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Begegnungen
BEGEGNUNGEN
"Das verstehe ich nicht. Die Berechnungen waren korrekt!" Helsings Mundwinkel begannen zu zucken. Erste Anzeichen von Unsicherheit. Nervösität. Resignation.
"Irren ist menschlich, Helsing", murmelte ich und zündete mir lächelnd eine Zigarette an.
"Ich bin kein Mensch, Yagallo!" Wütend steckte er den kleinen Apparat in die Hosentasche und stapfte in seinem typischen Watschelgang zu mir. "Was machen Sie denn da, verdammt!" Er griff nach meiner Zigarette, warf sie auf den mit schwarzem Sand bedeckten Boden und trat sie aus. "Haben Sie die etwa mitgenommen?"
Ich sah an ihm vorbei zu den zwei Monden. "Ja. Eine..." Und noch zwei Packungen im Rucksack, du arrogantes Arschloch! Aber das behielt ich für mich. "Ich weiß, ich weiß. Ersparen Sie mir bitte die Belehrung, okay?" Er konnte froh sein, dass ich meinen Konsum auf drei Zigaretten pro Monat beschränkt hatte. Meistens rauchte ich heimlich und verscharrte die Reste im Sand, oder warf sie in kilometertiefe Schluchten. Es kam immer darauf an, wo wir uns befanden.
"Wir sind nur Beobachter. Ganz egal, wo wir uns aufhalten. Das müssen Sie begreifen, Yagallo!" Das Zucken wurde immer stärker. Seufzend setzte sich Helsing zu mir auf den großen, flachen Stein. "Aber vermutlich haben Sie Recht und die Berechnungen waren nicht korrekt."
"Möglich..." Mir war es eigentlich egal. Der Anblick war überwältigend. Solche Monde hatte ich noch nie gesehen. Sie schienen eine Atmosphäre zu haben, eigentlich nichts ungewöhnliches, denn Atmosphären im Weltraum gab es wie Sand am Meer. Dünne Linien schlängelten sich über gewaltige Wolkenverbände, ab und zu blitzte es, und kleine Strudel wirbelten alles durcheinander. Einfach grandios, wie ich fand. "Was glauben Sie, wo wir sind?"
"Was?" Helsing war so vertieft bei der Überprüfung der Reiseroutinen, dass er meine Frage nicht gehört hatte. Er starrte auf den kleinen Handcomputer, der er aus seinem Rucksack geholt hatte.
"Wo sind wir?", fragte ich erneut.
"Ach so... Warten Sie mal..." Schnell ließ er seine zwölf schuppigen Finger über die Standardtastatur wandern. "Die Datenbank führt die Abfrage durch..." Er runzelte die Stirn. "Dejaban-System. Das ist merkwürdig. Hier waren wir doch schon!"
"Was?" Erstaunt stand ich auf und sah mich um. "Dejaban-System? Welcher Planet?"
"Einen Moment noch, Yagallo..." Auf dem kleinen Display erschienen lange Zahlenkolonnen, Diagramme, Sternenkarten, Tabellen und unzählige, kaum zu entziffernde Wörter. Dann lächelte Helsing triumphierend und tippte sich an die Schläfe. Zumindest war es für mich eine Schläfe.
Seit wir die Reise begonnen hatten, versuchte ich, Helsing mehr und mehr für mich zu einem Menschen zu machen, der Einfachkeit halber. Es war geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, all die anatomischen Besonderheiten der Ykwijaner zu kennen. Den dicken Wälzer in meinem Rucksack, der alles über einen Ykwijaner beschrieb, hatte ich noch kein einziges Mal in die Hand genommen. Eigentlich war er überflüssig. Zumindest für mich. Ich wollte fremde Welten sehen.
"Yagallo?"
Ich blinzelte. "Ja?"
"Ich habe es. Wir sind auf dem vierten der sechs inneren Planeten, die um das Hauptgestirn kreisen. Die Behörde nannte den Planeten Rushmore, nach dessen Entdecker. Vor gut dreihundert Jahren konnte William Rushmore aus Detroit anhand eines Teleskops..."
Ich schaltete innerlich ab. Die übliche Erklärung über das Wie, das Warum und das Weshalb. Ab dem sechsten Planeten der langen Reise hatte es angefangen, mich zu langweilen. Erfolglos hatte ich Helsing zu erklären versucht, dass ich nicht fünzig Millionen bezahlt hatte, um mir endlose Geschichten über die Entdecker anhören zu müssen. Helsing hatte nur verständnislos mit den Schultern gezuckt. Vielleicht konnte er aber auch einfach nicht anders. Sein Begreifen, die Sicht der Dinge, ließ es womöglich nicht zu. Ykwijaner kannten keine Langeweile. Auf meine Bemerkung, er sei der "widerlichste und bornierteste Spock des ganzen Universums" war er nicht weiter drauf eingegangen. Verständlich, aber ich fand es witzig. Irgendwie...
"Rushmore starb schließlich an einer Überdosis Kokain, damals ein weit verbreitetes Mittel, um das Bewußtsein zu erweitern..."
Es war faszinierend, Helsing dabei zuzusehen, wie dieser seinen Job erledigte. Mit einer Engelsgeduld. Nur wenn die Mundwinkel zu zucken begannen, dann gab es ein Problem.
"Rushmore... Rushmore..." Ich holte einen dicken Popel aus meiner Nase und schnippste ihn weg. "Steht der auf der Liste?"
"Nein", antwortete Helsing. "Oh..."
Das Oh klang irgenwie merkwürdig. "Was ist los?" Ich suchte nach mehr Substanz in meiner Nase, um diese in der fremden Fauna zu hinterlassen. "Was meinen Sie mit Oh?"
"Also..." Weiter kam er nicht. Plötzlich gab es ein Rascheln im Gebüsch. "Oh nein!"
Das Rascheln durfte es nicht geben. Zumindest der Theorie nach. Es wurden nur Reisen zu unbewohnten Planeten angeboten. Da legte die Behörde großen Wert drauf. Ganz langsam drehte ich mich um. "Was ist das? Gibt es hier sowas wie... Tiere?", flüsterte ich angespannt.
"Seien Sie still, bitte!" Helsing sah angespannt in die Richtung, aus der das Rascheln kam.
Ich verband den Begriff 'Tier' meistens mit kleinen Lebewesen, die staatlich kontrolliert in großen Gehegen ein Dasein führten, was beweisen sollte, dass der Mensch sehr wohl mit der Natur umzugehen wußte. Ziegen beispielsweise. Pferde. Hamster. Oder Katzen... "Gibt es hier sowas?", zischte ich verärgert. Verdammt nochmal, ich hatte schließlich diesen ganzen Trip bezahlt.
"Nein", flüsterte Helsing. Seine vier rot leuchtenden Augen drehten sich hin und her. "Oh..."
Dieses Oh klang schon viel entspannter. "Was ist denn jetzt?", wollte ich wissen.
"Zbignew."
"Was? Was will der denn hier?"
"Das kann ich Sie auch fragen, Yagallo!", sagte eine Stimme.
Das Rascheln entpuppte sich als Zbignew, der eine kleine Anhöhe hochkam, hinter ihm ein Ykwijaner.
Zbignew war seit drei Jahren unterwegs, also acht Monate länger als ich. "Schon gut!", beschwichtigte ich ruhig und stieß Helsing an. "Ist ja nichts passiert." Mir war klar, wie sehr sich Helsing schämte. Offensichtlich hatte er tatsächlich die Programmierung der Sprungrouten etwas durcheinander gebracht.
"Yagallo, Sie Hurensohn!" Zbignew reichte mit die Hand. "Wie schön, mal wieder einen Menschen zu sehen!"
"Ja, ist lange her..."
"Drei Jahre mittlerweile. Und ich habe noch zwei weitere vor mir!" Er grinste mich an. "Gut sehen Sie aus. Von einigen wurde behauptet, die vielen Sprünge würden das Gehirn schädigen, die Muskulatur beeinflussen. Aber wissen Sie was?"
Ich winkte ab. "Ja, weiß ich. Alles Humbug!"
"Genau!" Er schnüffelte mit der Nase. "He! Haben Sie etwa Zigaretten dabei? Mein Gott, was würde ich für eine einzige Zigarette geben. Ich schwöre Ihnen, wenn ich wieder auf der Erde bin, werde ich acht Schachteln täglich rauchen. Die Tabakkonzerne werden mit ein Denkmal setzen!"
"Klar..." Lächelnd verschwieg ich, dass vier Wochen nach Beginn seiner Reise weltweit ein einheitliches Rauchverbot in Kraft gesetzt wurde. Die restlichen Zigaretten in meinem Rucksack waren illegal.
Die beiden Ykwijaner standen sich gegenüber und wechselten ein paar Worte in ihrer Sprache. Für mich klang alles wie ein einziges Wort: Askatell. Askatell... Askatell... "Da sind wir Ihnen wohl dazwischen gekommen, was?", fragte ich Zbignew.
"Scheint so. Dieser Planet war für mich reserviert."
Helsing räusperte sich. "Ein Fehler. Unentschuldbar. Ich bitte um Verzeihung."
"Schon gut, Fischgesicht", grinste Zbignew und zuckte mit den Schultern. Er sah sich um. Schließlich blieb sein Blick bei den zwei Monden haften. "Wunderschön..."
"Ja." Ich nickte und holte tief Luft. "Vor vier Wochen war ich schon einmal im Dejaban-System. Wissen Sie, ich denke, Helsings Fehler hat mir zu einer unvergesslichen Aussicht verholfen."
"Gegönnt sei es Ihnen!" Zbignew klatschte in die Hände. "Aber genug ist genug. Van?"
Der andere Ykwijaner drehte sich zu ihm um. "Ja?"
"Na los, zum nächsten Ziel!" Zbignew schüttelte meine Hand. "War schön, Sie zu sehen, Yagallo!"
"Klar!" Ich hob meine Hand zum Abschied.
Van holte ein kleines Gerät hervor, drückte ein paar Tasten und legte seine Hand auf Zbignews Schulter. "Askatell!", grunzte er.
"Askatell!", grunzte Helsing zurück.
"Ja genau..." Ich schloss die Augen, hörte den charakteristischen Knall des Sprunges und öffnete sie wieder. "Und weg sind sie..."
"Wenn Sie wollen, können wir den nächsten Zielplaneten in Angriff nehmen, Yagallo."
"Klar, warum nicht?" Ich sah zu den beiden Monden und lächelte. "Aber selbst Sie müssen doch zugeben, dass das ein richtig guter Anblick ist, oder?"
"Wenn Sie das sagen..." Helsing holte das Sprunggerät hervor. "Bereit?"
"Wohin geht es?"
"Triaden-Nebel."
"Oh, das klingt übel!"
"Nein, es ist recht angenehm dort!"
Ich schloss die Augen und holte tief Luft. "Wie auch immer!"
Ursache und Wirkung
Yagallos Popel war in einer kleinen Wasserpfütze gelandet. Bakterien umkreisten neugierig das fremde Objekt, drangen ein, verließen es und starben ab. Intelligentes Leben auf Rushmore war dadurch zum Scheitern verurteilt.
ENDE
copyright by Poncher (SV)
23.07.2003