Was ist neu

Batseba oder der stille Tod

Mitglied
Beitritt
22.01.2013
Beiträge
440
Zuletzt bearbeitet:
Anmerkungen zum Text

Personen:

Maacha: Tochter Talmais, des Königs von Geschur. Eine der Frauen, die David in Hebron heiratete. Mutter von Absalom, des dritten Sohnes von David, und Mutter von Tamar.

David: Sohn Isais, Schwiegersohn König Sauls, nach seiner Flucht vor Saul zunächst Hauptmann einer marodierenden Räuberbande, Söldner für die Philister, dann König von Juda, später König auch von Israel.

Michal: Tochter Sauls, erste Frau Davids. Rettet sein Leben als Saul ihn töten lassen will. Wird später in zweiter Ehe mit Patil verheiratet. David fordert sie zurück, als er König geworden ist. Sie wird daraufhin zwangsweise in seinen Harem überführt.

Haggit: Eine der Frauen, die David in Hebron heiratete. Mutter von Adonija, Davids viertem Sohn.

Ahinoam: Eine der ersten Frauen Davids, Mutter des erstgeborenen Sohnes von David, Amnon.

Abigail: Witwe Nabors, eine der ersten Frauen Davids, Mutter von Davids zweitem Sohn Kileab.

Uriah: Ehemann von Batseba, wird auf Befehl Davids getötet.

Batseba: Witwe von Uriah, danach Ehefrau von David, Mutter von Salomo.

Amnon: Erstgeborener Sohn Davids. Vergewaltiger seiner Halbschwester Tamar. Wird auf Befehl seines Halbbruders Absalom ermordet.

Absalom: Dritter Sohn Davids. Führt einen Aufstand gegen David an und wird in diesen Kämpfen in hilfloser Lage von Davids Leuten umgebracht.

Abischag: Aus dem nahe bei Jerusalem liegenden Örtchen Schunem stammendes Mädchen, das als Pflegerin – und wohl auch als Nebenfrau - des kranken Davids gedacht war. David war aber zu gebrechlich, um mit ihr zu schlafen.

Adonija: Vierter Sohn Davids. Ältester Davidsohn zum Zeitpunkt des Todes von David. Wird auf Befehl seines Halbbruders Salomo ermordet.

Joab: Neffe Davids und sein Heerführer. Nach biblischer Überlieferung gab David Salomo auf dem Sterbebett den Befehl, Joab töten zu lassen.

Batseba oder der stille Tod

König Joschija befahl uns, den Geschichtsschreibern von Juda, Begebenheiten aus der Zeit unserer ersten Könige zusammenzutragen und daraus Berichte zu erstellen. Diese Geschehnisse liegen weit zurück, gut 15 Generationen. Verlässliches zu finden ist daher schwer. Wir sammeln Schriftstücke vergangener Zeiten, hören auch die Erzählungen der Alten und sind so mit unserer Arbeit schon gut vorangekommen. Nun wurde uns eben eine weitere Schriftrolle überbracht. Man hat sie im ältesten Teil des Jerusalemer Palastes gefunden. Geschrieben anscheinend von einem Weib zur Zeit des heldenhaften Königs David. Was wir davon zu halten haben, wie wir mit den Worten dieser Frau umgehen sollen? Wir wissen es nicht.
Morgen werden wir vor unseren König treten und fragen, was zu tun ist.

Maachas Schriftrolle

So, wie er auf seinem Bett lag, sah er beinahe friedlich aus. Eingefallene Wangen, sein Blick ging ins Nichts, der Mund war leicht geöffnet. Reste von Erbrochenem zwischen den langen, grauen Haarsträhnen. Ich säuberte sie und schloss seine Augen.
So war es gut.
Wird Abischag, die mich aus schreckensweiten, kindlichen Augen ansah, uns in ihrer Unerfahrenheit an die Wächter verraten?

Wie dem auch sei: Ich, Maacha, werde meine Zeit nutzen. Hier im Zimmer der Verstoßenen, das ich mit Michal teile, schreibe ich unsere Geschichte auf.
Und unsere Wahrheit.
Zu unserem Schutz werde ich diese Schriftrolle unter einer der schweren Bodenplatten der Kammer verbergen.
Möge man sie in ferneren Zeiten finden und über unser Handeln urteilen.

1. Geschur

Zur Feier meiner Geburt wurde im Lande Geschur ein Freudenfest gegeben. Mein Vater, beliebt bei seinem Volk, Shamiran, die Hauptfrau meines Vaters und meine Mutter, die mich, ihr erstes Kind, leicht und schnell geboren hatte, luden zu einem Festmahl. Jeder und jede war eingeladen, wer Feld und Herden in guten Händen lassen konnte, kam. Roter Wein, köstliche Speisen, Musik und Tanz – noch Jahre später sprach alle Welt mit glänzenden Augen von diesem Fest.

Meinem königlichen Vater hatte Shamiran zuvor bereits drei gesunde Söhne geschenkt. Bei der Schwangerschaft meiner Mutter hatte er jedoch – anders als wohl die meisten Männer – auf ein Mädchen gehofft. „Ich bete um eine Tochter, schön wie meine Frauen es sind und auch so klug und warmherzig wie sie! In Ascheras Tempel habe ich Trankopfer dargebracht, vielleicht wird sie mich in ihrer Gnade erhören.“

Unsere Göttin Aschera erhörte ihn. Wahrscheinlich spielte auch politisches Kalkül bei seinem Wunsch eine Rolle, doch war er mir sein Leben lang ein liebender Vater.

Meine Mutter, kundige Tochter einer Hebamme, lehrte mich ihr Wissen über heilsame Wurzeln, Früchte und Kräuter: "Maacha, es ist eine hohe Kunst und große Verantwortung, die unterschiedlichen Pflanzen zu verstehen, ihre Eigenschaften und die Weise ihrer Anwendungsmöglichkeiten zu erkennen. Vergiss nicht: Wir sind nur Werkzeuge, durch die unsere Götter Heilung fließen lassen, wenn wir sorgfältig arbeiten."
Mein Vater ließ mich gemeinsam mit meinen Brüdern von seinen Schreibern unterrichten. Seine Beamten murrten zunächst: „Was soll es denn einem Mädchen nützen zu schreiben?“ Als ich aber schnell und leicht lernte, verstummte ihr Protest. Und Shamiran, die einen Narren an mir gefressen hatte, liebte es, abenteuerliche Geschichten von Helden und Riesen, von Hirten und Zauberern zu erzählen. Froh darüber, dass ich zu ihren Füßen saß und mit offenem Mund zuhörte. Ihre Söhne, meine Brüder, übten jeden Tag nach dem Schreibunterricht Speerwurf und Schwertkampf. Sie waren am Abend meist zu erschöpft, um ihren Geschichten zu lauschen.
Noch heute spüre ich eine innere Wärme, wenn ich an die glückliche Zeit meiner Kindheit denke.
Sie endete in meinem 16. Jahr.

Das Königreich meines Vaters war klein und immer in Gefahr, er war auf Verbündete angewiesen. Und so rief er mich eines Tages zu sich. „Mein liebes Kind, ich wollte, du könntest für immer hier bei uns bleiben! Aber ein König, ein Held aus dem Süden, hörte von deiner Schönheit. Er möchte dich heiraten. Er bietet als Brautpreis die dauerhafte Sicherung unserer westlichen Grenzen. Seine Armee ist gefürchtet und kampferprobt, er wäre uns ein guter Verbündeter. Was meinst du dazu?“ Allerdings, so fügte mein Vater hinzu, habe dieser König bereits fünf andere Frauen, ich würde daher seine sechste sein. Dabei schüttelte er, ob dieser hohen Anzahl an Ehefrauen, bedenklich den Kopf.

Ob ich eine Wahl hatte? Ich weiß es nicht. Aber es spielte auch keine Rolle, denn ich war sofort einverstanden. Das Leben in den abgeschiedenen Frauengemächern mit den immergleichen Gesichtern war langweilig geworden. Alle Schriftrollen der Bibliothek hatte ich mehrfach gelesen. Mich tagsüber in den Gärten aufzuhalten war verboten, die Sonne sollte meine Haut nicht hässlich bräunen. So gut wie jede Arbeit, die getan werden musste, wurde von Dienerinnen verrichtet. Die Zaubertränke meiner Mutter – so nannte Shamiran deren Heiltees und Tinkturen - konnte ich längst auswendig zubereiten. In Geschur gab es für mich nichts Neues unter der Sonne.

Ein heldenhafter König aus dem Süden, man sagte, er habe sogar schon gegen einen Riesen gekämpft! Die Aussicht auf ein Leben in seinem Königreich klang nach einem märchenhaften Abenteuer. Ich malte mir aus, wie ich in einem wunderschönen Palast leben, als gebildete Frau und Königin meinem Ehemann zur Seite stehen und ihn mit meinem Wissen unterstützen würde. Umgeben von vielen gemeinsamen Kindern.

Beim Abschied aber hatten wir alle Tränen in den Augen. Meine Eltern umarmten mich fest und versprachen: “So weit ist es ja nicht, wir werden dich besuchen!“ Zur Zeit meines Aufbruchs war meine Mutter wieder schwanger und mein Vater mit räuberischen Banden an der Grenze beschäftigt, aber zwei meiner liebsten Dienerinnen begleiteten mich zu meinem künftigen Ehemann. Und vierundzwanzig Soldaten bewachten unsere Reise und meine üppige Mitgift: Gold, kostbare Öle, Kräuter, fein gewebte Stoffe und an Münzen 10 000 Silberschekel, geladen auf drei Eselstuten.

Unser Weg, sechs Tagesreisen lang, lief vorbei am See von Kinneret, umging das feindliche Jerusalem und führte schließlich zu jenem Ort, der mein neues Zuhause werden sollte.

2. Hebron

Als dieser Ort am Abend des sechsten Tages endlich in der Ferne auftauchte, erschrak ich: Was ich sah, war wenig mehr als eine kleine Ansammlung staubiger Holz- und Steinhäuser, davor ein paar geflickte Zelte. Das sollte ein Königshof sein?

Als wir uns der Ansiedlung näherten, kamen uns Reiter entgegen, in ihrer Mitte ein in einen mehrfarbigen Umhang gehüllter Mann mit langem, rötlichem Haar, das er im Nacken locker zusammengebunden hatte. Sanfte, dunkle Augen betrachteten mich. Er war vielleicht 30 Sommer alt, kaum jünger als meine Mutter, jedoch von großer Schönheit.

Dies war die erste Begegnung mit meinem Bräutigam.

Ich muss zugeben, dass ich mich, wie so viele, sofort in seine Augen, in sein Lächeln, verliebte. Und diese Liebe wuchs, als er für mich in unserer Hochzeitsnacht wunderschöne Lieder sang. Er hatte sie selbst gedichtet, sie sprachen von seinem Gott und klangen nach Dankbarkeit für unsere Liebe: „Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet! Darum singt dir mein Herz und will nicht verstummen!“

So etwas kannte ich bisher nur aus den Märchen Shamirans, meine Mutter hatte mich ganz anders auf die erste der Nächte vorbereitet. „Da ist zunächst Schmerz und Scham, doch glaube mir, mit der Zeit wird es besser.“ Ich aber lag glücklich in den Armen des schönsten und liebevollsten Menschen der Welt: David.

Seine anderen Frauen, älter als ich, nahmen mich zunächst nicht ernst. Obwohl ich eine Prinzessin war und als einzige wusste, wie man sich an einem Königshof zu benehmen hatte – es spielte an diesem trostlosen Ort einfach keine Rolle. Die ersten Wochen lebte ich an Davids Seite, später bekam ich ihn immer dann zu sehen, wenn er nach mir schickte. In diesen unseren Stunden war er freundlich und zärtlich. Die restliche Zeit aber verbrachte ich mit seinen sich belauernden, eifersüchtigen Frauen in beengten Frauengemächern. „Bilde dir nur nichts darauf ein, Tochter eines Königs zu sein, Maacha! Dein Königreich ist weit von hier, und wir haben ältere Rechte. Er wird deiner sowieso bald überdrüssig werden!“

Meine Dienerinnen machte David zu seinen Nebenfrauen.

Als ich ein Jahr später Davids Sohn, für ihn war es der dritte, zur Welt brachte, sprachen die anderen Frauen endlich respektvoller mit mir. Allerdings begann ich sie jetzt auch zu fürchten, denn oft lagen Neid und Missgunst in ihren Blicken – mein Sohn Absalom war ein so schönes Kind und glich seinem Vater sehr. Besonders Ahinoam, die Mutter des erstgeborenen Davidsohnes, ließ ich niemals mit meinem Kleinen allein. Einmal hatte ich sie dabei überrascht, wie sie ein Kissen auf sein Gesichtchen drückte. „Ihm schien kalt zu sein, da habe ich ihn zugedeckt!“ Das Gegenteil konnte ich ihr nicht beweisen, aber ich blieb seither auf der Hut.

David war ganz vernarrt in unseren Sohn. Als Absalom etwas älter wurde, kam er oft zu uns, um ihn den Umgang mit Schleuder, Speer und Harfe zu lehren. Geduldig zeigte er ihm, wie man eine Flöte schnitzt und spielt, später kam der Umgang mit dem Schwert dazu. Und bei jeder dieser Begegnungen spiegelte sich die Freude über dieses Kind in seinen Augen.

Es war in dieser Zeit, dass Abigail, eine weitere Frau Davids, versuchte, mit mir Freundschaft zu schließen. Auch sie hatte einen Sohn geboren, der allerdings starb und sie mit einer nicht enden wollenden Traurigkeit zurückließ. Sie suchte immer wieder meine Nähe, um mir ihre unglaublichen Geschichten aufzudrängen. So erzählte sie, dass David vor seiner Zeit als König Hauptmann eines Haufens Gesetzloser gewesen sei. „Er hat meinen ersten Ehemann erpresst und ‚Geschenke‘ dafür verlangt, dass seinen Ziegen und Schafen kein Haar gekrümmt würde!“ Ihr Mann war von aufbrausender Art und wollte sich nicht darauf einlassen. Aber sie selbst habe die Situation richtig eingeschätzt: „David hätte niemanden, weder meine Familie noch die Dienerschaft noch mich selbst am Leben gelassen, wenn wir uns geweigert hätten. So ging ich ihm entgegen, gegen den Willen meines Mannes, mit mehr Geschenken, als David verlangt hatte, und habe im letzten Moment das Unheil abwehren können!“ Ihr herzkranker Ehemann starb vor Aufregung und Zorn, als er von dieser Ungerechtigkeit erfuhr. „David bat mich wenig später, seine Frau zu werden. Auch diese Bitte habe ich richtig verstanden und ihm die Ehe nicht verweigert. Nun gehörte mein gesamtes Erbe ihm.“ Als weithin reichstem Mann, so behauptete sie weiter, im Gefolge die kampferprobteste und erbarmungsloseste Räuberbande, fiel ihm die Königswürde des kleinen Landes Juda quasi in den Schoß.

Selbstverständlich glaubte ich Abigail kein Wort. Mein dichtender, romantischer, in der Liebeskunst bewanderter Ehemann, mein Geliebter mit dem sanften Blick, dieser liebevolle Vater - ein Verbrecher? Was sie sagte, war ganz offensichtlich eine Lüge. Erdacht zu dem einzigen Zweck, mich ihm zu entfremden.

Mit der Zeit lernte ich David besser kennen.

Ich erlebte, wie er zwar über den Tod von Söhnen bittere Tränen vergoss, den Tod von Abigails ein Jahr später geborener Tochter aber nicht einmal zur Kenntnis nahm. Sie dagegen verkraftete das Sterben ihrer Kinder nicht, sie wurde stiller, schattenhaft, beinahe unsichtbar. Als sie schließlich durch eigene Hand starb, vergoss David keine Träne. Stattdessen rief er aufgebracht: "Wie konnte sie es wagen, mich zu verlassen! Mich, den König, ihren Herrn!"

Anders verhielt es sich mit Michal, der Frau seiner Jugend. Sie hatte ihm in frühen Jahren unter Einsatz ihres eigenen Lebens seines gerettet. Ein Fehler, den sie bereuen sollte.
Ihr Vater Saul, König von Israel, vermutete in seinem Schwiegersohn David einen Konkurrenten, der selbst den Königsthron erobern wollte und hetzte daher Mörder auf ihn. Michal verhalf David in letzer Minute zur Flucht und konnte ihrer eigenen Hinrichtung nur knapp entgehen. Klug warf sie sich vor Saul zu Boden: "Vater, habe Erbarmen! David hätte mich getötet, wenn ich ihm nicht zur Flucht verholfen hätte!"

Ihr Vater glaubte diese Ausrede, Michal blieb am Leben und wurde sehr bald ein zweites Mal verheiratet. Diese Ehe mit Patil war, wie sie mir erzählte, überraschenderweise außerordentlich glücklich. „Er war so liebevoll, seinen Kindern konnte ich eine Mutter sein, auch die Söhne meiner Schwester waren immer willkommen und verbrachten manchen Sommer bei uns. Er und ich hatten fröhliche und schöne Zeiten miteinander. Kein Tag, an dem wir uns nicht gegenseitig zum Lachen brachten!“ So kam es, dass ihre erste Liebe, die zu David, erst verblasste und dann verging. „Als ich dann noch hörte, dass er sein Auskommen inzwischen durch Überfälle und Morde bestritt, dabei weder Frauen noch Kinder schonte, nur damit niemand von seinen Gräueltaten berichten konnte …“ Sie zögerte. „Die Jahre mit Patil waren jedenfalls die glücklichsten meines Lebens!“

Doch, so erzählte sie mit ausdruckslosem Gesicht weiter, ihr ängstlicher Bruder, nach dem Tode Sauls inzwischen König über das Nachbarland Israel, beugte sich der Forderung Davids, der mittlerweile zum Herrscher von Juda aufgestiegen war: „Gib mir Michal zurück! Ich habe damals den Brautpreis rechtmäßig gezahlt, sie gehört noch immer mir!“ Mit Gewalt wurde sie dem Mann, den sie liebte, entrissen. „Patil lief noch lange weinend hinter mir und den Soldaten, die mich verschleppten, her. Doch er konnte nichts ausrichten.“ So kam sie in Davids Harem. Dort freundeten wir uns an: Zwei einsame Königstöchter inmitten einer ständig wachsenden Zahl von Ehefrauen.

3. Jerusalem

Wenig später wurde Michals Bruder, der König von Israel, ermordet. Seine Mörder hofften auf eine Belohnung von David, der selbst Anspruch auf den Thron seines Nachbarlandes erhob. Zum Beweis ihrer Tat brachten sie den abgeschnittenen Kopf ihres Opfers gleich mit. Doch ihr einziger Lohn war der Tod, David gab auf der Stelle den Befehl, sie zu erstechen. Niemand sollte ihn für den Auftraggeber dieses Mordes halten.
Jedenfalls war für ihn nun der Weg frei, König über Juda und Israel zugleich zu werden. Und er nutzte diese Chance. Seine Soldaten eroberten kurz darauf das in der Mitte liegende Jerusalem und David machte es zur Hauptstadt seines neuen Doppelreiches.

Wir zogen in die Burg dieser Stadt. David ließ sie mit Basaltsteinen und Zedernholz zu einem prächtigen Palast erweitern, der auch neu erbaute Gebäude umfasste. Endlich lebten wir in schönen, weitläufigen Frauengemächern, die sich um einen sorgfältig angelegten, üppigen Innenhof mit Palmen, Olivenbäumen, Blumen und mehreren Zisternen gruppierten.

Die großzügige Weite unserer Gemächer sollte sich bald als sehr notwendig erweisen, denn unter den Töchtern des besiegten Jerusalem suchte David sich weitere Frauen und Nebenfrauen. Wahrscheinlich deshalb schickte er nie nach Michal und nur noch selten nach mir. Das störte mich jedoch ebenso wenig wie Michal. David war uns inzwischen fremd geworden in dem, was er sagte und tat.

Dennoch wurde ich erneut schwanger. Ich freute mich sehr, meinem Sohn einen Bruder oder eine Schwester zu schenken. Die Kinder der anderen Frauen hielten Abstand zu meinem kleinen Absalom, galt er doch als Liebling seines Vaters. Er war klüger und hübscher als seine Brüder, auch das nahmen sie ihm übel. Als ich meine Tochter Tamar zur Welt brachte, war er glücklich. Obwohl erst sieben Jahre alt, kümmerte er sich von Anfang an liebevoll um sie: Er sang sie in den Schlaf, trug sie herum, später schnitzte er Spielfiguren für sie. Die beiden wurden unzertrennlich.

David ließ mir zu Tamars Geburt lediglich einen Gruß durch eine Dienerin ausrichten. Er war zu dieser Zeit sehr beschäftigt damit, sich das Wohlwollen seines Gottes zu sichern: Das Heiligste des Jahwe-Kultes, die Bundeslade, ließ David mit einem festlichen Umzug nach Jerusalem bringen. Diese hölzerne Truhe, mit Gold überzogen und von zwei Cherubim verziert, gefüllt mit den Tafeln der 10 Gebote und weiteren heiligen Gegenständen, sollte das Zentrum eines Tempels werden, den zu bauen er plante. Er fühlte sich als unumschränkter Herr über sein Land und seine Religion.

Berauscht von dieser Macht, vielleicht auch vom Wein, führte David spärlich bekleidet vor aller Augen einen irrwitzigen Freudentanz auf, als die Bundeslade die Stadt erreichte. Wir Frauen schauten seinem Treiben aus den Fenstern unserer Gemächer zu und schämten uns für ihn, doch nur Michal traute sich, lauthals zu lachen: „Schaut nur, unser Gemahl! Er benimmt sich wie ein betrunkener Narr!“ Das sagte sie ihm später auch ins Gesicht: „Wie würdevoll hat sich heute der König von Israel benommen, als er sich vor den Augen der Mägde seiner Untertanen bloßgestellt hat, wie sich nur einer vom Gesindel bloßstellen kann!“ – und bekam für diese spöttischen Worte ein winziges Zimmerchen abseits der anderen zugewiesen. Den Palast durfte sie niemals wieder verlassen.

Unsere Tochter Tamar nahm David das erste Mal bewusst wahr, als sie drei Jahre alt geworden war. „Ein schönes Kind, ganz wie ihr Bruder!“, meinte er wohlgefällig und schenkte ihr eine goldene Kette. Er liebte es, wenn seine Kinder Abbilder seiner selbst waren.

Mein schlechtes Gewissen nach Abigails Tod, die Zurückweisung meiner Freundin Michal durch David und die wachsende Einsicht darüber, wie viel Blut an seinen Händen klebte, entfremdete mich immer mehr dem Mann, den ich einst so geliebt hatte. In dessen sanften Blick und freundliche Worte ich mich anfangs so verlor. Doch es sollte noch eine Weile dauern, bis aus diesem Gefühl der Fremdheit Hass wurde.

4. Batseba

Wieder einmal ließ David andere Völker überfallen, schickte diesmal aber seine Männer in den Krieg, ohne sie selbst zu begleiten. Er erfreute sich derweil bei seinen abendlichen Spaziergängen am Ausblick vom Dach seines Palastes. Und eines Abends ganz besonders am Anblick einer auffallend schönen Frau, die sich auf dem Dachgarten eines Nachbarhauses anschickte, ein Bad zu nehmen. Sie entkleidete sich im Dämmerlicht vor seinen Augen, tauchte erst einen, dann den anderen Fuß und schließlich ihren ganzen Körper in das warme Wasser, von dem leichte Dampfschwaden aufstiegen. Dann strich sie mit den Händen sanft über ihre Arme, Beine, ihr Gesicht und die Brüste. Ihre zarte Figur, die anmutigen Bewegungen, das seidige, tiefschwarze Haar - alles an ihr faszinierte David. Seine inzwischen 23 Ehe- und Nebenfrauen waren ihm nicht mehr genug, und so schickte er nach dieser Batseba. Sie war mit einem seiner hochrangigen, weit entfernt im Krieg kämpfenden Soldaten, Urija, verheiratet. So waren sie ungestört.

Wenige Wochen später ließ Batseba David ausrichten, dass sie schwanger geworden sei. David rief eilends ihren Mann von der Front zurück: „Mein Lieber, hart waren die Schlachten, ich danke dir für deinen Mut und deine Umsicht. Wie steht es um unsere Truppen? Jetzt erhole dich ein wenig in deinem Zuhause, geh‘ und erfreue deine Frau!“ Doch Urija weigerte sich. Sicher ahnte er, wessen Kind ihm da untergeschoben werden sollte. Auch als David ihn am folgenden Tag bei einem gemeinsamen Essen betrunken machte, ließ er sich nicht darauf ein, seine Frau Batseba aufzusuchen. Er hätte sich aber lieber demütigen lassen sollen, denn selbstverständlich bedeutete diese Weigerung seinen Tod. Der arme Kerl überbrachte bei seiner Rückkehr zur Front seinem Heeresführer Joab eigenhändig den verschlossenen Brief Davids, der sein Schicksal besiegelte: „Stellt Urija nach vorn, wo der Kampf am heftigsten ist, dann zieht euch von ihm zurück, sodass er getroffen wird und den Tod findet.“ Für Batseba folgte eine sehr kurze Witwenschaft und alsbald eine Ehe mit dem König. Seine vierundzwanzigste.

Batseba wurde und blieb von da an Davids Lieblingsfrau – klug, geschickt, manchmal gerissen, dann wieder gefühlvoll - und immer wunderschön. Eine Schönheit, die nicht einmal im Alter verging.

5. Tamar

Obwohl Haggit, eine der älteren Ehefrauen, und ich eigentlich Konkurrentinnen waren - sie hatte wie ich einen Sohn und hoffte sicher insgeheim darauf, einmal als Königsmutter die einflussreichste Stellung einer Frau am Hof zu erlangen - saß sie jetzt immer öfter mit Michal und mir zusammen bei Tee, Datteln, Wein und Rosinenkuchen. Wir spielten Shen, das Brettspiel von Hunden und Schakalen, fertigten Handarbeiten und erzählten uns gegenseitig erfundene Märchen. Manchmal solche, in denen David als strahlender Held auftrat, einen Riesen besiegte oder gegen Löwen kämpfte. Anschließend lachten wir darüber - wussten wir inzwischen doch, wer er wirklich war. Feinde bezwang er nur aus dem Hinterhalt oder wenn sie wehrlos waren. Anders als in den Jahren in Hebron, als wir noch um Davids Zuneigung buhlten, verstanden wir uns inzwischen gut. Ja, mit der Zeit wurden wir drei so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft.

Mein Verhältnis zu Ahinoam, der Mutter des Erstgeborenen Amnon, war dagegen wie eh und je von Misstrauen geprägt. Und das nicht ohne Grund. Unsere Kinder, die Kinder der ersten Frauen, waren mittlerweile erwachsen, hatten eigene Familien. Es zeigte sich, zu was für einen Menschen sie ihren Sohn gemacht hatte. Alles hatte sie erlaubt, ob er Dienstboten schlug oder über seine Halbgeschwister böse Gerüchte verbreitete, es war ihr nicht nur egal, sie ermutigte ihn sogar noch dazu: „Mein Sohn, als zukünftiger König ist es dein Recht, tue, wonach dir der Sinn steht und lasse dich nicht beirren von deinen neidischen Geschwistern!“ Mehr als einmal hatte Amnon zu Haggits Sohn Adonija im Streit gesagt: „Das Erste, was ich tue, wenn ich König bin, ist, dich an den Galgen zu bringen!“ Wir machten uns in unserer Dreierrunde ernsthafte Sorgen darüber, was wirklich geschehen würde, wenn er an die Macht käme.

Früher als gedacht sollte sich zeigen, wie begründet diese Sorgen waren.

Amnon stellte sich eines Tages schwer krank und David kam besorgt, um nach seinem Erstgeborenen zu schauen. „Mein geliebter Herr und Vater! Ich kann nur gesund werden, wenn meine Schwester Tamar mir ihre heilkräftigen Speisen vor meinen Augen zubereitet!“, behauptete er. Alle wussten, wie viel meine Tamar von mir über die Heilkunst gelernt hatte, und so schickte David sofort nach ihr: “Geh, umsorge deinen Bruder und sieh zu, dass er wieder gesund wird!“

Als sie diesem väterlichen Befehl nachkam, vergewaltigte der wundersam genesene Amnon sie und warf sie danach mit höhnischen Worten aus seinem Haus: „Du hast es doch gewollt, so wie du dich zurecht machst, so aufreizend, wie du dich immer bewegst! Du hast mich verführt mit deinem Blick! Verschwinde von hier und komme mir nicht mehr unter die Augen!“

Verzweifelt weinend, Asche auf ihr Haar streuend, lief sie zu Absalom. „Meine Schwester, behalte dieses Unglück für dich! Er ist dein Bruder, nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen! Was geschehen ist, ist geschehen. Komm zu mir, lebe in meinem Haus, es soll dir dort an nichts fehlen.“ So versuchte er sie zu trösten, aber seither schwieg Tamar nicht nur über Amnons Schandtat. Sie sprach überhaupt nie wieder. Nicht einmal mit mir.

Nachdem Absalom mir von Tamars Unglück erzählt hatte, ging ich aufgebracht zu David. Und ja, David war ärgerlich. Einerseits, weil ich ihn ungefragt aufgesucht hatte, andererseits wegen Amnons Verhalten. Etwas dazu getan oder gesagt hat er aber nie. Vermutlich, weil sein Erstgeborener in dem, was er tat, nur den Wegen seines Vaters folgte.

6. Absalom

Zu dieser Zeit begann Absalom, mir zu entgleiten. Er hatte eine liebevolle Frau, vier wunderbare Kinder - er hätte glücklich und zufrieden sein können. Doch der Zorn gegen Amnon und auch gegen David, dessen Ebenbild er doch war, vergiftete sein Herz.

Und so geschah es, dass mein Sohn zwei Jahre später alle seine Brüder zum Schafschurfest auf sein Landgut einlud. Sie kamen, es floss reichlich Wein und die Stimmung war ausgelassen, als Amnon lallend ausrief: “Hier bin ich, euer zukünftiger König und der Vater eurer zukünftigen Kinder, denn eure Frauen werden sich mir nicht verweigern! Jedes kuhäugige Weib liegt mir ja zu Füßen!“ Die anderen Brüder fassten seine Worte mit Unbehagen als einen schlechten Witz auf, Absalom aber schäumte vor Wut. Er sagte zu seinen Männern, was er wohl schon längst gedacht und geplant hatte: „Diese Welt wäre eine bessere ohne ihn. Amnon verdient es nicht, zu leben! Und eben jetzt ist er volltrunken und kann sich nicht wehren.“ Seine jungen Leute verstanden sofort und taten, was er erhofft hatte: Sie erschlugen Amnon vor aller Augen. Voller Angst rannten die anderen Brüder zu ihren Maultieren und ritten eilends zurück nach Jerusalem.

Absalom war klar, dass er, obgleich bisher der Liebling seines Vaters, nun die tödliche Rache Davids zu fürchten hatte. Er nahm daher seine Frau, seine Kinder und Tamar und floh mit ihnen nach Geschur. Mein alter Vater war sehr erschrocken über Absaloms Auftauchen, fürchtete er doch David und seine Soldaten, aber er hielt zu uns: „Mein lieber Enkelsohn, ihr seid willkommen, ich freue mich, euch um mich zu haben!“ Absalom blieb für Jahre in meinem Heimatland.

David unternahm weiter nichts, schickte auch keine Verfolger nach Geschur. Mir allerdings machte er schwere Vorwürfe. Dazu stürmte er sogar in meine Schlafkammer: „Du hast ihn aufgehetzt wegen Tamar! Dein Sohn ist ein Brudermörder, wie konntest du das zulassen, wie?“ Ich war fassungslos, waren es doch sein Vorbild und seine Untätigkeit gewesen, die meinen Sohn zu dieser Tat getrieben hatten.

Nie wieder sprachen David und ich seither ein Wort miteinander. Außer am Tage seines Todes.

Nach Jahren fand David sich schließlich ab: „Wir müssen alle sterben und sind wie das Wasser, das man auf die Erde schüttet und nicht wieder einsammeln kann.“ Mein Sohn durfte zu uns nach Jerusalem zurückkehren. Wie glücklich war ich, meine Kinder wieder bei mir zu haben! Doch Absaloms Abscheu seinem Vater gegenüber blieb.

Als König war David oberster Richter des Landes. Die in der Bundeslade wohlverwahrten Gebote kümmerten ihn jedoch wenig, seine Macht, sein wachsender Reichtum dafür umso mehr. Gesetze waren in seinen Augen nur für seine Untertanen gemacht und galten genau so lange, wie sie ihm selbst nützten. Das sprach sich herum und immer größer wurde die Unzufriedenheit der Menschen. Absalom aber, nun der älteste lebende Königssohn, hörte denen aufmerksam zu, die sich über Davids Ungerechtigkeiten beklagten und sagte: „Würde mich doch jemand zum Richter im Land machen, damit jeder, der einen Streit oder eine Rechtssache hat, zu mir kommt; ich würde ihm Recht verschaffen!“

So kam es, dass sich ihm immer mehr Menschen anschlossen: „Du bist ein mutiger und kluger Mann Absalom, David dagegen ist alt und machtbesessen. Er führt einen Krieg nach dem anderen, unsere jungen Männer sterben sinnlos für seinen Reichtum. Übernimm du doch Richteramt und Thron und bringe diesem Land Frieden und Gerechtigkeit!“ Er hörte solche Worte gerne und fühlte sich geschmeichelt, obwohl ich ihn immer wieder warnte. „Nein Mutter, die Menschen hier haben ein Recht auf Gerechtigkeit! Und ich werde genau dafür sorgen!“

Nachdem sich ihm immer mehr Israeliten angeschlossen hatten, zog Absalom mit seinen Leuten nach Hebron und ließ sich dort unter dem Jubel der Bevölkerung zum König ausrufen. David hörte davon, erschrak und floh mit uns, seinen Frauen, Bediensteten und Soldaten, aus Jerusalem hinab zum Jordan. Nur zehn seiner Nebenfrauen ließ er zurück. Ihm war klar, dass Absalom ihm nun auch hier die Königswürde entreißen würde.

Und Absalom zog wirklich in Jerusalem und den königlichen Palast ein. Er versäumte es aber, den Truppen seines Vaters sofort hinterher zu eilen und sie so schnell wie möglich zu überwältigen. Er vertraute einem hoch angesehenen Berater, der in Wirklichkeit Davids Spion war. Als es Wochen später schließlich zu einer Schlacht zwischen Absaloms viel größerem Heer und Davids Leuten kam, waren diese gut vorbereitet. Absalom und seine Männer wurden in einen Wald gelockt und dort aus dem Hinterhalt niedergemacht. Während sein Maultier weiterlief, verfingen sich die langen Haare meines Kindes in den Zweigen einer Eiche. Dort blieb er wehrlos hängen. Davids Soldaten, allen voran Absaloms eigener Cousin Joab, durchbohrten ihn mit Stöcken und schlugen ihn schließlich tot.

David weinte auch um diesen, meinen, Sohn. Ich aber musste nach unserer Rückkehr in den Palast meine Gemächer räumen und weitab zu Michal in deren winzige Kammer ziehen. David wollte mich aus den Augen haben, er gab mir an allem, was geschehen war, die Schuld. Es machte mir nichts aus. So konnte mir Michal in der schwersten Zeit meines Lebens besser beistehen, denn Absaloms Tod ließ mich verzweifeln. So gerne wäre ich meinem Sohn zu unseren Ahnen gefolgt. Michal hielt mich im Leben.

Es sollte sich erweisen, dass sie kurze Zeit später ebensolchen Trost nötig haben würde wie ich.

Die Gerüchte darüber, dass David eine Mitschuld an Sauls Tod gehabt, er auch den Auftrag für den Mord an dessen Sohn gegeben habe, wurden nach Absaloms Tod immer lauter. „Er trägt die Königswürde über Israel zu Unrecht, denn er hat sie durch Mord erlangt!“

Zur selben Zeit kam es zu einer Hungersnot im Land, drei endlose Jahre lang. Viele waren der Ansicht, dies sei ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass ihr Gott Jahwe mit diesem Emporkömmling David nicht einverstanden sei. „Es gehört ein Erbe Sauls auf den Thron!“, so flüsterte man hinter vorgehaltener Hand.

Es war wohl ein großer Zufall, dass dieser Jahwe-Gott daraufhin zu David sprach, und nur David allein die göttlichen Worte hörte: „Eine alte Blutschuld Sauls an den Gibeonitern muss gerächt werden!“ Von einer solchen Blutschuld hatte niemand je zuvor gehört. Er aber tat eilends, was er selbst den Gibeonitern zur Tilgung dieser ‚Blutschuld‘ in den Mund legte: Sieben Nachkommen Sauls, zwei von Michals Halbbrüdern sowie die fünf Söhne ihrer Schwester wurden gefangen genommen, an die Gibeoniter ausgeliefert und von diesen erhängt.
Die Hungersnot endete tatsächlich. Allerdings erst später, nachdem die Mutter von Michals Brüdern die Bestattung der Sieben erzwungen hatte. Michal selbst hatte nichts tun können, war sie doch im Palast gefangen. Dort fiel sie in völlige Verzweiflung. Ihre Halbbrüder hatte sie kaum gekannt und doch trauerte sie um sie. Mit den Kindern ihrer Schwester aber war sie so eng verbunden, als ob es ihre eigenen wären.

Die folgenden Tage, Monate und Jahre waren für Michal und mich unsagbar dunkel und schwer. Als auch Tamar zu unseren Ahnen entschlief, war mein Leben endgültig zu einer Reihe von Katastrophen geworden.

Hass kann einen Menschen innerlich zerstören, ohne Haggits Zuspruch und ohne ihre Hilfe hätten Michal und ich diese Zeit niemals überstanden. Sie unterstützte uns so gut sie konnte. Als Mutter des nun ältesten lebenden Königsohnes hatte sie, anders als wir, noch einigen Einfluss am Hof und auf David.

Ab und zu kam sogar Batseba zu uns. Ich glaube, wir taten ihr leid, unsere Verluste berührten sogar ihr Herz. Und sie mochte unsere Gesellschaft. Oft bat sie mich, ihr etwas aus der königlichen Bibliothek vorzulesen, denn ich war hier die einzige Frau, die lesen konnte. Nachdenklich sprach sie dann mit uns über das Gehörte. Sie sorgte auch dafür, dass Michal und ich weiterhin mit Wein, Datteln und Rosinenkuchen verköstigt wurden, denn sie hatte mehr Befehlsgewalt als selbst Haggit. Davids Taten aber verteidigte sie nach wie vor: „Was konnte er denn gegen den Willen Gottes ausrichten? Ihn trifft keine Schuld!“

Vielleicht glaubte sie das wirklich, vielleicht verschloss sie einfach die Augen vor der Wirklichkeit. Wie sonst hätte sie Davids Lieblingsfrau bleiben können?

7. David und Abischag

Die Jahre vergingen, wir wurden älter. Von uns Frauen sah man das Batseba am allerwenigsten an. Sorgfältig gekleidet und frisiert, immer lächelnd, immer lebhaft, veranstaltete sie Festgelage, Musikabende und Tanzvorführungen. Je älter und kränklicher David wurde, desto tatkräftiger wurde sie. Ständig an ihrer Seite war ihr Sohn Salomo, ein zarter Junge, wenn auch dem Alter nach schon fast erwachsen.

David dagegen wurde immer kränker und konnte bald kaum noch sein Bett verlassen. Obwohl meine Heilkunst anerkannt war, wurde ich – aus gutem Grund – nicht zu Hilfe gerufen. Stattdessen legte man ihm eine weitere, sehr junge und sehr schöne Pflegerin in sein Bett. Bisher hatte ihm solches immer gutgetan. Das Mädchen hieß Abischag, kam aus dem Örtchen Schunem unweit von Jerusalem und war kaum 15 Jahre alt. In ihrer fröhlichen Art erinnerte sie mich an Tamar. An eine Tamar, wie sie vor den Tagen des Unheils gewesen war. Abischag tat ihr Bestes, David zu wärmen und zu umsorgen. Viel besser als dieser alte, sabbernde Mann gefiel ihr allerdings Haggits gutaussehender Sohn Adonija, der Thronerbe. Und auch sie gefiel dem Kronprinzen überaus gut.

David erholte sich trotz Abischags Pflege nicht. Allerdings starb er auch nicht, und das war ein Problem. Wer sollte im Land Entscheidungen treffen, wenn der König krank danieder lag, er aber keinen benannte, der für ihn regierte? „Es ist an der Zeit, dass mein Sohn Adonija endlich König wird! Er ist der Älteste und es ist sein Recht!“ meinte meine Freundin Haggit und viele am Hof und im Land sahen es genauso. David aber hatte Batseba vor Zeiten, während eines Liebesspiels, versprochen, dass ihr Sohn Salomo einmal den Thron erben sollte. Der allerdings war jung und nicht besonders beliebt. Das brachte David jetzt in Schwierigkeiten und so versuchte er, die Sache vor sich herzuschieben.

Adonija dagegen wollte nicht länger warten, wurde auch von einigen Höflingen bedrängt, endlich die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. So veranstaltete er ein großes Festmahl, das schon wie das Fest eines Königs wirkte. Er lud dazu alle seine Brüder ein – mit Ausnahme von Salomo, den Sohn Batsebas, seinen Konkurrenten.

Als Batseba davon erfuhr, eilte sie sofort zu David: „Mein Herr, du selbst hast doch mir beim Herrn, deinem Gott, geschworen: Dein Sohn Salomo soll nach mir König sein und er soll auf meinem Thron sitzen. Nun aber hat Adonija eine Menge Rinder, Mastkälber und Schafe geschlachtet und alle Söhne des Königs dazu eingeladen. Doch Salomo hat er nicht eingeladen. Sie essen und trinken mit ihm und rufen: Es lebe der König Adonija! Auf dich, mein Herr und König, sind nun die Augen ganz Israels gerichtet. Du sollst ihnen bekannt geben, wer nach meinem Herrn und König auf dem Thron sitzen wird. Sonst müssen ich und mein Sohn Salomo es büßen, wenn mein Herr und König zu seinen Vätern entschlafen ist.“ Sie konnte schon immer so reden, wie es David gefiel.

Das Mädchen Abischag hatte alles mitangehört, sie lag ja im Bett des greisen Königs. Weinend lief sie zu uns: „Batseba möchte, dass Salomo zum König ernannt wird! Dann ist der wirkliche Thronerbe sicher verloren! Mein Adonija, den ich so lieb habe! Was in aller Welt können wir tun?“

Michal, Haggit und ich überlegten nur kurz. Wir meinten zu wissen, was jetzt das Beste wäre. Ich hatte längst einen guten Vorrat an giftigen Meereszwiebeln angelegt, schmackhaft und tödlich. Damit David starb, bevor er Salomo zu seinem Nachfolger ernennen konnte, musste er davon nur schnell genug eine größere Menge essen. Michal wünschte ihm ohnehin keinen friedlichen Tod und Haggit fürchtete um ihren Sohn, den rechtmäßigen Erben.

In aller Eile bereiteten wir mit diesem besonderen Gemüse und ausgewählten Kräutern ein Gericht zu, wie David es liebte. Dieses gab ich Abischag, ohne ihr Genaueres zu erklären. Michals Augen verdunkelten sich vor Genugtuung, als die Kleine die Schüsseln nahm, um sie zu David zu bringen.

Dann wartete ich eine Weile, bevor auch ich mich zu Davids Schlafkammer aufmachte. Eben wollte ich eintreten, als mir Salomo mit großen Schritten und zornigen Augen entgegenkam. Er schien aufgebracht, nicht wie einer, dem gerade ein Königreich übergeben wurde. Umstandslos schob er mich zur Seite und ging fluchend seiner Wege.

Als ich an Davids Bett trat, standen Schweißperlen auf seiner Stirn, seine bläulich gefärbten Lippen zitterten, er war totenbleich. „Du? Nach so langen Jahren? Wieder ohne meinen Befehl?“, flüsterte er mit rauer Stimme „Ja, ich, mein König. Die Wache glaubte mir, dass du mich sehen wolltest.“ Ein bitteres Lachen, das in ein heiseres Husten überging. „Du warst die Köchin meiner letzten Mahlzeit, nicht wahr? Und es war kein heilsames Gericht …“ Ich schwieg. „Wie lange habe ich noch zu leben, Maacha?“ „Nicht mehr lange, mein König.“ „Nun, ich habe eben noch alles Nötige mit Salomo besprechen können. Er wird einsehen, dass Adonija als der Ältere den Thron erben muss. Salomo ist weise, er wird unter seinem Bruder wichtige Ämter bekleiden und ihn unterstützen.“ „Wie du meinst, mein König.“ „Ich weiß, welche schweren Fehler ich in meinem Leben gemacht habe, und ich bereue sie. Sage Michal … “ „Ja, mein Herr?“ „Maacha …“, er versuchte weiterzusprechen, konnte es aber nicht. Beinahe tat er mir in diesem Augenblick leid, trotz all dem, was er getan hatte. Er begann zu würgen, übergab sich, flüsterte Unverständliches, keuchte. Dann wurde er ruhiger, bis schließlich seine Augen brachen.

Wie wird nun mein Schicksal aussehen? Und das der anderen? Werden wir des Mordes angeklagt? Wie werden Salomo und Batseba damit zurechtkommen, dass Adonija der neue König ist?

Wir werden sehen …

Hier endet Maachas Schriftrolle

Morgen also werden wir vor König Joschija treten und fragen, was mit dieser Schriftrolle geschehen soll, was von den Erzählungen wir für unsere Aufzeichnungen verwenden dürfen. Wir werden ihm nicht alles von dem offenbaren, was jenes Weib geschrieben hat. Als direkter Nachfahre von König David und König Salomo könnte unser Herr sonst ungehalten reagieren. So hörte von einem Mord an David bisher nie eine Menschenseele, es kann sich also nur um eine Lüge handeln. Es wäre auch ein allzu schmähliches Ende für ihn gewesen, durch die Hand einer Frau zu sterben. Und dass König David auf dem Sterbebett sein Reich Salomo und nicht Adonija übergab, ist schließlich allgemein bekannt. Salomo selbst hat ja damals die letzten Worte seines Vaters den Schreibern diktiert.

Man weiß aus den Geschichten der Altvorderen, dass weder Haggit noch Michal noch Batseba ihren Eheherrn lange überlebt haben, sie starben innerhalb weniger Monate. Salomo ließ seine Mutter ehrenvoll neben David bestatten. Für das ganze Land rief er danach eine einwöchige Trauerzeit aus.

Manche behaupten, jene Maacha habe die junge und schwangere Abischag beschützen können. König David war ja nicht mehr in der Lage gewesen, mit dem Mädchen zu schlafen, daher war wohl Adonija der Vater ihres ungeborenen Kindes. Es gelang, so heißt es, Maacha, Abischag und sich selbst zu retten: Sie schickte einen Boten zu ihrem Bruder, den König von Geschur. Dieser sandte Unterhändler mit Geschenken und Versprechungen. Daraufhin durften beide Frauen Jerusalem unbehelligt verlassen.

Epilog

Aus der hebräischen Bibel, Buch der Könige, in der ersten Fassung geschrieben unter dem König Joschija:

10 Kurze Zeit später starb David. Er wurde in seiner Stadt, in Jerusalem, begraben. 11 Insgesamt hatte er 40 Jahre lang als König über Israel geherrscht, davon sieben Jahre in Hebron und 33 Jahre in Jerusalem. 12 Salomo wurde der Nachfolger seines Vaters David und konnte seine Macht immer mehr festigen.

13 Eines Tages kam Adonija, der Sohn von Davids Frau Haggit, zu Salomos Mutter Batseba. »Kommst du in friedlicher Absicht?«, wollte Batseba von ihm wissen. »Ja«, sagte er, »ich habe nichts Böses im Sinn. 14 Ich möchte nur etwas mit dir besprechen.«

»Gut, dann rede!«, forderte sie ihn auf, 15 und er begann: »Du weißt ja, dass eigentlich ich das Recht auf den Königsthron hätte. So hat es auch ganz Israel erwartet. Doch nun ist alles anders gekommen: Die Krone ist meinem Bruder zugefallen, denn der Herr wollte es so. 16 Jetzt habe ich nur eine einzige Bitte an dich; darf ich sie vorbringen?« »Sprich nur!«, ermutigte sie ihn. 17 »Ich möchte gern Abischag aus Schunem heiraten«, sagte er. »Könntest du nicht König Salomo für mich um ihre Hand bitten, denn dich wird er bestimmt nicht abweisen.« 18 »Einverstanden«, versprach Batseba, »ich will beim König ein gutes Wort für dich einlegen.«

19 So ging Batseba zu König Salomo, um mit ihm wegen Adonija zu reden. Als sie den Thronsaal betrat, stand der König auf, kam ihr entgegen und verbeugte sich. Dann setzte er sich wieder auf seinen Thron und ließ auch für seine Mutter einen Thronsessel aufstellen. Sie nahm zu seiner Rechten Platz 20 und brachte gleich ihr Anliegen vor: »Ich habe nur eine einzige kleine Bitte. Willst du mir zuhören?« »Sprich nur, liebe Mutter, dir werde ich nichts abschlagen!«, antwortete ihr der König. 21 Sie fragte ihn: »Könnte man nicht Abischag aus Schunem deinem Bruder Adonija zur Frau geben?«

22 Da brauste Salomo zornig auf: »So, du möchtest, dass Adonija und Abischag aus Schunem heiraten! Wie kommst du dazu? Warum bittest du mich nicht gleich, mein Amt als König an Adonija abzutreten?] Schließlich ist er ja mein älterer Bruder. Bestimmt hätten auch der Priester Abjatar und der Heerführer Joab, der Sohn von Davids Schwester Zeruja, nichts dagegen, wenn sie durch ihn wieder an die Macht kämen!« 23 Dann schwor Salomo: »Das wird er mit dem Leben bezahlen! Der Herr soll mich schwer bestrafen, wenn ich Adonija dafür nicht hinrichten lasse. 24 Denn Gott hat mich zum Nachfolger meines Vaters David gemacht, er hat mich als König bestätigt und mir und meinen Nachkommen die Königsherrschaft anvertraut, wie er es versprochen hat. Ich schwöre bei dem Herrn, dem lebendigen Gott: Noch heute muss Adonija sterben!«

25 Dann befahl König Salomo Benaja, dem Sohn von Jojada, Adonija hinzurichten. Benaja ging hinaus und stach ihn nieder.“



 
Quellenangaben
Epilog / schräge Schrift: 2. Buch der Könige, Kapitel 2, Vers 10 folgende (Übersetzung nach ‚Hoffnung für Alle‘), https://www.bibleserver.com/HFA/1.K%C3%B6nige
Andere Zitate sowie auch umformulierte Inhalte: Buch Samuel (für Christen 1. und 2. Buch Samuel), Einheitsübersetzung, Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart 1980

Hallo @Eva Luise Groh!
Normalerweise hab ich Probleme, so lange Texte wie diesen hier am Bildschirm zu lesen; war aber neugierig und als ich angefangen hatte, war ich 'drin' in deinem Text bis zum Ende. Faszinierend, fundiert und gut gemacht ;)
Anmerkungen habe ich wenige.

Und eines Abends ganz besonders am Anblick einer auffallend schönen Frau, die sich auf dem Dachgarten eines Nachbarhauses anschickte, ein Bad zu nehmen. Sie entkleidete sich im Dämmerlicht vor seinen Augen, tauchte erst einen, dann den anderen Fuß und schließlich ihren ganzen Körper in das warme Wasser, von dem leichte Dampfschwaden aufstiegen. Dann strich sie mit den Händen sanft über ihre Arme, Beine, ihr Gesicht und die Brüste. Ihre zarte Figur, die anmutigen Bewegungen, das seidige, tiefschwarze Haar - alles an ihr faszinierte David.
Das ist die einzige Stelle, die nicht einleuchtet, denn: Woher weiß die Erzählerin das alles so genau? Das wird ihr der David kaum erzählt haben in aller Ausführlichkeit -- insofern wirkt es aus Davids Perspektive erzählt und passt nicht in deine Erzählung, die ansonsten konsistent ist. Ein Bruch.

Die Füllwörter würde ich weglassen.
Da hast du an vielen Stellen sehr recht, an anderen gehören sie zu meinem Stil.
Ja, sehe ich auch so. Das ist ja irgendwie dem Bibel-Stil nachempfunden, passt daher.

Nach meinem Gefühl wäre deine Erzählung ein wunderbarer roter Faden für einen Roman, wo du dir mehr Zeit nimmst, die Figuren zu entwickeln
Ja. Das finde ich auch! Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Und auch, dass du das machst. Ein hochinteressanter Stoff, finde ich, und gleichermaßen eine hochinteressante Perspektive. Da steckt eine Menge drin.

Als 'kurzer' Text geht das ja gar nicht anders als so, wie du es gemacht hast, und als solcher ist das ausgezeichnet gemacht.


Ich hab von deinen Handicaps gelesen. Finde ich schade. Aber klar, ich kenne das selbst.

Andererseits die Geschichte unbedingt aus mir raus wollte, nachdem ich das Buch Samuel wieder einmal gelesen hatte und richtig ärgerlich darüber war, wie (außer bei der Batseba-Affäre) alles so als 'göttlich gewollt' hingestellt wird
Ich frag mich sowieso, wie man überhaupt irgendwas am Alten Testament 'göttlich' finden kann. Anderes Thema :)

Gruß von Flac

 

Lieber @FlicFlac ,

vielen Dank für das Lesen dieser langen Geschichte! Wie schön, dass sie dir gefällt.

Woher weiß die Erzählerin das alles so genau? Das wird ihr der David kaum erzählt haben in aller Ausführlichkeit -- insofern wirkt es aus Davids Perspektive erzählt und passt nicht in deine Erzählung, die ansonsten konsistent ist. Ein Bruch.
Ein guter Hinweis, dazu werde ich mir nochmal was überlegen, zum Beispiel, dass David bei seinem Dachrundgang nicht alleine ist und ein paar seiner Frauen die faszinierende Darbietung von Batseba miterleben. Mal gucken :-).

Doch, doch, es gibt enorm vieles in der hebräischen Bibel, das inspirierend ist. Sehr vieles, aber manchmal überlagern die krassen Stellen diese.
"Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" steht zum Beispiel im 3. Buch Mose, bekannter ist der Satz, weil Jesus sich auf ihn bezog.
Ich hätte da noch jede Menge Beispiele ... aber ja, ist ein anderes Thema.

Sommergrüße (in der Hoffnung, dass er kommt)
Eva

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom