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Belagerungszustand
„Ist er immer noch da?“
Hinter der Stirn des Stadtpräfekten Merloch von Avalonia pochte seit Tagen ein dumpfer Schmerz, der auch nach dem Genuss mehrerer Heilkräutertees, die ihm seine liebreizende Tochter Yseult gerade selbst zubereitet hatte, nicht viel an Intensität nachgelassen hatte.
Der Kommandant der Stadtgarde, Major Blink stand vor dem großen altehrwürdigen Schreibtisch im Büro der Stadtverwaltung, und in seinem Blick spiegelte sich so etwas wie Ratlosigkeit wider. Oder war es sogar Verzweiflung?
„Ja, Sire. Die Lage ist militärisch gesehen unverändert. Jedenfalls seine.“ Er zog eine Pergamentrolle aus seinem Gürtel und rollte sie auf. „Allerdings wird unsere allmählich kritisch. Durch die Unterbrechung der Nachschublinie werden die Nahrungsmittel bald knapp und reichen nur noch für elf Tage – wenn wir streng rationieren. Die Zahl der einsatzfähigen Männer hat sich seit dem letzten Ausfallsversuch auf gerade mal 5 reduziert, der Krankenstand ist damit mittlerweile bei 97 Prozent angelangt.“ Er rollte die Liste wieder zusammen. Jetzt war Major Blink auch klar, warum man dieses Manöver als „Ausfall“ bezeichnete.
Merloch stand umständlich von seinem Sessel auf und schritt nervös hinter seinem Schreibtisch auf und ab. Die Entsendung einzelner Kampfverbände hatte zunächst wie eine gute Idee ausgesehen, bis klar geworden war, dass diese gegen diesen Elitekrieger mit den offenbar übermenschlichen Kräften nichts ausrichten konnten und nur dazu geführt hatte, dass die Zahl zerbeulter Helme und Rüstungen und zerbrochener Schwerter zugenommen hatte. Und die Auslastung des Lazaretts. Er nickte Yseult zu, die das Tablett mit dem benutzen Teegeschirr durch die große Eichentür nach draußen trug.
Er wartete, bis sich die schwere Tür wieder geschlossen hatte, bevor er in leisem Ton fortfuhr.
„Können wir denn gar nichts gegen diesen unverschämten Kerl unternehmen? Was ist denn mit einer Pfeilsalve von der Stadtmauer aus oder so?“
„Haben wir doch schon versucht, aber er trägt eine dieser neuen schusssicheren Lederrüstungen – die, die wir auch schon mal für die Stadtgarde beantragt hatten und die aus Kostengründen vom Rat abgelehnt wurden.“, fügte der Major in leicht vorwurfsvollem Ton hinzu.
Der Stadtpräfekt beschloss, diese Spitze zu überhören. „Was ist mit dem Katapult? Das müsste ihn doch erledigen können.“
Der Kommandant seufzte. „Immer noch defekt, Sire. Der zuständige Techniker sollte eigentlich schon am vorletzten Montag aus der Hauptstadt gekommen sein, aber Sie kennen ja die Zuverlässigkeit der Handwerker heutzutage…“
Merloch schnaubte missmutig. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Da belagerte dieser einzelne Krieger schon seit Tagen ganz allein seine ganze Stadt und er konnte nicht das Geringste dagegen unternehmen. Vielleicht hatten es die Stadtgründer vor zweihundert Jahren für eine gute Idee gehalten, die kleine mauerumwehrte Ortschaft Avalonia direkt am den steil aufragenden Felshang des Malkawit-Berges zu gründen und nur ein einziges Tor für die gesamte Stadt zu vorzusehen. Aber sie hatten wohl auch nicht damit gerechnet, dass eines Tages ein Einzelner die gesamte Stadt lahm legen konnte. Seit Corgan der Barbar diesen einzigen Zugang blockierte, kam niemand mehr rein oder raus: Die Bauern konnten keine Nahrungsmittel mehr liefern, die Handwerker in der Stadt bekamen keine Rohstoffe mehr und konnten ihre Produkte nicht weiterverkaufen. Das ganze öffentliche Leben stand still. Und der Unmut unter den Bürgern wuchs ebenfalls.
Mit Entsatz aus einer der Nachbarstädte konnten sie auch kaum rechnen – nicht, seit sich der Rat vor kurzem geweigert hatte, dem Städtehandelsbund beizutreten.
Wütend hieb Merloch mit seiner Faust auf den Tisch. Damit erreichte er allerdings nur, dass sich die Zahl seiner Probleme um das eines schmerzenden Handknöchels erhöhte.
"Verflucht !!!"
Der Gardekommandant räusperte sich vorsichtig. „Ich fürchte, Sire, wenn ich so sagen darf….“, druckste er herum.
Sein Vorgesetzter rieb sich seinen Knöchel und schreckte aus seinen düsteren Grübeleien auf. „Ja, was? Spuckt es schon aus!“
„Ich traue es mich gar nicht so recht, es Euch vorzuschlagen, aber vielleicht solltet Ihr doch auf seine Forderung eing…“
„Niemals!“ polterte der Präfekt. „Ich lasse mich doch nicht von so einem dahergelaufenen Wicht vorführen.“ Er wandte sich einem der großen Fenster zu und verfolgte, wie sich in der Ferne die Abendsonne dem Horizont näherte. Von draußen drang gedämpft das Stimmengewirr der täglichen Demonstrationszüge der Handwerkergilden durch die grünlichen Butzenglasscheiben.. „Uns wird schon ein anderer Ausweg einfallen.“, murmelte er. Aber es fiel ihm keiner ein.
Kurze Zeit später näherte sich ein kleiner Trupp von Reitern dem kleinen Lagerfeuer, vor dem es sich Corgan der Barbar vor den Stadtmauern bequem gemacht hatte. Corgan löschte das Feuer, stieg auf seinen grauen Hengst und kam den Reitern entgegen. Einer der Berittenen schwenkte eine weiße Fahne – es war der Stadtpräfekt selbst und er wirkte stark säuerlich.
„Ihr habt es Euch also noch einmal überlegt?“, rief Corgan grinsend dem Präfekten zu, der mit einem heftigen Ruck am Zügel sein Pferd zu Stehen brachte.
„Bildet Euch bloß nichts darauf ein, Ihr habt nur Glück gehabt, nichts weiter“, grummelte Merloch missmutig. „Ich werde dem Rat vorschlagen, die Einrichtung eines zweiten Stadttores in Erwägung zu ziehen.“
„Und, wie steht es um meine Forderung?“. Corgans Grinsen zog sich jetzt nahezu von einem Ohr bis zum anderen. Merlochs Gesichtsausdruck hingegen hätte selbst Urakmilch sauer werden lassen.
„Dieses Mal will ich Euch nachgeben – aber bis Mitternacht seid Ihr wieder mit ihr zurück, verstanden?“
Seine Tochter sprang in einer anmutigen Bewegung hinter ihm vom Pferd, schwang sich lächelnd hinter den Barbaren in den Sattel und umschlang ihn liebenvoll mit ihren langen weißen Armen.
„Aber ganz gewiss, Vater“ rief sie lachend, während Corgan das Pferd wendete und sie gemeinsam in den in goldenes Licht getauchten Abendhimmel davonpreschten.
Die Belagerung Avalonias war aufgehoben.