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Beltanefeuer
Es gibt interessantere Dinge, als an einem See rumzusitzen und aufs Wasser zu starren.
Das war Aurelius schon klar gewesen, bevor er sich dorthin gesetzt und mit dem Starren angefangen hatte, doch er hatte es trotzdem getan; eine tapfere Erprobung des Sinnlosen, aber immerhin war es direkt am Wasser kühler als irgendwo sonst.
Die Nacht war das schwüle, mückendurchsummte Erbe eines blödsinnig heißen Augusttages. Die Luft war schwer, atmete sich wie Sirup, und jeder Schritt war wie das Eintauchen in dicke, warme Kohlsuppe, so daß man sich am liebsten die Haut ausgezogen hätte, um etwas Luft an die Knochen zu lassen. Der käsig-gelbe Vollmond hing etwas unkonzentriert über den Baumkronen des jenseitigen Ufers, ließ petroleumfarbenes Licht durch den aromatischen Sud der Dunkelheit fließen, und sein pockennarbiges Antlitz spiegelte sich auf surreale Weise auf der leicht gewellten Oberfläche des Sees, ein leuchtender Käse mit Bildstörungen.
Aurelius wartete, bis das beständige Herandrängen der schwarzen Wasser, ihr einschläferndes Glucksen und die romantischen Reflexe des Sternenlichtes auf der Wasseroberfläche absolut unerträglich wurden, dann erhob er sich seufzend und stapfte leicht schwankend, wie ein Reiher, der gerade aus der Narkose erwacht ist, durch die fiebernde Dunkelheit davon, weg vom Wasser mit seinem hirnerweichenden Rhythmus. Er tapste unbeholfen durch das Gestrüpp am Strand, fand schließlich ein Holzstück, das seinen Vorstellungen entsprach und ließ sich dann durch den watteweichen Dunst der Schwüle zum Feuer treiben. Dort hockte er sich neben die Feuerstelle, und die plötzliche Hitze trieb ihm augenblicklich einige zusätzliche Schweißperlen auf die Stirn. Es war eigentlich absoluter Humbug, bei einer solchen Affenhitze auch noch ein Feuer zu machen, doch der Baron und die Russische Schönheit hatten darauf bestanden. Wegen der Romantik, wie sie sagten. Sie waren nicht mehr als zwei glänzende, golden-graue Flecken zwischen Feuerschein und Finsternis, verzweifelt aneinander geklammert, gefesselt durch den beklemmenden Mechanismus der Leidenschaft, und die Umrisse ihrer Körper verschwammen im wilden Elfentanz der Flammen.
Aurelius konnte das glänzende Hinterteil des Barons sehen, daß sich im stetigen Rhythmus auf und ab bewegte, und er äffte ihn auf seine Weise nach, stieß seinen Holzscheit resolut ins Herz des Feuers, penetrierte mit Nachdruck die Glut, so daß die Flammen leidenschaftlich aufloderten und Funken aufflogen, die an den klebrigen Sprossen der Nachtluft zu den Sternen emporkletterten und anschließend sanft ihr Licht aushauchend auf die Liebenden und ihren Wächter herabsegelten, so als hätte man ein Irrlicht mit einer Schrotflinte zerschossen.
Zu spät für Beltane-Feuer, dachte er und seufzte.
Er beobachtete, wie die Flammen um die vagen Formen der Holzstücke herumtanzten, wie sie flackerten und ihre Form veränderten, miteinander verschmolzen und sich kurz darauf abrupt wieder voneinander trennten, wie ein Liebespaar, bei dem die Frau soeben ein paar fremder Ohrringe unter dem Sofa gefunden hat. Er verfolgte angestrengt den unberechenbaren Paarungstanz des Feuers und glaubte, förmlich spüren zu können, wie die Zeit verging - wie sie aus den Bewegungen des Feuers und dem Rhythmus des Sees und dem unermüdlichen Pochen seines Herzens herausfloß und wie mit jedem Zucken der Flammen, mit jedem glucksenden Flügelschlag des Wassers, mit jedem unerbittlichen Takt seines Herzens, die Unordnung des Universums ein wenig größer wurde.
Er lauschte auf seine Gedanken, um zu sehen, ob sich aus diesem Gefühl etwas dauerhaftes extrahieren ließ, mußte dann aber bedrückt feststellen, daß eben dieses Gefühl ihm die unmißverständliche Botschaft übermittelt hatte, daß Dauerhaftigkeit nicht unbedingt zu den hervorstechendsten Eigenschaften des Kosmos gehörte.
Und als hätte das Feuer ihn in Hypnose versetzt, hatte er plötzlich eine Vision...
...ein tiefblauer, kristallklarer See, irgendwo in Alaska. Herbstbunte Bäume spiegeln sich auf den sanften Kräuselungen des Wassers, ein kleines Boot mit einem einsamen Angler dümpelt beruhigend in der Mitte des Sees, und direkt hinter der malerischen Blockhütte mit dem Elchkopf über der Tür explodiert der Mount St. Helens.
Die Druckwelle mäht die Bäume nieder und zerfetzt die malerische Blockhütte in malerische kleine Zahnstocher, die wie Eintagsfliegen auf einem LSD-Trip durch die brüllend heiße Luft flattern. Der Angler wird aus seinem Boot geschleudert und segelt wie ein schwerfälliger Albatros in einer sauberen balistischen Kurve bis zum Ufer des Sees, wo er mit einem befriedigenden Platscher zwischen den Überresten der mißhandelten Vegetation landet. Die Landschaft jenseits der ehemaligen Blockhütte verwandelt sich in Windeseile in ein rotglühendes Inferno, und tödliche heiße Asche verdunkelt den Himmel, solange bis sich die Schwerkraft ihrer entsinnt und sie mit Nachdruck an ihre Aufgabe erinnert, nämlich auf die Trümmer der zerfetzten Idylle herabzuregnen, alles mit einem staubigen Leichentuch zu bedecken und den See in ein rußig-schwarzes Wasserloch zu verwandeln.
Wieder ein wenig mehr Unordnung im Universum...
Aurelius hatte schon lange den Verdacht, daß er nicht ganz dicht war.
Plötzlich wurde das Unterholz jenseits des Strandes lebendig. Äste knackten, und eine tiefe Männerstimme fluchte ungehemmt in die Dunkelheit hinein. Eine hohe, penetrante Frauenstimme rief irgendwas. Kichern, ein Klirren, dann plötzlich ein Geräusch, als hätte man mit einem Garagentor auf einen Elch eingedroschen. Noch heftigeres Fluchen und Stöhnen, ein markerschütterndes Gelächter aus weiblicher Kehle.
Aurelius mußte grinsen. Offenbar hatte es der Flucher - sehr zum Amüsement seiner Begleiterin - geschafft, in der Dunkelheit gegen einen der erbärmlichen Birkenbäume zu rennen, die wie traurige, führerlose Soldaten in einzelnen Grüppchen entlang des Seeufers herumstanden. Man mußte sich - selbst bei Dunkelheit - ziemlich anstrengen, um einen von ihnen zu erwischen, und daß es dem Flucher im Gebüsch trotzdem gelungen war, ließ nur einen Schluß zu.
"Nietzsche", sagte Aurelius, ohne vom Feuer aufzusehen.
Die Russische Schönheit hob den Kopf: "Was?"
"Das ist Nietzsche", entgegnete Aurelius über die zuckenden Zungen der Flammen hinweg. "Er ist vor einen Baum gerannt. Dieser Trottel."
"Er ist schon ziemlich über die Zeit", bemerkte die Russische Schönheit ungerührt, das unablässige Drängen und Stöhnen ihres Liebhabers für einen Augenblick völlig ignorierend.
"Reichlich", bestätigte Aurelius. "Er ist sogar schon um einiges über seiner Zeit."
"Der Penner", konstatierte die Russische Schönheit mitleidslos. "Das nächste Mal lassen wir jemand anderen das Bier besorgen."
"Das nächste Mal treffen wir uns im November", erwiderte Aurelius übellaunig und zupfte an seinem tropfnaß geschwitzten Hemd. "Idiotischer Zeitpunkt für ein Lagerfeuer."
"Es ist schon richtig so", versicherte die Russische Schönheit, dann wandte sie sich wieder ihrem Liebhaber zu.
In diesem Augenblick brach Nietzsche durch das Gebüsch, das wie eine struppige Gezeitenlinie den Sandstrand von der Vegetation trennte. In seiner gewaltigen Linken baumelte wie ein toter Käfer ein Kasten Bier, während er sich mit der Rechten seinen schmerzenden Kopf hielt.
"Bäume gehörten verboten", brummelte er ärgerlich. "Sind zu nichts nutze und stehen immer im Weg rum, wenn man's eilig hat. Oh, hallo Baron", begrüßte er die wild kopulierende männliche Form vor sich auf dem Boden. "Du läßt nichts anbrennen, was?" Er brach unvermittelt in schallendes Gelächter aus. Hinter ihm ertönte ein schrilles Kichern. Dann sah er Aurelius, der im Schneidersitz neben dem Feuer hockte und milde lächelte.
"Aurelius, alter Freund", polterte er. "Heute keine Lust auf bizarre Paarungsrituale und ein wenig drogengestützte Bewußtseinserweiterung?"
"Du kommst spät", meinte Aurelius unbeeindruckt.
"Sei froh, daß ich überhaupt komme. Nur Tote und Stechmücken können sich bei dieser Affenhitze amüsieren."
"Die bringen ja auch die besten Voraussetzungen mit", erklärte Aurelius verdrießlich. "Den Toten ist sowieso alles egal, und die Stechmücken sind mit allem einverstanden, solange ein bißchen Blut für sie rausspringt."
"Ganz so bescheiden sind wir nicht, was?" erwiderte Nietzsche augenzwinkernd. Er griff hinter sich und zauberte zwei Frauen hinter seinem Rücken hervor: eine üppige Brünette, die aussah wie Scarlett O'Hara, und eine zierliche Rothaarige, die aussah wie sie selbst.
"Darf ich vorstellen: die Sünde und die Elfenkönigin." Er schlang seinen linken Arm besitzergreifend um die Brünette. "Die Sünde gehört mir", fügte er überflüssigerweise hinzu.
"Ich wäre auch gar nicht interessiert gewesen", erwiderte Aurelius. Dann stand er auf, ging zu dem Bierkasten, den Nietzsche dort wo er stand, achtlos in den Sand hatte plumpsen lassen und nahm sich eine Flasche, wobei er interessiert nach der Rothaarigen schielte.
"Ja, du hattest schon immer einen seltsamen Geschmack", sagte Nietzsche und tätschelte mit seiner fleischigen Pranke das Hinterteil der Sünde. "Um so besser für mich", setzte er grinsend hinzu.
"Und was ist mit ihr?" fragte Aurelius, mit seiner Bierflasche auf die Elfenkönigin deutend.
"Oh", sagte Nietzsche und schob die zierliche Gestalt ein wenig nach vorne, so daß Aurelius sie eingehend begutachten konnte. "Hübsches kleines Ding, was? Hab' sie eben unterwegs in irgend 'ner Bar getroffen. Meinte, sie hätte gerade nichts besseres vor, also hab ich sie mitgenommen."
Aurelius musterte die Elfenkönigin, und er hätte nicht sagen können, ob sie wirklich war, oder ob sie nur eine Erscheinung darstellte, die angeregt vom wilden Tanz des Feuers einfach aus der stofflichen Schwärze der Nacht herausgeflossen war. Ihre elfenbeinfarbene Haut schimmerte golden im Widerschein der Flammen, ihre glatten roten Haare umspülten ihr Gesicht wie glühende Lava einen tapferen Schneeflecken, und selbst im fahlen Gelb des Mondlichtes schimmerte das kristallene Grün ihrer Augen wie zwei smaragdfarbene Eidechsen in einer Sonnenfinsternis.
"Ich dachte mir, ein Beltane-Feuer sei genau der richtige Ort für mich", sagte sie, und ihre Stimme war nicht mehr als ein zartes Singen, als streiche man eine Kristallglocke mit einem Geigenbogen an. Dennoch füllten ihre Worte den Raum und schienen alles zu durchdringen, flossen wie heißes Wasser in einem Eisberg durch das Halbdunkel und zersprengten alles, womit sie in Berührung kamen, in kleine Sternensplitter.
Aurelius mußte tief Luft holen, um sich von diesem kurzen Satz zu erholen. Seine Bierflasche lag völlig vergessen wie ein toter Fisch zu seinen Füßen.
"Hübscher Trick, was?" sagte Nietzsche unbeeindruckt. "Aber ziemlich lästig, wenn man dabei Auto fahren muß. Hab schließlich das Radio lauter gedreht, sonst wäre ich noch vor 'nen Brückenpfeiler gedonnert."
"Hätte dem Pfeiler gar nicht gefallen", sagte Aurelius abwesend, während er wie hypnotisiert die zerbrechliche Gestalt der Elfenkönigin anstarrte.
Nietzsche grinste. "Schätze, ihr wollt euch erstmal kennenlernen. Am besten ich lasse euch beiden Hübschen jetzt allein." Er zwinkerte Aurelius aufmunternd zu, dann führte er die Sünde ein paar Schritte vom Feuer weg, zog sie auf den Boden und begann, ihr die Kleider auszuziehen.
"Ich denke, er ist jetzt erstmal beschäftigt", sagte die Elfenkönigin. "Möchtest du mir nicht Gesellschaft leisten?"
Aurelius konnte nicht antworten. Er stand da wie versteinert.
Die Elfenkönigin lächelte und ging dann langsam an ihm vorbei in Richtung Seeufer. Ihr luftiges rotes Gewand streifte Aurelius wie zufällig, als sie an ihm vorrüberschwebte, und löste ihn aus seiner Erstarrung. Wie in Trance folgte er ihr und ließ sich neben ihr am Ufer nieder. Direkt vor ihren Füßen plätscherte das Wasser über den feinen Kies, und das Mondlicht brach sich in den winzigen Verwerfungen der Wellen und malte kleine Lichtpunkte auf ihre Gesichter.
Die Elfenkönigin sah gedankenverloren aufs Wasser hinaus. Sie machte ganz den Eindruck, als würde es ihr keinerlei Schwierigkeiten bereiten, im nächsten Augenblick wie ein Nebelhauch aufs Wasser hinauszuschweben und auf entschieden ätherische Weise mit dem Mondlicht zu verschmelzen. Sie unterließ es jedoch, davon zu schweben und irgendwelches ätherisches Zeug mit dem Mondlicht zu veranstalten, wofür ihr Aurelius mächtig dankbar war. Eine Weile genoß er es einfach, neben ihr zu sitzen, und ihre unvergleichliche Präsenz zu atmen. Als sie plötzlich zu sprechen begann, wäre Aurelius vor Schreck beinahe ins Wasser gesprungen.
"Warum bin ich hier?" fragte sie, den Blick noch immer sehnsüchtig in die Ferne gerichtet.
Um mich glücklich zu machen, dachte Aurelius.
"Ich schätze, du hattest es einfach satt, weiter in den Wäldern von Avalon rumzukaspern", sagte er statt dessen.
Sie wandte langsam den Kopf und bedachte ihn mit einem tadelnden Blick.
"Ich bin die Elfenkönigin", sagte sie ruhig. "Ich kaspere nicht durch Wälder." Ihre Aufmerksamkeit schweifte wie von einem unsichtbaren Faden gezogen wieder in Richtung Vollmond. "Meine Aufgaben liegen woanders."
Aurelius hätte gerne etwas geistreiches erwidert, aber irgendwo in seinem Gehirn hatten einige wichtige Dinge damit begonnen, ganz entschieden durcheinander zu geraten. Seine bisherige Melancholie hatte sich in Luft aufgelöst und der nackten Geilheit das Spielfeld überlassen. Der Teil seines Verstandes, der noch halbwegs klar denken konnte, kam zu dem Schluß, daß, wenn er jetzt etwas zu sagen versuchte, mit Sicherheit nur dummes Zeug dabei rauskommen würde, so daß Aurelius lediglich ein, zwei Mal hilflos den Mund auf und zu klappte, unfähig zu sprechen.
Die Elfenkönigin schien es nicht zu stören; sie machte jedenfalls keine Anstalten, das Gespräch von sich aus wieder in Gang zu bringen. Sie saß einfach nur da und versuchte den Mond zu hypnotisieren.
"Bist du einsam?" fragte Aurelius schließlich, als er das Schweigen nicht mehr ertragen konnte und der Meinung war, einen entscheidenden Vorstoß wagen zu müssen.
Die Elfenkönigin löste ihre Hab-Acht-Stellung und richtete ihren Blick wieder auf Aurelius. Jede Sekunde, die sie ihn mit ihren durchdringenden grünen Augen fixierte, starb Aurelius einen kleinen Tod der Verzückung.
Ich will in diesen Augen ertrinken...
"Ich weiß genau, was du vor hast", flüsterte die Elfenkönigin,"aber ich sollte dich warnen: die Liebe ist eine grausame Gefährtin. Ich weiß es. Ich habe viele geliebt."
Aurelius spürte, wie seine Hände zitterten. Er wußte nicht, ob er es wagen sollte, doch jener uralte Teil seines Gehirns, der seit jeher dafür verantwortlich ist, daß die Angehörigen der menschlichen Rasse immer wieder trotz aller widrigen Umstände zu gewissen Vergnügungen der biologischen Art zusammenfanden, nahm ihm die Entscheidung ab.
"Glaubst du, du könntest mich auch lieben?" fragte er unsicher.
Die Elfenkönigin schloß die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf.
"Ich verstehe nicht, warum die Menschen immer geliebt werden wollen", sagte sie, und in ihrer Stimme schwang so etwas wie Verzweiflung mit, so als hätte sie diesen Augenblick schon ein paar Mal zu oft erleben müssen. "Zu lieben bedeutet, sich zu fesseln, zu erniedrigen", erklärte sie ihm, "es bedeutet Schmerzen und Unsicherheit."
"Ich habe mir sagen lassen, es soll ziemlich großartig sein", entgegnete Aurelius in einem schwachen Versuch, selbstbewußt zu wirken. "Jedenfalls muß es doch irgendeinen Grund geben, warum alle Welt so einen Aufstand darum macht."
Die Elfenkönigin legte ihre kleine, porzellanweiße Hand beschwörend auf seinen Unterarm.
"Jede großartige Freude muß teuer erkauft werden", sagte sie. "Ich habe den Schmerz viele Male durchlebt, öfter als jeder Mensch sich vorstellen kann, und ich weiß, daß er den Preis nicht wert ist. Jenseits der Beltane-Feuer liegt der Tod. Der Tod der Seele. Der Tod des Vergessens. Vergessen werden und nicht vergessen können."
"Wenn dieser Schmerz der Preis ist für einen Augenblick des Glücks, dann will ich ihn bezahlen", erwiderte Aurelius ernst und ergriff ihre Hand. "Ich tausche ihn mit Freuden ein gegen meinen momentanen Schmerz, der der Preis für gar nichts ist und trotzdem weh tut."
Die Elfenkönigin zögerte einen Herzschlag lang, dann erwiderte sie den Druck seiner Hand. Sie seufzte, als hätte sie sich gerade in ein besonders bitteres Schicksal ergeben.
"Du wirst dich noch an meine Worte erinnern", flüsterte sie, während sie ihn zu Boden drückte und sich wie ein seidener Lufthauch auf ihn legte. Sie ließ ihren Blick wie einen Sonnenstrahl in seine Seele tauchen, und diesmal ließ sich Aurelius einfach treiben...ertrank in ihren Augen; mit Freuden und mit voller Absicht ließ er sich von dieser Flut verzehren. Und hilflos versinkend in diesem Ozean fand ihn die Berührung ihrer Lippen...
Vielleicht ist es doch nie zu spät für ein Beltane-Feuer.
Eine Viertelstunde später explodierte der Mount St. Helens ein zweites Mal - aber diesmal mit Symphonieorchester...
Ein unbedeutender Nachtrag zu dieser Geschichte:
Zwei Monate später stellte die Elfenkönigin fest, daß sie schwanger war. Aurelius verkaufte sein Auto und seine Bücher und wurde Pressesprecher eines Ölkonzerns, die Elfenkönigin beschloß, nach der Geburt des Kindes Selbstverwirklichungsratgeber für Hausfrauen zu schreiben. Sie heirateten mehr aus Versehen und zogen in eine Fünf-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt. Sie stritten sich wie üblich eine Weile über Tapetenmuster und Gardinendesigns und mußten irgendwann feststellen, daß sie mit dem Streiten nicht mehr aufhören konnten, obwohl die Wohnung schon längst fertig eingerichtet war. Sie gingen zu einem Eheberater, der ihnen so viel Geld abknöpfte, daß sie schließlich zu arm waren, um sich scheiden zu lassen.
Sie zogen um in einen Trabantenstadt-Wohnsilo, um dort vierzehn äußerst schweigsame Jahre zu verbringen. Kurz vor ihrem zwanzigsten Hochzeitstag starb dann ihr Sohn an einer äußerst seltenen Geschlechtskrankheit, die er sich bei einem One-Night-Stand beim Grillen am Baggersee eingefangen hatte. Aurelius bezeichnete es mit grimmiger Zufriedenheit als die ewige Wiederkehr der Geschichte, die Elfenkönigin hingegen schob es auf den eklatanten Mangel an Kondomautomaten in der entsprechenden Gegend. Sie verklagten die Stadtverwaltung und verloren, was nach Aurelius' Meinung nicht passiert wäre, wenn sich die Elfenkönigin damals nicht so standhaft geweigert hätte, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Die Elfenkönigin nahm dies zum Anlaß, Aurelius mit dem elektrischen Tranchiermesser zu zerstückeln, das sie von Nietzsche zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Bei ihrem ersten Talkshowauftritt nach der Untersuchungshaft stellte sie sich vor mit dem Satz: "Ich hab's ihm ja gleich gesagt!"