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Bestandsaufnahme
Eine Geschichte über meine Mutter
Oder mich, wenn das eintritt, wovor ich am meisten Angst habe
Inzwischen stehe ich hier – eigentlich nicht, weil ich es wollte. Ich bin verheiratet und unförmig geworden, in mein Gesicht haben sich tiefe Furchen eingegraben. Mein Leben ist eine bloße Abfolge vorhersehbarer Ereignisse in berechenbaren Abständen. Grau und eintönig, ohne Höhe- und Tiefpunkte, ein gemäßigtes Klima.
Die Stille der Küche droht mich zu erschlagen und doch nehme ich sie so hin, bin sogar froh über den Gegenpol zum Lärm, den ich ansonsten tagsüber ertragen muss.
Früh am Morgen, so gegen sieben Uhr, wenn alle aus dem Haus sind, habe ich eine Stunde für mich. Ich schlürfe meinen Kaffee und starre über den Tassenrand ins Leere - nichts zu tun und nichts zu denken. Ich betrachte meine unrasierten, bleichen Beine nachdenklich und ein wenig traurig. Jenseits des Fensters ist der Himmel wolkenschwer, November. Kein guter Monat für Hausfrauen.
Mein Blick wandert durch das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer und mich ergreift eine mulmige Geborgenheit.
Manchmal, wenn ich beim Staubwischen etwas länger verweile, fallen mir Bilder in die Hände. Bilder, hinter denen viel Zeit steckt, die uns jung zeigen, obwohl wir doch noch gar nicht so alt sind. Unsere Eltern hatten uns zu oft vor unseren bescheidenen Träumen gewarnt: es drohe Armut, Unsicherheit, ein früher Tod. Leider hatten sie vergessen, auch die Gefahren des gemäßigten Mittelstandes zu erwähnen. Im Grunde waren diese verheerender.
Wütend starre ich in den Spiegel. Selbstmitleid mit verstaubten Beigeschmack – lächerlich und längst überholt. Es ist zu spät für diese schleppenden Monologe.
Unten knallt die Tür, Kind Nummer 1 kommt aus der Schule heim. Resigniert werfe ich meinem eingefallenen Spiegelbild einen Blick zu, tief seufzend gehe ich in die stickige Küche. Essen kochen, Tisch decken, Abwasch. Der Refrain meines Lebens, der mich am Ende jeder gleich klingenden Strophe einholt.
Es ist mitten in der Nacht, zumindest für Hausfrauen. Ein Uhr morgens und ich stehe an meinem Schlafzimmerfenster. Selbst in der Nacht hat das Dorf etwas Untröstliches an sich. Der Gestank von verpasstem Leben packt diejenigen an der Kehle, die sich trauen, intensiver zu schnuppern.
Wenn ich mich nicht gerade im Spiegel anschaue, könnte ich mir einreden, noch einmal jung und schlank zu sein, mit einem Kopf voller Träume über meine Zukunft. Ich würde meine Tasche packen und mich der Nacht anschließen, mich irgendwo an der Straßenrand stellen, mit dem Daumen nach oben. Ich würde Zigaretten rauchen, Rotwein trinken und mich irgendwo auf den Boden legen, um die Sterne anzuschauen. Meine Freundin wäre dabei oder ein Junge, den ich erst seit ein paar Stunden kenne. Auf jeden Fall wäre ich nicht alleine.
Ich wische etwas Feuchtes von meiner Wange und versuche, den Griff um meine Kehle etwas zu lockern. Das Frösteln sagt mir, dass ich mich wieder zu Bett legen sollte. Ich ziehe die Decke bis zum Kinn hoch und versuche den Mann neben mir zu ignorieren.
Morgen muss ich Wäsche waschen.