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Bestandsaufnahme

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05.07.2006
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Bestandsaufnahme

Bestandsaufnahme
Eine Geschichte über meine Mutter
Oder mich, wenn das eintritt, wovor ich am meisten Angst habe

Inzwischen stehe ich hier – eigentlich nicht, weil ich es wollte. Ich bin verheiratet und unförmig geworden, in mein Gesicht haben sich tiefe Furchen eingegraben. Mein Leben ist eine bloße Abfolge vorhersehbarer Ereignisse in berechenbaren Abständen. Grau und eintönig, ohne Höhe- und Tiefpunkte, ein gemäßigtes Klima.
Die Stille der Küche droht mich zu erschlagen und doch nehme ich sie so hin, bin sogar froh über den Gegenpol zum Lärm, den ich ansonsten tagsüber ertragen muss.
Früh am Morgen, so gegen sieben Uhr, wenn alle aus dem Haus sind, habe ich eine Stunde für mich. Ich schlürfe meinen Kaffee und starre über den Tassenrand ins Leere - nichts zu tun und nichts zu denken. Ich betrachte meine unrasierten, bleichen Beine nachdenklich und ein wenig traurig. Jenseits des Fensters ist der Himmel wolkenschwer, November. Kein guter Monat für Hausfrauen.
Mein Blick wandert durch das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer und mich ergreift eine mulmige Geborgenheit.
Manchmal, wenn ich beim Staubwischen etwas länger verweile, fallen mir Bilder in die Hände. Bilder, hinter denen viel Zeit steckt, die uns jung zeigen, obwohl wir doch noch gar nicht so alt sind. Unsere Eltern hatten uns zu oft vor unseren bescheidenen Träumen gewarnt: es drohe Armut, Unsicherheit, ein früher Tod. Leider hatten sie vergessen, auch die Gefahren des gemäßigten Mittelstandes zu erwähnen. Im Grunde waren diese verheerender.
Wütend starre ich in den Spiegel. Selbstmitleid mit verstaubten Beigeschmack – lächerlich und längst überholt. Es ist zu spät für diese schleppenden Monologe.
Unten knallt die Tür, Kind Nummer 1 kommt aus der Schule heim. Resigniert werfe ich meinem eingefallenen Spiegelbild einen Blick zu, tief seufzend gehe ich in die stickige Küche. Essen kochen, Tisch decken, Abwasch. Der Refrain meines Lebens, der mich am Ende jeder gleich klingenden Strophe einholt.

Es ist mitten in der Nacht, zumindest für Hausfrauen. Ein Uhr morgens und ich stehe an meinem Schlafzimmerfenster. Selbst in der Nacht hat das Dorf etwas Untröstliches an sich. Der Gestank von verpasstem Leben packt diejenigen an der Kehle, die sich trauen, intensiver zu schnuppern.
Wenn ich mich nicht gerade im Spiegel anschaue, könnte ich mir einreden, noch einmal jung und schlank zu sein, mit einem Kopf voller Träume über meine Zukunft. Ich würde meine Tasche packen und mich der Nacht anschließen, mich irgendwo an der Straßenrand stellen, mit dem Daumen nach oben. Ich würde Zigaretten rauchen, Rotwein trinken und mich irgendwo auf den Boden legen, um die Sterne anzuschauen. Meine Freundin wäre dabei oder ein Junge, den ich erst seit ein paar Stunden kenne. Auf jeden Fall wäre ich nicht alleine.
Ich wische etwas Feuchtes von meiner Wange und versuche, den Griff um meine Kehle etwas zu lockern. Das Frösteln sagt mir, dass ich mich wieder zu Bett legen sollte. Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch und versuche den Mann neben mir zu ignorieren.
Morgen muss ich Wäsche waschen.

 

Willkommen Nala,

hier auf kg.de.

Für einen Erstling ist sie okay, das Thema der grausamen Alltäglichkeit ist ja eines der Beliebteren, da ergiebig.

Die Darstellung des grauen Durchschnittslebens liest sich nicht vollständig glaubwürdig, denn so grau und das trotz Kindern, Mann und Mittelmaß hab ich der Prot nicht abgenommen, auch nicht im November :)
Für Glaubwürdigkeit hätten es mehr Details sein müssen, warum ist sie mit ihrem Leben _so_ unglücklich, mit dem Mann, ihren Kindern, ihren unerfüllten Wünschen.

Mich irritiert wohl vor allem die Überschrift, nehme ich diese wörtlich, dann kann ich verstehen, nachvollziehen, warum Du an der Oberfläche bleibst, und dann rate ich Dir, schreibe andere Geschichten, weitere, in denen Du des Schreibens willen und nicht der Aufarbeitung wegen schreibst, es gibt viele Stories, die erzählt werden können, viele Plots.

Und wenn die Überschrift "nur" ein Intro in diese graue Welt sein soll, dann arbeite die Prot aus, auch grau kann viele Schattierunge und damit Farbnuancen hervorbringen, hole sie heraus und schaffe damit mehr der Welt, in der die Prot sich bewegt.

Hier jedenfalls ist ein gutes Forum um zu lesen, zu schreiben, den eigenen Stil zu entwickeln und zu verbessern, wenn Du magst nutze die Chancen.

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo Nala,

Deine Geschichte gefällt mir, Du verdeutlichst die Stimmung einer frustrierten Hausfrau sehr gut. Leider gibt es wohl viele, die dieses Schicksal mit Deiner Protagonistin teilen, für die diese Geschichte sicherlich sehr bitter ist, wie ein Spiegel.
Du hast es auch geschafft diese versteckte Sehnsucht nach einem anderen Lebensstil zu verdeutlichen - zwar beschreibst Du sie im letzten Absatz direkt, zeigst jedoch auch, dass die Protagonistin diese Wünsche nicht nach außen trägt und nur für sich behält; wodurch die ganze Situation noch eindringlicher und beklemmender wird.

Schön sind Deine Formulierungen. Im beschriebenen Tagesablauf fehlen mir jedoch kleine Nuancen, die auch ein allzu eintöniger Hausfrauen-Alltag hat:

"Der Refrain meines Lebens, der mich am Ende jeder gleich klingenden Strophe einholt"

Schön beschrieben, aber die Strophen klingen nicht immer gleich, da gibt es geringe Variationen, die einer Hausfrau Hoffnung machen können, jedoch am Ende enttäuschen.

"Mein Blick wandert durch das Wohnzimmer, eingerichtet für Haustiere, gemütlich, zufrieden. Mich ergreift eine mulmige Geborgenheit"

Die mulmige Geborgenheit finde ich gut, jedoch die Formulierung "eingerichtet für Haustiere" stört mich ein wenig. Sie wirkt etwas gezwungen, für mich zu aufgetragen.

Besonders gut gefällt mir diese Stelle:

"Der Gestank von verpasstem Leben packt diejenigen an der Kehle, die sich trauen, intensiver zu schnuppern. "


Hallo Seltsem,
Du schreibst,
"Für Glaubwürdigkeit hätten es mehr Details sein müssen"
das empfinde ich jedoch ganz anders. Nala hat es meines Erachtens sehr gut geschafft, hätte sie die Protagonistin detaillierter beschrieben, würde die Geschichte an Eindringlichkeit verlieren.

Grüße,
Sisypha

 

Hallo Nala,

den Frust deiner Prot konnte ich sehr gut nachfühlen. Diese Gleichförmigkeit des Lebens und dann noch auf einem Dorf muss sehr deprimierend sein.
Dein Stil gefällt mir gut, besonders der Satz "Der Gestank des Lebens.....". Kurz und sehr prägnant!

Nach dem Lesen möchte man deiner Prot zurufen:" Tu endlich etwas!"
Wenn du nichts tust, passiert auch nichts.

Ciao,
Jurewa

 

Hallo und danke für eure Antworten!
Ich hatte vollkommen vergessen, dass ich hier eine Geschichte gepostet hatte, deshalb erst jetzt meine verspätete Reaktion.
@ C.Seltsem: Die Überschrift war schon wörtlich gemeint. Ich dachte dabei an die seltenen Momente, in denen man gezwungen ist, sein Leben nüchtern zu betrachten und eine Bilanz zu ziehen.
@Sisypha: Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Das mit den Strophen: Hm, ich dachte, wenn die Strophen gleich klingen, dann wird damit schon eine gewisse Monotonie deutlich, aber dennoch impliziert schon der Begriff "Strophe" eine gewisse Variation..
Mit den Haustieren hast du Recht, da werde ich mir etwas anderes einfallen lassen.
@Jurewa: Schön, dass auch dir die Geschichte gefallen hat. Meine Prot wird allerdings nie etwas tun, wird nie ihr Leben verlassen, genausowenig wie du, ich oder sonstwer etwas tun würden. Ich denke, die meisten Menschen neigen zu Kompromissen und Sicherheit und die wenigsten folgen einem plötzlich auftretenden Gefühl, das in eine andere Richtung strebt.

Allgemein muss ich sagen, dass mir meine Geschichte eigentlich nicht mehr sonderlich gefällt. Kennt ihr das?
C.Seltsem meinte, ich solle mehr Details einbauen. Prinzipiell hat er Recht, allerdings müssten das ziemlich viele Details und auch einige Dialoge sein, um die Geschichte wirklich anzureichern. Wenn ich ehrlich bin, ist mir diese Geschichte die Überarbeitung nicht mehr wert. Es ist zu lange her, dass ich sie geschrieben hatte und ich habe eigentlich gerade eher Lust dazu, nochmal vollkommen neu anzufangen. Vielleicht aber dann mit einer Prot, die den Absprung schafft. So ist es doch sehr deprimierend.

Liebe Grüße
Nala

 

Hallo Nala,

obwohl deine Kurzgeschichte kein herausragendes Werk ist, hast du zumindest das Alltagsleben einer Hausfrau nachvollziehbar beschrieben. Evtl. hättest du dabei noch etwas mehr in die Tiefe gehen können; für eine längere Kurzgeschichte fehlt allerdings eine Handlung.

Ich konnte mich gut in das triste Leben deiner Protagonistin einfinden. Sie ist unförmig geworden, die Ereignisse sind vorhersehbar, die Stille, das Alleinsein, ... Vielen Frauen ergeht es sicherlich so.

Allerdings versinkt deine Protagonistin für mich etwas in Selbstmitleid. Immerhin hat sie ihre Kinder zu betreuen, und gegen ihre Unförmigkeit und Langeweile ließe sich doch etwas machen, oder? Sie könnte zum Beispiel in ein Fitnessstudio gehen oder sich einen Nebenjob suchen. Ich denke, da gäbe es schon Möglichkeiten, mehr aus dem Leben zu machen. Auch als Hausfrau.

Eine Sache verstehe ich nicht:

Unsere Eltern hatten uns zu oft vor unseren bescheidenen Träumen gewarnt: es drohe Armut, Unsicherheit, ein früher Tod
Was meinst du mit den "bescheidenen Träumen"?

Es ist mitten in der Nacht, zumindest für Hausfrauen. Ein Uhr morgens
Für mich ist ein Uhr morgens eigentlich auch mitten in der Nacht. Und ich bin keine Hausfrau. ;-)

Der Gestank von verpasstem Leben packt diejenigen an der Kehle, die sich trauen, intensiver zu schnuppern.
Der Satz gefällt mir auch sehr gut, auch wenn verpasstes Leben eigentlich nicht riecht.

Gut gefällt mir auch der Titel. Bestandsaufnahme.
Die Zweitüberschrift halte ich aber für unnötig. Der Inhalt sagt das eigentlich aus.

Viele Grüße,

Michael :-)

 

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