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Beim nächsten Mal wird es ganz sicher funktionieren

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13.06.2002
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Beim nächsten Mal wird es ganz sicher funktionieren

Mit zittrigen Fingern legte Paul Benson seine Hand auf die vergoldete Türklinke und betrat das Büro seines Verlegers. Dieses Mal mußte es einfach funktionieren. Nächtelang hatte er über seiner Geschichte gegrübelt, immer wieder Passagen rausgestrichen und andere hinzugefügt, aber nun war sie perfekt. Vielleicht das Beste, was er jemals geschrieben hat, ja vielleicht die Rettung der modernen Science Fiction. Vor allem aber die Rettung von Bensons Bankkonto. Sein Problem war nur, daß er bislang noch auf kein Interesse gestoßen war. Man hatte ihm nur immer wieder gesagt, daß die Thematik schon längst ausgelutscht wäre und niemand mehr etwas in dieser Art lesen wolle.

Dieses Mal würde es aber ganz sicher funktionieren. Er hatte einen Termin beim großen Phil Dickinson persönlich. Der ließ nicht jeden zu sich ins Büro kommen – bei normalen Autoren schickte er seine Angestellten vor, aber Benson hatte immerhin einen gewissen Ruf. Paul war sehr gut vorbereitet, hatte jedes kleine Detail geplant. Der Anzug war sauber, sein Hemd frei von Schweißflecken und sogar seine Brille hatte er abgewischt. Er wußte, daß Dickinson Wert auf ein gepflegtes Äußeres seiner Gesprächspartner legte.
Der füllige Mittvierziger saß hinter seinem gewaltigen Glasschreibtisch, auf dem jedes Staubkorn vor Einsamkeit Panikattacken bekommen hätte. Nur eine rubinrote Schreibunterlage aus echtem Leder, ein Laptop, ein Ständer voller edler Füllfederhalter und eine großspurige Telefonanlage befanden sich auf der dicken Glasplatte, die von ein paar versilberten und kunstvoll geschwungenen Beinen gehalten wurde. Dickinson schob seine goldumrandete Brille mit einer kaum merklichen Bewegung seiner Hand auf der Nase nach oben, rückte seine seidene Krawatte zurecht und erhob sich, um seinem Besucher die Hand zu reichen.

„Ah... Benson. Pünktlich auf die Minute. So etwas schätze ich. Nehmen Sie doch Platz.“ Natürlich war Benson pünktlich. Schließlich hatte er fünfzehn Minuten in der Vorhalle gewartet, damit die Sekretärin ihn wirklich erst um Punkt elf Uhr ansagte. Er brauchte einen Vertrag und wollte seinen Verleger auf keinen Fall verärgern.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffe, Wasser oder vielleicht einen Scotch?“
„Einen Kaffee vielleicht, wenn Sie so freundlich wären.“
„Bin ich. Einen Moment.“ Er machte eine kurze Pause und betätigte einen Knopf an der Sprechanlage. „Janine? Bringen Sie uns doch bitte zwei Kaffee, ja?“ Benson beging nicht den Fehler, sich neugierig im Büro umzusehen, sondern hielt mit seinen Augen dem Blick seines Gegenübers stand. Er brauchte sich auch nicht umsehen, kannte er doch jedes Detail des Raumes von früheren Gesprächen her. Die breite Fensterfront zu seiner linken, die edle Wandverzierung aus Marmor, das übergroße Portrait Dickinsons hinter dessen Stuhl, die beiden Palmen und natürlich das schwarze Regal für die Preise und Auszeichnungen, die der Verlag in der Vergangenheit gewonnen hatte.

„Nun, ich will ganz offen zu Ihnen sein, Benson. Ich habe Ihr Exposee angelesen und bin ehrlich gesagt nicht sonderlich begeistert. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich sogar nur den Titel überflogen, das hat mir schon gereicht. Wissen Sie, der Aspekt der Zeitmaschinen in der Literatur ist tot. Jeder drittklassige Schreiberling hat sich darüber schon ausgelassen.“
„Ich weiß, Mister Dickinson. Aber meine Geschichte ist anders. Ich...“
„Ja, das behaupten alle. Aber die Leute wollen den Kram nicht mehr lesen, sie sind überfüttert mit Zeitmaschinen, Aliens und diesem ganzen Mist. Ihr ‚Todesschreie vom Mars‘ war ein gutes Buch, Benson. Dadurch haben Sie sich einen sehr guten Namen in der Szene erarbeitet. Auch die Romanreihe über diese... na...“
„Würmer.“, half der Autor ihm auf die Sprünge.
„Ja, genau. Das mit den genmanipulierten Würmern meine ich. Das war schlicht genial. Die Leute haben es verschlungen und wir beide haben gut daran verdient. Und jetzt wollen Sie Ihren Ruf mit so etwas aufs Spiel...“ Er machte eine kurze Pause, als Janine den Raum betrat und das Tablett mit dem Kaffee auf den Tisch stellte. Sie beugte sich dabei ein wenig tiefer hinunter als nötig und Dickinson genoß sichtlich den Blick in ihren Ausschnitt. Benson war sich ziemlich sicher, daß Tippen wohl weniger zu den Stärken der hübschen Sekretärin gehörte. Sie verließ das Büro mit einem perfekt einstudierten Hüftschwung und Dickinson rührte ein wenig Milch in seinen Kaffee. Benson trank seinen gewöhnlich nur mit Zucker, aber er wußte, daß sein Verleger Männer verachtete, die das taten und darum nahm er ihn heute schwarz. Zum Glück konnte Janine keinen guten Kaffee kochen, er war nicht sonderlich stark.

„Wenn Sie erlauben, Mister Dickinson, kann ich Ihnen vielleicht kurz die Idee erläutern, die meinem Buch zugrunde liegt.“
„Naja... dann schießen sie mal los. Aber fassen Sie sich bitte kurz.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, der das Gewicht dank gut geölter Gelenke anstandslos aufnahm und schenkte seinem Autor ein Lächeln aus seinem reichhaltigen Repertoire, wobei er seinen Goldzahn kurz entblößte. Phil war der Auffassung, das würde seinem Gegenüber Respekt einflößen.
„Nun, es geht, wie die Überschrift schon sagt, um eine Zeitmaschine. Natürlich nicht um irgendeine komische Konstruktion aus einer ominösen Kammer, sondern um eine vollkommen neue Art.“ Benson wußte genau, was sein Verleger wollte. „Es ist ein kleiner Stift, beinahe wie ein Bleistift und kann daher problemlos überallhin mitgenommen werden. In meinem Buch hat jeder Mensch so eine Maschine und weil jeder seine Vergangenheit ändern möchte, kommt es zu einem absoluten Chaos.“
„Das klingt doch gar nicht so übel. Ich mag kleine, unauffällige Dinge. Machen Sie weiter.“
„Wegen dieses Chaos wird eine Sondertruppe der Polizei gebildet, die Mißbrauch mit den Zeitmaschinen unterbinden soll. Um es kurz zu machen, es kommt zu einer Menge Verfolgungsjagden, Action und Erotik.“ Benson wußte, daß diese Art der Zusammenfassung seinem Verleger gefallen würde. Er hatte in der Vergangenheit schon viele Gespräche dieser Art mit ihm geführt und wußte daher genau, was er sagen mußte.
„Oh, das gefällt mir. Haben Sie eine Sexszene drin?“
„Sex? Äh... ja, natürlich.“
„Das ist gut. Das ist sogar sehr gut. Die Leute mögen Sexszenen. Und Tiere.“
„Ja... ja, der Hauptcharakter hat einen genmanipulierten Hund. Einen Dackel.“
„Dackel sind nicht gut. Machen Sie einen Schäferhund draus. Die Leute lieben diese Schäferhunde.“
„Na gut. Also ein Schäferhund.“ Benson machte sich im Geiste eine Notiz. Bislang lief es eigentlich ganz gut. So weit war er in den anderen Gesprächen noch nie gekommen, immer hatte man ihn bereits vorher abgewürgt.
„Wie geht das Ganze aus?“
„Der Held stirbt und die Welt explodiert wegen eines Zeitparadoxons, weil seine Freundin ihn retten will.“ Noch während er diesen Satz sagte, hätte Benson sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
„Nein! Das ist furchtbar! Die Leute lesen keine Bücher, die schlecht ausgehen. Zur Zeit sind glückliche Enden angesagt. Tut mir leid, Benson, so wird das nichts. Schreiben Sie mir ein Happy End und wir kommen vielleicht ins Geschäft. Aber nicht so.“

...

Wenig später saß Paul Benson wieder an seinem Schreibtisch und dachte nach. Gut, Dickinson wollen ein Happy End, er sollte ein Happy End bekommen. Er nahm den kleinen bleistiftähnlichen Gegenstand aus seiner Hemdtasche und stellte die kleine Digitaluhr an der Seite um zehn Tage zurück. Er würde das Ende noch einmal komplett neu konzipieren müssen und dafür bräuchte er Zeit. Beim nächsten Mal wird es ganz sicher funktionieren, sagte er sich und drückte auf den Knopf.

 

Hej gnoebel!

Na, da hast Du Dir Uwes Grollen zum Thema Zeitreisen zu Herzen genommen, als Du die Geschichte geschrieben hast, oder?
Das Ergebnis hat mich eindeutig unterhalten, auch wenn mir recht schnell klar war, worauf es hinausläuft. Keine Ahnung, woran es lag, vermutlich sogar schon am Titel. Das tut der Geschichte allersings keinen Abbruch und der Pointe auch nicht.

Zwei Dinge, die mir aufgefallen sind:

und Dickinson rührte ein wenig Milch in seinen Kaffee.

Zum Glück konnte Janine keinen guten Kaffee kochen und er war nicht sonderlich stark.
Klingt ein bisschen hölzern, finde ich. Besser: "Zum Glück konnte Janine keinen guten Kaffee kochen, und so war er nicht sonderlich stark." oder: "Zum Glück ... kochen, er war nicht sonderlich stark."

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

Moin Chaos,

Besten Dank für deinen Kommentar. Deine beiden Anmerkugen werde ich gleich mal umsetzen.

Meine Geschichte hat aber eigentlich höchstens indirekt mit Uwes Grollen zu tun (was ich übrigens durchaus teile). Ich finde das Thema Zeitreisen einfach nach wie vor unheimlich faszinierend und wollte einfach mal einen Text schreiben, der ein wenig anders ist, als die meisten seiner Art - ohne Paradoxa... xien... xons... (wie geht die Mehrzahl vom Paradoxon?) oder komische Verwicklungen.
Daß du die Pointe vorweg geahnt hast, stimmt mich nachdenklich, so sollte es eigentlich nicht sein. Ich hatte gehofft, genug aber nicht zuviel angedeutet zu haben. Vielleicht hab ich mich diesmal schon komplett mit dem Titel verhauen (der weckt schon Assoziationen). Mal schauen, ob ich das ändern lasse.

 

Hallo Gnoebel!
Nette kleine Pointen-Geschichte. Auf Grund der Kürze und des Stils angenehm rasch und flüssig zu lesen. Eine Art literarisches Fast Food ohne Nährwert. Für Zwischendurch nett zu lesen, durchaus!
Meinem Geschmack nach hätte das Gespräch etwas pointierter sein dürfen Raum und Gelegenheit für kleine Seitenhiebe und ironische Anspielungen hättest du doch genug gehabt, oder? Himmel, wenn der Verleger schon Phil Dickinson heißt... ;)
Aber das ist nur ein kleiner Kritikpunkt an dieser symptomatisch-sympathischen Geschichte. Vielleicht drehe ich aber die Uhr morgen zurück und schreibe einen Verriss, mal sehen.


Und damit die Unter 18jährigen, die noch wach sind, obwohl sie eigentlich im Bett sein sollten, ihren Eltern stolz verkünden können, dass KG.de ehorm lehrreich sei:

(wie geht die Mehrzahl vom Paradoxon?)

:teach: Parodontose

 

olala, ein scifignoebel ;)

Du hast auf alle Fälle eine Gabe für die kleinen Beobachtungen am Rande, die Ausstattung deiner Geschichten.
Ich gebe Rainer recht, die Geschichte hätte noch ein paar Gelegenheiten mehr für bissige Seitehiebe oder kleine Scherze alá

Der füllige Mittvierziger saß hinter seinem gewaltigen Glasschreibtisch, auf dem jedes Staubkorn vor Einsamkeit Panikattacken bekommen hätte.
gehabt.
Sie liest sich auf alle Fälle erfrischend. Keine große Literatur, auch nicht eine deiner bessten Geschichten, aber doch gut.

Liebe Grüße, sim

 

"Wissen Sie, der Aspekt der Zeitmaschinen in der Literatur ist tot. Jeder drittklassige Schreiberling hat sich darüber schon ausgelassen" :rotfl:
Meine Rede!
Ich werde sofort in der zufälligerweise fast gleichzeitig geposteten Zeitreisengeschichte einen Link hierher posten!

Also, auf humorvolle Art kann man sich mit jedem Thema unterhaltend auseinander setzen, auch mit abgenudelten. Den sprachlich witzigen Stil, den Du ganz klar drauf hast, lässt Du aber nur an einigen Stellen aufblitzen. Du überzeichnest einiges, aber eben nicht bis zur letzten Konsequenz. Dafür habe ich genau vor meinem geistigen Auge gesehen, wie Du Dir die Brille putzt ;)

Auch ich habe die Pointe übrigens vorausgesehen, und sie haut einen einfach nicht vom Stuhl.

Fazit: sprachlich mit guten Stellen, unterhaltsam, inhaltlich aber keineswegs neu - immerhin leicht ironisch.

Uwe

 

@Uwe,
Du scheinst ja meine Geschichte zu meinen. Ja, Zeitreisen sind ein beliebtes Thema, so wie es ja anscheinend viele immer wiederkehrende Themen gibt...

Eine Diskussion die momentan mehrfach auf KG.de auftaucht.

gruss,
p.

 

Moin,

Vielen Dank fürs Kommentieren.
Stimmt schon, es wäre mehr Raum für Seitenhiebe gewesen. Eigentlich hätte ich hier beinahe Uwes "SciFi des 21. Jhd" komplett auswalzen können, aber ich denke, dann wäre der Text zu lang und auch langatmig geworden. Es ist halt "nur", wie auch schon richtig bemerkt wurde, ein kleiner Text für Zwischendurch mit Hauptaugenmerk auf die Pointe (die wohl leider nicht wirklich funktioniert hat).
Vielleicht bastel ich noch mal ein wenig dran.

 

>die Rettung von Bensons Bankkonto
Besser: Die Rettung seines Bankkontos

>aber Benson hatte immerhin einen gewissen Ruf. Paul
>war sehr
Das ist stilistisch immer ungünstig, zwischen Vor- und Nachnamen zu pendeln. Du solltest dich für eines entscheiden.

>auf dem jedes Staubkorn vor Einsamkeit Panikattacken
>bekommen hätte
LOL

Nun ja, ein nettes kleines Geschichtchen für zwischendurch, sehr angenehm und unterhaltsam zu lesen.

r

 

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