der Weihnachtsmann
Barbie und der Weihnachtsmann
„Was funktioniert hier eigentlich?“
„Eigentlich alles!“, antwortete Georg auf die genervte Frage Eckhards des Nachtwächters, der seinen Dienst antrat. Neun Monate lang war umgebaut worden und sie hatten sich immer wieder auf neue Provisorien einstellen müssen. Das war nun vorbei. Georg konnte Eckhard beruhigen.
„Heute Morgen hatten wir die technische Abnahme der gesamten Anlage. Neu ist eigentlich nur die Kameraüberwachung. Die Kameras laufen und die Videoaufzeichnung startet, wenn du hier auf den blauen Knopf drückst. Georg deutete auf eine Taste am Überwachungsboard. Auch der Monitor wird dann aktiviert. Das gleich gilt auch, wenn ein Bewegungsmelder ein Signal empfängt, dann läuft alles automatisch“
Die neue Eingangshalle des Museums war fertiggestellt. Vor der offiziellen Eröffnung war die Halle für Besucher freigegeben worden. Noch lief nicht alles so ab, wie es sein sollte. Während der Testphase waren teilweise mehr Handwerker anzutreffen, die Nacharbeiten erledigen mussten, als Besucher. Das neue Kassensystem war noch nicht jeden Kassieres Freund und die Überwachungs- und Sicherheitszentrale, vollgepfropft mit Überwachungsgeräten, Minitoren, Mikrofonen und Notrufschaltern war für so manchen ein gewöhnungsbedürftiger Arbeitsplatz.
„Noch zwei Sachen“, informierte Georg, „im zweiten Stock wird heute länger gearbeitet, Aufbau der Weihnachts- und der Barbie-Ausstellung, du weißt schon. Gegen 22 Uhr wollen die aber fertig sein. Und heute ist Piratennacht, zum letzten Mal in diesem Jahr.“
„Dann toben also die Kinder wieder durchs Museum? Mann, ich mag das nicht“, kam es verärgert von Eckhard.
„Es läuft doch wie immer“, beruhigte Georg, „die sind nur im dritten Stock in der Piratenausstellung und schlafen wie immer in den Räumen der Museumspädagogik. Lass die Alarmanlage dort unscharf und kümmere dich einfach nicht darum.“
Der Kurator der Weihnachtsausstellung betrat die Zentrale und ging mit einem „guten Abend“ zum Key Wächter, um seinen Schlüssel einzuschließen.
„Sie machen Feierabend, Herr Burkhardt?“, fragte Eckhard.
„Ja! Morgen geht es früh für mich weiter. Notieren Sie bitte, dass im ganzen Westflügel die Heizung ausgefallen ist. Der Hausmeister soll sich gleich morgen früh darum kümmern, für die nächsten Tage ist Frost vorhergesagt. Die Drei, die noch oben arbeiten, werden ohne Heizung wohl auch nicht mehr lange bleiben … und noch etwas. Im Flur vor dem Ausstellungsraum haben wir drei übergroße Barbiepuppen deponiert, nicht, dass Sie bei ihrem Rundgang erschrecken oder gar darüber stolpern.“
„Ich gehe mit Ihnen hinaus, Herr Burkhardt“, sagte Georg, schlüpfte in seinen Mantel und verließ mit einem „schönen Dienst“ die Zentrale.
Kiara war gerade acht Jahre alt geworden. Neben einer Barbiepuppe hatte sie sich gewünscht, bei der Piratennacht im Museum dabei sein zu können. Unter all den teilnehmenden Kindern war sie das einzige Mädchen. Ganz schön gruselig war es, allein durch die schummrig beleuchtete Piratenausstellung auf Entdeckungstour zu gehen. Als Erstes hatte sie das hölzerne Piratenschiff geentert, hatte an Deck die Totenkopfflagge gehisst und war dann in den Bauch des Schiffes geklettert. Aufgerollte Taue lagen überall umher, Fässer, mit Seilen festgemacht, waren an der Wand gestapelt. Uralte Laternen hingen an Balken und im flackernden Licht war da noch etwas zu erkennen. Ratten! Ein Schauer war ihr über den Rücken gelaufen, obwohl sie wusste, dass das keine echten waren. Auf ihrem Weg zurück nach oben war sie an Kojen vorbeigekommen, in denen Piratenpuppen in Hängematten schliefen. Die sahen so echt aus, dass sie geglaubt hatte, ein Schnarchen zu hören.
Richtige Angst aber hatte sie nicht gehabt. Steffen, der schon ein Jahr älter war als sie, war lieber in der Nähe von Gerhard geblieben, einem der Betreuer. Gerhard war es auch, der die Bettenverlosung durchführte. Es gab Schlafsäcke, eine Piratenkoje und zwei Hängematten. Kiara hatte Glück, sie durfte es sich in einer Hängematte gemütlich machen. Sie hatte sich eingekuschelt und lauschte angespannt der Gutenachtgeschichte.
Eckhard, der Nachtwächter, war sauer. Es war gekommen, wie er befürchtet hatte. Nun war es halb elf und die arbeiteten immer noch an der Ausstellung. Zudem hatte er auf seinem ersten Rundgang festgestellt, dass eine Außentür nicht verschlossen war. Denen in der Ausstellung würde er einen Wink auf den späten Abend geben, er würde kurz das Licht dort ausschalten. Dem Tagesdienst würde er eine böse Meldung wegen der offenen Tür ins Wachbuch schreiben. Gerade hatte er die Schalter umgelegt, öffnete sich die Tür zur Sicherheitszentrale, die Nachtarbeiter traten ein, gaben ihre Schlüssel zurück und verließen das Haus.
Von all den aufregenden Erlebnissen war Kiara wie aufgekratzt und konnte nicht einschlafen. Sie war aufgestanden, um zur Toilette zu gehen. Den Weg dorthin hatte man ihnen am Abend gezeigt. Es war ganz einfach zu finden. Sie betrat den Flur, in dem nur eine Notbeleuchtung brannte, und hielt sich rechts, wie sie es erklärt bekommen hatte. Dann kam ihr der Weg aber doch sehr lang vor. Sie wollte gerade umkehren, da sah sie ein kleines Schild an der Wand, darauf stand ‚WC‘, und ein Pfeil zeigte nach links. Lächelnd ging sie in die gewiesene Richtung die Treppen hinunter.
Auf ihrem Weg zurück musste sie wieder die Treppe hinauf. Bevor sie die aber erreichte, sah sie in einiger Entfernung eine Tür, aus der glitzerndes Licht fiel. Das wollte sie sich ansehen. Auf halbem Weg erschrak sie mit einem Mal. Ihre Augen hatten sich inzwischen an das schwache Licht gewöhnt und im Glitzerlicht, das aus der Tür fiel, sah sie drei Gestalten. Diese standen nahe an der Wand und eine weitere, hockte kurz dahinter auf dem Boden. Vorsichtig und voller Anspannung näherte sie sich den schattenhaften Wesen. Und dann sah sie, was da stand. Barbiepuppen waren das, Barbiepuppen so groß wie sie selbst und gegen die Wand gelehnt, in der Hocke eine Schaufensterpuppe. Die Puppe war angezogen wie der Weihnachtsmann. Sie trug einen roten Mantel mit weißem Pelzkragen und hatte sogar einen weißgrauen Vollbart. Die Barbies waren nicht angezogen. Die Kleider lagen auf einer Bank neben ihnen. Kiara schaute genauer hin und erkannte ein blaues Kleid, eines in grün und ein pinkfarbenes. Das pinkfarbene Kleid gefiel ihr besonders gut.
„Eigentlich könnte ich es mal anprobieren“, dachte sie, und streifte es sich über.
Eckhard arbeitete seid 15 Jahren im Museum als Nachtwächter. Selbst den letzten Winkel des mehr als 100 Jahre alten Gebäudes kannte er, und nicht die kleinste Veräderung entging ihm. Draußen hatte es unerwartet angefangen zu schneien. Das Außenthermometer zeigte nur noch vier Grad an. Eckhard war beunruhigt.
„Noch einige Grade kälter,“ überlegte er, spätestens dann musste er den Heizungsnotdienst verständigen. Er würde aber zunächst seinen zweiten Kontrollgang vornehmen und dann entscheiden, was zu tun sei. Doch es kam anders. Der Monitor der Überwachungskameras flackerte plötzlich auf. Ungläubig starrte Eckhard auf den Bildschirm. Nach kurzem Zögern löste er den Einbruchalarm aus und griff mit der anderen Hand zum Telefonhörer.
Kiara war glücklich in ihrem Barbiekleid. Sie tänzelte auf die Tür zu, in der sie sich spiegelte. Die Tür war verschlossen. Durch das Glas erkannte sie Weihnachtsmänner in allen Größen. Sie standen oder saßen in Vitrinen, am Boden, hingen an feinen Schnüren von der Decke herab oder schwebten in einem Rentierschlitten durch die Luft. Hunderte von Lichterketten schillerten und beleuchteten die Szene. Sie presste ihre Nase fest gegen die Scheibe, denn ganz weit hinten im Raum erkannte sie in einer weiteren Vitrine Barbiepuppen.
Schließlich trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihr Spiegelbild.
„Wie eine richtige Barbie sehe ich aus“, dachte sie und ging weiter zurück, um noch besser sehen zu können.
Hierbei stieß sie irgendwo mit dem Fuß an und hörte fast gleichzeitig eine tiefe, raue Stimme.
„Hey, pass doch auf, wo du hintrittst!“
Furchtbar erschrocken wich Kiara bis an die gegenüberliegende Wand zurück. Als alles ruhig blieb, machte sie vorsichtig einen Schritt vorwärts.
„Hallo, hast du gesprochen, warst du das Weihnachtsmann?“, fragte sie leise und blieb tapfer stehen, als sich die Schaufensterpuppe bewegte, mit beiden Händen den roten Mantel eng um den Körper wickelte und brummte:
„Kalt ist es hier, richtig kalt, da konnte ich auch draußen bleiben!“
„Du schläfst sonst mit den Rentieren im Stall, oder?“ fragte Kiara ganz mutig. „Du riechst nämlich nicht so gut.“
„Quatsch!“, kam es von der Weinachtsmannpuppe, „ich habe ein Plätzchen zum Schlafen gesucht, die Tür war auf und der Mantel lag da so rum, und jetzt …“
Weiter kam er nicht, denn plötzlich ging überall das Licht an und Kiara schloss geblendet die Augen.
„Was machen Sie hier?“, hörte sie eine strenge Stimme, „Sie da, los, los stehen Sie mal auf!“
Kiara blickte in Richtung der Stimme. Ein Polizist war das, ein zweiter stand dicht neben ihm und ein weiterer kam die Treppe hinunter. Sie schienen sie gar nicht zu sehen, gingen zum Weihnachtsmann, packten ihn und stellten ihn auf seine Füße
„Wie sind Sie hier hineingekommen?“, fragte der Uniformierte, der auch zuvor gesprochen hatte. Der Weihnachtsmann sah völlig verdutzt aus, und bevor er antworten konnte, hörte Kiara ein herzliches Lachen.
„Lassen Sie es gut sein“, sprach der Mann mit der Schiffermütze und dem freundlichen Gesicht die Polizisten an und wieder lachte er: „Lassen Sie es gut sein!“
Er sah Kiara an in ihrem Barbiekleid, dann den Weihnachtsmann. Dann, nach einer Weile schüttelte er leicht seinen Kopf und sagte:
„Da suche und suche ich nach einem Titel für die Weihnachtsausstellung, und es ist doch so einfach. Barbie und der Weihnachtsmann wird sie heißen.
Der Kurator sah Kiara an, dann zum Weihnachtsmann.
„Und du und der Weihnachtsmann, ihr werdet bei der Eröffnung dabei sein!“, sagte er.
Kiara war nun völlig verwirrt. Noch mehr Menschen sammelten sich vor der Weihnachtsausstellung und alle sprachen durcheinander.
„Nein, wir erstatten keine Anzeige“, hörte sie noch vom Kurator und dann entdeckte sie mit Erleichterung Gerhard, den Betreuer der Piraten-Kinder. Bevor sie aber zu ihm lief, zupfte Kiara an der Jacke des Kurators: „Hallo, hallo sie!“
Der Mann blickte sie freundlich an und fragte: „Ja?“
„Der Weihnachtsmann darf aber nicht wieder bei den Rentieren schlafen“, sagte sie sehr ernst und hielt sich dabei die Nase zu. „Vielleich“, fuhr sie fort, „vielleicht haben Sie ja einen Platz in der Ausstellung für ihn.“