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Baustelle
Umfangreiche Umbauarbeiten in einer Bank. Ich soll nur kurz ein paar Stühle, die nicht mehr benötigt werden, abholen. Aus dem Keller nach oben tragen. Ganz einfach, “Sie brauchen sicher nicht lange”.
Überall feiner Ziegelstaub, osteuropäisch wirkende Männer vermehren ihn. Sie brechen, bohren, schaufeln, stemmen, schleifen und reißen, zielgerichtet und zerstörerisch. Mich beachten sie nicht, den Keller finde ich alleine.
Erster Staub auf meiner Kleidung, als ich einen Stuhl berühre. Ich dachte, er sei nur in der Luft, aber ich habe mich geirrt: er besetzt jede Fläche.
Ein Arbeiter schaufelt mit seinem roten Bagger ein kleines Loch in den Boden des ehemaligen Schalterraums. Immer, wenn ich ihn passiere, bläst er mir warme, schwüle Dieselabgase ins Gesicht.
Im Durchgang nach draußen, dort wo ich die Stühle abstelle, schmeckt die Luft besser: Kalt und grau, nebelig, verregnet. Dieser Augenblick fühlt sich an wie trübe Freiheit, auch wenn ich nur eine andere Baustelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkennen kann. Wie eine Zigarettenreklame, die ausnahmsweise nicht in der Wüste spielt.
Aber dieses triste Panorama fremder Arbeit ist dennoch erhebender als die, gar nicht nach Liebe schmeckenden, blassrosa Wolken.
Einen Atemzug verweilen, durchatmen. Dann wieder durch die Ziegelstaubschwaden.
Luft anhalten ist zwecklos, der Weg ein paar Schritte zu lang. Meine Atemwege brennen so heftig, dass ich kurz nach dem Bagger den Mund aufreißen muss und meine kostbare, ehemals lebendige Lunge langsam in eine Staubwüste verwandle.
Egal wie viele ich ans feuchte Tageslicht zerre, die Stühle werden nicht weniger. Aus dem Staub unter dem Treppenabsatz ist wieder ein Stapel hervorgekrochen. Man könnte fast meinen, sie wollen nicht, dass man sie berührt, von ihrem alteingesessenen Platz wegbringt.
Beim Hinaufgehen immer wieder vorbei an einer verbarrikadierten Türe. Ein Holzklotz blockiert sie. Er ist als einziger nicht verstaubt. Obwohl er den einzigen Ausweg blockiert, ist er schön anzusehen. Einmal strecke ich sogar meine Hand aus und streiche ganz zart über ihn. Er ist unbearbeitet, roh, nicht so wie die vom täglichen Gebrauch abgenutzten Stühle. Ich bin kein Baumkenner, würde mich ein Gewitter im Wald überraschen: es wäre mein Untergang.
Dennoch ist etwas in mir unendlich fest davon überzeugt, ein Stück aus einer Fichte vor sich zu haben.
Die Arbeiter haben aufgehört. Sie machen Pause, ganz leicht rieche ich Streichwurst, vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Immerhin füllt der feine Ziegelnebel schon meine Atemwege aus, hat selbst als Staub seine Maueridentität nicht vergessen.
Knapp hinter dem Bagger ist eine flache Mulde, in der man sich schön das Bein brechen könnte. Einfach liegen bleiben. Oder hängen. Betonbrocken aus denen Gitter wie Fangnetze ragen.
Je nachdem wo der Bagger steht, gibt es andere Hindernisse. Das macht er bewusst, immer stellt der Fahrer seine Maschine an die Stelle, an der ich vorbei will, versperrt meinen Weg.
Wohin mit all den Stühlen? Noch immer hat sie niemand abgeholt. Den Regen sehe ich schon nicht mehr. Man hat mich alleine gelassen, die Arbeiter sind endgültig fort. Sitzen zuhause bei ihren Familien in ihren heilen Ziegelhäusern. Der rote Bagger schweigt, er versprüht keine Abgase mehr.
Der letzte Stuhl. Ich setze mich vor den Berg aus Stühlen. So viele verlorene Sitzgelegenheiten. Aber zum Glück habe ich es noch rechtzeitig erkannt, bleibe sitzen. Ich habe es mir verdient. Warte bis jemand kommt, alles abholen. Es könnte länger werden.
Staub kitzelt mich in der Nase, ich reagiere nicht. Staub fällt langsam auf mich nieder.