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Bereit?
Bereit?
Von der Straße aus konnte man sehen, wie ein schwaches Licht durch das Fenster im ersten Obergeschoss fiel. Das spärliche Licht leuchtete in einem warmen, gelblichen Ton. In dem Zimmer waren an der Wand gegenüber des Fensters Kartons übereinander gestapelt, der Oberste war geöffnet. Daneben lehnte eine Holztür an der Zarge, ein schmaler Lichtstrahl fiel in den kleinen sich anschließenden Flur. Das Zimmer war frei von jeglichem Möbelstück, die Wände nackt. Man hätte das Zimmer als kahl bezeichnen können, wäre nicht das gelblich-weiche Licht einer kugelförmigen Leuchte, die auf dem Boden, dicht neben einer Steckdose stand gewesen, die diese Leere stimmungsvoll, ja fast festlich wirken lies und dem Zimmer die Trostlosigkeit entzog. In der Ecke unter dem Fenster saß mit überkreuzten, ausgestreckten Beinen eine junge Frau. Im Licht der Leuchte sah sie sehr anmutig aus, trotz ihrer hastig zu einem Zopf zusammengebundenen langen hellbraunen Haare. Einzelne Strähnen hingen heraus. Sie sah leicht erschöpft aus. Neben ihr Stand eine Schachtel, der Deckel lag schräg daneben. In den Händen hielt sie ein Foto. In ihrem Gesicht spiegelte sich ein Hauch von Wehmut wieder. Sie war mit Ihren Gedanken tief in das Motiv des Fotos versunken. Das Foto zeigte ein Mädchen von vielleicht fünf Jahren. Sie trug schwarze Leggins und einen weiten smaragdgrünen Pullover mit einem kindlichen Aufdruck. Ihre langen Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden, die sich sanft über ihre Schultern legten und sich den restlichen Konturen des Körpers anschmiegten. Ein warmes, goldenes schimmern ging von ihnen aus. Das selbe Schimmern fand sich auch in den hellbraunen Augen des Mädchens wieder, die dem Betrachter voller Lebendigkeit entgegen strahlten. Ein Gefühl der wohligen Vertrautheit machte sich im Körper der jungen Frau breit, während sie das Foto betrachtete und lies ihre Gliedmaßen in einer sanften Wärme erfüllen. Sukzessiv wurde dieses Gefühl aber durch Traurigkeit von ihrem Kopf gen Gliedmaßen sich langsam ausbreitete abgelöst. Die Traurigkeit fraß sich langsam durch den von Vertrautheit wohlig warm erfüllten Körper und beides vermischte sich. Der Ausdruck auf Ihrem Gesicht wurde noch wehmütiger. „Ungewissheit“ und „Angst“ sowie das Gefühl von „Erwartung“ von etwas Unbekanntem schossen schlagartig alternierend durch sie hindurch. Darunter mischten sich Fragen. „Schaffe ich das?“, „Wie wird das werden?“, „ist es nun zu Ende?“. Sie wandte in Gedanken versunken ihren Blick vom Foto ab, doch ihr Blick ging ins Leere, da war kein Punkt im Raum den sie anvisierte. Ihre braunen Augen wirkten milchig. So verging einige Zeit, es kamen ihr wie endlose Minuten vor. Dann wandte sie sich erneut dem Foto zu. Der wehmütige Ausdruck in ihren Augen wurde nun langsam von einem leichten Lächeln auf ihren Lippen überdeckt. Die Mundwinkel kräuselten sich. Aus den Augen wisch die Wehmut und ein leichtes schimmern machte sich in ihren hellbraunen sanften Augen breit, das selbe schimmern das in den Augen des Mädchens auf dem Foto zu sehen war. Durch ein Geräusch, dass von draußen durch die Tür ins Zimmer drang riss der Strom, eine Art magische Verbindung die zwischen Ihr und dem Foto bestand, ab. Hastig steckte sie das Foto zurück in die Schachtel, die neben ihr auf dem Boden stand. Verschloss sie mit dem Deckel. Sie erhob sich, bewegte sich zum anderen Ende des Raums und verstaute die Schachtel im Karton den sie gleich darauf schloss. Schritte traten während dessen an ihre Tür von außer heran. Von außen wurde eine Hand auf die Türklinke gelegt die mit einem verschwindend kleinen ächzen behutsam aufgeschoben wurde. Eine Frau mittleren Alters betrat den Raum. Sie blickte vom Karton auf. Beide schauten sich an. „Bist du bereit?“ fragte die Frau mittleren Alters. Die junge Frau hielt einen Moment inne. „Nein!“ schoss ihr durch den Kopf. „Nein, ich wünsche mich fünfzehn Jahre zurück in die Vergangenheit“ zurück zu dem Mädchen dass ihr eben noch so strahlend auf dem Foto entgegenschaute. Zurück zu ihrer eigenen Kindheit. Doch sie brachte diese Gedanken nicht über die Lippen. Sie fasste sich und brachte ein entschlossen klingendes „ja!“ ihrer Mutter mit einem sanften Lächeln entgegen. Beide nahmen sich jeweils einen Karton vom Stapel und verließen damit bepackt das Zimmer. Jetzt würde ein neues Leben beginnen für sie. Das erste mal würde sie an einem neuen Ort ohne Eltern ihre erste eigene Wohnung bewohnen.