Was ist neu

Begegnungen

Beitritt
19.06.2001
Beiträge
2.198

Begegnungen

BEGEGNUNGEN


"Das verstehe ich nicht. Die Berechnungen waren korrekt!" Helsings Mundwinkel begannen zu zucken. Erste Anzeichen von Unsicherheit. Nervösität. Resignation.
"Irren ist menschlich, Helsing", murmelte ich und zündete mir lächelnd eine Zigarette an.
"Ich bin kein Mensch, Yagallo!" Wütend steckte er den kleinen Apparat in die Hosentasche und stapfte in seinem typischen Watschelgang zu mir. "Was machen Sie denn da, verdammt!" Er griff nach meiner Zigarette, warf sie auf den mit schwarzem Sand bedeckten Boden und trat sie aus. "Haben Sie die etwa mitgenommen?"
Ich sah an ihm vorbei zu den zwei Monden. "Ja. Eine..." Und noch zwei Packungen im Rucksack, du arrogantes Arschloch! Aber das behielt ich für mich. "Ich weiß, ich weiß. Ersparen Sie mir bitte die Belehrung, okay?" Er konnte froh sein, dass ich meinen Konsum auf drei Zigaretten pro Monat beschränkt hatte. Meistens rauchte ich heimlich und verscharrte die Reste im Sand, oder warf sie in kilometertiefe Schluchten. Es kam immer darauf an, wo wir uns befanden.
"Wir sind nur Beobachter. Ganz egal, wo wir uns aufhalten. Das müssen Sie begreifen, Yagallo!" Das Zucken wurde immer stärker. Seufzend setzte sich Helsing zu mir auf den großen, flachen Stein. "Aber vermutlich haben Sie Recht und die Berechnungen waren nicht korrekt."
"Möglich..." Mir war es eigentlich egal. Der Anblick war überwältigend. Solche Monde hatte ich noch nie gesehen. Sie schienen eine Atmosphäre zu haben, eigentlich nichts ungewöhnliches, denn Atmosphären im Weltraum gab es wie Sand am Meer. Dünne Linien schlängelten sich über gewaltige Wolkenverbände, ab und zu blitzte es, und kleine Strudel wirbelten alles durcheinander. Einfach grandios, wie ich fand. "Was glauben Sie, wo wir sind?"
"Was?" Helsing war so vertieft bei der Überprüfung der Reiseroutinen, dass er meine Frage nicht gehört hatte. Er starrte auf den kleinen Handcomputer, der er aus seinem Rucksack geholt hatte.
"Wo sind wir?", fragte ich erneut.
"Ach so... Warten Sie mal..." Schnell ließ er seine zwölf schuppigen Finger über die Standardtastatur wandern. "Die Datenbank führt die Abfrage durch..." Er runzelte die Stirn. "Dejaban-System. Das ist merkwürdig. Hier waren wir doch schon!"
"Was?" Erstaunt stand ich auf und sah mich um. "Dejaban-System? Welcher Planet?"
"Einen Moment noch, Yagallo..." Auf dem kleinen Display erschienen lange Zahlenkolonnen, Diagramme, Sternenkarten, Tabellen und unzählige, kaum zu entziffernde Wörter. Dann lächelte Helsing triumphierend und tippte sich an die Schläfe. Zumindest war es für mich eine Schläfe.
Seit wir die Reise begonnen hatten, versuchte ich, Helsing mehr und mehr für mich zu einem Menschen zu machen, der Einfachkeit halber. Es war geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, all die anatomischen Besonderheiten der Ykwijaner zu kennen. Den dicken Wälzer in meinem Rucksack, der alles über einen Ykwijaner beschrieb, hatte ich noch kein einziges Mal in die Hand genommen. Eigentlich war er überflüssig. Zumindest für mich. Ich wollte fremde Welten sehen.
"Yagallo?"
Ich blinzelte. "Ja?"
"Ich habe es. Wir sind auf dem vierten der sechs inneren Planeten, die um das Hauptgestirn kreisen. Die Behörde nannte den Planeten Rushmore, nach dessen Entdecker. Vor gut dreihundert Jahren konnte William Rushmore aus Detroit anhand eines Teleskops..."
Ich schaltete innerlich ab. Die übliche Erklärung über das Wie, das Warum und das Weshalb. Ab dem sechsten Planeten der langen Reise hatte es angefangen, mich zu langweilen. Erfolglos hatte ich Helsing zu erklären versucht, dass ich nicht fünzig Millionen bezahlt hatte, um mir endlose Geschichten über die Entdecker anhören zu müssen. Helsing hatte nur verständnislos mit den Schultern gezuckt. Vielleicht konnte er aber auch einfach nicht anders. Sein Begreifen, die Sicht der Dinge, ließ es womöglich nicht zu. Ykwijaner kannten keine Langeweile. Auf meine Bemerkung, er sei der "widerlichste und bornierteste Spock des ganzen Universums" war er nicht weiter drauf eingegangen. Verständlich, aber ich fand es witzig. Irgendwie...
"Rushmore starb schließlich an einer Überdosis Kokain, damals ein weit verbreitetes Mittel, um das Bewußtsein zu erweitern..."
Es war faszinierend, Helsing dabei zuzusehen, wie dieser seinen Job erledigte. Mit einer Engelsgeduld. Nur wenn die Mundwinkel zu zucken begannen, dann gab es ein Problem.
"Rushmore... Rushmore..." Ich holte einen dicken Popel aus meiner Nase und schnippste ihn weg. "Steht der auf der Liste?"
"Nein", antwortete Helsing. "Oh..."
Das Oh klang irgenwie merkwürdig. "Was ist los?" Ich suchte nach mehr Substanz in meiner Nase, um diese in der fremden Fauna zu hinterlassen. "Was meinen Sie mit Oh?"
"Also..." Weiter kam er nicht. Plötzlich gab es ein Rascheln im Gebüsch. "Oh nein!"
Das Rascheln durfte es nicht geben. Zumindest der Theorie nach. Es wurden nur Reisen zu unbewohnten Planeten angeboten. Da legte die Behörde großen Wert drauf. Ganz langsam drehte ich mich um. "Was ist das? Gibt es hier sowas wie... Tiere?", flüsterte ich angespannt.
"Seien Sie still, bitte!" Helsing sah angespannt in die Richtung, aus der das Rascheln kam.
Ich verband den Begriff 'Tier' meistens mit kleinen Lebewesen, die staatlich kontrolliert in großen Gehegen ein Dasein führten, was beweisen sollte, dass der Mensch sehr wohl mit der Natur umzugehen wußte. Ziegen beispielsweise. Pferde. Hamster. Oder Katzen... "Gibt es hier sowas?", zischte ich verärgert. Verdammt nochmal, ich hatte schließlich diesen ganzen Trip bezahlt.
"Nein", flüsterte Helsing. Seine vier rot leuchtenden Augen drehten sich hin und her. "Oh..."
Dieses Oh klang schon viel entspannter. "Was ist denn jetzt?", wollte ich wissen.
"Zbignew."
"Was? Was will der denn hier?"
"Das kann ich Sie auch fragen, Yagallo!", sagte eine Stimme.
Das Rascheln entpuppte sich als Zbignew, der eine kleine Anhöhe hochkam, hinter ihm ein Ykwijaner.

Zbignew war seit drei Jahren unterwegs, also acht Monate länger als ich. "Schon gut!", beschwichtigte ich ruhig und stieß Helsing an. "Ist ja nichts passiert." Mir war klar, wie sehr sich Helsing schämte. Offensichtlich hatte er tatsächlich die Programmierung der Sprungrouten etwas durcheinander gebracht.
"Yagallo, Sie Hurensohn!" Zbignew reichte mit die Hand. "Wie schön, mal wieder einen Menschen zu sehen!"
"Ja, ist lange her..."
"Drei Jahre mittlerweile. Und ich habe noch zwei weitere vor mir!" Er grinste mich an. "Gut sehen Sie aus. Von einigen wurde behauptet, die vielen Sprünge würden das Gehirn schädigen, die Muskulatur beeinflussen. Aber wissen Sie was?"
Ich winkte ab. "Ja, weiß ich. Alles Humbug!"
"Genau!" Er schnüffelte mit der Nase. "He! Haben Sie etwa Zigaretten dabei? Mein Gott, was würde ich für eine einzige Zigarette geben. Ich schwöre Ihnen, wenn ich wieder auf der Erde bin, werde ich acht Schachteln täglich rauchen. Die Tabakkonzerne werden mit ein Denkmal setzen!"
"Klar..." Lächelnd verschwieg ich, dass vier Wochen nach Beginn seiner Reise weltweit ein einheitliches Rauchverbot in Kraft gesetzt wurde. Die restlichen Zigaretten in meinem Rucksack waren illegal.
Die beiden Ykwijaner standen sich gegenüber und wechselten ein paar Worte in ihrer Sprache. Für mich klang alles wie ein einziges Wort: Askatell. Askatell... Askatell... "Da sind wir Ihnen wohl dazwischen gekommen, was?", fragte ich Zbignew.
"Scheint so. Dieser Planet war für mich reserviert."
Helsing räusperte sich. "Ein Fehler. Unentschuldbar. Ich bitte um Verzeihung."
"Schon gut, Fischgesicht", grinste Zbignew und zuckte mit den Schultern. Er sah sich um. Schließlich blieb sein Blick bei den zwei Monden haften. "Wunderschön..."
"Ja." Ich nickte und holte tief Luft. "Vor vier Wochen war ich schon einmal im Dejaban-System. Wissen Sie, ich denke, Helsings Fehler hat mir zu einer unvergesslichen Aussicht verholfen."
"Gegönnt sei es Ihnen!" Zbignew klatschte in die Hände. "Aber genug ist genug. Van?"
Der andere Ykwijaner drehte sich zu ihm um. "Ja?"
"Na los, zum nächsten Ziel!" Zbignew schüttelte meine Hand. "War schön, Sie zu sehen, Yagallo!"
"Klar!" Ich hob meine Hand zum Abschied.
Van holte ein kleines Gerät hervor, drückte ein paar Tasten und legte seine Hand auf Zbignews Schulter. "Askatell!", grunzte er.
"Askatell!", grunzte Helsing zurück.
"Ja genau..." Ich schloss die Augen, hörte den charakteristischen Knall des Sprunges und öffnete sie wieder. "Und weg sind sie..."
"Wenn Sie wollen, können wir den nächsten Zielplaneten in Angriff nehmen, Yagallo."
"Klar, warum nicht?" Ich sah zu den beiden Monden und lächelte. "Aber selbst Sie müssen doch zugeben, dass das ein richtig guter Anblick ist, oder?"
"Wenn Sie das sagen..." Helsing holte das Sprunggerät hervor. "Bereit?"
"Wohin geht es?"
"Triaden-Nebel."
"Oh, das klingt übel!"
"Nein, es ist recht angenehm dort!"
Ich schloss die Augen und holte tief Luft. "Wie auch immer!"


Ursache und Wirkung

Yagallos Popel war in einer kleinen Wasserpfütze gelandet. Bakterien umkreisten neugierig das fremde Objekt, drangen ein, verließen es und starben ab. Intelligentes Leben auf Rushmore war dadurch zum Scheitern verurteilt.


ENDE


copyright by Poncher (SV)

23.07.2003

 

Hi Poncher,

eine tolle Geschichte! Dieses Übersättigtsein des Touristen - mal eben schnell hier hin, zwei Monde angucken, dem Reiseleiter nicht mehr zuhören und seinen Müll überall zu verstreuen ... (mit vielleicht desaströsen Folgen - ich meine, man weiß ja nicht, was die intelligenten Wesen von Rushmore so gemacht hätten)

Erinnert mich alles stark an die Realität (also jetzt nicht die zwei Monde ...)
Ich find's sehr genau beobachtet und wiedergegeben. Und witzig war die Story auch noch. Rundum klasse.

"der widerlichste und bornierteste Spock des ganzen Universums" :lol:

vio

 

Hey Poncher,

klasse Geschichte, hat mir gut gefallen. Knackig, kurz, humorvoll, aber wenn man ein wenig drüber nachdenken möchte, auch ernst genug dafür.

Besonders gut fand ich diese Stelle:

"Scheint so. Dieser Planet war für mich reserviert."

Einfach furchtbar, wenn man sich vorstellt, dass diese reichen Weltraumjuppies sich gestört fühlen, wenn sie wissen, dass sich auf der anderen Seite des Planeten ein weiterer 'Tourist' befindet.

Den dicken Wälzer in meinem Rucksack, der alles über einen Ykwijaner beschrieb, hatte ich noch kein einziges Mal in die Hand genommen.
Erinnert ein bisschen an ein gewisses anderes Buch, das mit Sicherheit auch über die Ykwijaner zu berichten weiss ;)

Ein paar kleine Fehler:

Sie schienen eine Atmosphäre zu haben, eigentlich nichts ungewöhnliches,
... nichts Ungewöhnliches

Er starrte auf den kleinen Handcomputer, der er aus seinem Rucksack geholt hatte.
... den er

Die Tabakkonzerne werden mit ein Denkmal setzen!
... mir

Alles in allem eine gelungene Geschichte, die ich gerne gelesen habe.

Gruss,
Mel.

 

Das ist wieder so eine bedeutungslose Szene. Weißt Du, so etwas in einem Roman, dann ist es nett und ok. Aber als einzelne Geschichte haut mich das nicht mehr vom Hocker.

Nervig finde ich, dass Deine Prots fast alle so unterschwellig aggressiv rüberkommen (kommt mir so vor, habe ja nicht all Deine Geschichten gelesen). Bei den Charakteren solltest Du mal stärker variieren. Das magst Du teilweise schon getan haben, aber irgendwie ist da etwas, was in vielen Deiner Geschichten immer wieder auftaucht. Könnte jetzt aber nur Vermutungen anstellen.

Flüssig etwas runterschreiben, das kannst Du. Dialoge schreiben, das kannst Du auch. Langsam wäre es besser, sich auf gewichtigere Dinge zu konzentrieren. Aber ich weiß ja, dass Du das selbst weißt.

 

Hi ponch,
was soll ich dazu sagen, gerade bei dir und den anderen "alten" ist es nätürlich sehr schwer zu kritisieren, da ihr schon so viele gute Geschichten geschrieben habt.
Dennoch: Ich denke nicht, dass diese Geschichte zu deinen besten zählt, doch der Schreibstil und die Art, wie du ein 1000-fach beschriebenes Thema rüberbringst... einfach genial.
Ich werde auch weiterhin jede deiner Geschichten verschlingen :)

mfg KleX

 

Hallo Poncherie!
Meiner Meinung nach definitiv eine deiner schwächsten Storys überhaupt. Korrigiere mich wenn ich irre. Aber das Ganze scheint mir ein typischer Schnellschuss zu sein. Die "Handlung", die im Grunde nur aus Dialogen besteht, holpert im Eiltempo dahin. Die beiden Hauptcharaktere sind völlig farblos. Die Pointe ... Ist es eine Pointe? Es gibt wohl Myriaden von Geschichten, in denen unbeabsichtigt erst die Evolution eines Planeten in Gang gesetzt wird (selbst hier: Vergleiche eine von Alphas Geschichten, wo sich Pisse eines Alien als unser Ursprung entpuppt, wenn ich nicht irre) - in deiner Story wird die Evolution durch diesen unbeabsichtigten Eingriff beendet. Wenn es wenigstens logisch wäre ... Aber auch ohne Molekularbiologe zu sein bezweifle ich, dass sich an einer einzigen Stelle eines Planeten Leben entwickelt und durch einen Popel vernichtet wird. Noch dazu Bakterien...

All diese Dinge zusammengenommen ergeben für mich eine sehr dünne Story ohne ersichtlichen Höhepunkt, uncharmant dargeboten, unlustig, fade geschrieben. Das kannst du weitaus besser, wie du bereits oftmals bewiesen hast.
Mach dir nix draus: Selbst du kannst nicht immer einen Geniestreich landen. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

@Rainer

Warum sind die Hauptcharaktere völlig farblos? Den Yagallo kann ich mir sehr gut vorstellen als einen gelangweilten, ignoranten Typen, den nichts mehr beeindrucken kann. Ihm ist völlig egal, welche Folgen sein Handeln haben kann (bzgl. der Zigarettenreste z.B., die er überall hinterläßt). Solche Ignoranten, die nicht einen Millimeter weit denken, kann man doch überall finden.
Daß sich nun an einer einzigen Stelle des Planeten Leben entwickelt, halte ich auch nicht für glaubwürdig, fand das nun aber nicht unbedingt so wichtig. Immerhin könnten sie sich genau an dieser Stelle entwickelt haben, weil ein anderer Ignorant seinen Müll dort hinterlassen hat ...
Außerdem gibt es ja auch noch die Chaostheorie (die populärwissenschaftlich manchmal mit dem Schmetterlingsflügelschlag und dem damit verursachten Orkan dem Zuschauer näher gebracht werden soll).

vio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey, Poncher, ich hab noch eine kleine Idee, wie Du das Ende ein bißchen glaubwürdiger machen könntest. Vielleicht könnte Yagallo ja - wie so viele der reichen Weltraumtouristen - szenetypische Substanzen in seiner Nase gehabt haben. Und die haben das Sekret so aggressiv gemacht, daß das gerade aufkeimende Leben auf Rushmore in seinem Gleichgewicht so empfindlich gestört war, daß es wieder einging.

vio

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom