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Bennos Geheimnis
Es war seltsam, der Bruder einer Schlampe zu sein. Als er auf das Gymnasium kam, machte ihn ein Schüler aus der Dritten darauf aufmerksam. Benno holte zum Schlag aus, dabei verknüpfte er mit dem Begriff noch gar keine bestimmte Bedeutung. Der Tonfall des Mitschülers machte ihm klar, dass er das Wort nicht auf sich und seiner Schwester sitzen lassen durfte. „Immer mit der Ruhe“ zischte der Kerl und drehte ihm den Arm auf den Rücken. „Oder glaubst du, du bist etwas besonderes, bloß weil sie deine Schwester ist?”
„Hallo, Benno. Alles klar?”
Tommy lehnte sein Fahrrad gegen die Thujenhecke und winkte ihm zu. Er trug seine Haare in einem Netz, das unter der Dienstkappe an allen Seiten hervorquoll. Er hatte das Revers seiner Uniform nach oben geschlagen und zitterte vor Kälte. Benno begegnete ihm mit der gleichen Missbilligung, die seine Mutter gegenüber den trinkfesten Hilfsarbeitern an den Tag legte, die seit Wochen daran scheiterten, das Dach der Garage zu reparieren, doch Tommy schien sich nicht daran zu stören, wenn er auf seine Fragen keine Antwort bekam. Sein schüchternes Lächeln war ihm ins Gesicht graviert, und nichts und niemand kam dagegen an.
„Wie geht’s eigentlich Caro?“
„Keine Ahnung. Muss ihr Zigaretten holen.“
Es waren immer dieselben Dinge, die Tommy interessierten. Welche Bands sie hört, welche Sänger sie gerade anhimmelt. Dann nahm er ihr nach Feierabend im Wohnheim Kompaktkassetten auf, die er mit winzigen Blockbuchstaben beschriftete und wie Weihnachtsgeschenke verpackte. Unruhig wurde er nur, wenn Benno auf die Wochenenden zu sprechen kam. Wann wurde sie von wem und in welchem Auto abgeholt? Benno beantwortete auch diese Fragen so gut er konnte. Über seinen Rücken rieselte ein wohliger Schauder, wenn Tommy zusammenzuckte oder die Faust auf den gepolsterten Sitz des Postfahrrads niedersausen ließ. Tommy war zwanzig Jahre alt und bereit, den üblichen Preis dafür zu bezahlen.
Tatsächlich war er zwei oder drei Mal mit Caro ausgegangen. Aber wer nicht? Für Caro war er ungefähr so interessant wie eine Kassette mit den größten Hits des letzten Jahres. Die Hartnäckigkeit, mit der er die Augen vor der Wirklichkeit verschloss, verwirrte Benno. Mit größter Seelenruhe nahm Tommy in Kauf, dass seine Würde auf die Größe einer Briefmarke zusammengeschrumpfte. Alle wussten, dass Caro ihre abgelegten Verehrer so lange wie möglich hinhielt. Wenn sie ihr lästig wurden, täuschte sie Kopfschmerzen vor oder verwies auf ihre Hausaufgaben. So galt sie bei einigen Leuten als tüchtige Schülerin.
Soweit Benno es überblickte, hatte sie Tommy nie rangelassen, auch wenn ein paar Leute aus der Schule das anders sahen. Auf ihre Art hatte Caro Prinzipien, davon war er überzeugt, aber schon als Kind hatte sie sich schwer getan, ihr ausgemustertes Spielzeug anderen Kindern zu überlassen.
Wenn er dennoch in diesem bedauernswerten Briefträgerhirn ab und zu kleine Hoffnungen weckte, dann lag es daran, dass man seine Nebeneinkommensquellen nicht versiegen lassen durfte. Als Tommy zerstreut die Zeitung in den Postkartenschlitz stopfte und dabei zu Caros Fenster hinaufblickte, war es wieder einmal so weit – einer dieser Momente, in denen man an das Geschäft denken musste.
„Sie hat erst gestern von dir geredet.“
„Echt? Warum antwortet sie dann nicht auf meine Nachrichten?“
„Weißt du, sie hat momentan viel Stress in der Schule.”
Tommy nickte zerknirscht, als hätte er das vermutet. „Schule, Schule, Schule.” Er trat mit seinen Doc Martens gegen die Mülltonne. „Ich kann das Wort nicht mehr hören.”
Benno zog in Erwägung, ihn zurechtzuweisen, schließlich handelte es sich um das Eigentum seiner Familie, aber Tommy war sogar unfähig, eine Plastiktonne zu beschädigen.
„Soll ich dir was sagen? Sie hat den ganzen Tag deine Kassetten im Walkman.“
„Echt?“ Die Vorstellung zauberte ein Lächeln auf Tommys Gesicht. „Und was läuft sonst so bei ihr?“
Benno zuckte mit den Achseln. Hatte der Fisch erst angebissen, kam man mit Geduld am weitesten.
Tommy griff in seine Tasche. „Ist nicht gerade ein neuer Disneyfilm rausgekommen? Vielleicht willst du mal ins Kino.”
Mürrisch stopfte Benno den Geldschein in die Hose. Er könnte die Geschichte vom letzten Samstag erzählen. Zwar glichen sich Caros Wochenenden wie ein Haar dem anderen, aber Tommy konnte nie genug davon kriegen. Er war wie ein Kleinkind, das immer wieder mit Begeisterung die gleichen Bilderbücher durchblättert. Benno setzte sich auf die Stiege und und spielte eine Weile mit seinem Kaugummi. Er baute seine Berichte sehr sorgfältig auf – wie Klötze, die man aufeinander schichtet. Mit jedem Klotz stieg die Spannung, bis am Ende die Hoffnung in sich zusammenfiel. Er schilderte Caros Vorarbeiten, und wie sie eine Stunde lang das Bad blockiert. Er hört, wie die Mutter durch die geschlossene Tür ein paar Sätze mit ihr wechselt, dann knallen Türen, Caro gibt das Badezimmer auf und macht in ihrem Zimmer weiter. Jetzt wummern die Bässe ihrer Anlage durch die Wände, bis die Oberfläche seines Limonadenglases leicht blubbert. Benno kann nicht durch die Wand sehen, aber vermutlich raucht sie bei der Schminkarbeit eine Zigarette, so kann sie sich am besten konzentrieren. Die Musik zerrt an seinen Nerven, aber es hat keinen Sinn, sich zu beschweren, nicht solange sie vor dem Spiegel sitzt. In solchen Momenten kann sie so grob werden wie ein Raubtier. Benno hält sich die Ohren zu, es hört sich an, als wäre er unter Wasser. Gegen acht nimmt eine Monsterhupe hinter der Hecke das Haus in Beschuss, und die Bässe verstummen.
„Welches Auto?“, flehte Tommy, doch Benno überhörte die Frage und wickelte einen neuen Kaugummistreifen aus dem Silberpapier. Nun beginnt das Wartespiel, der aufwühlendste Teil des Abends. Sie muss Zeit gewinnen, es ist unter ihrer Würde, sofort aufzuspringen und ihrem Verehrer entgegenzuschweben wie ein Mauerblümchen. Stattdessen steckt sie sich eine zweite Zigarette an und kontrolliert in Ruhe den Lack ihrer Fingernägel. Der Nervenkrieg ist eröffnet. Wieder klopft die Mutter an die Tür. Sie erinnert Caro daran, dass Besuch auf sie wartet. Sie appeliert an Caro, sich endlich einen Freund mit normaler Autohupe zu suchen. Keine Reaktion. Caro bleibt stumm hinter der Tür, bis die Mutter verschwindet. Jetzt dreht der Mann im Auto die Regler seiner Anlage hinauf, auch er ist wie im Fieber. Nachbarn schauen aus dem Fenster und schütteln die Köpfe.
„Und dann geht sie hinunter?“
„Nein, dann kommt sie auf einen Sprung in mein Zimmer, um noch ein wenig Zeit zu vertrödeln. Ich stoppe sicherheitshalber die Playstation, um meinen Score nicht zu gefährden.“
„Was will sie in deinem Zimmer?”, unterbrach ihn Tommy, der immer wieder einen Blick hinauf zum Fenster warf und an seinem Haarnetz herumnestelte.
„Nichts. Mädchenzeug. Sie kramt in meinen Sachen, sucht nach Süßigkeiten und dreht sich vor dem Spiegel herum. Meiner lässt sich aufklappen.“
„Hätte ich gerne gesehen. Ich wette sie sieht dabei aus wie eine Eiskunstläuferin!”
„Eher wie eine Torte in der Konditorei.”
„Was hat sie an?”
„Nichts Besonderes. Eine Jeans. Irgendwas mit Rosa und Glitzer.”
„Unterhaltet ihr euch?”
„Hör mir einfach zu, ok!?”
Benno sprang auf, hüpfte bibbernd von einem Fuß auf den anderen. Es war arschkalt, aber er musste Tommy die Pointe noch verabreichen, er hatte sie verdient. Da steht sie in seinem Zimmer, summt ein Lied und macht auf Schlagerstar. Auf dem Parkett bleiben zwei schwarze Flecken zurück, der Abrieb ihrer Stilettos.
„Und? Wie sehe ich aus?”, fragt sie, als er den Joystick aus der Hand legt und seinen Stuhl herumdreht.
„Gut.”
„Verdammt gut!”, korrigiert sie und krault ihm mit ihren Raubtiernägeln die Kopfhaut, als wäre er ein Chihuahua. Sie lässt ihn gerne spüren, dass er fast sechs Jahre jünger ist. Er schiebt ihre Hand aus seinen Haaren, sie lacht.
„Du bist so süß!”
„Verpiss dich.”
Caro gähnt und schnappt sich ihre Lederjacke. Nein, sie gibt sich keine Mühe, zu verbergen, wie sehr er sie langweilt. Unten quäkt die Monsterhupe ein drittes Mal.
„Ich glaub, ich muss dann bald los. Hab einen schönen Abend, Kleiner.”
„Du auch.”
Sie haucht ihm einen ekelhaften Kuss hinüber, er nimmt ihn nur aus den Augenwinkeln wahr, denn im gleichen Moment erwacht das Spiel auf dem Monitor zu neuem Leben.
„Bring alle Schurken um, ok? Und vergiss nicht, dir nachher die Zähne zu putzen.”
Benno nickt.
Draußen vor der Hecke ertönt die Hupe ein letztes Mal, diesmal doppelt so lang, und plötzlich erinnert Benno das Geräusch an das Jaulen eines Wals. Mit der Klasse war er in Free Willi – Ruf der Freiheit. Caro stelzt in aller Ruhe die Treppe hinunter. Als die Haustür ins Schloss fällt, springt Benno zum Fenster und sieht, wie sie sich in den Beifahrersitz fallen lässt. Hinter dem Lenkrad sitzt ein blonder Kerl mit Lederjacke. Ob sie ihr Styling abgesprochen haben? Der Wagen fährt mit Vollgas die zwanzig Meter bis zur Kreuzung, bremst sich dort quietschend ein und biegt nach rechts ab.
„Nach rechts. Cabrio Bar“, folgerte Tommy.
„Ich glaube es war ein 3er BMW, eventuell sogar 4er.“
Benno wusste, dass Tommy mit solchen Typen nicht mithalten konnte. Er vergaß nicht, den Heckspoiler zu erwähnen und die imposanten Felgen.
„Originallackierung?”, fragte er deprimiert.
Benno zuckte mit den Achseln. Tommy schielte auf die Mülltonne, als könnte er ein wenig Trost vertragen.
„Mach dir nichts draus. Sie hasst BMW.“
„Toll. Dann haben wir ja doch etwas gemeinsam.“
Hast du überhaupt ein Auto?”
„Ein Auto? Viel besser.“
„Ein Flugzeug?“
Tommy schüttelte amüsiert den Kopf. Ein paar Locken fielen aus seinem Haarnetz. „Einen VW-Bus!“
Benno nickte.
„Und zwar schon nächste Woche, wenn alles klappt.”
„Dann viel Glück!“
„Danke dir. Kann ich brauchen.“ Mit diesen Worten packte Tommy seine Tasche, um endlich seine Runde zu Ende zu fahren.
Der Briefträger war nicht der einzige, der an Caros Haken hing. Es waren die Schüchternen, die nicht den Mut fanden, sie auf der Straße oder dem Schulhof anzusprechen. Lieber schrieben sie ganze Collegeblöcke voll und gestanden ihre Liebe auf diese altmodische Art. Meistens ließ er sich für die Botendienste bezahlen, so gesehen war er selbst eine Art Briefträger. Einige schrieben jede Woche, ohne dass Caro ihnen je antwortete. Immerhin las sie die Briefe, und manchmal durfte er im Zimmer bleiben, wenn sie die eng bekritzelten Zettel mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Neugier entfaltete und überflog. An manchen Stellen kicherte sie oder sagte „Idiot”. Dann seufzte sie, griff zum Telefon und schwatzte stundenlang mit ihrer beste Freundin.
In solchen Momenten hatte Benno keine Lust, älter zu werden. Das Machtgleichgewicht schien sich durch das Wachstum der weiblichen Brüste deutlich zugunsten der Mädchen zu verschieben. Und niemand konnte etwas daran ändern. Es musste furchtbar sein, sich in ein Mädchen zu verlieben und ihren Launen völlig ausgeliefert zu sein! Er versuchte es sich auszumalen, aber es war ähnlich schwierig wie die Vorstellung, selber als Mädchen geboren zu sein. Noch hatte er nicht herausgefunden, welche Vorteile die Jugend brachte, wenn man vom Mofafahren und einer Taschengelderhöhung absah. Aus seinen Mitschülern würden Affen werden und aus den Mädchen unerreichbare Göttinnen, die jeden um sie herum wie Dreck behandelten. Es war eine Art Zauberei, die keinen Teenager verschonte.
Sobald sich die Rücklichter des BMWs im dichten Verkehr der Hauptstraße auflösen, geht er in ihr Zimmer hinüber. Er stellt sich vor, ein berühmter Detektiv zu sein und schließt messerscharf, dass der Raum eben erst verlassen wurde. Auf dem Schminktisch steht ihr winziger Aschenbecher, aus einem zerdrückten Stummel steigt ein feiner Rauchfaden. Das andere Ende ist mit einer dünnen Schicht Lippenstift überzogen. Er hebt den Stummel aus der Asche und tut, als nähme er einen Zug. Dann geht er hinüber zu ihrer Kommode, ein Minilabor aus zahllosen Fläschchen und Dosen, die nach Größe geordnet sind. Er vergleicht den Abrieb auf dem Filter mit ihren Lippenstiften. Immer noch ist er ein Detektiv, der seiner Arbeit nachgeht. Als er den richtigen findet, schraubt er ihn hoch und fährt sich mit dem fetten Stift über den Mund. Es schmeckt ganz leicht nach Zuckerwatte. Er öffnet eine Lade nach der anderen. Das Seltsame an seiner Schwester ist, dass sie abgesehen von ihrer Schönheit aus Nichts bestand. Sie führte kein Tagebuch, sogar ihr Bücherregal war mit Schminksachen vollgeräumt. In der untersten Lade ihres Schreibtischs liegen zwischen den Schulheften einige der kleingefalteten Zettel, die er zugestellt hat, sowie ein Päckchen Gauloises und eine Packung Tampons. Er nimmt ein Tampon aus der Schachtel und legt es auf die Tischplatte, um es später mitzunehmen. Gewissenhaft inspiziert er den Rest des Zimmers. Es gibt eine Nostalgieecke mit Festivaltickets, Schnappschüssen, einem Champagneretikett und einem selbstgebastelten Orden, weiters eine Papierschärpe mit der Aufschrift „Miss hundert Prozent“, was immer damit gemeint war. An den Wänden hängen viele Spiegel und ein paar Mädchenposter. Er wechselt zu ihrem Kleiderschrank und findet eine Lade voller Höschen und BHs. Manche sind innen gefüttert und elastisch wie Fußballknieschützer. Die Höschen schimmern in allen Farben und sind so leicht, als würden sie nur aus Luft bestehen. Jeder Lade entweicht eine Duftwolke, die sich leicht von dem allgemeinen Mädchengeruch unterscheidet, der über dem Raum liegt. Benno prägt sich die Gerüche ein. Im Papierkorb findet Benno ein verschrumpeltes Kondom, zwei leere Zigarettenschachteln, ein zerrissenes Foto und eine Illustrierte. Er nimmt nicht nur das Tampon, sondern auch eines der Höschen mit in sein Zimmer. Das ist das richtige Ende der Geschichte, die er Tommy erzählt hat.
Als Benno die Zigarettenschachtel nach oben brachte, fand er Caros Tür verschlossen. Er musste dreimal klopfen, bis sie öffnete und den nackten Arm durch den Türspalt schob. Im Hintergrund hörte er das Lachen eines Mannes.
„Schlampe“, zischte Benno in die knallende Tür.
Am nächsten Morgen war er krank und musste nicht zur Schule. Seine Mutter klemmte ihm ein Fieberthermometer unter die Achsel, das rasch auf 39,4° stieg. Er trank Lindenblütentee mit Honig und dachte zwei Tage lang, seine Arme und Beine wären aus Blei. Seine Wangen leuchteten rot, als hätte er Rouge aufgetragen. Am dritten Tag fühlte er sich etwas besser, und nachdem seine Mutter das Tablett mit dem Zwieback abgeholt hatte, griff er in sein Nachtkästchen und zog den Slip seiner Schwester hervor. Der Bund des Höschens war weich und elastisch, und während man es trug, fühlte man sich auf wunderbare Weise, als wäre man nackt. Bloß der Penis fand keinen Platz in dem engen Dreieck und schob sich beim Gehen immer wieder über das Gummiband, so dass man ständig daran denken musste. Gegen Abend kam das Fieber zurück. Er ging früh zu Bett und gab sich den kräftigen Farben seiner Träume hin, die durch ihn hindurch rollten wie schwere Wellen.
Über dem Hinterhof lag noch die Dämmerung, als er im wirren Gesang einer balzenden Amsel hochschreckte. Er fasste sich zwischen die Beine und erschrak, als eine schleimige Substanz an seinen Fingern klebte, abstoßend und kalt wie eine überfahrene Schnecke. Die Laken um ihn waren noch nass vom Schweiß, aber seine Stirn war kühl. Seine Mutter schlief am anderen Ende des Flurs. Um ins Badezimmer zu gelangen, musste er an ihrem Zimmer vorbei. Unter dem Türspalt war es noch dunkel. Er öffnete das Badezimmer, so leise er konnte. Es roch sauber. Seine Fußsohlen klebten an den Fliesen. Er ließ das kalte Wasser so lange über den Kopf rinnen, bis sich die Lungen verkrampften. Sein Herz schlug heftig, aber er nahm es als ein gutes Zeichen. Bevor er in sein Bett zurückschlich, vergrub er den Slip im Schmutzwäschekorb.
Beim Frühstück hörte er die Klingel des Briefträgers. Die Mutter warf die Post ohne Neugier auf den Frühstückstisch und nestelte sich die erste Zigarette des Tages aus der Packung.
„Kann es sein, dass Tommy dir noch was sagen will?“
Als er vor das Haus trat, saß der Briefträger bereits im Sattel. Er wirkte verändert, irgendwie erwachsener, bloß die Dienstkappe wackelte auf dem Haarnetz wie immer.
„Sag deiner Schwester, morgen bekomme ich meinen VW-Bus.“
Trotz der guten Nachricht lächelte er nicht.
„Warum siehst du mich so an?“
„Keine Ahnung“, sagte Benno.
Gerne hätte er ihm die Kappe gerade gerückt. Sie sah aus, als wäre sie Teil eines Karnevalskostüms.
„Na dann.“
Er verabschiedete sich mit dem Finger an der Schläfe, doch dann besann er sich anders und ließ sich langsam zurückrollen, bis er Benno fast gegenüberstand.
„Ich habe dann noch von deiner Schwester geträumt, letzte Woche. Bin mit dem Bus vorgefahren, habe gehupt und dann noch einmal gehupt, genau wie in deiner Geschichte. Sie ist nicht heruntergekommen.“
„Vielleicht ist es besser so. Weißt du, manche sagen, sie ist –“
„Sag es nicht!”, sagte Tommy und blickt hoch zum Fenster. „Sag es nicht.“