Was ist neu

Bernard

Mitglied
Beitritt
12.11.2008
Beiträge
398
Zuletzt bearbeitet:

Bernard

Die Nacht lag nass und schwarz auf der Stadt. Neonlicht schwamm in den Pfützen, wie ertrunken. Bernard rannte, und der dunkle Mann war hinter ihm her.
Keuchend blieb Bernard an einer belebten Straßenecke stehen und blickte sich hektisch und verzweifelt um. Rote Sterne funkelten vor seinen Augen und trübten seine Sicht. Bernard lehnte sich haltsuchend an die Fußgängerampel und sog gierig die abgasverseuchte Stadtluft ein. Sie schoß wie ein eisiger Bach in seine Lungen und kühlte das Feuer, dass dort brannte. Langsam verblassten die roten Sterne in seinem Sichtfeld. Sein Herz schlug jedoch noch immer mit der Geschwindigkeit eines Kolibriflügels.
Kein dunkler Mann war zu sehen. Das Licht der Straßenlaternen löschte alle Farben aus und ließ alle Passanten aussehen wie Leichen auf Landgang, blaß, grau, schwarz. Doch keiner wirkte wirklich dunkel. Die Dunkelheit des Verfolgers war ... Antilicht. Es war das völlige Fehlen von Helligkeit, eine schmerzende Wunde im Fleisch des Jetzt. Erleichterung kroch langsam und verstohlen aus einem dunklen Winkel in Bernards Seele. Er wandte sich um und trieb mit den übrigen Fußgängern über die Straße und an den Schaufensterlichtinseln der Stadt vorbei.
Eine Scheibe reflektierte plötzlich das Bild seines Jägers.
Er kreiselte herum, doch konnte er den Mann nicht sehen. Bernards Herz zog sich zusammen, krümmte sich in seiner Brust wie ein Wurm am Haken. Er keuchte. Ihm wurde schwarz vor Augen. Haltsuchend tastete er nach dem Schaufenster.
„Ist Ihnen nicht gut?", fragte eine junge Frau mit besorgtem Gesicht.
Ihr Begleiter betrachtete Bernard mit dem Hochmut der faltenfreien Jugend.
„Säufer vermutlich", sagte sein Blick.
„Fass mit an", sagte die junge Frau.
Widerwillig, so als hätte er Angst, dass Alter ansteckend sei, stützte er Bernard ab.
„Danke", keuchte Bernard.
„Können wir Ihnen helfen?", fragte die Frau, was ihr einen strafenden Blick ihres Begleiters einbrachte.
Bernard sah ihr kurz in die Augen. Sein Blick sank in ihre Augen. Sie wich etwas zurück.
„Nein, vielen Dank. Vielen Dank, dass Sie mich gestützt haben."
Die Frau betrachtete ihn zweifelnd.
„Wir bringen Sie nach Hause!", entschied sie energisch.
„Denk bitte dran, dass wir noch einen Termin haben", ließ sich der Mann an ihrer Seite vernehmen.
„Bitte, bitte machen Sie sich keine Umstände. Es war nur ein kleiner Schwächeanfall. Das Alter, wissen Sie."
Bernard lächelte entschuldigend.
„Ich ... brauche nur einen kurzen Moment Ruhe, dass ist alles. Gibt es hier in der Nähe ein Café oder eine Wirtschaft?"
Der junge Mann zeigte mit einer Bewegung des Kopfes auf ein Kneipenschild ein paar Schritte die Straße hinunter.
„Da", sagte er.
„Ah, gut. Das schaffe ich schon alleine. Ich möchte Sie nicht weiter aufhalten, vielen Dank."
Bernard wandte sich von dem Pärchen ab und ging mit kleinen, unsicheren Schritten auf die Gastwirtschaft zu.
Die Frau sah ihm hinterher. Bernard spürte ihren Blick auf seinem Rücken. Ihr Mitleid lastete schwer auf ihm.
„Lass den alten Mann gehen", raunte ihr Begleiter ihr zu, „Wir haben schon genug für ihn getan."
Als er mühsam die Treppe der Wirtschaft erstieg, sah er den beiden hinterher. Die Frau hatte sich bei dem Mann eingehakt, den Kopf an dessen Schulter gelegt.
Er betrat den Schankraum. Zigarettenrauch biss in seine Augen, ließ sie tränen. Er blinzelte im dämmrigen Licht. Ein Tisch direkt am Eingang war frei und Bernard ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Er achtete darauf, dass er die Tür im Auge hatte.
„Was wolln se trinken?"
Kaugummi kauend stand eine Frau neben seinem Tisch. Ihre rotleuchtende Lockenpracht war ebenso offensichtlich falsch wie ihre kunstvoll, wenn auch geschmacklos, bemalten Fingernägel. Bernard schrak aus seinen Gedanken auf. Er blickte die Frau fragend an.
„Wasse trinken wollen", sagte die Frau noch einmal, laut und betont langsam.
„Einen Cognac bitte. Remy, wenn Sie haben."
„Ham wa nich´. Schantree kann ich Ihnen bringen."
„Auch gut. Vielen Dank."
Kaum war die Frau in Richtung Theke verschwunden, verschwand auch der Raum aus Bernards Wahrnehmung. Seine Gedanken wanderten einige Stunden zurück, als er den dunklen Mann zum ersten Mal bemerkte hatte. Wie üblich war Bernard an diesem Tag auf dem Weg zum Markt. Als er die U-Bahnstation mit der Rolltreppe verließ, drehte er sich noch einmal um und besah sich den Strom der Reisenden. Der Anblick erinnerte ihn immer an Blutkörperchen, welche die Adern der Stadt durchströmten und ihr Leben gaben. Da sah er den geheimnisvollen Fremden zum ersten Mal.
Er trug einen Hut, so dass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Er blickte auch nicht auf, trotzdem hatte Bernard das Gefühl, dieser Mann blicke ihn direkt und alleine an.
Bernard verpasste das Ende der Rolltreppe und wäre ohne das hilfreiche und wohlwollende Zupacken eines Mitreisenden unweigerlich böse gestürzt. Nachdem sich Bernard artig und etwas kurzatmig ob des überstandenen Schreckens bei seinem Retter bedankt hatte, hielt er nach dem dunklen Mann Ausschau. Doch die auffällige Gestalt war nirgends zu sehen. Beunruhigt machte Bernard sich auf zum Markt.
Seit seine Frau vor sechs Monaten gestorben war, war der wöchentliche Marktbesuch für ihn sein Anker im Hier und Jetzt. Dreißig Jahre waren sie verheiratet gewesen, bis ein blödsinniges Blutgerinnsel, ein Pfropfen toter Blutkörperchen, seine Frau in ein sabberndes Kind verwandelte.
Ach, Margarethe.
Viel Gutes war Bernard in seinem Leben nicht wiederfahren. Als Bernard zehn Jahre alt war, verlor er seinen Vater bei einem Grubenunglück. Seine Mutter musste ihn und seine 3 Brüder danach alleine durchbringen. Im Winter 1940/41 wurde er eingezogen und an die Ostfront geschickt. Dort geriet er 1942 in Gefangenschaft. Für ihn am Anfang eine Erleichterung, wie er immer sagte; denn die Gräuel des Krieges waren weitaus schlimmer als die täglichen Schikanen der Wächter im Lager. Töten musste er hier nur Ratten, um zu überleben. Als er 1954 endlich aus der Gefangenschaft entlassen wurde, war er trotzdem geistig ein gebrochener Mann. Sein Körper erholte sich nur langsam von den erlittenen Strapazen. Als er seine Frau kennen lernte, hatte er den Glauben an ein normales, glückliches Leben fast verloren. Doch seine Margarethe gab ihm diesen Glauben wieder zurück. Sie führten eine gute Ehe, auch wenn sie kinderlos blieb. Bernard bekam Arbeit als Stahlkocher, seine Frau als Stenotypisten. Es ging ihnen gut, bis Anfang der Achtziger die Stahlkrise Bernards Job fraß. Von da an war Glück etwas, das nur andere hatten. Margarethe behielt ihren Job, und Bernard versorgte den Haushalt. Doch die umgedrehte Rollenverteilung führte zu immer mehr Spannungen zwischen den Beiden. Bernard begann, seinen Tagesablauf mit Cognac zu schmieren, Margarethe, immer mehr Überstunden zu machen.
Bis sie eines Tages zuckend mit dem Gesicht in der Sonntagstorte landete.
Bernard pflegte sie nach ihrer Heimkehr aus dem Krankenhaus. Nun hatte er das Kind, das Margarethe und er sich immer gewünscht hatten. Nur, dass er jetzt 65 statt 35 Jahre alt war. Und das sein Kind aussah wie siebenundfünfzig. Manchmal wünschte er in dieser Zeit, sie wäre tot. Manchmal wünschte er, er wäre tot. Und manchmal ging er in den Park, um zu weinen.
„Macht vier Mark fünfzig, bitte."
Bernard schreckte wieder hoch.
„Bitte?"
„Macht vier Mark fünfzig. Ihr Schantree."
„Oh. Natürlich. Bitte. Stimmt so."
Missbilligend das Gesicht verziehend drehte die Kellnerin sich um und ging zum nächsten Tisch. Bernard zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Er musste husten. Diese Dinger würden ihn umbringen. Oder das Alter. Eines von beiden gewinnt den Wettlauf todsicher - die Ironie ließ ihn einen kurzen Moment lächeln.
Bernard nahm einen Schluck des Cognacs. Er starrte auf den Rauch seiner Zigarette und seine Gedanken glitten wieder zurück zum Markt.
Es war ein schöner Morgen, und Bernard genoss den Gang durch das quirlige Treiben. Er wählte sorgfältig die Dinge aus, die er kaufte, begrüßte einige Bekannte und trank in seinem Lieblingscafé einen Kaffee. Mit Cognac. Zum Aufwärmen, wie er der jungen Kellnerin augenzwinkernd verriet.
Er liebte es, durch das Panoramafenster die Marktbesucher und das bunte Treiben auf der Straße zu betrachten. Dann sah er wieder den dunklen Mann. Er stand im Schatten einer großen Platane und sah zum Café hinüber. Der Hut verdeckte seine Augen, doch Bernard war sich wiederum sicher, dass der Mann nur ihn betrachtete.
Bernard erschrak zutiefst. Verstört zahlte er und verließ das Café. Doch als er die Straße betrat, war die Gestalt seines Verfolgers schon von der Menge aufgesogen worden. Angst breitete sich langsam in Bernard aus. Er ging noch einmal über den Markt, doch sein anfängliches Vergnügen wollte sich nicht wieder einstellen. Der Abend dämmerte bereits, und leichter Regen hatte eingesetzt. Bernard beschloss, ein frühes Abendessen einzunehmen und dann nach Hause zu fahren.
Er ging in das Panoramarestaurant eines großen Kaufhauses und aß dort einen Salat. Nach der Mahlzeit ging er zu Toilette. Als er jedoch in den Speiseraum zurückkehrte, saß an einem Tisch in der Nähe der Tür der dunkle Mann. Angstschweiß tränkte Bernards Haut, ohne dass er einen Grund für seine Angst nennen konnte. Er taumelte leicht, als er auf den Mann zuging. Zitternd ließ er sich auf den Stuhl gegenüber des unheimlichen Mannes fallen, beugte sich vor und schlang seine Arme um sich.
Der dunkle Mann schaute nicht auf. Der Hut verdeckte immer noch sein Gesicht. Bernard starrte ihn an.
„Warum verfolgen Sie mich?", flüsterte er. Der dunkle Mann regte sich nicht. Doch Bernard spürte nun seinen Blick auf sich ruhen, obwohl er das Gesicht immer noch nicht sehen konnte. Ein Nichtgesicht mit einem Nichtblick. Doch dieser Blick bohrte sich tief in Bernards Seele.
„Was wollen Sie von mir?", sagte Bernard mit weinerlicher Altmännerstimme. Er hasste sich dafür.
Der Blick bohrte weiter, schien immer tiefer in die Kellergewölbe der Seele eindringen zu wollen. Um zu packen, was dort hauste und es ans Licht zu ziehen, mochte es auch zappeln und schreien.
Bernard erbleichte und schrak so heftig auf dem Stuhl zurück, dass dieser ins Schwanken geriet. Bernard sprang auf, der Stuhl fiel um. Einige Gäste starrten ihn an. Er verließ fluchtartig das Restaurant. Draußen war die Nacht über die Stadt hergefallen und hatte das Licht des Tages ausgelöscht. Bernard wandte sich Richtung U-Bahn, ging, so schnell es ihm möglich war. Gelegentlich schaute er über seine Schulter. Keiner der Schatten bewegte sich, niemand stellte ihm nach.
Als er den Eingang zur U-Bahn vor sich sah, stockten sein Schritt und sein Atem. Dort stand sein unheimlicher Jäger und sein Nichtblick brannte plötzlich auf Bernards Gesicht.
Bernard drehte sich um und rannte los.
Ein scharfer Schmerz ließ ihn aus der Vergangenheit ins Jetzt schnellen. Die Zigarette war bis zum Filter heruntergebrannt und hatte ihm die Finger versengt. Fluchend warf er sie in den Aschenbecher und lutschte an den verbrannten Fingern. Er winkte der Kellnerin.
„Rufen Sie mir bitte ein Taxi?"
Die Kellnerin nickte und entfernte sich in Richtung Theke, um zu telefonieren.
„5 Minuten", rief sie herüber.
Bernard ging nervös die Hände wringend vor der Theke auf und ab.
„Nur noch nach Hause", dachte er.
Der Taxifahrer sprach während der Fahrt unentwegt auf ihn ein. Bernard war es egal, er sankt erleichtert ins Polster. Müdigkeit verdrängte alles andere. Er schlief ein. Wirre Bilder stoben in seinem Kopf herum. Seine Frau, mit breibekleckertem Kinn. Er, wie er ihre Windeln wechselte. Der dunkle Mann, der ihn anstarrte. Als das Taxi hielt, erwachte er.
Müde öffnete er seine Wohnungstür. Erst jetzt merkte er, dass er seine Einkäufe irgendwo hatte stehen lassen. Egal. Seufzend hängte er seine Jacke an die Garderobe und zog seine bequemen Hausschuhe an. Wie still doch die Wohnung war, seit Margarethe ...
Er blieb einen Moment an der Schlafzimmertür stehen und betrachtete das Bett, in dem seine Frau gestorben war. Das über so viele Monate ihr eigentliches Zuhause gewesen war. Manchmal nachts, wenn er sich ruhelos im Gästebett hin- und herwälzte, glaubte er wieder die Geräusche der Dekubitusmatraze zu hören. Das Brummen des Kompressors, das Seufzen der Pneumatik, die Geräuschkulisse der Hoffnungslosigkeit.
Sanft sei sie eingeschlafen, hatte ihm der Artzt gesagt. Bernard hatte, erfüllt von einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Trauer, nur stumm genickt. Die Einsamkeit traf ihn erst, als er von der Beerdigung nach Hause zurückkehrte. Während er mechanisch den Abendbrei zubereitete, wurde ihm plötzlich klar, dass seine Frau nie wieder Brei essen würde. Weinend brach er in der Küche zusammen.
Im Wohnzimmer machte Bernard die Stehlampe neben seinem Lieblingssessel an und ging zum Barschrank, um sich einen Remy einzuschenken. Als er sich umdrehte, saß der dunkle Mann im Sessel.
Schwäche durchflutete augenblicklich Bernards Adern, wie ein Regenguss ein trockenes Bachbett überschwemmt. Das Glas fiel ihm aus der Hand, er merkte es nicht. Langsam, vergeblich Halt am Barschrank suchend, glitt er zu Boden. Der Nichtblick seines Besuchers brannte wieder auf seinem Gesicht.
„Wer bist Du? Was willst Du von mir? Warum lässt Du mich nicht in Ruhe?", wollte er dem Mann entgegenschreien, doch seine kraftlosen Lungen brachten nur ein Wispern zustande. Der Mann schaute Bernard immer noch unverwandt an. Wieder hatte Bernard das Gefühl, der Blick seines Besuchers griffe tief in die Verliese seiner Seele und zerrte an dem, was dort eingeschlossen war.
„Lass mich", flehte Bernard.
„Bitte, was habe ich Dir denn getan?"
„Nicht mir", sagte der dunkle Mann. Seine Stimme war ebenfalls dunkel, aber voller Melodie.
Bernards Herz begann wieder wild zu schlagen, als sei seine Brust ein Käfig, aus dem es zu entkommen suchte.
„ Ich habe doch nie jemanden etwas böses getan", jammerte Bernard. Wie ein Kind, das sich hilflos und ohne Grund erlterlicher Strafe ausgesetzt sieht.
Der Fremde richtete sich etwas auf.
„Hast Du es vergessen, alter Mann?"
Bernard erstarrte. Sein Herz setzte einen Moment lang aus, nur um dann schmerzhaft wieder sein wildes Flügelschlagen zu fortzusetzen.
„Du ... du weißt?", fragte er.
Der Mann nickte
„Alles!", sagte er.
Bernard sackte zusammen. Tränen liefen seine Wangen hinab.
„Sie, sie war so ... fremd, plötzlich. Nicht mehr meine Frau, verstehst Du? Ich wollte immer ein Kind haben, genauso wie sie auch. Aber nicht so, nicht auf diese Art. Kinder werden irgendwann groß. Sie lernen Sprechen und Laufen und zur Toilette zu gehen. Und sie geben Liebe zurück. Doch Margarethe konnte all das nicht mehr."
Bernard verstummte, immer mehr Tränen strömten über sein Gesicht. Mit erstickter Stimme sprach er weiter.
„Ich hielt es irgendwann nicht mehr aus. Windeln wechseln, Füttern, Baden, ihr seelenloses Gesicht. Es widerte mich von Tag zu Tag mehr an."
Er holte keuchend Luft. Seine Brust brannte. Sein Herz hatte sich fast den Weg nach draußen erkämpft.
"Der Pflegedienst hatte nie Zeit für ein Gespräch. Niemand hatte Zeit für mich. Ich hatte niemanden, nur ihren leeren Körper ohne Seele."
Sein unheimlicher Besucher nickte auffordernd, weiter zu machen.
„Ich habe ihr Schlaftabletten in den Brei gemischt. Sie ist einfach eingeschlafen."
Er schaute den Mann trotzig an.
„Ich habe sie erlöst."
Der dunkle Mann nickte.
„Wer bist Du, verdammt?", sagte Bernard und bäumte sich noch einmal auf.
„Weißt Du es nicht?", fragte der Mann.
Bernard antwortete nicht. Sein Herz hatte sich endlich aus seinem Käfig befreit.
„Deine Erlösung, Bernard", sagte er sanft.

 

>Das Licht der Straßenlaternen ließ alle Passanten aussehen wie Leichen auf Landgang. Keiner blickte zu ihm hin, alle waren in ihrer eigenen kleinen Welt eingeschlossen.
(...)
Das Schwarz des Mannes in Schwarz war ... Antifarbe. Es war das völlige Fehlen von Farbe, eine schmerzende Wunde im Fleisch des Jetzt.< Und ein >Nichtgesicht mit einem Nichtblick.<

Hallo Dave,

hier erzählstu, wie der (zuletzt lange Zeit erwerbslose,) verrentete ehemalige Stahlarbeiter Bernard beim Marktgang vom "Schwarzen Mann" zunächst verfolgt und letztlich eingeholt wird. Wer oder was aber ist "der Mann in Schwarz"? Es ist nicht Bob Dylan's "Man in the Long Black Coat", aber auch nicht der "Man in Black" Johnny Cash o. a. Es ist die Personifikation von schlechtem Gewissen des Prots, seiner Angst und der Ruch der bösen Tat, die ihn einholt. Seitdem ist ihm die Welt wie im Zitat vorneweg beschrieben.

Die Geschichte könnte genauso gut als Krimi durchgehen, in der dann versucht wird, eine Tat zu begründen. Aber das muss der geneigte Leser selbst "erlesen".

Einiges ist dann doch noch von der Kleinkrämerseele anzumerken (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Flüchtigkeit:

>Neolicht< soll sicherlich kein "neues" Licht sein, sondern "Neon" bezeichnen.

Was schon überwunden erschien, taucht wieder auf: mehrmals >Strasse<, obwohl ansonsten der Gebrauch des ß und des doppel-s korrekt verläuft.

>Er trug einen Hut, so das man ...< gönn dem das noch'n s.

Komma:

>Als er aus der U-Bahn stiegKOMMA war es gewesen, Haltestelle Zollerntor.< (Zwischenfrage: Zeche Zollern?)

Und Komma weg >Nachdem sich Bernard artig, und etwas kurzatmig ob des ...<

Konjunktiv:

>Diese Dinger würden ihn umbringen. Oder das Alter. Eines von beiden würde den Wettlauf todsicher – die Ironie ließ ihn einen kurzen Moment lächeln – gewinnen.< Hier kann doch der Konjunktiv wegfallen: B ist ein Mensch. Alle Menschen sind ... etc. Da besteht nicht der geringste Zweifel und der Sinn wird auch nicht entstellt: "Diese Dinger werden ihn umbringen. Oder das Alter. Eines von beiden wird den Wettlauf todsicher – die Ironie ließ ihn einen kurzen Moment lächeln – gewinnen", wobei m. E. das Hilfsverb "werden" außenvorgelassen werden könnte: "Diese Dinger bringen ihn um. Oder das Alter. Eines von beiden gewinnt den Wettlauf todsicher – die Ironie ließ ihn einen kurzen Moment lächeln."

Gebrauch des Aposrtrophs, hier geht's mir eigentlich nur um die einheitliche Verwendung bzw. Verzicht:

>„Was wollnse trinken?"< Vielleicht woll'nse oder woll'n Se (vielleicht auch S'e)

>„Was ´se trinken wollen", ...< Wenns Zitat zuvor korrekt ist "Wasse", sonst "Was S(')e" vielleicht.

>„Ham wa nich´. ...< Variante: "Hammer nich'."

Wenn ich die ersten Versuche sehe und mit den letzten Texten vergleiche, so fällt der gewaltige Fortschritt auf. Dass ein Text von vier Manuskriptseiten Fallen birgt - insbesondere der Flüchtigkeit - ist was ganz natürliches.

Nur weiter so!

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedel,

und Dank für die Kleinkrämerseelenfehlersuche. Werde ich Korrigieren.

Neonlicht, nee. Sollte schon Neolicht heißen. Kleine überkandidelte Wortspielerei von mir :). Sollte den Gegensatz der modernen Welt zum Innenleben des Bernard herstellen.

Zollerntor: erwischt :), wenn auch geografisch sehr frei gewählt ;)

Danke auch für das Lob aus so berufenem Mund. Ich fühle mich geehrt.

Lieben Gruß
Dave.

P.S.:

Eines von beiden gewinnt den Wettlauf todsicher – die Ironie ließ ihn einen kurzen Moment lächeln."
setze ich, Dein stillschweigendes (ich weiß, fällt schwer :) ) Einverständnis vorrausgesetzt, so ein.

 

>Zollerntor: erwischt , wenn auch geografisch sehr frei gewählt<, ist ja auch eine größere Region ...

Hallo Dave,

nix zu danken.

Manchmal merkt man gar nicht, dass Wortschöpfungen daherkommen. Claro, mein nicht nur >stillschweigendes (ich weiß, fällt schwer ) Einverständnis< darfstu voraussetzen.

Schönen Restsonntag wünscht

friedel

 

Manchmal merkt man gar nicht, dass Wortschöpfungen daherkommen

Wärest Du nicht Du, würd´ fast ichs glauben ;)

Lieben Gruß
Dave

P.S.:ursprünglich sollte Bernard am Viehofer Platz aussteigen und die Kettwiger Straße hochlaufen.

 

Hallo Dave,

ohne Anspruch auf Vollständigkeit zunächst Handwerkliches:

Die Nacht lag nass und schwarz auf der Stadt. Neolicht schwamm in den Pfützen, wie ertrunken im unbewegten Wasser.
Bild stimmt nicht. Wenn die Nacht noch nass über der Stadt liegt, regnet es noch, die Pfützen sind also bewegt.
der Mann in Schwarz
ich persönlich denke da ja sofort an ein Kinderspiel. Allgemein ist der Mann in Schwarz ein für eine Bedrohung recht altbackenes Bild
Keiner blickte zu ihm hin
Wenn du in Bernards Perspektive schreibst, blickte keiner zu ihm her, ich würde aber "hin" oder "her" ganz weglassen, "keiner blickte zu ihm" reicht völlig.
alle waren in ihrer eigenen kleinen Welt eingeschlossen.
zwar erzählst du in der dritten Person, solche Wertungen finde ich für einen Erzähler aber immer anmaßend, warum muss die eigene Welt, in der sich die Leute befinden, zwangsläufig "klein" sein?
In diesem Fall ist aber der ganze Satz nicht geschickt, weil er viel zu sehr aus der gehetzten Atmosphäre der Flucht reißt.
und sog gierig die abgasverseuchte Stadtluft in seine durch Zigaretten halb getöteten Lungen
Das wirkt ein bisschen, als wollte ein Nichtraucher unbedingt noch ein bisschen Zivilisationskritik und Antiraucherkampagne einbringen. Zum einen der Übertreibung wegen (halb getötet, dann läge Bernard im Krankenhaus), sondern auch, weil sich so belastet Lungen an ganz anderer Stelle bemerkbar machen und auch dort geschildert werden müssten. Nämlich, wenn er anhält und keucht. Bei Rauchgeschädigten Lungen brennen die Atemwege nach solcher Anstrengung, es fühlt sich an, als wehte eisiger Wind hindurch, gerade in nasser und schwarzer Nacht.
Langsam verblassten die roten Sterne in seinem Sichtfeld.
Er rennt, hält an, schaut sich - wenn auch hektisch und verzweifelt - um, aber jetzt verschwinden auf einmal die Sterne? Dann hätte er sich nicht umschauen können. Also diesen Effekt weglassen.
Sein Herz schlug immer noch mit der Geschwindigkeit eines Kolibriflügels. Bernard hatte Angst, dass es sich aus seiner Brust befreien und in die Nacht hinausfliegen könnte.
ebenso hier. Stop nach Kolibriflügel. Bernard hat gerade vor dem Mann in Schwarz Angst. Und so wie er gelaufen ist, so mächtige Angst, dass bestimmt kein Platz für die abstrakte Angst bleibt, das Herz könnte sich ...
Zwar löschte das Licht der Laternen alle Farben aus, doch keiner der Leute um ihn herum war wirklich in Schwarz.
ebenfalls viel zu abstrakte Gedanken für eine Jagdszenerie. Auf alle Fälle "Leute" durch "Menschen" ersetzen, weil die Singularisierung (keiner) eines Wortes, für den es keinen Plural gibt, grammatisch nicht sauber erscheint.
Kein Mann in Schwarz war zu sehen. Zwar löschte das Licht der Laternen alle Farben aus, doch keiner der Leute um ihn herum war wirklich in Schwarz. Das Schwarz des Mannes in Schwarz war ... Antifarbe.
Wie ist der Mann noch mal gekleidet?
Erleichterung kroch langsam und verstohlen aus dem dunklen Winkel in Bernards Seele, in den sie sich in den letzten Stunden verkrochen hatte.
Der zweite Teil ist obsolet, Satz könnte nach "Seele" beendet werden, willst du es belassen, bitte "während der letzten Stunden" oder einfach nur "die letzten Stunden", sonst irritiert die plötzliche Umgangssprachlichkeit in einem Text, der ja eher auf kraftvolle Bilder setzt.
und trieb mit den übrigen Fußgängern über die Straße und an den Schaufensterlichtinseln der Geschäfte vorbei.
es sind nicht die Schaufensterlichtinsel der Geschäfte sondern die Geschäfte bieten die Schaufensterlichtinseln der Stadt. Formulierung ungenau.
Dann sah er in einer Schaufensterscheibe die Reflexion des Mannes in Schwarz
Solche Sätze schreibt man höchstens in Schulaufsätzen. "Dann" lässt sich zwar nicht immer vermeiden, muss ja auch nicht, ist ja ein Wort, aber Sätze damit zu beginnen, liest sich in Literatur immer untalentiert.
Widerwillig, so als habe er Angst, dass Alter ansteckend sei, stützte der Mann Bernard ab.
Tempus: als hätte er Angst
Sein Blick sank einem Ertrinkenden gleich in ihre Augen.
Wie geht das denn?
ein paar Schritte die Strasse hinunter
Straße
der ist gerade noch gerannt. Die Schritte mögen vor Erschöpfung schleppend sein, vielleicht auch etwas unsicher, weil der Puls noch zu schnell geht, aber von Altmännerschritten würde ich hier nicht mal als Bild sprechen, die klingen ja eher nach Schaufensterkrankheit.
Ihr mitleidiger Blick lastete schwer auf Bernards Rücken.
Nur ein Effektsatz, inhaltlich mE Unsinn, selbst wenn man davon ausgeht, dass man Blicke durchaus spüren kann, auch wenn man sie nicht sieht. Aber "schwer auf dem Rücken lasten" ist etwas anderes. Das setzt ein schlechtes Gewissen voraus.
„Lass den alten Mann gehen", raunte ihr Begleiter ihr zu.
„Wir haben schon genug für ihn getan."
Kein Zeilenumbruch, da der Begleiter ja weiter redet.
Dann spürte Bernard, wie sich der Blick der Frau von ihm abwandte
Nein, er spürte nicht, "wie" - also auf welche Weise - sich der Blick abwandte, sondern nur, dass er es tat.
Die Frau hatte sich bei dem Mann eingehakt, den Kopf an seine Schulter gelegt, Bernard schon vergessend.
an "dessen" Schulter - Satz nach "gelegt" beenden, zum einen, weil das Partizip eh unschön ist, zum anderen, weil es wieder so eine Autorenallmacht ist, darüber zu spekulieren, was im Kopf der Frau vor sich geht. Ist doch völlig unwichtig. Das Bild des Paars, das sich in Eintracht entfernt, spricht doch für sich.
Zigarettenrauch biss in seine Augen, ließ sie tränen.
Augen. ließ sie tränen ist redundant, da schon im ersten Satz beschrieben.
Er achtete darauf, dass er die Tür im Auge hatte.
Zu viele "dass-Konstruktionen" vermeiden; Wortwiederholung "Tür". Vorschlag: Er achtete darauf, den Eingang im Auge zu behalten.
„Was ´se trinken wollen", sagte die Frau noch einmal, laut und betont langsam diesmal.
Wozu das Apostroph? - "diesmal" streichen, da Wort- und Aussagewiederholung zu "noch einmal"
Seine Gedanken wanderten einige Stunden zurück, als er den Mann in Schwarz zum ersten Mal bemerkte.
Tempus: ZUmindest zur Einleitung der Rückblende Plusquamperfekt verwenden: bemerkt hatte.
Als er aus der U-Bahn stieg war es gewesen
Auch hier solltest du dich innerhalb eines Satzes wenigstens auf eine Zeitform beschränken, so ist es jedenfalls falsch. Lässt sich aber leicht verhindern, weil "war es gewesen" überflüssig ist, da es aufgrund des vorangehenden Satzes klar ist: Als er aus der U-Bahn stieg, Haltestelle Zollerntor.
Wie üblich war Bernard an diesem Tag auf dem Weg zum Markt. Als er die Station mit der Rolltreppe verließ, drehte er sich, wie immer, noch einmal um und besah sich den Strom der Reisenden. Wie schon so oft gemahnte dieser Anblick ihn an Blutkörperchen, welche die Adern der Stadt durchströmten und ihr Leben gaben.
Wie üblich, wie immer, wie schon so oft - ein bisschen viel ...
Sein Vater starb bei einem Grubenunglück, als er 10 war.
ungenau - Wie jung war denn der Vater bei der Zeugung, wenn er mit zehn schon gestorben ist?
Als er 1954 endlich aus der Gefangenschaft entlassen wurde, war er trotzdem geistig ein gebrochener Mann.
Warum nur geistig? Seelisch und körperlich nicht?
Nur, das er da 65 statt 35 war
dass
Und das sein Kind eben so alt war
dito
beides auch sehr umgangssprachlich
„Macht vier Mark fünfzig, bitte.
auch schon länger auf der Festplatte, die Geschichte, oder?
Rauchend und den Cognac in kleinen Schlucken genießend glitten Bernards Gedanken wieder zurück zum Markt
So rauchen die Gedanken und genießen den Cognac.
Es begann bereits zu dämmern
Am Morgen? Wie lange war er denn auf dem Markt?
Der Taxifahrer sprach während der Fahrt unentwegt auf ihn ein. Bernard war es egal, er verstand das gebrochene Deutsch des Mannes ohnehin nicht wirklich. Gelegentlich murmelte er ein „Ach ja?“ oder ein „So, so“, ob es gerade passte oder nicht.
Ein so oft bemühtes Bild, dass ich es weglassen würde. Zumal es die Geschichte überhaupt nicht voranbringt.
Schwäche durchflutete augenblicklich Bernards Adern, wie ein Regenguss ein trockenes Bachbett
Bild stimmt nicht, ein Regenguss versickert in einem trockenen Bachbett sofort. durchflutet oder überschwemmt wird da nichts.
vergeblich eine Stütze am Barschrank suchend
er sucht Halt oder eine Gelegenheit sich zu stützen, suchte er aber eine Stütze, könnte er die wegnehmen, sobald er sie gefunden hat. Formulierung ungenau.
es war nur ein atemloses Wispern, dass sich in der dunklen Weite des Zimmers erschreckte und in einer Ecke verkroch.
Wispern, das - aber dieses Bild ist unfreiwillig komisch, weil es dem Wispern Gefühle und eigenen Willen unterstellt. Personifizierungen von Körperteilen, Tätigkeiten, usw. sind immer sehr heikel, weil sie nur dann wirklich der Geschichte dienen, wenn tatsächlich eine Trennung des Protagonisten von seinen Handlungen beabsichtigt ist. Ist es zwar hier auch begrenzt, aber das Wispern ist ja schon selbstständig, weil es eigentlich ein Schrei sein sollte, mehr wirkt da übertrieben.
der Blick seines Besuchers griffe tief in die Verliese seiner Seele und zerre an dem
wenn (richtig) griffe, dann natürlich auch zerrte.
Bernards Herz begann wieder wild zu schlagen, als wenn es tatsächlich seiner Brust entfliehen und die Nacht hinaus fliegen wollte.
was ist das denn für ein Assikonjunktiv. Wundert mich, dass Friedrichard den nicht bemängelt hat: als wollte es tatsächlich ... fliegen.
Sein Herz setzte aus, nur um gleich darauf schmerzhaft wieder mit seinem wilden Flügelschlag zu beginnen.
Reflexivpronomen ist überflüssig. Vorschlag: Sein Herz setzte aus, nur um gleich darauf schmerzhaft im wilden Flügelschlag fortzufahren.
Kinder werden irgendwann groß. Sie geben Dir Liebe zurück.
Kein kausaler Zusammenhang. Liebe geben Kinder auch schon als Kinder zurück. Und Liebe können auf ihre Art auch schwerst pflegebedürftige Menschen zurückgeben.

Kommen wir zum Inhalt:
Der personifizierte Tod ist ein gern gewähltes Motiv. Bei dir tritt der Tod auch als Gewissen auf, was durchaus logisch erscheint, da wir vielleicht mit uns selbst im Reinen sein müssen, um das Leben loslassen zu können. Auch ist der Tod eine Art Gott bei dir, denn er hat die Kraft zur Vergebung, auch, wenn er dies nicht explizit ausspricht. Soweit kann man die Geschichte natürlich so erzählen. Auch die Frage nach dem "Gnadentod" ist ein erzählenswerter Ansatz, genau wie der Ekel über den pflegebedürftigen Zustand seiner Frau.
An dem Punkt hätte ich mir mehr Auseinandersetzung, mehr Tiefe gewünscht. Denn bei allem, was man in deiner Geschichte finden kann, wirkt sie auf mich doch zu eindimensional. Da, wo sie interessant werden könnte, unterschiedliche Denkansätze präsentieren und ethische Konfliktpositionen einander gegenüber stellen könnte, da hetzt sie der "Erlösung" entgegen.

Lieben Gruß
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sim,

vielen Dank fürs Lesen und die ausführliche Kritik. Ich werde mich an die Überarbeitung machen und hier einstellen. Viele der von Dir angemerkten Punkte sehe ich erst jetzt. Das zeigt, wie wichtig die Betrachtung von außen, also durch den Leser/Kritiker ist.

Die Geschichte ist sehr neu. Die "vier Mark fünzig" habe ich genommen, damit der Zeitrahmen passt. Bernard wäre sonst (frühestens 2002) fast achtzig.

Bild stimmt nicht, ein Regenguss versickert in einem trockenen Bachbett sofort. durchflutet oder überschwemmt wird da nichts.

Schon mal Aufnahmen eines Bachbettes bei einem Starkregenguß gesehen? Von Wadis ganz zu schweigen. (Gibt es nicht Deutschland, okay, aber die Analogie stimmt.)

Danke und lieben Gruß
Dave

 

Hallo Dave!

Im ersten Absatz wir der Mann verfolt. Aber das kommt, zumindest bei mir, nicht an. Das ist mir nicht dramatisch genug, er lebt für mich nicht, dein Protagonist. Ich grüble jetzt schon lange, woran das liegt, und ich denke, er kommt mir seelenlos vor. Wie ein Roboter.

Bernard rannte, und der dunkle Mann war hinter ihm her.
Keuchend blieb Bernard an einer belebten Straßenecke stehen und blickte sich hektisch und verzweifelt um.

Vielleicht könntest du näher zoomen?

"Bernhard rannte, aber er wusste, der dunkle Mann war hinter ihm her.
An einer Kreuzung blieb er stehen und hielt sich an einer Ampel fest - nur ein paar Sekunden atmen, schnaufen. Er blickte sich um, doch der Dunkle war nicht da. Zumindest konnte er ihn nicht sehen.
Menschen strömten über die Straße und zogen ihn mit."

Nur ein Vorschlag, natürlich. Aber damit würde es mir den Menschen näher bringen und ich würde an seiner Angst teilhaben können.

das Feuer, das dort brannte

Er kreiselte herum

So schnell?

fragte eine junge Frau mit besorgtem Gesicht.

Streichen.

Ihr Begleiter betrachtete Bernard mit dem Hochmut der faltenfreien Jugend.

Ach - das fällt ihm in dem Augenblick auf?

„Säufer vermutlich", sagte sein Blick.

Das ist schräg. Denn erst denkt man, er sagt es wirklich und dann kommt, dass es nur der Blick ist. Ändern.

„Können wir Ihnen helfen?"

Das tun sie doch schon, oder?

Ach. Jetzt, nachdem er in der Kneipe ist, würde ich die ganze Szene mit dem Pärchen streichen. Was hat sie für einen Zweck? Aber du solltest vorher irgendwann erwähnen, dass er schon alt ist.

U-Bahnstation über die Rolltreppe

Seit seine Frau vor sechs Monaten gestorben war, war der wöchentliche Marktbesuch für ihn sein Anker im Hier und Jetzt. Dreißig Jahre waren sie verheiratet gewesen, bis ein blödsinniges Blutgerinnsel, ein Pfropfen toter Blutkörperchen, seine Frau in ein sabberndes Kind verwandelte.
Ach, Margarethe.
Viel Gutes war Bernard in seinem Leben nicht wiederfahren. Als Bernard zehn Jahre alt war, verlor er seinen Vater bei einem Grubenunglück. Seine Mutter musste ihn und seine 3 Brüder danach alleine durchbringen. Im Winter 1940/41 wurde er eingezogen und an die Ostfront geschickt. Dort geriet er 1942 in Gefangenschaft. Für ihn am Anfang eine Erleichterung, wie er immer sagte; denn die Gräuel des Krieges waren weitaus schlimmer als die täglichen Schikanen der Wächter im Lager. Töten musste er hier nur Ratten, um zu überleben. Als er 1954 endlich aus der Gefangenschaft entlassen wurde, war er trotzdem geistig ein gebrochener Mann. Sein Körper erholte sich nur langsam von den erlittenen Strapazen. Als er seine Frau kennen lernte, hatte er den Glauben an ein normales, glückliches Leben fast verloren. Doch seine Margarethe gab ihm diesen Glauben wieder zurück. Sie führten eine gute Ehe, auch wenn sie kinderlos blieb. Bernard bekam Arbeit als Stahlkocher, seine Frau als Stenotypisten. Es ging ihnen gut, bis Anfang der Achtziger die Stahlkrise Bernards Job fraß. Von da an war Glück etwas, das nur andere hatten. Margarethe behielt ihren Job, und Bernard versorgte den Haushalt. Doch die umgedrehte Rollenverteilung führte zu immer mehr Spannungen zwischen den Beiden. Bernard begann, seinen Tagesablauf mit Cognac zu schmieren, Margarethe, immer mehr Überstunden zu machen.
Bis sie eines Tages zuckend mit dem Gesicht in der Sonntagstorte landete.
Bernard pflegte sie nach ihrer Heimkehr aus dem Krankenhaus. Nun hatte er das Kind, das Margarethe und er sich immer gewünscht hatten. Nur, dass er jetzt 65 statt 35 Jahre alt war. Und dass sein Kind aussah wie siebenundfünfzig. Manchmal wünschte er in dieser Zeit, sie wäre tot. Manchmal wünschte er, er wäre tot. Und manchmal ging er in den Park, um zu weinen.

Weg damit.

Missbilligend das Gesicht verziehend

Nicht gut findend, den Satz kritisierend tippe ich.

So, den Rest habe ich überflogen. Das ist viel zu lang! Wenn deine Idee einfach nur ist, einem Mann den Tod als Verfolger zu geben, dann schreib nur darüber. Was möchtest du erzählen?

Deine Geschichte eiert so rum, hat keine Linie, dann kommen Rückblenden, noch mehr Rückblenden ... tja.

Wenn das jetzt aus Lego wäre, würde ich sagen, mache es kaputt, wirf zwei Drittel der Steinchen weg, und dann bau es von Grund auf neu.

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo yours,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich werde darüber lange nachdenken müssen. Aber warum willst du den langen Abschnitt streichen?
An dieser Stelle erklärt sich IMHO erst, warum Bernard getan hat, was er getan hat.

lg
Dave

 

Hallo Dave!

Das mit dem Absatz, ja. Er ist dort, wo er ist, völlig verkehrt. Finde ich. Da wird über ganz viele Zeilen aus der Handlung ausgestiegen - ich meine, wir erinnern uns, der Kerl wird verfolgt - und dann wird ganz viel erzählt.

Und dann noch in dem Ton! Das erzählt ja nicht der Protagonist, das erzählt der Erzähler mir als Leser. Ich finde es einfach langweilig.

Du musst nicht begründen, warum dein Mensch da so ist. Er ist eben einfach so. Warum er handelt, wie er handelt, muss aus dem ersichtlich sein, wie er auf Alltägliches reagiert. Dem Leser die Geschichte hinzuklatschen, ist eine Ausrede, wenn man das Wesen des Protagonisten nicht anders darstellen kann oder mag.

Der Absatz ist gut für deine Notizen - wenn du den Character zusammenbaust. Aber in der Geschichte hat er nichts verloren. Das ist der Plan, der ihn zu dem macht, was er ist.

Wenn du also zeigen willst, dass er gefrustet ist, nie eine schöne Zeit hatte - dann zeige, was seine Vergangenheit aus ihm gemacht hat.

Ähm. Ja. :)

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dave,

Ich finde das Thema der Geschichte sehr interessant und vielversprechend: ein alter Mann, der es nicht mehr aushält, seinen Partner so hilflos und verändert zu sehen und sie sanft in den Tod schickt. Doch finde ich, dass das Potential an Einfühlsamkeit hier noch viel mehr hergeben könnte. Auch die Idee, dass er von seinem personifizierten schlechten Gewissen verfolgt wird, spricht mich an. Ich glaube, mein Problem mit der Ausführung ist hauptsächlich eine Frage von Proportionen.

Die Beschreibung der Verfolgungsszenen ist, für meinen Geschmack, viel zu lang, und hier muss ich mich auch Sim anschliessen, dass die vielen Bilder und Gedanken während der Verfolgung, die wohl beabsichtigte Spannung erheblich dämpfen. Die Szene mit dem Pärchen finde ich ebenfalls ungerechtfertigt in die Länge gezogen.

Die Hintergrundinformation zum Leben des Mannes und des Pärchens erklärt, meiner Ansicht nach, nicht viel von seiner Handlungsweise.

Ich habe hier mal rauskopiert, welche Informationen zu den Tatsachen, die ihn zu seiner Tat bewegen, und darüber, wie er sich danach fühlte, Du eigentlich beschreibst:

Bis sie eines Tages zuckend mit dem Gesicht in der Sonntagstorte landete.”

Bernard pflegte sie nach ihrer Heimkehr aus dem Krankenhaus. Nun hatte er das Kind, das Margarethe und er sich immer gewünscht hatten. Nur, dass er jetzt 65 statt 35 Jahre alt war. Und das sein Kind aussah wie siebenundfünfzig. Manchmal wünschte er in dieser Zeit, sie wäre tot. Manchmal wünschte er, er wäre tot. Und manchmal ging er in den Park, um zu weinen.”

Seine Frau, mit breibekleckertem Kinn. Er, wie er ihre Windeln wechselte.”

Wie still doch die Wohnung war, seit Margarethe ...”

Er blieb einen Moment an der Schlafzimmertür stehen und betrachtete das Bett, in dem seine Frau gestorben war. Das über so viele Monate ihr eigentliches Zuhause gewesen war. Manchmal nachts, wenn er sich ruhelos im Gästebett hin- und herwälzte, glaubte er wieder die Geräusche der Dekubitusmatraze zu hören. Das Brummen des Kompressors, das Seufzen der Pneumatik, die Geräuschkulisse der Hoffnungslosigkeit. “

Sanft sei sie eingeschlafen, hatte ihm der Artzt gesagt. Bernard hatte, erfüllt von einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Trauer, nur stumm genickt. Die Einsamkeit traf ihn erst, als er von der Beerdigung nach Hause zurückkehrte. Während er mechanisch den Abendbrei zubereitete, wurde ihm plötzlich klar, dass seine Frau nie wieder Brei essen würde. Weinend brach er in der Küche zusammen.”

Erst zum Schluss erklärt er dem schwarzen Mann:

Sie, sie war so ... fremd, plötzlich. Nicht mehr meine Frau, verstehst Du? Ich wollte immer ein Kind haben, genauso wie sie auch. Aber nicht so, nicht auf diese Art. Kinder werden irgendwann groß. Sie lernen Sprechen und Laufen und zur Toilette zu gehen. Und sie geben Liebe zurück. Doch Margarethe konnte all das nicht mehr."
„Ich hielt es irgendwann nicht mehr aus. Windeln wechseln, Füttern, Baden, ihr seelenloses Gesicht. Es widerte mich von Tag zu Tag mehr an."
"Der Pflegedienst hatte nie Zeit für ein Gespräch. Niemand hatte Zeit für mich. Ich hatte niemanden, nur ihren leeren Körper ohne Seele."
Sein unheimlicher Besucher nickte auffordernd, weiter zu machen.
„Ich habe ihr Schlaftabletten in den Brei gemischt. Sie ist einfach eingeschlafen."
„Ich habe sie erlöst
."

Das ist mir zu wenig, (vor allem zu wenig Hinweise bevor er dem schwarzen Mann alles erklärt) ich kauf’s Dir nicht so recht ab. Es spielen sich bestimmt sehr komplexe Gedankengänge und Gefühle in einem Menschen ab, der beschliesst, seinen langjährigen, unterstützenden Partner aus dem Weg zu schaffen, und gerade die hätten mich brennend interessiert.

Du machst in dem Text sehr viele Zeiten- und Ortswechsel. Ich persönlich hätte es lieber gesehen, wenn Du diese in grösserem Ausmass dazu verwenden würdest, den Leser die Entscheidung des alten Mannes nachvollziehen zu lassen. Oder es könnte da mehr Dialog mit dem “schwarzen Mann” sein, wenn der schon das Gewissen darstellt, z. B. bei der ersten Begegnung, wo er sich an seinen Tisch setzt.

Teils finde ich Deine Szenenverschachtelung recht verwirrend, z. B. als er im Café sass und sich an den Markt erinnerte, dann eine Szene, die im Café – auf dem Markt spielt – mit einer zweiten Kellnerin. Danach kommt ein Paoramarestaurant. Da dachte ich beim ersten Lesen, die Abläufe wären falsch, beim zweiten Lesen musste ich zurückspringen und suchen, wo er sich jetzt eigentlich genau noch mal befand. Ich sass als Leser immer noch im ersten Café. Auch danach konnte ich dem Sprung zurück ins erste Café nicht so ganz folgen – Moment mal, wir waren doch gerade bei der U-bahn? Zu umständlich, zu viele Schauplätze für relativ wenig Handlung.

Ein paar Absätze könnten die verschiedenen Schauplätze schon nachvollziehbarer machen, ich persönlich halte sie aber hauptsächlich für unnötig. Das einzige, was hier eigentlich passiert ist, dass er verfolgt wird, mit Begegnung des dunklen Mannes, der nichts zu ihm sagt, nur seine Seele durchbohrt, und ein Einblick in die Bedeutung der Marktroutine nach dem Tod seiner Frau.

Hier, zum Schluss ist noch so ein Sprung in der Zeit, der nicht einfach nachzuvollziehen ist, vor:

Im Wohnzimmer machte Bernard die Stehlampe neben seinem Lieblingssessel an und ging zum Barschrank.”

Hier sind noch ein paar Ausdrucksweisen, auf die ich nicht so scharf bin (ist aber wohl Geschmacksache, kann auch nicht immer erklären warum)


blickte sich hektisch und verzweifelt um” – ein Adjektiv genügt

sog gierig die abgasverseuchte Stadtluft ein

Bernards Herz zog sich zusammen, krümmte sich in seiner Brust wie ein Wurm am Haken.” - das Bild mit dem Wurm ist mir zu “witzig” für den Zusammenhang.

besah sich den Strom der Reisenden” – “besah” klingt komisch

dieser Mann blicke ihn direkt und alleine an” – sowas wie “einzig nur ihn”

das hilfreiche und wohlwollende Zupacken” – auch nur eins der Adjektive

blödsinniges Blutgerinnsel, ein Pfropfen toter Blutkörperchen

Bernard erschrak zutiefst

weinerlicher Altmännerstimme. Er hasste sich dafür” – mag die Idee, dass er seine eigene Stimme hasste, nur die Formulierung ist nicht mein Fall. Vielleicht sowas wie: “Er hörte sich selbst mit der weinerlichen Stimme eines alten Mannes sprechen und hasste sich dafür.”

Auch auf den “dunklen Mann” bin ich nicht so scharf. Ich glaube, da fällt Dir was originelleres ein. Muss ja kein grünes Kaninchen sein.

Versteh mich jetzt nicht falsch nach so viel Genörgel hier. Ich mag die Idee der Geschichte sehr, und gerade deshalb, und weil ich mich bereits mehrmals von Deinem Talent überzeugen durfte, glaube ich, dass Du da noch einiges mehr daraus machen kannst. Das ist der längste Kommentar, den ich bisher geschrieben habe. Ich hoffe, Du kannst damit was anfangen.

Liebe Grüsse

Elisabeth

PS: Noch eine Klitzekleinigkeit, die jetzt nicht uuuuuuuuunbedingt erklärt werden muss, tut nicht viel zur Sache, aber ein Arzt muss irgendwie die Todesursache feststellen und hätte da vielleicht ja doch ein paar Fragen gestellt.

 

Hallo Elisabeth,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ebenso wie die anderen Kommentare zeigt er mir, dass ich die Geschichte wohl doch überarbeiten muss. Aber ich sehe ein, dass die derzeitige Form nicht ausreichend Tiefe hat. Mal sehen, was ich daraus machen kann. Wird allerdings etwas dauern, da ich gerade zwei andere Projekte "auf der Pfanne" habe.

Das du mir Talent bescheinigst, freut mich besonders, da eben dieses bei dir in reichlichem Maße vorhanden ist. Urubu z.B. ist eine wünderschöne Geschichte. Ob ich wirklich Talent habe, lasse ich mal dahingestellt :shy:

lg
Dave

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom