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Besuchszeit
Lange Gänge, weiße Kittel, gemischt mit den Grünen. Die Grünen sind in der Überzahl, doch die Grünheit ist weiblich oder zivildienerisch.
Es gibt auch weibliche Weißkittel, aber die ziehen für gewöhnlich keinen Tross von Klemmbrettträgern hinter sich her, der Leute wie mich an die Gangwände wischt, allein durch das Moment ihrer Überlegenheit.
Ich erreiche über verschlungene Umwege die richtige Tür und krame meinen Zettel aus der Tasche. Ich wollte was Aufmunterndes schreiben, mit ein paar Anekdoten aus unserer gemeinsamen Schulzeit, aber schon der Anfang liest sich wie ein Nachruf.
Eine Grüne fährt einen Greis im Rollstuhl vorbei, der nachwehende Geruchscocktail besteht aus zwei Teilen Desinfektionsmittel und einem Teil brandigem Fleisch. Ich beginne zu schwitzen und spüre den Fluchtimpuls. Ich kann so nicht reingehen und banale Freundlichkeiten stammeln, ich wollte doch…
Ich drehe um und gehe rasch Richtung Ausgang und überlege mir, was ich wirklich wollte. Mich etwa durch ein paar Zeilen vor einer Kranken profilieren? Nein, so armselig will ich nicht sein.
Vor dem Ausgang ist eine Cafeteria, ich setze mich in den Raucherbereich und bestelle ein Bier, rauche.
Ich versuche mein Geschreibsel noch irgendwie zu retten und gebe schnell auf, jede Korrektur macht es noch mehr zu einer Grabrede. Ich starre dem Zigarettenrauch hinterher; sie hat niemals geraucht. Wie unfair das Ganze ist, wie fantastisch ungerecht.
Während ich meine Zeit in seelenlosen Jobs verplempert und auf meine Gesundheit jeden Tag geschissen habe, hat sie sich fein geschliffen zu einem wertvollen Schmuckstück. Studium, natürlich, diese soziale Sache in Südamerika – immer voller positiver Energie, immer mit einem Ziel vor Augen.
Nicht Geld, obwohl ihr Geld natürlich wichtig war, nicht für sich selbst, sondern um etwas bewegen zu können, für Forschungsreisen, für diese Schule in Peru.
Ich merke, dass ich in Gedanken schon wieder vor ihrem Grab stehe, dass ich sie bereits abgeschrieben habe, und ich schäme mich dafür. Ist es der Neid auf ihren Willen, auf ihre Intelligenz und ihre Integrität, der mich so reagieren lässt?
Der Hass des Schwachen auf die Starke? Die Starke, die nun schwer krank ist, flüstert dieses Gift in mir und die Scham überkommt mich wieder.
Ich schlage mit der Faust auf den Tisch und das Bier schwappt über. Die Leute starren mich an. Schweiß rinnt aus meinen Achselhöhlen. Es ist auch viel zu warm hier, der Krankenhausgeruch übertüncht sogar den dichten Zigarettenqualm.
Ich stehe hastig auf, bezahle und flüchte ins Freie. Draußen nieselt es angenehm, die kleinen Tropfen kühlen mein erhitztes Gesicht.
Ich werfe meinen Zettel in den nächsten Mülleimer und beschließe ihr ein Geschenk zu besorgen.
Ein Buch, Bücher sind immer gut. Ich irre durch die Stadt, zu Fuß natürlich, für einen Orientierungskrüppel wie mich ist es gefahrloser sich langsam zu verirren.
Schließlich finde ich eine Biografie über einen südamerikanischen Befreiungstheologen, einen tollen Mann, der viel für seine Gemeinde getan hat, für die Armen, für die Kinder. Ein integrer Mann, der gelebt hat, was er predigte. Er wurde schließlich von der rechten Junta ermordet.
Vor der Buchhandlung begreife ich, dass ich ihr das nicht schenken kann.
Ich bin ein Trottel, wenigstens das sehe ich ein.
Ich gehe wieder rein um das Buch umzutauschen und bleibe bei einem Bildband über Griechenland hängen. Diese weißgekalkten hübschen Häuser beschwören die kleine Liaison herauf, die wir auf der Maturareise miteinander hatten. Nichts wirklich Ernstes, sie warf dem kleinen Kater ab und zu ein Spielzeug hin und als es richtig körperlich zu werden drohte, schmiss sie mich aus dem Bett.
Ich muss lächeln. Es war sehr spannend gewesen und sie sehr schön, braungebrannte Haut, an der die Meerwassertropfen abperlten wie an einer Statue. Damals hat sich noch keiner Gedanken über Hautkrebs gemacht.
Ich zucke zusammen, stelle den Band zurück ins Regal und flüchte mit rotem Gesicht aus der Buchhandlung. My mind is a minefield.
Ich muss mich zusammenreißen, ich werde das jetzt hinter mich bringen. Zurück zum Krankenhaus also, in meinem Fall auf dem denkbar längsten und umständlichsten Weg.
In der kleinen Boutique, die unweigerlich wie Blutegel an allen Hospitälern hängen, kaufe ich einen Strauß Blumen.
Wieder dieser antiseptische Geruch, wieder die weißen und grünen Kittel, wieder der Angstschweiß.
Ihr Bett ist leer.